Ein Tag im Leben eines Schulleiters: Dominik Becker : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Er hat nie bereut, dass er in der Familientradition blieb. Nicht nur macht Schulleiter Dominik Becker in seinem Beruf „alles Spaß“, in der Georg-August-Zinn-Schule sieht er auch „die Chance, hier die Schule der Zukunft zu bauen“.

Online-Redaktion: Herr Becker, wie sah Ihr gestriger Schultag an der Georg-August-Zinn-Schule aus?

Dominik Becker
Schulleiter Dominik Becker: „Ich will gestalten.“ © GAZ

Dominik Becker: Wie an jedem Tag habe ich als erstes die aufgelaufenen E-Mails und etwas später dann die Dienstpost abgearbeitet. Schauen, was kann weg, was muss ich beantworten, was muss ich unterschreiben, was muss ich weiterleiten? Was ist dringend? Was kann ich delegieren? Dann habe ich wie immer die erste große Pause genutzt, um im Lehrerzimmer mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Gerade jetzt ist es wichtig zu gucken, welche Sorgen und Nöte sie haben, wo der Schuh drückt.

Anschließend fand die einmal in der Woche angesetzte Besprechungsrunde mit der Sekretärin, dem Hausmeister und der stellvertretenden Schulleiterin statt. Dort klären wir, was aus deren Sicht in der Woche ansteht, was man berücksichtigen und einplanen muss. Es folgte ein Reflexionsgespräch mit einer Kollegin über ihre Lehrprobe Französisch. Da ging es um die dienstliche Beurteilung zur Lebenszeitverbeamtung, die habe ich im Anschluss verfasst. 

Danach habe ich die Rückmeldungen der einzelnen Jahrgänge zur Teilnahme am Osterferien-Lerncamp zusammengestellt und den Antrag auf Durchführung der Lerncamps für die Jahrgänge 5 bis 8 beim Kultusministerium gestellt. Es folgten eine Doppelstunde Mathematik und ein Gespräch mit der Elternbeiratsvorsitzenden. Zum Schluss gab es die Dienstbesprechung im Schulleitungsteam.

Online-Redaktion: Das ist ziemlich viel. Aber Ihr Beruf ist Ihnen in die Wiege gelegt worden...

Becker: Mein Vater war Lehrer an einer Orientierungsstufe in Niedersachsen, ich bin damit groß geworden. Als ich 2007 in die Schulleitung des Hauptschulzweigs der Georg-August-Zinn-Schule kam, war ich ihm dann einen Schritt voraus. Als er kurz danach Schulleiter an seiner – und meiner – früheren Grundschule wurde, hat er mich wieder überholt. Er war dort bis zu seiner Pensionierung in dieser Funktion, die Aufgabe hat ihm einfach Spaß gemacht.

Online-Redaktion: Das scheinen Sie von ihm übernommen zu haben?

Becker: Ja, das kommt mir vielleicht zugute: Egal, was ich mache, schwärme ich immer, wie toll das ist und wie viel Spaß mir das macht. Als ich als Student bei Conti in Hannover Luftfedern für Lastkraftwagen hergestellt habe, konnten die es zu Hause nicht mehr hören, wie toll ich den Luftfedernbau fand. Das zieht sich bei mir durch – ich bin, wenn ich etwas mache, einfach Feuer und Flamme.

Online-Redaktion: Sie kommen also ursprünglich aus Niedersachsen?

Europaschule
Seit 1992 eine der ersten hessischen Europaschulen © GAZ

Becker: Ich stamme aus Lehrte, das heute viele nur als Autobahnabfahrtsschild kennen. Die Stadt war mal ein Eisenbahnknotenpunkt, deshalb steht in Berlin der Lehrter Bahnhof. 1996 kam ich mit 20 Jahren zum Studieren nach Kassel und bin dann hier hängengeblieben. Mittlerweile bin ich allerdings schon länger in Kassel als in meiner alten Heimatstadt.

Online-Redaktion: Was hat Sie dazu gebracht, Schulleiter werden zu wollen?

Becker: Das ist ein Prozess gewesen. Nach dem Referendariat in Lohfelden war ich drei Jahre als Lehrer an einer Realschule in Borgentreich bei Paderborn, dann drei Jahre an einer Hauptschule in Beverungen. Dorthin bin ich gependelt. Als die Stelle in der Schulleitung an der Georg-August-Zinn-Schule ausgeschrieben wurde, habe ich mich einfach beworben. Als Leiter des Hauptschulzweigs habe ich erlebt, wie man positiv Dinge beeinflussen und lenken kann. Damals sind wir die ersten Schritte von der Kooperativen zur Integrierten Gesamtschule gegangen.

So wurde ich Stufenleiter für die Jahrgänge 8 bis 10 und habe später die Förderstufe mitgeleitet, als eine Kollegin in Pension ging. Und so kam eins zum anderen. Es wurden immer mehr Aufgabenfelder, und als dann der stellvertretende Schulleiter ging, musste ich mich entscheiden: Nehme ich eine neue Herausforderung an oder bleibe ich bei dem, was mir doch so viel Spaß macht? Aber dann dachte ich: Vielleicht ist das ja bei der neuen Aufgabe genauso. Und so war es dann auch.

