Im Gespräch: Barbara Bächmann, Mittelschule Insel Schütt Nürnberg (Bayern) : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Schulleiterinnen und Schulleiter der ersten "Ganztagsstunde" ziehen nach zehn Jahren Bilanz. Heute: Mittelschule Insel Schütt in Nürnberg (Bayern).

Online-Redaktion: Frau Bächmann, zum Jahreswechsel 2006/2007 sprachen wir mit Ihrem Vorgänger Dieter Schultze, der inzwischen seinen wohlverdienten Ruhestand genießen kann. Er sagte damals: „Der Ganztagsbereich stellt uns oft vor eine Güterabwägung – und wir fragen uns, was können wir leisten, und was überfordert uns als Schule?“ Wie haben Sie diesen Balanceakt in den drei Jahren erlebt, seit Sie die Schule leiten?

Barbara Bächmann: Zuerst möchte ich mal bekennen, dass ich ein großer Fan der Ganztagsschule bin. Wenn es nach mir ginge, sollte es nur noch diese Schulform geben, weil die Kinder und Jugendlichen hier einfach besser gefördert werden.

Wenn es nun konkret darum geht, was wir uns als Schule leisten können, sieht es in Bayern momentan so aus, dass wir vom Land pro Jahr und Ganztagsklasse 6.000 Euro erhalten und dafür externe Kräfte einkaufen können. Der Stundenlohn für diese Kräfte ist nicht sehr hoch, die Qualifikationen der Externen variieren, und die Qualität ihrer Angebote schwanken. Es gibt beispielsweise Sozialpädagogen und Studenten, die sich etwas dazu verdienen möchten und auf der didaktischen Seite nicht so beschlagen sind. Mit den meisten Kräften sind wir aber sehr zufrieden. Diese bieten zum Beispiel Schneidern, Kunst, Sport, Schminken oder eine Mädchen-AG an.

Online-Redaktion: Im kommenden Schuljahr wird Ihre Schule nur noch mit Ganztagsklassen starten, de facto ist die Mittelschule Insel Schütt dann eine gebundene Ganztagsschule. Welches ist für Sie der wichtigste Unterschied zur Halbtagsschule?

Bächmann: Es ist nicht der Lehrereinsatz am Nachmittag, denn auch an Halbtagsschulen ist der Unterricht bereits in den Nachmittag hineingewachsen. Ich sehe die größte Herausforderung in einer gelungenen Rhythmisierung des Tages, in der Abwechslung von Anspannung und Entspannung. Nicht immer gelingt das, weil man einfach Zwängen unterliegt – wenn beispielsweise der Religionslehrer nur am Dienstag zur Verfügung steht. Eine weitere Einschränkung ergibt sich für unsere Schule besonders durch unsere räumliche Situation: Wir teilen uns das Gebäude mit der Grundschule, die ebenfalls Ganztagsklassen führt. Wir müssen uns zum Beispiel auch die Turnhalle teilen und können daher Sport- und Bewegungsangebote nur an zwei Wochentagen in der Halle anbieten. Aber wir versuchen trotz solcher Widrigkeiten, die Rhythmisierung so gut wie möglich umzusetzen.

Online-Redaktion: Anfang 2007 hatte es noch keine Umbauten für den Ganztagsschulbedarf gegeben, es standen aber Arbeiten in Aussicht. Was ist seitdem baulich verändert worden?

Bächmann: Mit IZBB-Mitteln im Millionenbereich sind im maroden und ungenutzten Schwimmbad eine schöne Aula, eine Bibliothek, ein Aufenthaltsraum mit Spielen und Spielgeräten, ein Ruheraum mit entsprechendem Mobiliar, ein Schülercafé, ein Musikraum, ein EDV-Raum und ein zusätzliches Klassenzimmer entstanden.

