Die "Hauptschulakademie" der Schule am Gutspark : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Rektor Heinz-Dieter Brandt erläutert, warum die Schulleitung neben dem Lehrerberuf einer der schönsten Jobs ist und wie sich die Stadt Salzgitter mit den Erfolgen seiner Ganztagsschule identifiziert.

Schulleiter Heinz-Dieter Brandt packt an.
Schulleiter Heinz-Dieter Brandt packt an.

Online-Redaktion: Wie sah Ihr gestriger Schultag aus?

Brandt: Gestern war ein Tag, an dem wir uns zurückziehen mussten, um noch einmal über die Neustrukturierung der Ganztagsschule ab nächstem Jahr zu diskutieren. Deshalb haben wir uns für zwei Stunden in ein kleines Tagungshotel auswärts in Klausur begeben. Da der Tag gestern nicht so repräsentativ ist, trage ich den Ablauf eines Schultages vor, wie er aus meinem Kalender hervorgeht. Wie jeden Morgen stehe ich früh auf und lese Tageszeitungen.

Gegen 5:30 Uhr setze ich mich nach dem ersten schönen Kaffee an den Computer und arbeite die verwaltungsmäßigen Vorgänge ab, die meine Sekretärin braucht, wenn sie nicht am Abend zuvor erledigt worden sind. Ich rufe die ersten Mails ab, die notwendig sind, um den Tagesablauf zu gestalten. Um 7:30 Uhr bin ich in der Schule. Zu dieser Zeit fängt die Grundschule an, während die Hauptschule um 7:40 Uhr beginnt. Ich bin jeden Tag präsent, um mein Kollegium zu begrüßen. Dies geschieht bereits seit 31 Jahren und auch, da ich so die Schule anlaufen lasse.

Kurz darauf kommt meine Sekretärin und wir sprechen in rund 20 Minuten den Tagesablauf durch. Dann werden die ersten Briefe diktiert. Danach habe ich meist ein oder zwei Stunden Unterricht. Unterricht ist für mich nach wie vor Unterricht und er gehört für mich als Schulleiter dazu, damit man sich nicht zu sehr von der Basis entfernt.

Zurzeit läuft bei uns gerade eine Baumaßnahme -der Innenbereich der Schule wird entkernt, um einer Mensa Platz zu machen. Die Mittel kommen aus dem Ganztagsschulprogramm des Bundes (IZBB) und von der Stadt Salzgitter und wurden bereits vor zwei Jahren beantragt, um den Ganztag einzurichten. Dabei fallen Besprechungen mit der Bauamtsleitung und den einzelnen Firmen an. Natürlich gehe ich auch auf das Baugelände, um alles genau im Blick zu haben.

Bis gegen 13:00 Uhr gibt es einen munteren Wechsel von Elterngesprächen, Unterredungen mit dem Bauleiter, Gesprächen mit der Schulbehörde sowie mit Kollegen. Mittagspause ist um 13:00 Uhr und meistens esse ich mit den Schülerinnen und Schülern. Um 14:00 Uhr geht es mit dem Nachmittagsunterricht weiter, der bis 16:00 Uhr dauert. Wir haben viele Eltern, die beide berufstätig oder allein erziehend sind und deshalb gibt es eine Nachmittagsbetreuung bis maximal um 17:30 Uhr.

Manchmal endet mein Schultag nicht vor 20:00 Uhr. Mein Haus liegt rund zehn Kilometer von der Schule entfernt. Zuhause kann ich mich dann etwas erholen und dann geht es nochmals an den Computer. Fünf Stunden Schlaf müssen reichen.

Online-Redaktion: Dennoch scheint Ihnen der Enthusiasmus nicht abhanden gekommen zu sein. Warum?

Brandt: Das fragen mich zurzeit viele, da der Beruf des Schulleiters momentan in Niedersachsen nicht up to date ist. Neben dem Lehrerberuf ist die Schulleitung aber einer der schönsten Jobs, den man haben kann. Trotzdem gibt es In Niedersachsen immerhin rund 350 Schulleiterstellen, die unbesetzt sind.

