"Das Normale ist die Innovation" : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Schulen, die wie die Regelschule Blankenberg an der ehemaligen innerdeutschen Grenze in Thüringen liegen, stehen vor besonderen Herausforderungen: Schulleiterin Britta Schenk berichtet wie ihre Einrichtung eine der ersten gebundenen Ganztagsschulen in der Region wurde 

Porträtfoto Britta Schenk
Schulleiterin Britta Schenk

Online-Redaktion: Wie sieht ein normaler Tag an Ihrer Schule aus?

Schenk: Einen normalen Schultag gibt es eigentlich nicht, weil jeder Tag bestimmte Besonderheiten hat - diese zu gestalten ist eigentlich das Normale. Jeder Tag bringt natürlich Probleme mit sich, die gelöst werden müssen. Die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern wird zwar sorgfältig geplant, doch unvorhersehbare Ereignisse nehmen Einfluss auf den Schultag.

Ein Tag an einer gebundenen, rhythmisierten Ganztagsschule sieht so aus, dass eine Menge unterschiedlicher Dinge zu besprechen sind, die über den formalen Rahmen einer Regelschule in Thüringen weit hinausgehen. Dazu gehören außer den Absprachen über den Unterricht auch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, mit den Leitern der Arbeitsgemeinschaften sowie Absprachen über Projekte und Weiterbildung.

Wichtig sind auch Schulleitergespräche mit der Sekretärin oder aber den Ein- Euro-Kräften, die in unserer Schule arbeiten. Nicht zuletzt nehmen die Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern einen großen Raum ein. Ich beschäftige mich gerne intensiver mit den Kindern und Jugendlichen, die oft zusätzliche Aufmerksamkeit brauchen. Ferner gehören dazu die Zusammenarbeit mit dem Jugendhaus, die Organisation des Schwimmunterrichts oder Gestaltung des Projektunterrichts. Natürlich spielt das Lesen der Post und die Bearbeitung der E-Mails eine große Rolle. Die Leitung einer Ganztagsschule ist also ein weites Feld, die zusätzlich zur Unterrichtsverpflichtung erledigt werden muss.

Die Freude, die mir die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern bereitet, kommt auch daher, dass sie einem zuhören und ihr Vertrauen schenken. Die Kinder und Jugendlichen sind dann auch bereit, die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. Ohne Zweifel steht für mich die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern an erster Stelle. Die entscheidende Frage ist dabei: Wie kann ich das Kind individuell fördern?

Eine zentrale Rolle spielt auch die Essensversorgung. Wir haben es geschafft, dass heute 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler am Mittagessen teilnehmen. Dass 100 Prozent am Ganztag teilnehmen, ist für unsere Region ebenso etwas Besonderes wie die Tatsache, dass wir seit 2003 eine gebundene und rhythmisierte Ganztagsschule sind. Solche Erfolge kann man nur erreichen, wenn die Schulleitung echte Freude am Management der Schule mitbringt: Dinge in die Wege zu leiten, der ganze Bereich des Organisierens, und natürlich Visionen umzusetzen.

Online-Redaktion: Warum sind Sie Schulleiterin geworden?

Schenk: Ich war 15 Jahre als Lehrerin an der damaligen Polytechnischen Oberschule Blankenberg tätig, als die politische Wende 1989 kam. Da ein neues Bildungssystem aufgebaut werden sollte, wurden neue Leute gebraucht. So wurde ich gefragt, ob ich das machen wolle.

Zu DDR-Zeiten war ich kurz stellvertretende Schulleiterin, sodass es mir nicht schwer fiel, mich auf die neuen Aufgaben einzulassen. Ich bin mit Leib und Seele Lehrerin, und für mich stehen die Kinder an erster Stelle. Mein Ziel war es stets, eine Schule zu gestalten, in der das Lernen Spaß macht: In der Schule sollen sich die Kinder, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer sowie das andere Personal wohl fühlen.

So habe ich den Schritt als Schulleiterin gewagt und  bin auch heute noch  nach 19 Jahren mit Freude dabei , die Schule zu managen und habe das Bedürfnis, meine Vision umzusetzen .

