Apropos Schulleitung. Oder: Sich der Zukunft anvertrauen : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Schulleiterinnen und Schulleiter sind Protagonisten des Wandels in einem dynamischen System. Sie stellen sich mit dem Aufbau der Ganztagsschulen hohen Anforderungen, die die Schulleitung sukzessive zu einem eigenen Berufsbild werden lässt. Unsere Themenreihe "Apropos." führt in die neuen Aufgabenfelder der Schulleitung ein und zeigt die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Praxis auf.

Dem Bewährten folgen oder den Wandel mutig gestalten - vor einem solchen Szenario stehen heute viele Ganztagsschulen in Deutschland. "Alte Muster greifen nicht mehr. Neues ist noch nicht da, wie kommt man in dieser Situation zu neuen Mustern? Es ist ein Schwanken zwischen Reproduktion und Transformation", so bringt Prof. Michael Schratz vom Institut für Lehrer/innenbildung an der Universität Innsbruck die Herausforderung für die Schulleitung auf den Punkt.

Schulleitung an Ganztagsschulen hat es mit einer wachsenden Fülle von Aufgaben und neuen Verantwortungsbereichen zu tun. Dazu gehören laut Stefan Appel, dem Vorsitzenden des Ganztagsschulverbandes GGT e.V., folgende Bereiche: Personalentwicklungskompetenz, Budgetverantwortung (im Rahmen der Beschaffung zusätzlicher Mittel wie Sponsorengelder), Managementkompetenz, Zeitplanungskompetenz (Rhythmisierung von Ganztagsschule), Kenntnisse von Essenssystemen, Organisation der Hausaufgabenbetreuung, Kompetenz für Freizeitpädagogik und Medienerziehung sowie für pädagogische Architektur (im Rahmen der Raum- und Farbgestaltung).

Schulleitung als Beruf

"Sie haben die Verantwortung für die Schule sowie die Schülerinnen und Schüler nicht nur im Rahmen des Pflichtunterrichtes, sondern für die gesamte Zeit, die diese in der Schule verbringen", so der Direktor des Gymnasiums Achern und Vorsitzende des Direktorenverbandes Südbaden, Paul Droll. Die Schulleiterinnen und Schulleiter müssten sich bewusst machen, dass die Kinder und Jugendlichen mehr gemeinsame Zeit an einem Ort verbringen.

Paul Droll am Rednerpult
Paul Droll, Direktor des Gymnasiums Achern und Vorsitzender des Direktorenverbandes Südbaden.

Braucht es Führungskonzepte in zunehmend selbstständiger werdenden Schulen? Die zentrale Frage lautet für Schratz vor diesem Hintergrund: Was ist Leadership? Und "wie können wir das System entwickeln?" Aufgabe der Schulleitung ist es laut Schratz, die Initiative zu ergreifen und Anstöße zu geben, um die pädagogische Qualität voranzubringen. Leadership bedeute in diesem Zusammenhang, die Fähigkeit zur ergebnisorientierten Zielentwicklung, der kollegialen Partizipation, der kooperativen Steuerung, des systematischen Perspektivwechsels, der Entwicklung von Konsens.

"Die Kunst der Leadership entspricht folglich der Kunst, Macht zum Vorteil von anderen abzutreten, das heißt Macht mit anderen (und zum Teil auch für andere und zwischen anderen) auszuüben und nicht über andere", erläutert Gian Piero Quaglino in "Lichtblicke und unbewusste Schatten der Leadership".

"Wie können wir das System entwickeln?"

Wo Schulleitung sich als "Leadership" versteht, ist sie mit einer Professionalisierung verbunden. So sieht es auch Droll: "Die Schulleitung ist ein eigener Beruf geworden." Schulleiter seien nicht mehr wie früher Lehrer, die lediglich eine Schule leiten. Sie sollten aber auch weiterhin aus dem Kreis jener Pädagogen rekrutiert werden, die sowohl über ein wissenschaftliches Studium, als auch über Unterrichtspraxis verfügten.

Während Schulleiter früher miteinander konkurrierende Kapitäne gewesen seien, verstehen sie sich heute als steuernder Teil eines Netzwerkes, die ein Team organisieren, Professionen zusammenbringen und gemeinsame Ziele erarbeiten. In angelsächsischen Ländern, aber auch in Dänemark, Portugal oder der Schweiz versuche man "Leadership" im Sinne von nachhaltiger Entwicklung breiter abzustützen, so Andy Hargreaves ("Sieben Grundlagen für ein nachhaltiges Leadership").

"Leadership" oder Primus inter Pares

"Leadership heißt eine Bresche schlagen im Gewimmel der Ereignisse, man muss die Ereignisse umgestalten und ordnen. Leadership ist nicht das Ergebnis von Sitzungen, sondern die Frage: Wo wollen wir hin? Wie wollen wir das Ziel erreichen? Man muss sich der Zukunft anvertrauen können, die Leute müssen diese als eigenes Kind sehen: Es ist nicht mein Baby, aber ich adoptiere es", so Ivana Summa ("Schulleiter als Förderer von Bildungsleadership").

