Im Gespräch: Meike Baasen, Grundschule am Buntentorsteinweg (Bremen) : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Schulleiterinnen und Schulleiter der ersten "Ganztagsstunde" ziehen nach zehn Jahren Bilanz. Heute: Meike Baasen, Grundschule am Buntentorsteinweg (Bremen).

Online-Redaktion: Frau Baasen, als wir Ihre Schule vor fünf Jahren besuchten, zählte sie 235 Schülerinnen und Schüler. Aktuell sind es 255. Steigende Schülerzahlen sind derzeit nicht selbstverständlich...

Meike Baasen: Seit drei Jahren müssen wir sogar jedes Jahr etwa 20 Kinder ablehnen. Für viele Eltern ist die Mischung aus Ganztagsschule und jahrgangsübergreifendem Lernen ein Magnet. Wir arbeiten in den Klassen 1 und 2 sowie in den Klassen 3 und 4 mit Jahrgangsmischungen. Darüber hinaus sind die Lerngruppen 1/2 und 3/4 auch noch durch Patensysteme miteinander verschränkt. Das stärkt die Beziehungen der Kinder untereinander. Viele Lehrkräfte unterrichten in beiden Lerngruppen über vier Jahre.

Es gibt kein Sitzenbleiben bei uns, sondern Kinder wechseln in die Partnerlerngruppe 3/4, wenn sie den entsprechenden Lernstand erreicht haben. Dort treffen sie ihre Klassenkameradinnen und -kameraden vom Vorjahr wieder.  Außerdem sind die Kleinen und die Großen in räumlicher Nähe untergebracht und halten den Kontakt durch gemeinsame Ausflüge und Feiern. Dieses System, das die Vorteile von jahrgangsübergreifendem Lernen mit klassengebundenem Lernen verbindet, ist für die Eltern sehr attraktiv. Ihnen gefällt auch, dass im Idealfall eine Lehrkraft die Kinder von der 1. bis zur 4. Klasse begleitet.

Online-Redaktion: Sind die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer bezüglich der Heterogenität, die bereits 2008 ein Thema waren, damit noch gestiegen?

Baasen: Ja – aber diesen Zustand haben wir uns gewünscht und ihn durch die Jahrgangsmischung bewusst verstärkt. Bei uns werden Schülerinnen und Schüler mit Entwicklungsunterschieden von bis zu drei Jahren eingeschult. Sie sind durch den familiären Hintergrund geprägt. Der Kindergarten gleicht dann schon einiges aus, aber manche Schülerinnen und Schüler haben keinen Kindergarten besucht – da fehlt uns die Kindergartenpflicht.

Wir wollen individuell arbeiten und alle Kinder fördern. Dazu arbeiten wir mit Lernplänen. Wenn Sie uns während der Übungszeiten besuchen würden, könnten Sie sehen, dass jedes Kind an etwas anderem arbeitet. Bildungsgerechtigkeit heißt nicht, dass alle das Gleiche schaffen sollen, sondern, dass alle die Chance erhalten, ihre Möglichkeiten so weit, wie es geht, auszuschöpfen.

Online-Redaktion: Ist Ihre Schule dabei erfolgreich?

Baasen: Sicherlich erfolgreicher als Schulen, die im Klassenverband organisiert sind. Als gebundene Ganztagsschule können wir darüber hinaus bereits am Vormittag rhythmisieren. Lernen, Entspannung und außerunterrichtliche Tätigkeiten wechseln sich kindgerecht ab. Auch die Mischung aus Lehrkräften, zu denen die Schülerinnen und Schüler eine Beziehung aufbauen, und den sozialpädagogischen Fachkräften, welche in der freien Lernzeit und in den Übungszeiten arbeiten, gestaltet den Schultag interessanter und hilft den Kindern, gut über den Tag zu kommen. Man sieht die Lerngruppen von 14.30 bis 16.00 Uhr in Ruhe arbeiten, auch in Deutsch und Mathematik.

Online-Redaktion: Sie arbeiteten vor fünf Jahren mit einem Präsenz-Arbeitszeitmodell. Haben Sie dieses beibehalten?

Baasen: Es ist ein freiwilliges Präsenzzeitmodell, das wir inzwischen verbessert haben. Von den drei Präsenzzeitstunden, die Lehrerinnen und Lehrer über den Unterricht hinaus in der Schule anwesend sein müssen, haben wir zwei Stunden in den ersten Lernblock von 8.00 bis 10.00 Uhr am Donnerstag gelegt. In dieser Zeit sind alle Kolleginnen und Kollegen frisch und ausgeruht da, arbeiten zusammen, entwickeln gemeinsam Unterrichtsmaterialien, erstellen Pläne und Fachkonzepte. In dieser Zeit sind die sozialpädagogischen Fachkräfte in den Klassen und genießen es, mit den morgens ebenfalls noch frischen Kindern in den Tag starten zu können.

Online-Redaktion: Was hat die Arbeit der letzten Jahre geprägt?

Baasen: Wir haben an der inhaltlichen Planung für die Jahrgangsmischung gearbeitet, indem wir so genannte Streckenpläne für Deutsch und Mathematik entwickelt haben, die an den Kompetenzbereichen der Rahmenpläne orientiert sind. Die Klassenräume sind entsprechend eingerichtet, sodass die Schülerinnen und Schüler dort alle Inhalte vorfinden, die sie brauchen, um den Streckenplan in einem bestimmten Kompetenzbereich bearbeiten zu können. Wenn eine Lehrkraft mal krank ist, können die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Streckenplan in eine andere Lerngruppe gehen, um daran zu arbeiten.