Online-Redaktion: Wie charakterisieren Sie Ihr Selbstverständnis als Schulleiterin: Verstehen Sie sich als Innovationsmotor, Managerin oder primär als Pädagogin?

Schenk: Als Schulleiterin muss man ein Allroundmensch sein. Man muss mit den Menschen arbeiten, Ideen ins Kollegium hineintragen, man hat Verantwortung für das pädagogische Gesamtkonzept. Natürlich muss man Entscheidungen treffen, viel von Psychologie verstehen und sich weiterbilden. Man muss aber auch konsequent sein und einiges einfordern.

Die Aufgabe des Schulleiters besteht auch darin, die Schule nach außen zu repräsentieren und mit dem Schulträger sowie der Gemeinde konstruktiv zusammenzuarbeiten. Eine zunehmend wichtige Rolle spielt die Finanzierung der Ganztagsangebote. Das ist ein Gebiet, das mir durchaus liegt. In Thüringen gibt es per Schulgesetz keine staatlichen "Ganztagsschulen", nur private.

Demzufolge gibt es auch keine zusätzlichen Mittel und personelle Zuweisungen, keine Sozialarbeiter: Es gibt eigentlich gar nichts, und man muss diese Dinge selber organisieren. Je besser man dies als Schulleitung hinbekommt, desto besser das Ganztagsangebot. Das bedeutet viel zusätzliche, aber interessante Arbeit.

Online-Redaktion: Schulleitung hat sich in den letzten Jahren sehr geändert. Welche Auswirkungen hat dies auf ihre Aufgaben?

Schenk: Das alltägliche Brot der Schulleitung ist die Veränderung. Das Normale ist demzufolge die Innovation. Bildung bleibt ja nicht stehen. Es folgt auch eine Verordnung auf die andere, sodass Veränderung zur Routine wird. Nach der "Wende", 1989/1990, gab es das Land Thüringen zunächst noch nicht und keine Gesetze. Da haben wir versucht, den Umbruch selber zu gestalten. Als das Land Thüringen gegründet wurde, entstanden bald die Regelschulen. Neue Lehrpläne und Durchführungsverordnungen kamen.

Das Problem bestand für mich darin, die Ganztagsschule so umzusetzen, dass es die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte gar nicht merken, sondern dass sie das Gefühl haben, es ist ein Prozess. Genau genommen ist unsere Ganztagsschule aus Aktionen hervorgegangen und daran gewachsen. Da seit 1996 eine Schule bestand, war es nur ein logischer Schritt sie zu einer Ganztagsschule zu erweitern.

Ich bin nunmehr 19 Jahre Schulleiterin an der Schule. Auch die demographischen Veränderungen begleiten uns, der Rückgang der Schülerzahlen. Wir haben mit 27 Lehrkräften angefangen, jetzt haben wir nur noch 14. Die Schülerinnen und Schüler verändern sich. Wir können eigenständiger arbeiten, als "Selbstverantwortliche Schule".

Als Schule haben wir bestimmte Freiheiten, den Unterricht nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Im Grunde genommen ist nur die Arbeit mit den Kindern insofern gleich geblieben, da sie nach wie vor an erster Stelle steht.

Sicherlich ist durch die Ganztagsschule eine deutlich höhere Arbeitsbelastung hinzugekommen. Erst einmal ist man den ganzen Tag in der Schule präsent. Den Schülerinnen und Schülern wird ein Ganztagsprogramm angeboten, und das muss ich mit meinem Team organisieren. Es gibt viel mehr Bereiche, die zu bedenken sind, und viel mehr Kontakte zu den außerschulischen Bereichen herzustellen. Ferner muss ich das Kollegium motivieren, dass es die Mehrbelastung auf sich nimmt. Ich muss dafür Sorge tragen, dass Geld für die Gestaltung des Ganztagsprogramms durch Sponsoring etc. in die Schule kommt. Es ist viel mehr zu bedenken als nur der Unterricht. Das fängt bei den Räumen an und geht bis zur Essensversorgung.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt für Sie der Teamgedanke?

