Ganztagsschule Osterbrook: Schulleitungswechsel : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Staffelübergabe an der Grundschule Osterbrook in Hamburg: Schulleiter Erhard Müller übergibt den Stab an Dana Rödler. In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichten Schulleitungen aus ihrem Alltag.

Online-Redaktion: Herr Müller, wie sieht ein gewöhnlicher Tag als Schulleiter an der Grundschule Osterbrook aus?

Erhard Müller: In den letzten Monaten ging es wegen der Corona-Pandemie etwas ruhiger zu als sonst. Gestern Morgen habe ich beispielsweise mit dem Krisenstab zusammengesessen und in Ruhe besprochen, wie die Hygiene-Vorgaben der Behörde umgesetzt werden können. Diese Ruhe hat man normalerweise als Schulleiter nicht. Man muss eigentlich immer mehrere Dinge gleichzeitig erledigen – ständig kommt jemand herein, das Telefon klingelt, alle wollen „mal eben“ etwas. Entsprechend lang sitzt man dann im Büro, meist bis 18 oder 19 Uhr. Wenn Abendtermine mit dem Elternrat oder der Schulkonferenz anstehen, wird es noch später.

Online-Redaktion: Frau Rödler, macht Ihnen das jetzt Angst?

Dana Rödler: (lacht) Nein, als Abteilungsleiterin ist das ganz ähnlich. Man hat gerade alles geplant, dann steht der erste Vater unangemeldet vor der Tür oder man hat mit Kindern etwas zu klären. Der Unterschied zur Abteilungsleitung ist, dass die Verantwortung als Schulleiterin für mich natürlich größer ist. Und ich entscheide selbst!

Die Grundschule Osterbrook ist teilgebundene Ganztagsschule. © Claudia Pittelkow

Online-Redaktion: Was reizt Sie an dieser Position?

Rödler: Schon als Leiterin der Grundschulabteilung wollte ich organisieren und Strukturen einführen, die den Schulalltag einfacher machen. Als Schulleiterin kann ich jetzt noch mehr bewegen und gemeinsam mit dem Kollegium Strukturen schaffen, um das zu gestalten, was Schule grundsätzlich ausmacht.

Online-Redaktion: Und was ist das Ihrer Ansicht nach?

Rödler: Vor allem die Unterrichtsentwicklung, denn unsere Schülerinnen und Schüler sollen schließlich etwas lernen. Und der Ganztag ist enorm wichtig, denn es muss am Nachmittag ja sinnvoll weitergehen, damit die Kinder gestärkt nach Hause gehen und wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen können und wozu sie Lust haben.

Online-Redaktion: Und Herr Müller, was hat damals Ihr Interesse an der Schulleitung entfacht?

Müller: Für mich stand die Idee im Vordergrund, Kinder und Jugendliche auf dem Weg ins Leben zu begleiten. Ich habe mich immer als Anwalt der Kinder gesehen, denn junge Menschen haben keine Lobby. Als Schulleiter war ich für diese Kinder verantwortlich und gleichzeitig für die Schule als Ganzes, das war für mich eine interessante Herausforderung. Als Schulleiter trifft man die Entscheidung, aber ohne die Kolleginnen und Kollegen geht es nicht.

Online-Redaktion: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Kollegium?

Müller: Als ich Schulleiter wurde, hatte ich lange Zeit keine Stellvertretung. Daher habe ich von Anfang an Verantwortung abgegeben an die Lehrerinnen und Lehrer. Wichtig war mir nur, immer über alles informiert zu sein, damit ich gegebenenfalls eingreifen konnte, wenn mir mal etwas gar nicht gefiel. Ansonsten habe ich die Kolleginnen und Kollegen immer machen lassen, und das lief ganz hervorragend.

Dana Rödler: Das kann ich bestätigen! Mir ist gleich aufgefallen, wie aktiv und engagiert die Lehrkräfte hier sind. Schon jetzt – ich bin erst ein paar Tage hier – kommen so viele zu mir mit guten Vorschlägen. Ich wünsche mir, dass das so weiterläuft.

Online-Redaktion: Herr Müller, wie sehen Sie Ihre Schule aktuell aufgestellt, was zeichnet sie aus?

„Ich habe mich immer als Anwalt der Kinder gesehen“ © Claudia Pittelkow

Erhard Müller: Wir sind eine kleine Schule mit 230 Schülerinnen und Schülern. 2016, in der Flüchtlingskrise, haben wir plötzlich auf einen Schlag 70 Kinder mit Fluchthintergrund dazu bekommen, das hat die Schule sehr verändert. Mit Hilfe der Steffi-Graf-Stiftung „Children for Tomorrow“ wurde ein Konzept für schwer traumatisierte Kinder entwickelt. Unser gesamtes Kollegium ist damals geschult worden, wie man als Pädagoge mit traumatisierten Kindern umgehen soll. Dadurch haben wir die anspruchsvolle Aufgabe gut bewältigt. Heute sitzen 30 von ehemals 70 geflüchteten Kindern im Regelunterricht, 40 sind weggezogen.