Online-Redaktion: Verändern Sie sich mit den verschiedenen Positionen?

Becker: Ich versuche, die Rollenwechsel nicht zu krass zu vollziehen und der alte zu bleiben. Das geht hier an dieser Schule ziemlich gut, wie ich festgestellt habe. Als die Frage der Schulleitung aufkam, habe ich mir gesagt: Ich will gestalten. Die „neue GAZ“ mit sehr individualisierten Lernformen hatten wir schon gemeinsam auf den Weg gebracht, und ich habe es als Chance gesehen, das an verantwortlicher Stelle weiterzuentwickeln. Auch die großen anstehenden Bauvorhaben begreife ich als Möglichkeit, nicht nur pädagogisch weiterzubauen, sondern auch räumlich. Die Chance, hier die Schule der Zukunft zu bauen, wollte ich auf jeden Fall nutzen.

Online-Redaktion: Ist es als junger Schulleiter schwer, seine Autorität zu behaupten?

Becker: Diese Frage habe ich mir bei meiner Entscheidung damals tatsächlich gestellt. Als ich mit 31 Jahren an die GAZ kam, war ich jünger als mancher Referendar. Und natürlich war ich erst recht ungewöhnlich jung für ein Schulleitungsmitglied. Ich war von Anfang an „der Dominik‟ und bin der Meinung, dass sich das auch nicht komplett ändern muss. Zwar war das immer ein bisschen meine Sorge, aber andererseits halte ich es für etwas antiquiert, zu glauben, ich müsse von oben herab meine Autorität ausspielen, um etwas zu erreichen. Ich bin eher der Meinung, dass es in der Schule ein Geben und ein Nehmen ist. Es geht darum, zu kooperieren. Transparenz, Verlässlichkeit und Gemeinsamkeit sehe ich hier im Vordergrund und das Menschliche, die Beziehungsebene. Mir ist auch wichtig, hier eine Vorbildfunktion zu leben.

Online-Redaktion: Sie hatten ja bereits praktische Erfahrungen als Stellvertreter. Welche Qualifizierung gibt es für die Schulleitung?

Dominik Becker und Mathias Koch
Mit Vorgänger Mathias Koch. Georg August Zinn war 1950-1969 Hessischer Ministerpräsident © GAZ

Becker: Den absolut größten Batzen habe ich natürlich von meinem Vorgänger Mathias Koch abbekommen. Das war ein väterliches Verhältnis, in dem wir uns sehr offen austauschen konnten. Ich konnte sehen, wie er mit schwierigen Situationen umgegangen ist, und habe mir gerne das eine oder andere abgeguckt. Vor der Amtsübergabe Mitte 2020 haben wir uns nochmal in den Sommerferien zusammengesetzt, um genau zu besprechen, worauf jetzt zu achten ist. Aber einen Berater habe ja auch in meiner Familie: Ich rufe meinen Vater weiterhin an, um mir Rat zu holen, wie er etwas regeln würde. Dafür bin ich auch sehr dankbar.

Dann gibt es bei uns die QSH, die „Qualifizierung für Schulleiterinnen und Schulleiter in Hessen“. An der habe ich natürlich teilgenommen. Die Qualifizierung für schulische Führungskräfte bezieht sich auf das veränderte Rollenverständnis, auf die Gesprächsführung und Kommunikation im Kollegium, auf rechtliche Fragen, wie Vertragsabschlüsse. Alles in allem fühlte ich mich sehr gut vorbereitet.

Online-Redaktion: Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie als Schulleiter?

Becker: Da muss ich ein bisschen ausholen. Mein erstes Jahr hätte ja gerne etwas einfacher sein dürfen. Unter den Pandemiebedingungen muss ich oft kurzfristig auf die schnell aufeinanderfolgenden Vorgaben reagieren. Ich muss sie dem Kollegium transparent kommunizieren, da bin ich mehr „ausführendes Organ“. Was die pädagogische Ausrichtung angeht, verfüge ich über einen sehr großen Spielraum. Wir spielen gerade mit dem Gedanken, „Pädagogisch selbstständige Schule“ zu werden, was uns noch mehr Freiräume ermöglichen würde. Unsere „neue GAZ“ haben wir mehr oder weniger einfach durchgezogen. Wir haben zum Beispiel nicht gewartet, bis die Stadt uns eine neue Mensa hinstellt. 

Mit dem Kollegium zusammen kommt man bei solchen Entscheidungen schnell voran. Unsere Schulamtsdirektorin weiß ich dabei auf unserer Seite, weil sie offen für neue Wege ist. Es gibt bei allem Gestaltungsspielraum aber auch Bereiche, wo man ein bisschen geknebelt ist. Manche Eltern denken zum Beispiel, dass ich als Schulleiter in den Topf des Digitalpakts greifen, auf Einkaufstour gehen und unsere Schule im Nu digitalisieren kann. Das geht eben nicht. 

