Ein Tag im Leben eines Schulleiters: Günter Mehles : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Schule ist für die Schülerinnen und Schüler da“, betont Günter Mehles, Schulleiter der Realschule plus Gerolstein. In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichtet er aus seinem Schulalltag.

Schulleiter Günter Mehles
Günter Mehles © Redaktion

Online-Redaktion: Herr Mehles, wie sah Ihr gestriger Schultag aus?

Günter Mehles: Gestern Morgen hatten wir unseren wöchentlichen Jour Fixe im Schulleitungsteam. Danach habe ich mit Kollegen besprochen, wie wir an dem Morgen vorgehen, weil wir gestern eine neue Klasse gestartet haben. Durch Zuwachs und Zuwanderung hatten wir zwei 7. Klassen mit 34 beziehungsweise 29 Schülerinnen und Schülern. Das ging nicht mehr. Wir haben wochenlang diskutiert, wie wir es machen. Ein Kollege hat sich bereit erklärt, die neue Klasse zu übernehmen, wir haben die Eltern informiert und die Stundenpläne geändert. Gestern ging es also los, und wir haben den Schülern gesagt, in welche Klasse sie kommen. Danach war eine Mutter bei mir, die mit den privaten Problemen ihres Kindes – Whatsapp sagt Ihnen wahrscheinlich was – kam.

Online-Redaktion: Kam die Mutter angemeldet?

Mehles: Nein, das war spontan. Die Eltern wissen, dass meine Tür immer aufsteht. Und was ich jetzt erledigen kann, erledige ich jetzt. Sonst muss ich einen Termin machen, aber wozu der Aufwand. Wenn ich natürlich in dem Moment keine Zeit habe, habe ich keine Zeit. Gestern konnte ich mit der Mutter sprechen und habe sie zu unserer Schulsozialarbeiterin geschickt. Die beiden haben dann eine gute Lösung gefunden.

Danach habe ich mit Mitgliedern des Fördervereins, in dem ich selbst Mitglied bin, besprochen, worum es in der Jahreshauptversammlung in der kommenden Woche gehen wird, und verschiedene Wünsche, die wir an den Förderverein haben, thematisiert. Am Mittag haben der Koordinator für die Berufsorientierung und die Praxistagkoordinatorin mit mir den Info-Abend für die Entlassklassen besprochen. Dann war ich in der Mensa, habe Tür- und Angelgespräche geführt.

Danach musste ich mich mit einem Fall befassen, wie ich ihn noch nie hatte: Wir bekommen eine 16-Jährige, die bei uns den Schulabschluss machen möchte, aber noch nie eine Schule besucht, sondern Hausunterricht erhalten hat. Das habe ich mit zwei Kolleginnen diskutiert. Zum Schluss haben wir eine anstehende Klassenkonferenz wegen disziplinarischer Verfehlungen besprochen. Nebenbei hatte ich gestern noch zwei Stunden Unterricht. In der Woche unterrichte ich insgesamt zwölf Stunden, Sport und Religion, manchmal Mathematik.

Online-Redaktion: Wie sehr können Sie Ihren Tagesablauf planen? Wie viel Unvorhergesehenes gibt es?

Schulleitungsteam
(v.r.) Günter Mehles, Konrektor Till Habel-Thomé und Ganztagskoordinatorin Joana Kincel © Realschule plus Gerolstein

Mehles: Das hält sich die Waage. Ich weise in der Regel niemanden ab, ob Schüler, Lehrer oder Eltern. Ich bin seit Mai 2000 hier, und meine Tür war nie zu, außer wenn ich in Gesprächen bin. Es gibt manchmal Ausschläge, wo ich denke, dass man es besser hätte strukturieren können. Aber wenn es mich überfordern würde, hätte ich es ja geändert. Und umgekehrt weiß ich auch, dass meine Erreichbarkeit wertgeschätzt wird.

Online-Redaktion: Wird Ihnen das Unterrichten da manchmal zu viel?

Mehles: Es gibt Länder, in denen sich Schulleitungen vom Unterricht freistellen lassen können. Das möchte ich aber nicht. Zwölf Stunden sind zwar viel, aber dazu bin ich doch eigentlich Lehrer geworden. Und das sind auch die Stunden, wenn ich da die Tür zumache, ist das wunderbar. Wenn ich jetzt von „Erholung“ spreche, da mag das manchen Kolleginnen und Kollegen sauer aufstoßen, aber man kann es ja auch nicht vergleichen. Für mich heißt der Unterricht: raus aus der Verwaltung.

