Ein Tag im Leben eines Schulleiters: Uwe Lütjen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg
„Das war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Uwe Lütjen über seine Schule, die Oberschule Findorff in Bremen. In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichtet er aus seinem Schulalltag.
Online-Redaktion: Herr Lütjen, wie sah Ihr gestriger Schultag aus?
Uwe Lütjen: Der fing ganz überraschend an. Ich musste Kollegen im Unterricht vertreten: zweimal Deutsch in der Mittelstufe und einmal Politik in der Oberstufe. Das hat den Tag gehörig durcheinandergewirbelt, denn ich hatte eigentlich Termine. Ein Kollegengespräch konnte ich noch in der Pause wahrnehmen, aber das Schülergespräch, das sich aus dem vorherigen Freitag ergeben hatte, musste ich verschieben.
Online-Redaktion: Können Sie das Thema des Schülergespräch verraten?
Lütjen: Ein Klassiker. Wir haben eine offene Schule und liegen mitten im Stadtteil. Und es gibt eine Hausordnung, die für alle Schülerinnen und Schüler bis Klasse 10 besagt, dass sie auf dem Schulgelände zu verbleiben haben, was nicht so ganz einfach zu kontrollieren ist, weil unsere Schule ja einen zweiten Standort hat. Ich gehe in den Pausen immer durch unsere Schulgebäude und über den Hof, und die Schüler, die mir da in die Arme liefen, kamen eindeutig aus der falschen Richtung...
Online-Redaktion: Machen Sie diese Runde täglich?
Lütjen: Ja, und zur Mittagszeit esse ich in der Mensa, manchmal auch in beiden unserer Mensen. Da gibt es immer viel zu bereden. Die Mensa ist ja nicht nur ein Essensbetrieb, sondern da spielt sich auch ganz viel soziales Miteinander ab. Unser Küchenteam hat eine Postkarte aufgehängt, auf der es heißt: „Die Küche ist das Herz eines Hauses“. Genauso ist es.
Nach dem Mittagessen hatte ich einen Termin, der die digitale Zukunft an unserer Schule betrifft. Da gibt es Veränderungen, weil unser Administrator aus familiären Gründen kürzertreten möchte. Wir müssen einen Nachfolger finden, und als Schulleiter muss ich da mit Blick auf das Personaltableau Ideen entwickeln – und die Ideen haben sich als recht gut erwiesen, die Übergabe könnte klappen.
Das hat uns bis 16 Uhr beschäftigt. Dann war Schulleitungssitzung, die wir dreimal pro Woche haben. Insgesamt bilden wir zu viert die Schulleitung, und nicht immer können alle zeitgleich anwesend sein. Dann war es 18 Uhr, und meine Schreibtischarbeit begann. Gestern Abend stand Arbeit in Sachen Schulverein an, der Träger des Ganztags an unserer Schule ist und bei dem ich Rechnungsführer bin. Fragen der Finanzen laufen über meinen Schreibtisch, und das dauert. Gegen 20:30 Uhr war ich fertig.
Online-Redaktion: Ist jeder Arbeitstag so lang?
Lütjen: Meine Kernzeit ist in der Regel von sieben bis sieben.
Online-Redaktion: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass es zu viel wird?
Lütjen: Nein, überhaupt nicht. Ich bin jetzt seit dreieinhalb Jahren Schulleiter hier und bin es immer noch mit Begeisterung.
Online-Redaktion: Als wir die Oberschule Findorff 2016 besuchten, waren Sie frisch im Amt. Hat sich die Arbeit so entwickelt, wie Sie sich das vorgestellt hatten?
Lütjen: Was mir damals noch nicht so klar war wie heute, ist, wie viel Pädagogik und wie viele Grundsatzentscheidungen für das Profil einer Schule in der Stundentafel stecken. Es gibt bei allen Vorgaben, die eingehalten werden müssen, immer noch eine Menge Gestaltungsspielraum.
Online-Redaktion: Für Ihre Schule ist ein Neubau geplant. Wie sehr sind Sie im Vorfeld einer solchen Entscheidung involviert?
Lütjen: Der Neubau ist überhaupt erst möglich geworden, nachdem unsere Schule sich bereit erklärt hat, sechszügig zu werden. Da kommt es auf die Schule an, die nach einer internen Klärung sagt: Wir können das! Das war der Einstieg in die Diskussion. Es gab viele Telefonate und ständige Termine, vor allem von der Schule ausgingen. Das ist wie ein Geflecht, das sich allmählich bildet, immer dichter wird und schließlich entscheidungsfähige Situationen hervorbringt.
Dazu gehört auch die politische Arbeit mit dem Beirat hier in Findorff. Mit Engagement kann ich erreichen, dass die Anliegen meiner Schule auch zum Anliegen des Stadtteils werden. Das ist ein ständiger Kommunikationsfluss und gehört für mich unbedingt dazu. Ein persönliches Vertrauensverhältnis in der Region aufzubauen, ist ganz wichtig.
Online-Redaktion: Dieses Engagement kommt zu Ihrer Schulleitungstätigkeit hinzu..
Lütjen: Ja, aber das ist für mich von der Qualität her keine Arbeits-, sondern Lebenszeit, weil ich dort ja genauso kommuniziere, wie ich es privat tun würde. Ich freue mich auch, die Gegenüber zu sehen, und umgekehrt gilt das, denke ich, auch. Wenn ich all das, was ich in meinem Terminkalender stehen habe, als ungeliebte Arbeitszeit verstehen würde, dann hätte ich ein Problem.