Foto Preisverleihung "Zeigt her eure Schule"
Heinz-Dieter Brandt bekommt den 1. Preis beim Wettbewerb "Zeigt her eure Schule" durch Eva-Maria Köhler (Vorsitzende der DKJS) überreicht.

Online-Redaktion: Nun haben Sie mit "Starke Schule" und "Zeigt her eure Schule" gleich zwei Preise gewonnen. Was sagen Sie dazu?

Brandt: Wir waren ziemlich überrascht und wollten es kaum glauben. Wir haben uns aber riesig gefreut, einen Preis zu bekommen. Gerechnet hatten wir höchstens mit einem fünften Platz. Vor vier Wochen wurden wir allerdings von unserer Kultusministerin mit einem fünften Preis im Rahmen von "Starke Schule" geehrt. Da stellten wir nur die Hauptschulakademie vor, was für uns schon etwas Großes war. Und jetzt den ersten Preis zu bekommen, das ist ganz toll.

Als der fünfte Preis angesagt und vergeben war, gefolgt vom vierten, dritten und zweiten, wurden wir immer aufgeregter. Es war überwältigend zu hören, dass wir den ersten Platz bekommen haben. Meine Kolleginnen und Kollegen konnten es nicht fassen. Die Stadt Salzgitter schwelgt nun auch, denn so einen Erfolg hat es hier noch nicht gegeben.

Online-Redaktion: Wie kamen Sie auf den Einfall mit der Hauptschulakademie?

Brandt: Wir sind vor sechs Jahren mit einem großen Projekt gestartet - dem Notebook-Projekt, das die Eltern finanziert haben. Jede Schülerin und jeder Schüler musste ab Klasse 7. ein Notebook haben.

Als dieses Projekt halbwegs lief, waren wir uns einig, dass wir dringend etwas mit unserem Unterrichtsfach Arbeitslehre unternehmen müssen. In Niedersachsen wurde in den 1970er und 1980er Jahren das Fach Arbeitslehre eingeführt, das aber aus politischen Gründen leider an den Rand gedrückt wurde. Das Fach gab es zwar an der Schule, doch es wurde nicht wirklich Ernst genommen.

Wir wollten mit unseren Schülerinnen und Schülern mehr in den Bereich der Berufsorientierung gehen und etwas anbieten, womit die Schülerinnen und Schüler anders auf ihre Arbeits- und Berufswelt vorbereitet werden. Dann entstand die Idee, ein Projekt einzurichten, das aus verschiedenen Modulen besteht. Die Schülerinnen und Schüler erwerben im Rahmen von berufsvorbereitenden Maßnahmen, Kompetenzen zur Lebensbewältigung.

Als Schulleiter habe ich die Organisation übernommen und mich um die Rekrutierung der Dozenten gekümmert. Dann wurden jedem der Module verschiedene externe Partner zugeordnet, wobei die Volkshochschule Salzgitter einen großen Part übernommen hat, gefolgt von der Landwirtschaftskammer und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK). Auch kleinere Betrieben wurden angesprochen, die uns dann ebenfalls Dozenten zur Verfügung stellten.

Online-Redaktion: Gilt das Prinzip der Freiwilligkeit oder werden die Schülerinnen und Schüler auch zur Teilnahme bestimmter Angebote verpflichtet?

Brandt: Es gibt Module, die die Schülerinnen und Schüler durchgängig belegen müssen. Dazu gehört das Tastaturschreiben, damit mit dem Notebook besser gearbeitet werden kann. Von Belang sind auch Bewerbungs- oder Benimmkurse für die 9. und 10. Klassen sowie Kompetenzanalysen der Stärken und Schwächen. Es gibt aber auch Module im Rahmen der Hauptschulakademie, die man wählen kann - das sind Floristikkurse oder Umgang mit Holz und Metall. In den 10. Klassen gibt es auch Kurse in Betriebswirtschaftslehre.