Online-Redaktion: Wie lange dauert Ihr Arbeitstag insgesamt?

Mehles: Es geht morgens um 7.30 Uhr los, und ich bin meistens bis 15.30 Uhr in der Schule. Das ist sehr unterschiedlich. Abendveranstaltungen gibt es auch, demnächst zum Beispiel einen Info-Abend für die Eltern der Kinder, die im Februar in die Skifreizeit fahren, und eine Informationsveranstaltung für die Eltern von Viertklässlern.

Online-Redaktion: Wenn Sie das Schulgebäude verlassen, wie erreichbar machen Sie sich dann noch?

Mehles: Ich wohne nicht hier am Schulort, was ich für meine persönliche Abgrenzung schon mal wichtig finde. Das Intranet der ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, d. Red.) und des Ministeriums habe ich mir zu Hause nicht installiert. Kolleginnen und Kollegen können mich allerdings jederzeit über das Handy erreichen, wenn sie persönliche Anliegen haben. Das passiert auch, aber insgesamt kann ich Arbeitszeit und Privatleben gut trennen, auch wenn ich schon mal abends um halb elf grübele: Wie machst du das jetzt morgen früh?

Online-Redaktion: Was hat bei Ihnen das Interesse an der Schulleitung entfacht?

Mehles: Das Unterrichten hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber gleichzeitig hatte ich schon Ende der 1980er Jahre als Lehrer in einer Grundschule in Daun auch Interesse an der Verwaltungsseite. Das hängt vielleicht mit meinem ursprünglichen Berufswunsch zusammen, der sich mehr an administrativen Tätigkeitsfeldern orientierte. Daher habe ich den Posten des stellvertretenden Schulleiters übernommen. Das kam meinem, so kann man es vielleicht ausdrücken, Gestaltungswillen entgegen. Die Mischung aus Unterricht und Leitung schien mir gut zu sein. Die Grundschule in Rittersdorf, an der ich dann Schulleiter wurde, war etwas kleiner als die in Daun, also genau das Passende, was ich mir zugetraut habe. Das hat mich gereizt.

Kollegium Realschule plus Gerolstein
© Realschule plus Gerolstein

Online-Redaktion: Worin liegt dieser Reiz?

Mehles: Es gibt immer Rahmenbedingungen, aber ich glaube, Schule ist für die Schulleitung, aber auch für Kolleginnen und Kollegen ein Bereich, in dem wir relativ frei arbeiten können. Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten, und das weiß ich sehr zu schätzen. Ich versuche diesen Spielraum auch den Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln. Wenn die Ideen haben, versuche ich sie darin immer zu unterstützen und die Begeisterung für den Beruf wachzuhalten.

Online-Redaktion: Geben Sie eher Aufgaben vor, oder kommen Lehrkräfte selbst zu Ihnen, um etwas anzustoßen?

Mehles: Beides. Es ist Führungsaufgabe. Der Schulleiter oder die Schulleiterin ist eine entscheidende Säule in der Schule, der die Richtung vorgibt, aber bei uns kommen auch die Kolleginnen und Kollegen von sich aus. Wenn sie beispielsweise meinen, dass eine Konferenz für unsere Schwerpunktschüler nötig wäre, dann wird die angesetzt.

Online-Redaktion: Wie sind Sie auf die Leitungsfunktion vorbereitet worden?

Mehles: Ich hatte 1996 das große Glück, dass in Rheinland-Pfalz das Pilotprojekt „Führungskolleg“ im damaligen Lehrerfortbildungsinstitut in Boppard startete. Das war eine hochinteressante Fortbildung über 20 Tage für Kolleginnen und Kollegen, die gerade neu in Leitungspositionen gekommen waren. Dort wurden Aufgaben der Schulleitung und Erwartungen an die Schulleitung thematisiert und sämtliche Aspekte beleuchtet. Wir haben auch in Unternehmen hospitiert, um das Führungsverständnis in der Wirtschaft kennenzulernen. Dieses Pilotprojekt gibt es inzwischen in „Serienreife“ und ist für Lehrkräfte, die sich auf Funktionsstellen bewerben, vorgeschrieben. Diese müssen in Schulen hospitieren, ich hatte auch schon zwei Kolleginnen zur Hospitation.

Online-Redaktion: Ist es ein Unterschied, ob man eine Grundschule oder eine weiterführende Schule leitet?