Ich bin auf die Stadt Kassel als Schulträger angewiesen. Ich kann Wünsche äußern, aber wann WLAN und Endgeräte kommen, steht auf einem anderen Blatt. Für alle Entscheidungen muss ich natürlich Rechenschaft ablegen, sei es für die selbstständige Schule oder die Europaschule. Wir müssen unsere Entscheidungen evaluieren und dokumentieren. Freiheiten bedeuten nicht, keine Verantwortung zu haben oder nicht kontrolliert zu werden.

Online-Redaktion: Warum ist die GAZ Ganztagsschule?

Becker: Schule ist für mich mehr als reine Wissensvermittlung, und Angebote der kulturellen Bildung oder das Lernbüro werden erst durch den Ganztag möglich. Unsere Ganztagsschule ist ganz klar auch ein Lebensort, an dem die Schülerinnen und Schüler gerne Zeit verbringen. Und es ist wichtig, dass sie hier viel Zeit verbringen, um ganzheitlich lernen zu können. Wir haben hier mehr Zeit für sie und mehr Zeit für Vielfalt. Das ermöglicht wichtige Schritte in der Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen. Jetzt in der Corona-Zeit haben wir doch alle gemerkt, was es heißt, wenn diese Zeit und klare Strukturen für die Kinder und Jugendlichen wegfallen.

Online-Redaktion: Ein Schulleiter ist ja auch so etwas wie der „Außenminister‟ der Schule. Wie füllen Sie diese Rolle aus?

Vielfältig & Bunt
Die Schule als Mannschaft verstehen © GAZ

Becker: Da muss man permanent dran sein. Tue Gutes und rede darüber! So haben wir die Einsetzung unseres Leiters Digitalisierung offensiv nach außen kommuniziert. Wir merken schon jetzt deutlich, dass das eine absolut richtige Entscheidung gewesen ist, die Impulse für die Digitalisierung setzt. Ein Schulleiter muss auch Präsenz zeigen, zum Beispiel Vereine besuchen, auf Neujahresempfänge gehen. Ohne Netzwerkbildung geht es nicht, wenn man für seine Schule das Beste herausholen und sich gut positionieren will.

Online-Redaktion: Wie würden Sie insgesamt Ihr Selbstverständnis als Schulleiter beschreiben?

Becker: Wenn wir uns hier an der Georg-August-Zinn-Schule als Mannschaft verstehen, würde ich mich als Mannschaftskapitän sehen. Stichwort Vorbild. Was mich vielleicht auch auszeichnet, ist, dass ich eigentlich immer gute Laune habe. Für mich gehört das zu der positiven Grundhaltung, die ich zur Schule habe. Und die färbt, glaube ich, auch ab. Meine Tür steht immer offen, und die Leute wissen, dass sie sofort zu mir kommen können – mit allen Sachen. Wichtig ist auch, Verantwortung zu übertragen, Aufgaben zu delegieren. Das haben wir hier mit Jahrgangsteams und Steuergruppe gut organisiert. 

Online-Redaktion: Welche Aspekte Ihrer Arbeit gefallen Ihnen am besten?

Becker: Wenn ich etwas für die Schülerinnen und Schüler gestalten kann, ich kreative Lösungen auf Herausforderungen finde.

Online-Redaktion: Was bereitet Ihnen Stress?

Becker: Ach, Stress habe ich eher selten, und eigentlich empfinde ich den auch nicht unbedingt negativ, er pusht mich auch. Unangenehmere Aufgaben gibt es eventuell, wie die zunehmende Verwaltungsarbeit, für die man eigentlich inzwischen einen extra Posten einrichten könnte. Ich bin dazu übergegangen, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Der Weg hin und zurück pustet mir schon ordentlich den Kopf frei. Wenn ich mit dem Hund unterwegs bin oder jogge, dann fallen mir bestimmte Dinge ein. Da über Lösungen nachzudenken, entspannt mich aber eher. Ansonsten trenne ich Arbeit und Privates, so gut es geht.

Online-Redaktion: Sie unterrichten ja auch noch.

Becker: Weil der Sportunterricht derzeit wegfällt, weniger als sonst. Einen Mathematik-Grundkurs unterrichte ich gerade noch. Welche Mammutaufgabe aktuell das Unterrichten bedeutet, bekomme ich hautnah zu Hause mit, denn meine Frau ist auch Lehrerin an einer IGS, und wir haben drei Kinder. Distanzunterricht, Wechselunterricht, Präsenzunterricht, Aufgaben im Schulportal einstellen, kontrollieren, zurückmelden, Kommunikation mit den Eltern. Das Wissen darum hilft mir einzuschätzen, wie es meinen Kolleginnen und Kollegen gerade geht.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

In der Reihe „Ein Tag im Leben eines Schulleiters“ berichten auf www.ganztagsschulen.org seit 2006 regelmäßig Schulleiterinnen und Schuleiter von Ganztagsschulen verschiedener Schularten und Regionen von ihrem Alltag. Alle Interviews finden Sie in der Rubrik „Schulleitung und Schulmanagement“.

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Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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