Diese Kurse werden zertifiziert, so dass die Schülerinnen und Schüler ab dem 7. Schuljahr mindestens zwei Zertifikate pro Schuljahr erwerben. Sie werden in einem Portfolio gesammelt und dem Abschlusszeugnis beigefügt. Diese Schülerinnen und Schüler sind chancenreicher am Ausbildungsmarkt als vergleichbare Jugendliche. Die Hauptschulakademie wird von mir, einer Kollegin und der Sozialpädagogin, die im Rahmen des Landesprojektes  "Profilierung der Hauptschule" eingestellt wurde, organisiert. Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz sind im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern, die nicht die Akademie besuchen, übrigens gestiegen. Dies
wird auch durch Rückmeldungen der Betriebe bestätigt.

Online-Redaktion: Inwiefern kommt es bei der Hauptschulakademie auf den Ganztagsbetrieb an?

Brandt: Wir sind bislang offene Ganztagsschule und werden am 1. September erst teilgebundene Ganztagsschule. Natürlich haben wir am Nachmittag auch Unterricht, aber das ist mehr Wahlunterricht. Die Module liegen in der Regel Mittwoch, Donnerstag und Freitag am Nachmittag, damit wir entsprechend auf die Dozenten zugreifen können. Bislang haben wir es noch nicht geschafft, die Akademie in den Vormittag einzubauen und den Tag zu rhythmisieren.

Segelschiff im Hafen
Schülerinnen und Schüler der Schule am Gutspark bekommen eine Segelschulung.

Online-Redaktion: Was halten die Schülerinnen und Schüler denn von der Akademie?

Brandt: Die Hauptschulakademie gibt es bereits seit vier Jahren, und sie wird von den Schülerinnen und Schülern sehr gut angenommen. Natürlich gibt es den einen oder anderen, der schwänzt, aber im Grunde genommen sind die Jugendlichen daran interessiert, ihre Zertifikate zu bekommen. Uns ist recht bald der Begriff Akademie eingefallen, da er in den Köpfen positive Assoziationen auslöst. Die Schülerinnen und Schüler sagen sich: "Hey, ich bin ja was Besseres, als nur ein Hauptschüler. Ich bin hier in einer Position, die mich in die Rolle eines Studierenden versetzt."

Online-Redaktion: Welche räumlichen Anforderungen stellten sich für Ihre Ganztagsschule?

Brandt: Wir haben seinerzeit IZBB-Mittel im Umfang von rund 140.000 Euro bekommen, aber sie waren nicht so üppig, wie wir uns das vorgestellt haben. Damit wurde die Küche umgebaut und einige notwendige Geräte angeschafft, die es erleichtern, das Essen auszugeben. Ferner haben wir einen Raum eingerichtet, der unter anderem Angebote in den Bereichen Musik oder Biologie erlaubt.

Online-Redaktion: Ihre Schule zeichnet sich durch eine besondere Architektur aus?

Brandt: Die räumliche Anordnung beruht auf einem Schulkonzept von Peter Petersen, das aus den 1920er Jahren stammt. Die Schule ist nicht einfach ein Kasten, sondern man muss sich zwei Längstrakte und vier Quertrakte vorstellen - das ist wie ein Gitter. In der Mitte ergeben sich Innenhöfe. Dadurch ist die Gebäudelandschaft aufgelockert. Da alles so einladend ist, können wir die Kurse der Akademie überall ansiedeln: Wir gehen dann entweder in die Klassen, in den naturwissenschaftlichen Bereich oder wir gehen nach draußen und suchen mit einer Gruppe, die "Antirost" heißt außerschulische Lernorte auf.

Der Name hat nichts mit Rost zu tun, sondern es handelt sich um Senioren, die dort mit den Jugendlichen Metall- und Holzarbeiten ausführen. Dabei stellen sie Materialien her, die sie für die Schule einsetzen können. Das neueste Projekt sind Pulte, damit die Kinder mal am Pult stehen und präsentieren können. Das sind keine aufwändigen Sachen, aber Dinge, die handwerklich und maschinell angefertigt werden.

Online-Redaktion: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit im und mit dem Kollegium?