Online-Redaktion: Können Sie diese Erfahrungen aktuell noch nutzen?

Müller: Was wir damals gelernt haben, können wir auch heute anwenden, sowohl bei Schülerinnen und Schülern, die Schwierigkeiten haben, als auch bei sehr begabten. Unsere Schule liegt in einem KESS I-Gebiet, also in einem sogenannten sozial herausfordernden Stadtgebiet. Wir sind eine teilgebundene Ganztagsschule mit zwei Tagen verpflichtendem Unterricht am Nachmittag. Der Ganztag ist unverzichtbar, allerdings haben wir unser Modell etwas modifiziert, weil wir gemerkt haben, dass die Kinder sich nachmittags nicht mehr gut konzentrieren können. So haben wir am Nachmittag die „Lernzeit‟ statt des Regelunterrichts eingeführt. Da wird zu 80 Prozent mit Materialien gearbeitet statt mit Heft und Büchern. Diese Materialien stehen in roten und blauen Kisten verpackt im Klassenräumen. Rot für Deutsch, blau für Mathe.

Online-Redaktion: Wie werden besonders begabte Schülerinnen und Schüler gefördert?

Müller: Für diese Schülerinnen und Schüler arbeiten wir zum Beispiel mit dem Projekt Weichenstellung der ZEIT-Stiftung zusammen, das Viertklässler auf den Übergang zum Gymnasium vorbereitet. Sie werden in ihren Fähigkeiten besonders gefördert und gefordert. Entsprechend gut sind die Übergangszahlen: 35 bis 40 Prozent wechseln nach Klasse 4 aufs Gymnasium, das ist viel für ein KESS-I-Gebiet.

Online-Redaktion: Frau Rödler, was möchten Sie als neue Schulleiterin bewegen?

Rödler: Zunächst bin ich sehr froh, dass ich auf dem, was da ist, aufbauen kann. Dieses Wissen darf uns nicht mehr verloren gehen! Zu den blauen und roten Kisten kommt mir in den Sinn: Wir müssen Weltwissen schaffen. Wenn wir beispielsweise im Sachkundeunterricht über den Igel sprechen, weiß der afghanische Junge vielleicht gar nicht, welches Tier das ist. Deshalb bin ich dafür, andere Lernorte zu nutzen, die Kinder sollen in der Lernzeit raus in die Natur. Das ist eine Herzenssache für mich! Ich selbst bin ländlich aufgewachsen und möchte dieses Wissen – welches Tier, welcher Baum lebt und wächst in der Umgebung – wieder herstellen.

Dafür ist der Ganztag doch wie geschaffen! Was die Schülerinnen und Schüler morgens im Sachkundeunterricht gesehen und gelernt haben, können sie nachmittags draußen im Park „in echt‟ angucken und anfassen. Der Vormittag und der Nachmittag müssen aus einem Guss sein. Und das geht ja beim teilgebundenen Ganztag sehr gut, da alle Angebote vor- und nachmittags vom schulischen Personal durchgeführt werden.

Schule mit Tradition: Hölzerner Staffelstab von 1931 © Claudia Pittelkow

Online-Redaktion: Eine letzte Frage: Wie läuft so eine „Staffelübergabe“ ab? Gibt es Tipps vom „alten Hasen“ für den „neuen Besen“?

Rödler: Wir haben uns im Vorwege oft getroffen, und ich konnte fragen, was anders läuft als an meiner alten Schule. Ein wichtiger Rat von Herrn Müller war, nicht den Fehler zu machen, etwas umsetzen zu wollen, was nur in meinem Kopf ist. Immer wieder Ideen vom Kollegium einholen, Gremien zusammenrufen, das war sein Tipp. Und er gab mir vor allem den Rat, Präsenz zu zeigen und die Ohren dafür offen zu halten, wo es hakt. Die Treffen waren sehr hilfreich.

Müller: (lacht) Und Sie können sich gerne auch weiterhin an mich wenden, wenn Sie Fragen haben. Es wäre ja auch absurd, nach 43 Dienstjahren – 33 davon bei der Hamburger Schulbehörde – plötzlich ganz abzutauchen. Aber jetzt übergebe ich Ihnen erstmal den hölzernen Staffelstab, der übrigens seit 1931 existiert. Oberbaudirektor Fritz Schumacher soll ihn damals an den ersten Rektor übergeben haben.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichten auf www.ganztagsschulen.org seit 2006 regelmäßig Schulleiterinnen und Schuleiter von Ganztagsschulen verschiedener Schularten und Regionen von ihrem Alltag. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Schulleitung und Schulmanagement“.

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