Das Konzept des Leadership greift auch Hermann Pfeiffer im Buch "ABC der Ganztagsschule" auf: "Bewährt hat sich, Führung in der Schule im Sinne von ,Leadership' zu verstehen, also ein auf Expertenwissen begründetes Leitungshandeln unter dem Anspruch der Innovation und Entwicklung zum bestimmenden Faktor zu machen."

Den Schulleiter als Primus inter Pares sieht Prof. Henning Pätzold von der Technischen Universität Kaiserslautern: "Als solcher wird er vom Lehrerkollegium als einer von uns erlebt, das erhöht seine Glaubwürdigkeit." Bildung beinhaltet für Pätzold die Fähigkeit, dass Schulleiterinnen und Schulleiter Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität fördern, aber auch zulassen können. Ähnlich Ivana Summe: "Ich glaube an Mikroreformen unter Einbezug der Akteure. Echte Leader werden von der Basis legitimiert."

In Ganztagsschulen ist die Kooperation mit ehrenamtlichen Kräften oder teilprofessionellen Personen für Pätzold eine große Chance. Dort finde die Schulleitung ein breites Feld von potenziellen Verbündeten vor: "Solche Kräfte wirken als Katalysatoren, die die starren Verhältnisse verflüssigen." Aufgabe der Schulleitung sei es, sich für die Gestaltung der Schule der besten Werkzeuge zu bedienen: "Die darf er sich überall holen."

Globalisierung und Reform im 21. Jahrhundert

Schulmanagement ist eine Reform des 21. Jahrhunderts, so Katharina Merki vom Deutschen Institut für Internationale Forschung (DIPF).. Im Kontext globaler Migrationsprozesse und regelmäßiger internationaler Vergleichsstudien stehen die nationalen Bildungssysteme unter permanenten Innovationsdruck.

Schulleitungen stehen somit vor der Herausforderung, europäische oder globale Entwicklungen in ihren Schulen zu meistern: "Dass Schulen aber aus ihrem selbstreferenziellen System heraus sollen, beweisen die Entwicklungen zu Dezentralisierung und mehr Autonomie, zur Deregulierung von Schule in den meisten europäischen Ländern. Auch Bildungspolitiker haben eingesehen, dass Neuerungen auf dem Verordnungsweg nicht eingeführt werden können", führt Schratz weiter aus.

Einen deutlichen Trend zu Dezentralisierung und mehr Selbstständigkeit der Schulen sieht auch Droll: "Vor diesem Hintergrund müssen die Schulleiterinnen und Schulleiter stärker über Ressourcen und Logistik verfügen." Sie brauchen mehr Entscheidungsspielraum in jenen Dingen, die die Qualität und Zukunft der Schule betreffen: In der Budgetverwaltung in Form eigenverantwortlicher Haushaltsführung.

Oder in der Personalentwicklung, die es den Schulleitern erst erlaube, ein Schulprofil zu finden. "Neben der Entwicklung der Organisation muss die Schulleitung an der Ganztagsschule auch die besonderen Herausforderungen hinsichtlich der Personalentwicklung und den Bereich der Bildungsangebote im Blick haben" (Hermann Pfeiffer im "ABC der Ganztagsschule").

Forschung im Dienst der Praxis: Schulleitung und StEG

Hält die Forschung mit diesen Entwicklungen und Transformationen denn Schritt? "Es gibt einen Wandel der Forschung in Richtung Praxis", so Monika Gather Thurler von der Universität Genf. Das Problem sei aber, dass viele Forschungsergebnisse noch immer keine Wirkung in der Praxis zeigen. Es reiche nicht mehr aus, Daten zu sammeln, man müsse die Befragten als Objekte der Forschung auch realiter miteinander vernetzen. "Wandel braucht längere Zeit für die Entwicklung von Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern. Hier müssen Längsschnittdaten verwendet werden", so Merki.

Praxisrelevante Daten über die Wirkungen ganztägiger Angebote hat die "Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen" (StEG) geliefert, deren Ergebnisse im Jahr 2007 vorgestellt wurden. So hat das StEG-Konsortium unter Prof. Eckart Klieme die Bedeutung der Schulleitung im Rahmen einer ersten Querschnittsstudie untersucht und ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: "Die zentrale Rolle beim Aufbau von Ganztagsschulen spielen Schulleitungen, die bei großen Schulen (also häufiger im Sekundarbereich) durch Leitungsgremien beziehungsweise spezifische Experten für den Ganztagsbetrieb unterstützt werden. Jeweils knapp die Hälfte aller Schulleiter gibt an, das gesamte Kollegium oder Gruppen von Lehrkräften seien an der Entwicklung maßgeblich beteiligt."