Brandt: Seit dem Jahr 2005 sind wir in unserem anderen großen Projekt tätig, das sich "Erweiterte Eigenverantwortung in Schulen" nennt. Es ist in Niedersachsen aufgelegt worden. Aus dem Braunschweiger Raum haben sich 26 Schulen gemeldet. Bei Berufsschulen kennt man das ja schon länger. In den entsprechenden Schulen sieht man die Schulleitung als Dienstaufsichtsstelle an. Das heißt ihr wurden verschiedene dienstrechtliche Befugnisse übertragen, zum Beispiel bei der Personaleinstellung, die vorher Sache der Schulbehörde war. Außerdem kann die Schule stärker eigenverantwortlich über Arbeits- und Unterrichtsformen entscheiden.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich mit der Steuergruppe und dem Kollegium zusammengesetzt und gefragt: Was müssen wir an unserer Schule verbessern? Schließlich holten wir das SEIS-Instrumentarium von Bertelsmann an die Schule. SEIS heißt "Selbstevaluation in Schulen". Die Ergebnisse wertete die Steuergruppe aus und wir erhielten ein realistisches Bild von unserer Schule.  Das ganze Verfahren läuft seit 2005 sehr gut und die Kolleginnen und Kollegen sind dabei zu einem Team zusammengewachsen.

Online-Redaktion: Was bedeutet für Sie Bildungsgerechtigkeit?

Brandt: Unsere Schule hat es nie leicht gehabt. Wir haben als Grund- und Hauptschule sowohl Primar- als auch Sekundarschüler. Der Einzugsbereich der Schule ist in Salzgitter von einer Sozialstruktur geprägt, die nicht einfach ist. Neben der normalen Arbeitnehmerschaft kommen die Schülerinnen und Schüler auch aus einem Asylbewerberheim. Dazu hatte sich das Kollegium bereit erklärt, und so haben wir die halbe Welt bei uns zu Gast.

Häufig saßen in der ersten Klasse überwiegend ausländische Schülerinnen und Schüler. Das hat sich etwas geändert, weil die Zahl der Asylbewerber nicht mehr so groß ist. Die Teilnahme dieser Kinder an der Hauptschulakademie hat dazu geführt, dass wir gerade im Bereich der Bildung wesentlich intensiver und gerechter mit den Kindern umgehen. In den letzten zehn Jahren durchlebten wir viele Prozesse der Schulentwicklung und sind so einen großen Schritt nach vorne gekommen.

Online-Redaktion: Gibt es bei all den Erfolgen noch Ziele, die Sie erreichen wollen?

Brandt: Wir wollen eine vernünftige gebundene Ganztagsschule werden. Außerdem möchten wir die Verzahnung mit der Berufsschule intensivieren.

Die andere Verzahnung, die wir anstreben, betrifft die Grundschule. Wir machen jetzt Fortbildungen und Studientage mit den Kindertagesstätten, um die Kinder, die später zu uns kommen, bereits im dritten Lebensjahr kennenzulernen. Wir wollen als Schule schließlich frühzeitig wissen, welche Förderung notwendig ist.

Das nächste große Projekt befindet sich in der Planung. Wir gehen auf die Senioren in unserem Ort zu und machen sie auf unsere neue Mensa aufmerksam, wo sie mit uns zusammen sitzen und essen können. Sie haben dabei ein bisschen Freude und werden so in die Schule integriert.

Heinz-Dieter Brandt, Studium der Pädagogik mit den Schwerpunkten Chemie, Berufsorientierung (Arbeitslehre) und Politik, maßgeblich am Modellversuch Arbeitslehre in der Region Braunschweig beteiligt; Fachberater für Arbeitslehre; Mitglied in der Kommission des NDR-Schulfernsehen; Konzeption von Schulfernsehsendungen; seit 1977 Schulleiter an einer Grund- und Hauptschule. Aufbau eines curriculum-gestützten EDV-Unterrichtes für die Grund- und Hauptschule; 2000 Erstellen eines Medienkonzeptes für die Stadt Salzgitter; 2004 Umwandlung der Schule in eine Ganztagsschule - Beteiligung am Projekt: ganztägig lernen mit Notebooks; 2006 Umwandlung der Schule in eine "Eigenverantwortliche Schule"; 2006 Beteiligung am Projekt Notebookreferenzschule; seit 2008 Beteiligung am Projekt "BONA-SZ - Berufsorientierungs- und Nachwuchssicherung in der Projektregion Braunschweig".

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