Die "Logik der Zeit" im Ganztag ausschöpfen : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

"Ein offenes Ohr für das schulische und außerschulische Umfeld" ist für Monika Isemann, Schulleiterin der Radewig-Grundschule in Herford, wichtig.

Porträtfoto Monika Isemann
Monika Isemann

Online-Redaktion: Wie sieht ein normaler Tag an Ihrer Schule aus?

Isemann: Einen normalen Tag gibt es bei mir nicht. Ich plane am Wochenende die Tage bzw. die Woche genau durch. Meist beginne ich meinen Arbeitstag um halb acht. Doch dann läuft es schon nicht wie geplant. Die Zeit bis acht Uhr ist für mich als Schulleiterin überaus intensiv, da viele kleine Sachen auf mich zukommen, die ich gar nicht voraussehen kann. Dazu gehört auch die Zeit für dieses Interview. (lacht)

Morgens kommen die Kolleginnen oder Eltern mit Fragen auf mich zu. Natürlich haben auch die Kinder Anliegen. Es fällt also Vieles an, inklusive Anrufe, Krankmeldungen von Kolleginnen und Kollegen. Wenn die Schule dann um acht Uhr beginnt, bedeutet dies für mich meist Unterricht. Die Konrektorin und ich haben meine Stunden so geplant, dass ich morgens fast immer die erste Stunde unterrichte. Das heißt, dass diese Stunde Unterricht für mich eine kleine Ruhephase darstellt, da sie doch meist mehr oder weniger planmäßig verläuft. Ich gebe nur noch Unterricht in Mathematik. Das ist ein Entschluss, den wir im Schulleitungsteam gefasst haben.

Es folgen am Vormittag Gespräche mit verschiedenen Teams, mit Einzelkollegen, Eltern, Außeninstitutionen, aber zunehmend auch mit Kolleginnen und Kollegen von anderen Schulen - bundesweit. Ferner gibt es sehr viele akute Unterbrechungen durch Schüler oder Kolleginnen, die sich über etwas aussprechen möchten. Ferner kommen Anfragen von Eltern zu rechtlichen Dingen. Termine - manche sind gesetzt, andere nicht - schiebe ich dazwischen. Jeder Tag verläuft also anders. Genau das macht für mich die Arbeit als Schulleiterin ungemein interessant und wertvoll.

Für mich ist ein ganz wertvoller Aspekt der Schulleitung, ein offenes Ohr zu haben. Es geht nämlich darum, wirklich wahrzunehmen, was sich im schulischen und außerschulischen Umfeld tut. Also: Was brauchen die Kinder, Eltern, Kolleginnen und Kollegen? Man sollte immer nah am Geschehen sein, ohne den Tag derart zerfleddern zu lassen, dass überhaupt keine qualitative Arbeit mehr möglich ist. Wir haben übrigens zahlreiche Projekte an der Schule. Da sehr viele außerschulische Institutionen mit uns zusammenarbeiten, heißt es immer wieder: neu strukturieren, Dinge organisieren. Es gibt aber auch festgesetzte Zeiten im Ablauf eines Vormittages, zum Beispiel Gespräche für die Schulleitung, für das Ganztagsteam. Die Strukturen sind so festgelegt, dass einige Dinge wirklich fest im "normalen" Alltag ablaufen.

Am Nachmittag geht es weiter mit Sitzungen bei der Stadt, beim Schulamt. Meine Anwesenheit am Nachmittag in der Schule ist für Gespräche mit Eltern vorgesehen, die ihre Kinder im Ganztag haben, sowie für Erzieherinnen, die nachmittags arbeiten. Dann ist aber immer noch nicht Schluss. Manchmal geht allerdings nichts mehr, dann fahre ich nach Hause und bin dort nicht mehr ansprechbar (lacht).

Zwischendurch gönne ich mir mal Pausen und entferne mich von 14 bis 16 Uhr aus dem Schulgebäude. Jeder weiß dann, dass ich weg bin und erst wieder komme, wenn etwas mehr Ruhe eingekehrt ist. Ich kann mich dann entweder auf festgesetzte Gesprächstermine vorbereiten oder mache mich an den Bereich Verwaltungsarbeit.

Am Abend gibt es häufig noch Termine. Dabei geht es um Termine, die die Elternarbeit betreffen, oder die Konzeptentwicklung. Oft  arbeite ich auch Abends zwischen 18 und 22 Uhr ganz alleine in meinem Büro, weil dann nämlich Ruhe herrscht. Dann hat mein Mann zu Hause den Auftrag niemandem zu verraten, wo ich bin.

Online-Redaktion: Man hält Ihnen zu Hause also den Rücken frei?

Isemann: Die Unterstützung der Familie ist schon sehr wichtig. Wenn man im privaten Bereich viel Stress hat, kann man diesen Job nicht in dieser Form ausüben. Wichtig ist, dass ich mich darauf verlassen kann, dass der Haushalt funktioniert. Nur vor diesem Hintergrund kann ich die vielen Stunden an der Schule mit gutem Gefühl arbeiten.

