Im Gespräch: Frank Haubitz, Gymnasium Klotzsche (Sachsen) : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Schulleiterinnen und Schulleiter der ersten "Ganztagsstunde" ziehen nach zehn Jahren Bilanz. Heute: Gymnasium Dresden-Klotzsche in Sachsen.

Online-Redaktion: Ihre Schule hat in der Startphase zur Schule mit Ganztagsangeboten stark von den Mitteln aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ profitiert. Wie kommen Sie heute zurecht?

Frank Haubitz: Was die Finanzierung unserer Ganztagsangebote in den letzten Jahren anging, so gab es keinen Grund zur Klage. Die von uns beantragten Mittel wurden stets in voller Höhe ausgereicht, sodass eine Kontinuität im Angebotsspektrum gewährleistet werden konnte.

Online-Redaktion: Was würden Sie mit der Erfahrung von zehn Jahren im Nachhinein anders machen?

Haubitz: Ich würde den Weg nochmals so beschreiten. Durch eine stetige Kontrolle der Angebote, die Einbeziehung vieler Kolleginnen und Kollegen, aber auch mit Hilfe einer halbjährlichen Überprüfung der Effizienz der einzelnen Angebote konnten wir das Niveau  der Ganztagsangebote stets steigern.

Online-Redaktion: Welche Hürden mussten Sie überwinden?

Haubitz: Der Lehrermangel in Sachsen führte dazu, dass ich meine Lehrerinnen und Lehrer  für den Unterricht brauchte und in der Folge vor zwei Jahren zunehmend Externe für die Ganztagsangebote gewinnen musste.

Online-Redaktion: Was hat Sie im vergangenen Jahrzehnt als Schule mit Ganztagsangeboten positiv überrascht?

Haubitz: Überrascht hat mich einerseits das tolle Engagement meiner Kolleginnen und Kollegen in punkto Ganztagsangebote und andererseits die stete Zunahme der Interessenten. Immerhin nutzen heute 86,5 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler Ganztagsangebote.

Online-Redaktion: Eine klare Wertestruktur war Ihnen schon immer wichtig. Macht es die gesellschaftliche Entwicklung schwieriger, auch heute darauf zu pochen?

Haubitz: Der Erhalt einer klaren Wertestruktur an unserem Gymnasium wird von Jahr zu Jahr anstrengender. Zunehmend muss ich erkennen, dass meine Schülerinnen und Schüler mehr auf sich selbst als auf ihre Mitschüler schauen. Dieser Ich-Mentalität versuchen meine Kolleginnen und Kollegen insbesondere im Ganztagsangebot zu begegnen, da man da kleine, homogene Gruppen hat, in denen Teamarbeit trainiert wird.
 
Online-Redaktion: Ganztagsschule garantiere Chancengleichheit, meinten Sie vor fünf Jahren. Hat sich die Erwartung erfüllt?

Haubitz: Zu dieser Aussage stehe ich auch heute noch. Die Erfahrungen und Analysen der letzten Jahre haben gezeigt, dass gerade Schüler aus sozial schwachen Elternhäusern unsere kostenfreien Forder- und Förderangebote mehrfach nutzen. Da diese über alle Klassenstufen angeboten werden, ist der erfolgreiche Schulabschluss nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig.

Online-Redaktion: Ihre Schulhomepage ist mit einem sehr schönen Luther-Zitat überschrieben: „Es gefällt mir kein Stand so gut, ich wollte auch keinen lieber annehmen, als ein Schulmeister zu sein“. Und noch ein Zitat von Ihnen: „Man muss für den Beruf brennen.“ Wie halten Sie das Feuer – auch im Kollegium - am Lodern?

Haubitz: Das ist aktuell die größte Herausforderung und bereitet mir zunehmend Sorge. Ich muss Acht geben, dass ich meine Kolleginnen und Kollegen nicht verbrenne. Mit dem Durchschnittsalter entspricht mein Kollegium exakt dem Landesdurchschnitt – der liegt inzwischen bei 54 Jahren. In den Klassenzimmern, die eigentlich für 24 Schüler zugelassen sind, sitzen heute 28 und mehr Schüler. Die Anzahl von fragwürdigen Vergleichsarbeiten hat gerade in den letzten Jahren zugenommen. Der bürokratische Aufwand ist immens gewachsen. Unsere Schülerinnen und Schüler werden komplizierter.

Lehrerinnen und Lehrer fungieren zusehends als Therapeuten. Mit dem Altersdurchschnitt nehmen auch Langzeiterkrankungen zu. 50 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten freiwillig in Teilzeit, da sie ganz einfach nicht mehr die Kraft haben, den gewachsenen Anforderungen, oder besser Herausforderungen, gerecht zu werden. Ich fungiere tagtäglich als Motivator, als Seelentröster und muss stets darauf achten, was ich wann und wie sage. Eine ganz neue Herausforderung.

Online-Redaktion: Wie soll für Sie die Ganztagsschule der Zukunft aussehen?

Haubitz: Eine Schule, die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich bildet und erzieht. Eine Schule, die den ganzen Tag Verlässlichkeit bietet. Eine Schule, die eine sinnvolle Abfolge von Fundamenta und Additiva organisiert. Eine Schule, die Phasen der Ruhe plant. Eine Schule, in der die Lehrerinnen und Lehrer stets für ihre Schülerinnen und Schüler da sind.

 

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