Wichtig ist, dass man sich nicht davon beeindrucken lässt, dass der Arbeitsalltag von vielen Problemen bestimmt wird. Niemand von den Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Schülerinnen und Schülern kommt ja zu mir, um davon zu schwärmen, wie wunderbar alles ist, sondern in jedem Anliegen steckt das Verbesserungsmotiv, das immer an eine Defizitbeobachtung anknüpft. Damit muss ich gut und produktiv umgehen.
Online-Redaktion: Wie sind Sie Schulleiter geworden?
Lütjen: Ich musste aus persönlichen Gründen von Schleswig-Holstein nach Bremen wechseln und kam aus einer erweiterten Schulleitung. Und so etwas schwebte mir auch hier vor. Eine solche Stelle war aber nicht frei – und so habe ich einfach eine Bewerbung auf eine Schulleitung ins Auge gefasst. So eine Stelle war an dieser Schule zu besetzen. Schon nach dem ersten Gespräch hier war ich sicher, dass das die Schule ist, an die ich wollte.
Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, dass ich in dieser Schulleitung eine Arbeitssituation vorfinden würde, die besser nicht sein konnte. Die Art des Miteinandersprechens, des schnellen Reagierens und des In-die-gleiche-Richtung-Denkens haben mich sofort für die Schule eingenommen. Das war Liebe auf den ersten Blick.
Online-Redaktion: Was reizt Sie an dieser Position?
Lütjen: (schmunzelt) Jetzt kommt bestimmt eine Antwort, die bei allen Befragten ähnlich ausgefallen ist. Das wunderschöne Gefühl, etwas gestalten zu können, das mit den eigenen Visionen oder denen anderer zu tun hat. Man ist in der Lage, Dinge gemeinsam so voranzubringen, dass Schule als Ort des Lebens und Lernens angenehmer und erfolgreicher werden kann. Auch wenn das nur in kleinen Schritten erfolgt, ist das zutiefst zufriedenstellend.
Online-Redaktion: Sind Sie auf die Schulleitungsrolle vorbereitet worden?
Lütjen: Die berufsbegleitende Ausbildung des Landesinstituts für Schule beginnt erst dann, wenn die Arbeit schon angefangen hat. Die Module können sich nicht an den gerade aktuellen Erfordernissen orientieren, es ist aber gut und beruhigend, innerhalb der ersten beiden Jahre alle diese Module abzuarbeiten. Ebenso wichtig ist es, mit Kolleginnen und Kollegen über Schulgrenzen hinweg ins Gespräch zu kommen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Das Wissen der eigenen Schule, das hilft, den Alltagssituationen standzuhalten, erschließt sich erst während des laufenden Betriebes. Ganz wichtig ist, dass die Amtsübergabe zwischen Vorgänger und Nachfolger funktioniert. Es gibt viel Detailwissen, das reines Schulleiterwissen ist. Und das kann nur im direkten Austausch weitergegeben werden. In meinem Fall hat das wunderbar funktioniert.
Online-Redaktion: Wie würden Sie heute Ihr Selbstverständnis als Schulleiter charakterisieren?
Lütjen: Ich möchte immer mittendrin sein und auch für die Schulgemeinschaft so gut wie möglich sichtbar und ansprechbar sein. Ich sitze fast nie in meinem Dienstzimmer, sondern hier im Büro des Sekretariats, das bei uns zum Glück eher einem Großraumbüro ähnelt. Wir haben es so möbliert, dass wir über drei Sitzpositionen verfügen: für unsere Schulsekretärin, in der Mitte mein Schreibtisch und der Platz für die Stunden- und Vertretungsplanung. Jeder, der hier reinkommt, sieht mich sofort. Es sind Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Eltern, der Hausmeister, die mich ansprechen. Derweil arbeite ich die unzähligen E-Mails ab, eine Arbeit, die gut eine Unterbrechung vertragen kann. Und ich sitze auch räumlich insofern günstig, dass ich von hier aus schnell überall bin – in der Mensa, in der Pausenhalle, auf dem Hof.
Online-Redaktion: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Kollegium?
Lütjen: Man kann sich eine Schule ohne Schulleitung vorstellen, aber keine Schule ohne Kollegium. Die Basis für den langjährigen Erfolg einer Schule sind die prägende Vielfalt des beruflichen Selbstverständnisses der Kolleginnen und Kollegen und zugleich die gemeinsame Überzeugung, in die gleiche Richtung arbeiten zu wollen.
Seit vielen Jahren unterrichten wir zum Beispiel als MINT-Schule mehr Naturwissenschaften. Ich bin der Überzeugung, dass das unseren Schülerinnen und Schülern guttut und für ihre beruflichen Qualifikationen ein wichtiges Basiswissen darstellt. Die Aufnahme in das MINT-Netzwerk ist zwar meine Initiative gewesen, aber dass wir dort aufgenommen worden sind, liegt allein am Engagement der Kolleginnen und Kollegen. Nur durch sie wird unsere Schule zur MINT-Schule. Das gilt auch für die Schule insgesamt: Ich kann anstoßen, ermutigen, unterstützen und begleiten, aber die Schule voranbringen kann nur das Kollegium.
Online-Redaktion: Müssen Sie manchmal den Motivator oder „Schönwettergott“ geben?
Lütjen: Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Ich motiviere dadurch, dass ich authentisch auftrete. Denn glaubwürdig bin ich für die Kolleginnen und Kollegen nur, wenn ich authentisch bin. Ich bin überzeugt von Schule, ich bin überzeugt von dem, was wir hier leisten, und in dem Sinne trete ich auch auf und setzte mich in jeder Hinsicht für die Schule und das Kollegium ein.
Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
Kategorien: Ganztag vor Ort - Schulleitung und Schulmanagement
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