Online-Redaktion: Viel zusätzliches Engagement ist also erforderlich: Warum sind Sie Schulleiterin geworden?

Isemann: Als ich noch Lehrerin war und im Lehrerrat saß, hatte ich ein offenes Ohr für die Kolleginnen. Dabei musste ich immer wieder die Beschwerden von Kolleginnen entgegennehmen, die mit ihrem Vorgesetzten unzufrieden waren. Ich habe dann die Schlussfolgerung gezogen und gesagt: ,Liebe Leute, ihr könnt nicht immer nur meckern und Gründe vorschieben, um keine Verantwortung zu übernehmen. Ihr müsst etwas unternehmen.'

Ich wollte zu den Kolleginnen gehören, die sagen: Wir ändern was. Nachdem ich Schulleiterin wurde, haben sich die Dinge sehr gut entwickelt. Doch nach fünf Jahren Schulentwicklung an dieser kleinen Schule habe ich bemerkt, dass für mich dort mehr nicht zu tun war. Es gab dort ein Spitzenkollegium, eine tolle Schülerschaft sowie eine hervorragende Elternschaft, doch eigentlich brauchten die mich nicht mehr. So habe ich eine Schule übernommen, der ein miserabler Ruf vorausging: "Brennpunktschule".Ich sagte mir: Das ist es!

Bereits der Einstieg hat mir große Freude bereitet. Es gab zwar enorme Tiefen und ich hatte sehr zu kämpfen, doch seit sechs Jahren habe ich das Gefühl, es läuft rund. Ich habe heute viele Personen, die mitziehen und die sich für unsere Kinder an der Schule einsetzen. Sie haben einen Blick auf die Kinder gewonnen und wissen, was für sie am Besten ist. Mit meiner ersten Kollegin Konrektorin haben wir alle Bereiche gleichmäßig verteilt. Wenn eine nicht da war, übernahm die andere. Mit der jetzigen Kollegin habe ich ein ganz anderes Arbeitsprinzip, das sich ebenfalls sehr bewährt hat. Wir haben die Arbeitsbereiche klar aufgeteilt, weil sich gezeigt hatte, dass nicht jeder alles machen kann. Jede bekommt von der anderen immer die notwendigen Informationen, aber wir sind nicht spontan ersetzbar.

Online-Redaktion: Was bedeutet für Sie pädagogische Architektur?

Isemann: Sie ist für mich in den letzten Jahren in Bezug auf die Lernmöglichkeiten und die Offenheit der Schule sehr wichtig geworden. Durch unsere gläserne Architektur arbeiten wir stärker in Teams und in jahrgangsübergreifenden Kleingruppen. Ich stehe voll hinter der Transparenz, auch wenn sie in Bezug auf bestimmte Gefährdungen einige Nachteile hat. Das Positive, die Transparenz der Türen, Wände, überwiegt einfach. Jeder kann sehen: Wir machen unsere Arbeit gut. Unser Unterricht und der Schulalltag sind offen für jeden, der sich für unsere Arbeit interessiert.

Online-Redaktion: Wie fördern Sie die Kinder?

Isemann: Wir haben viel über den Ganztag sowie über die Kooperation mit den außerschulischen Partnern erreicht - von der Öffnung der Schule gegenüber dem Lebensumfeld über die Sprachförderung, Kita & Co., Buddy etc. Dies betrifft insbesondere den gebundenen Ganztag: Wir haben inzwischen sechs Klassen, die im gebundenen Ganztag rhythmisiert arbeiten, mit einem Team aus einer Klassenlehrerin sowie einer Erzieherin.

Dieses Team ist verantwortlich für die Entwicklung der Kinder. Wenn ich Entwicklung sage, meine ich die ganzheitliche Entwicklung. Den Blick, den wir uns durch die anderen Professionen bewusst hereingeholt haben, haben wir inzwischen sehr schätzen gelernt. In den Ganztagsklassen haben wir viel erreicht - ungefähr doppelt so viele Kinder haben die Realschulempfehlung bekommen wie in den Halbtagsklassen.

Die Kolleginnen, die im Halbtag sind, arbeiten nicht schlechter als die Teams in den Ganztagsklassen. Allerdings gibt es die Logik der Zeit. Die Kinder, die von 7:30 Uhr bis 16 Uhr bei uns Bildung und Erziehung erfahren, sind im sozialen und kognitiven Bereich weiter. Das ist ein Zeitfaktor. Wir sind deshalb im Augenblick an unserer Schule an einem Punkt, wo wir überlegen, ob wir nicht andere Strukturen ausprobieren müssen.

Online-Redaktion: Was sind für Sie die Herausforderungen der Zukunft?

Isemann: Für mich stehen die Kinder immer im Mittelpunkt. Wir streben aber vor allem für die Kinder eine optimale Förderung an, die zuhause nicht die optimale Unterstützung haben.

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