Mehles: Die Gemengelage ist eine ganz andere. Meine Grundschule war klein und überschaubar, und ich hatte einen viel engeren Bezug zu den Lehrerinnen und Lehrern. Hier an der Realschule plus habe ich viel mehr Klassen, Kolleginnen und Kollegen und außerschulisches Personal, vor allem viel mehr administrative Aufgaben. Es ist ein ganz anderer Betrieb und eine andere Zusammenarbeit. Einerseits nimmt das Administrative viel Zeit in Anspruch, andererseits strukturiert und erleichtert es den Tag aber auch durch viele formalisierte Abläufe.

Was sehr zugenommen hat, sind die vielen kurzfristigen Rückmeldungen von statistischen Daten, von Schülerzahlen, Kursen, Übergängen, Vertretungsstunden und so weiter, an die vorgesetzte Dienstbehörde. Die Dokumentationspflicht nimmt zu. Und das betrifft nicht nur mich, sondern auch die Lehrkräfte. Es vergeht auch keine Woche ohne Anfrage an die Kolleginnen oder Kollegen von Verbänden, Vereinen und der Wirtschaft, die Projekte an die Schule bringen möchten. Da sind sinnvolle und wünschenswerte Sachen dabei, aber die Zeit ist endlich.

Zeitungsprojekt der Realschule plus Gerolstein
© Realschule plus Gerolstein

Online-Redaktion: Wie hat sich Schule in den 18 Jahren Ihrer Schulleitung verändert?

Mehles: Wir sind nicht losgelöst von der Gesellschaft, aber ich sehe die Hauptaufgabe der Schule im Unterrichten. Und gerade das hat sich in den 18 Jahren am meisten verändert. Schule ist heute viel mehr als früher äußeren Einflüssen unterworfen, sie ist nicht mehr auf den Unterricht beschränkt. Wir müssen uns mit anderen Erwartungen, auch von Eltern, mit mehr Erziehungsaufgaben und Dingen befassen, die man früher als schulfremd angesehen hätte. Da nimmt zum Beispiel an unserer Schule die Frage der Mediennutzung bei Jugendlichen, Stichwort Smartphone, einen großen Raum ein. Die Schule steht mehr im Brennpunkt als früher und wird von allen Seiten mit Erwartungen überfrachtet. Eine meiner Aufgaben ist es auch, die Kolleginnen und Kollegen davor ein bisschen zu schützen.

Online-Redaktion: Ist die Ganztagsschule eine Möglichkeit, solche schulfremden Aspekte in die Schule zu integrieren?

Mehles: Bedingt. Sie bietet vor allem Schülerinnen und Schüler die Chance, ihre Talente in Projekten auszuleben, was bei uns gut gelingt. Und sie bietet den Schülerinnen und Schülern die Zeit, sich in Gesprächen zu öffnen. Da ist der Mittagsbereich ganz wichtig, das bestätigen die Kolleginnen und Kollegen immer wieder. Die Atmosphäre beim Gespräch in der Mensa hat mit dem Unterricht nichts zu tun, ist aber unterrichtsförderlich. Die Lehrer und die Schüler erleben sich einmal anders. Wir können viel zur Stärkung der Schülerinnen und Schüler leisten. Sie finden hier einen Ruheraum, der manchmal im Elternhaus nicht gegeben ist.

Online-Redaktion: Haben Sie die Entscheidung, Schulleiter zu werden, schon einmal bereut?

Mehles: Nein, ich empfinde eine hohe Berufszufriedenheit, die Entscheidung kann also nicht ganz falsch gewesen sein. Und ich freue mich, wie sich unsere Schule, insbesondere in der Unterrichtsentwicklung gemacht hat. Das hat aber weniger mit mir als mit dem Kollegium zu tun, das die Hauptlast der Schulentwicklung trägt.

Das Entscheidende ist, dass wir uns auf die Schülerinnen und Schüler fokussieren. Schule ist für die Schüler da, und das muss spürbar werden. Alle müssen daran mitwirken, dass der Schüler, wenn er die Schule verlässt, sagt: Das war eine Schule, in der mir alle weitergeholfen haben.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

 

In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichten auf www.ganztagsschulen.org seit 2006 regelmäßig Schulleiterinnen und Schuleiter von Ganztagsschulen verschiedener Schularten und Regionen von ihrem Alltag. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Schulleitung und Schulmanagement“ https://www.ganztagsschulen.org/de/1354.php.

 

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