Schenk: Im Jahr 2000 hat sich unsere Schule neu orientiert. Wir waren uns darin einig, dass wir die Arbeit besser in Teams aufteilen. Das ist an einer kleinen Schule nicht ganz einfach, da ja einige zugleich in mehreren Teams sind. Heute haben wir Klassenleiterteams, eine Steuergruppe und es gibt natürlich ein Schulleitungsteam. Seit vielen Jahren arbeiten wir daran, ein Wir-Gefühl in der Schule zu entwickeln. Ganztagsschule kann nur gelingen, wenn das Team mehr Verantwortung übernimmt. An unserer Schule sind wir gegenwärtig so wenig Lehrkräfte und Schüler, dass es wir uns wie eine große Familie fühlen.

Unsere Bemühungen, die Schule als Ganztagsschule weiterzuentwickeln, wurden durch unseren Bürgermeister sehr unterstützt. Gegenwärtig funktioniert die Schule auch deshalb so gut, weil uns das Schulamt zusätzliche Stunden gewährt. In Thüringen gibt es die Möglichkeit, die Stunden eigenverantwortlich einzuteilen. Im Jahr 2003 haben wir über rotierende Lehrpläne oder jahrgangsübergreifendes Arbeiten die Basis für die Organisation der neu gegründeten Ganztagsschule geschaffen.

Online-Redaktion: Ihre Schule befindet sich in einer ländlichen Umgebung nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Hat dies Auswirkungen?

Schenk: In unserer Umgebung gibt es noch zwei weitere Regelschulen im Umkreis von 15 Kilometern, was sich auch auf unsere Schülerzahl auswirkt. Wir können uns allerdings nicht beklagen, da wir drei Schüler aus Bayern bekommen haben sowie zusätzliche Schülerinnen und Schüler aus der Nachbarschule, die unsere Angebote nutzen.

Online-Redaktion: Sollten die Schulen mehr kooperieren?

Schenk: Durchaus. Im Jahr 2003 wurden die Schuleinzugsbereiche im Saale-Orla-Kreis geöffnet, das heißt, jeder Schüler kann die Schule besuchen, die er möchte. Das Problem ist nur, dass die Schülerinnen und Schüler nicht das Fahrgeld bezahlt bekommen, da es ja in Thüringen laut Gesetz keine staatlichen "Ganztagsschulen" gibt, sondern lediglich Schulen mit Ganztagsangeboten gibt.

Wenn diese Schülerinnen und Schüler zu uns kommen, ist das eine Ungleichbehandlung, da die Eltern das Fahrgeld privat bis zu 40 Euro pro Monat bestreiten müssen. Dies hält die Eltern letztlich davon ab, ihre Kinder auf die von ihnen bevorzugten Ganztagsschulen zu schicken. Wir haben im Moment zwar 22 Kinder von anderen Schulen, doch da jede Schule um ihre Schülerinnen und Schüler kämpft, sind Kooperationen an dieser Stelle kaum möglich.

Jeder möchte natürlich seine eigene Schule erhalten. Das war auch ein Grund, dass wir bereits seit 1998 darüber nachgedacht haben, wie wir unsere Schule stark machen können. Wir haben ein Konzept entwickelt, dass die Eltern ermutigt, ihre Kinder zu uns zu schicken. Dafür haben wir Umfragen initiiert und kamen auf eine Zustimmung von 70 Prozent.
   
Online-Redaktion: Wenn Sie eine Bilanz Ihrer Arbeit ziehen, womit sind Sie zufrieden?

Schenk: Uns ist spätestens seit 2003 bewusst geworden, dass das Kollegium in der Lage ist, gemeinsam etwas zu schaffen. Die Kolleginnen und Kollegen haben sich weitergebildet und intensiv über einen besseren Unterricht nachgedacht. Mit der Ganztagsschule ist eine ganz andere Zusammenarbeit zwischen den Kollegen möglich geworden.

Sie arbeiten intensiv im Team zusammen und treiben Entwicklungen selbstverantwortlich voran. Ganz wichtig ist auch, dass sich in der Mehrheit die Einstellung durchgesetzt hat, dass das Kind im Mittelpunkt steht. Gerade das Eingehen auf die Schülerinnen und Schüler ist uns in den vergangenen Jahren immer besser gelungen.

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