Bei unserem Projekt „Zweimal einschulen“ haben wir einen Verbund mit fünf Kindergärten gebildet und ein gemeinsames Curriculum für die Übergangszeit entwickelt. Es zeigte sich früher, dass ein Teil der Schulanfänger zu früh oder zu spät eingeschult wird. Daher entstand aus einer offenen Diskussionsrunde zwischen unserer Grundschule und den Kindergärten die Idee einer zweimaligen, passgenaueren Einschulung. Im Januar 2010 genehmigte die Senatorin für Bildung unseren gemeinsamen Modellantrag auf zweimalige Einschulung, so dass eine Einschulung auch im Februar möglich ist.

Online-Redaktion: Wie kooperieren Sie mit den Kindergärten?

Baasen: Als Vorbereitung auf die Schulzeit bieten die Kindergärten abgesprochene Inhalte aus den Bereichen Lesen, Schreiben, Mathematik, Forschen und Experimentieren an, die in die Neugier- und Interessensbereiche der Kinder fallen. Die Kindergärten nutzen die Fenster für frühes Lernen, um die Kinder auch schon mit diesen Inhalten in Kontakt zu bringen.

Einmal im Jahr veranstalten wir zu jedem dieser Bereiche einen Parcours. Die Kindergartenkinder kommen zu uns in die Schule. Auf Tischen liegen zum Beispiel Spiele zu Reimen, Silben, Anlauten, Mustern und Mengen. Hinter den Tischen stehen unsere Erst- und Zweitklässler, während die Kindergartenkinder von einer Station zur anderen wandern und die Aufgaben erledigen. Das stärkt sie ungemein, weil sie merken, dass sie die Arbeit in der Schule schaffen können. Bei „Forschen und Experimentieren“ gehen die Schülerinnen und Schüler wiederum mit ihren Forscherheften in die Kindergärten, um Experimente durchzuführen. Da sind dann die Kindergartenkinder die Experten. Das Projekt „Zweimal einschulen“ ist bei den Eltern auch sehr nachgefragt.

Online-Redaktion: Was waren für Sie in den vergangenen Jahren Höhepunkte im Schulleben?

Baasen: Das „Zweimal einschulen“ ist mein Steckenpferd. Hier stellen wir die Kinder in ihrer Entwicklung in den Mittelpunkt, und Kindergarten und Schule richten sich danach aus. Das entspricht genau meiner Vorstellung.

Und jedes Jahr bei den Anmeldungen freue ich mich, dass die Schule für viele Eltern interessant ist, auch wenn es mir leid tut, nicht genügend Plätze für die Anmeldungen bereitstellen zu können. Für alle Kolleginnen und Kollegen, die hier total engagiert arbeiten, die selbstständig Ideen entwickeln und ins Kollegium tragen, die sich fortbilden, ist das eine Auszeichnung für ihre Arbeit. Meine Lehrkräfte verbringen viel Arbeitszeit in unseren Arbeitsräumen für die Pädagoginnen und Pädagogen, haben die für diese Schule passende pädagogische Haltung und setzen unser Schulleitbild um. Es gibt natürlich auch konstruktive Kritik und konträre Diskussionen, aber alle unterstützen die Arbeit an unserer Schule von Herzen.

Online-Redaktion: Was steht im aktuellen Schuljahr 2013/2014 an?

Baasen: Wir wollen Lernentwicklungsgespräche und Leistungsgespräche mit den Eltern und den Kindern im Dialog führen und arbeiten an einem Leitfaden für diese Elterngespräche. Ich habe zum Glück zwei Kolleginnen, die sich im Studium und Referendariat damit beschäftigt haben und über sehr viel Fachwissen auch im Bereich Portfolio verfügen, die wir der Dokumentation der Lernentwicklung zu Grunde legen wollen. Diese beiden werden die Einführungsveranstaltung für das Kollegium gestalten, und dann bilden sich Arbeitsgruppen, die sich auch im Internet und an anderen Schulen dazu informieren.

Online-Redaktion: Haben Sie noch langfristige Wünsche für Ihre Schule?

Baasen: Etwas, das mir auf den Nägeln brennt, sich wohl aber in meinem Arbeitsleben nicht mehr realisieren lässt, betrifft die Anschlussfähigkeit der Oberschulen. Es gibt in Bremen nur eine Oberschule, die jahrgangsübergreifend arbeitet. Genauso, wie wir mit den Kindergärten die Verabredung der flexiblen Einschulung getroffen haben, wäre es theoretisch möglich, dass die Schülerinnen und Schüler dann auf die Oberschule wechseln, wenn sie so weit sind, und nicht zu einem festen Zeitpunkt. Aber das bleibt vorerst ein Traum.

Mein zweiter Wunsch betrifft das Kooperationsverbot zwischen Ländern und Bund in der Bildung, von dem ich hoffe, dass es aufgehoben wird. Wenn ich sehe, was bei uns durch die IZBB-Mittel ermöglicht wurde, wie die neuen Räume und die Ausstattung zusammen mit der Ganztagsschule das Schulklima und die Schulkultur kolossal verbessert haben, wünsche ich mir, dass andere Schulen auch diese Möglichkeit bekommen.

 

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