Eine Ganztagsschule ist ein Lebensraum und benötigt mehr und andere Räume. Wir können die Jugendlichen ja nicht den ganzen Tag in ein Klassenzimmer sperren. Inzwischen sind wir durch die Umbaumaßnahmen gut ausgestattet, und es gibt ein gutes Konzept für die Freizeiträume, die von den Schülerinnen und Schülern gerne genutzt werden. Es gibt zum Beispiel Kicker-Tische, Speedhockey und Tischtennis. Für die Bibliothek haben wir auch viele Zeitschriften für Jugendliche abonniert. Der Pausenhof ist jetzt sehr schön umgestaltet worden, sodass die Schülerinnen und Schüler dort viele Freizeitangebote nutzen können.

Online-Redaktion: Wie haben sich Ihre Schülerzahlen in den vergangenen sechs Jahren entwickelt?

Bächmann: Aufgrund der Demografie gehen unsere Zahlen zurück. Wir haben aber keine Probleme, unsere Ganztagsklassen bis zur 10. Klasse zu füllen – ohne den Einbruch, der an anderen Ganztagsschulen ab der 8. Klasse auftritt. Ich führe das auch auf den Geist zurück, den man in unserer Schule spürt: Die Kolleginnen und Kollegen haben den Ganztag gut angenommen und stehen absolut hinter diesem Konzept. Wir gestalten die Ganztagsschule sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrkräfte als Lebensraum, in dem man sich gerne aufhält. Und es ist auch so, wie das mein Vorgänger schon damals in dem Interview gesagt hat: Unsere Kommunikation ist einfach sehr gut, was eine höhere Berufszufriedenheit mit sich bringt.

Online-Redaktion: Die Kommunikation mit den Jugendlichen stellte Herr Schultze ebenfalls als positiv dar. An der Mittelschule Insel Schütt werde viel mit Lob gearbeitet.

Bächmann: Das ist immer noch so, auch wenn das nicht in unserer Schulordnung auftaucht. Lob ist ein ganz wichtiges Erziehungsmittel, mit dem man mehr als mit Strafen erreicht. Gegenüber den Strafen wie Verweisen und Mitteilungen haben wir deshalb auch die gegensätzliche Seite ausgebaut: Wir schicken zum Beispiel Briefe mit einer Belobigung für eine besondere Leistung nach Hause.

Die Schülerinnen und Schüler erfahren auch Lob von außerhalb, wenn sie beispielsweise seit Jahren in der Weihnachtszeit den traditionellen Lichterzug der Nürnberger Schulen mit selbst gebastelten Großlaternen anführen. Für das aufwendige Basteln der Laternen erhalten die Jugendlichen ein Zertifikat, das sie ihrer Bewerbung beilegen können.

Online-Redaktion: Herr Schultze bedauerte 2007, dass Schulkooperationen nicht gefördert wurden und es kein Benchmarking im Vergleich zu anderen Schulen gab. Hat es in diesem Bereich Veränderungen gegeben?

Bächmann: Inzwischen gibt es eine externe Evaluation: Alle vier Jahre kommt ein Experten-Team für drei Tage in die Schule, die anschließend einen Bericht mit Bewertungen und gegebenenfalls Empfehlungen in den Prozessqualitäten Schule, Unterricht und Erziehung erhält.

Online-Redaktion: 2007 aßen Ihre Schülerinnen und Schüler zu Mittag in der Mensa des Studentenwerks.

Bächmann: Das ist heute noch immer so, und ich finde das sehr gut. Die Mensa befindet sich direkt am Ufer – unsere Schule liegt ja auf der Insel Schütt inmitten der Pegnitz –, sodass die Jugendlichen nur über die Brücke gehen müssen. Das sorgt schon mal für Bewegung. Und für uns ist es darüber hinaus gut, dass die Essenszeiten in der Mensa flexibel sind – wenn die Lehrkraft mit ihrer Klasse mal etwas länger arbeiten möchte, ist es kein Problem, später gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern zum Mittagessen zu gehen. Der Kollege und die Kollegin können natürlich auch sagen: Die Stunde war sehr anstrengend, jetzt gehen wir erstmal runter und spielen Tischtennis. Warum denn nicht? Das ist doch das Schöne an der Ganztagsschule, so flexibel zu sein.