Die wichtigsten Unterstützungsbedingungen beim Aufbau von Ganztagsschulen seien Materialien und Handreichungen, Austausch mit anderen Schulen (jeweils 90 Prozent), Informationen durch das Schulamt, ganztagsbezogene Fortbildungen sowie externe Beratung. "Größte Hindernisse aus Sicht der Schulleitungen seien der Zeitmangel (vor allem an Grundschulen), Probleme der Personalrekrutierung (überwiegend im Sekundarbereich) sowie Raumprobleme (für beide Schulstufen)".

Wie kann Innovation nachhaltig werden?

Aufgabe der Schulleitung ist es, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Schulentwicklung zu nutzen, erläutert Droll. Neben einem Kanon von Allgemeinbildung gelte es andere oder neue Schwerpunkte zu erkennen, an denen sich die Schule anpassen muss: "Das ist ein dynamischer Prozess."

"Innovation ist eine notwendige Funktion für gelingende Schule", so Droll. Kann Innovation überhaupt am Laufen gehalten werden, wenn das Geld oder andere Ressourcen plötzlich fehlen?

"Wirkungsvolle Führung geht in die Breite, sie ist in Netzwerken gut abgestützt und verteilt die Verantwortung" (Andy Hargreaves). Anforderungen an Innovationen lauten wie folgt: Sie muss.gerecht sein (justice), dauerhaft (endurance), sich ausbreiten (networking), sie soll tief und bedeutungsvoll sein (it matters), ferner soll sie Vielfalt ermöglichen (diversity), die Vergangenheit wertschätzen, das Beste aus der Vergangenheit bewahren (honour, conservation), Ressourcen berücksichtigen, keinen Burnout hervorrufen (ressourcefulness). "Zum Beispiel keine Bäume fällen, die anderen fehlen werden. Sie soll nicht nur Begabte fördern und sich nicht nur an die eigene Schulstufe adressieren."

Leitbilder der Schulentwicklung

Schulen, die sich verändern, brauchen eine Vision davon, wo sie hin wollen, meint Droll. Deshalb ist es auch Aufgabe der Schulleitung, sich für die Entwicklung von Leitbildern einzusetzen, an denen sich die pädagogische Arbeit ausrichtet. Das können im weiteren Sinn lokale oder regionale Bildungslandschaften sein, soweit sie sich etwa auf den Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (EQF) beziehen. "Mit diesem Instrument haben wir eine der bedeutendsten bildungspolitischen Initiativen in Europa auf dem Weg gebracht", so Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan.

Schulöffnung und Solidarität mit anderen Schulen

Eine Polarisierung zwischen den Schulformen hat Pätzold im Gefolge von PISA festgestellt. Die Schulleiterinnen und Schulleiter sollten in diesem Zusammenhang der Kolonisierung durch andere widerstehen. Dies gelinge beispielsweise, wenn das Lehrerkollegium einer Hauptschule die Bezeichnung "Brennpunktschule" zurückweise: "Lehrerinnen und Lehrer, die sagen, bei uns brennt es nicht, üben dadurch Solidarität mit ihren Schülerinnen und Schülern."

Leiter von Gymnasien sollten sich auf der anderen Seite Schulen anderer Schulformen öffnen. Die einzelne Schule ist eine lernende Organisation, und Aufgabe des Schulleiters ist es - Droll zufolge - sie so zu steuern, dass dabei das Ganze erkennbar bleibt. Allerdings können auch Netzwerke von Schulen, etwa im Rahmen einer lokalen Bildungslandschaft innovative Lernprozesse anstoßen: "Wenn jede Schule gut sein soll, müssen wir das System entwickeln, also nicht primär die einzelnen Schulen", so David Hopkins

Lebenslanges Lernen für Schulleitungen

Titelseite des Handbuchs 'ABC der Ganztagsschule'

Netzwerke zwischen den Schulen sowie individualisierte Lernformen durch Feedbacks, Vergleiche und dezentrale Verantwortlichkeit sind zukunftsweisende Wege der Schulleitung. Schulleiterinnen und Schulleiter brauchen außerdem Erziehungs- und Methodenkompetenz. Ferner müssen sie Qualitätssicherung durch Selbstevaluation und Vorbereitung der externen Evaluation gewährleisten. Für diese Fülle neuer Aufgaben sind sie auf intensive Fortbildung ihres Kollegiums, des außerschulischen Personals und nicht zuletzt auf intensive Schulleiterfortbildungen angewiesen.

Möglichkeiten dazu gibt es an der TU Kaiserslautern mit dem Master-Fernstudiengang "Schulmanagement", an der FU Berlin mit dem Master-Studiengang "Schulentwicklung und Qualitätssicherung" sowie an der TU Dortmund mit dem Zertifikatsstudium "Pädagogische Führung und Management". Im Mittelpunkt jeder pädagogischen Arbeit muss aber laut Pätzold eine unverrückbare innere Berufung stehen: "Die Liebe des Pädagogen zu den Schülerinnen und Schülern. Darauf hat keine politische Richtung ein Monopol."

ABC der Ganztagsschule, 2005

Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung im September 2005 in Lugano: "Leadership im Bildungsbereich und Schulwandel". (Mitschrift Jürg Brühlmann)

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