Online-Redaktion: Herr Schultze selbst bezeichnete die Mittelschule Insel Schütt vor sechs Jahren als „Brennpunktschule“ mit vielen sozialen Problemen im Umfeld. Ist dies heute noch so?

Bächmann: An unserer Schule lernen Jugendliche aus 28 Nationen, und Arbeitslosigkeit und Armut sind in unserer Elternschaft sicherlich stark verbreitet, was sich auch daran zeigt, dass von unseren circa 300 Schülerinnen und Schülern etwa 80 die Bildungs- und Teilhabe-Gutscheine in Anspruch nehmen. Und der Kontakt zu manchen Eltern könnte besser sein. Es kommen leider oft gerade die Eltern nicht, deren Kinder in der Schule besonders mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass manche Mütter und Väter einfach auch Angst vor der Schule haben, oder sich aus Scham nicht zu uns trauen, weil zum Beispiel ihr Deutsch nicht gut ist. Das ist halt so, und wir müssen immer wieder versuchen, den Schritt auf diese Eltern zuzugehen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Im Zuge der Einweihung unseres Pausenhofs haben wir es geschafft, dass Eltern aus jeder der 28 Nationen ein Landesgericht zubereitet hat, welches auf dem Fest verkauft wurde. Das ist sehr gut angekommen

Aber das Wort „Brennpunktschule“ würde ich für die Schule selbst nicht gebrauchen: Bei uns herrscht ein guter Umgangston, worauf ich auch sehr stolz bin. Unsere Jugendlichen sind höflich, es gibt keine Ausgrenzungen. Besucherinnen und Besucher der Schule haben schon oft auf die entspannte Stimmung hingewiesen.

Online-Redaktion: Empirische Wissenschaftler mögen jetzt die Augenbrauen hochziehen, aber ihr Vorgänger formulierte 2007 sehr offensiv: „Die Ganztagsschule bringt auch bessere Schulleistungen.“ Wie schätzen Sie diesen Zusammenhang ein?

Bächmann: Wir konnten jahrelang den Vergleich zwischen unseren Halbtags- und Ganztagsklassen ziehen, und daher kann ich das unterschreiben. Pro Ganztagsklasse stehen uns zwölf zusätzliche Lehrerstunden zur Verfügung, die zur zusätzlichen Förderung in Deutsch oder Mathematik genutzt werden können. Und die Klassen wurden bis letztes Jahr immer von Lehrertandems geführt, sodass stets ein Ansprechpartner im Laufe des Tages in der Schule war. In den Zeiten, in denen unserer Schule noch mehr Lehrerstunden zustanden, konnten manchmal sogar die beiden Lehrkräfte gleichzeitig in der Klasse unterrichten und dann differenziert fördern. Das ist optimal und macht sich unter dem Strich bemerkbar. Deshalb bleibe ich auch dabei: Die Ganztagsschule müsste eigentlich die Schule schlechthin sein.

Online-Redaktion: Haben Sie an Ihrer Schule auch partizipative Elemente verankert?

Bächmann: In zehn Klassen gibt es einen Klassenrat, der von einer Schülerin oder einem Schüler geleitet wird und in dem sich alle zu Wort melden können, um Probleme zu besprechen und Beschlüsse zu fassen. Hier lernen die Kinder unglaublich viel an sozialen Kompetenzen, das hat große Auswirkungen auf das Sozialverhalten.

Manche, die nur an den Leistungen im Unterricht interessiert sind, mögen so etwas ins Lächerliche ziehen, aber wir finden, dass auch Kinder und Jugendliche das Recht haben, als ganzer Mensch wahrgenommen zu werden. Der Mensch beginnt nicht beim Abitur. Unsere Schülerinnen und Schüler machen auch ihren Weg, vielleicht ein bisschen anders. Sie kommen gerne in unsere Schule, was mir sehr wichtig ist, und tragen mit ihrem Engagement zu einem reichen Schulleben bei.

 

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