Schweigende Botschafter: Schulbauten : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Wie sehen Schulen aus, in denen man sich wohlfühlt und in denen Lernen und Lehren besser gelingen? Und wie entstehen sie? Ein Symposium des Zentrums für Lehrerbildung an der Universität Koblenz-Landau befasste sich am 5. Februar 2014 mit "Schulen der Zukunft".

„Im Dialog“ heißt die Fortbildungsreihe, die das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) der Universität Koblenz-Landau anbietet, um Impulse für die schulische Berufspraxis zu bieten. Am 5. Februar 2014 ergab sich im Rahmen dieser Reihe ein spannender Dialog zwischen Architekten, Lehrkräften, Verwaltungsfachleuten und Wissenschaftlern über das Thema Schularchitektur. Dem Zentrum für Lehrerbildung war es gelungen, für dieses Symposium namhafte Vortragende zu gewinnen und auch eine internationale Perspektive zu entwickeln.

„Das Thema Schularchitektur gewinnt an Bedeutung“, erklärte Prof. Ulrike Stadler-Altmann, die Leiterin des ZfL. „Sowohl die Architekten als auch die Bildungswissenschaftler nehmen sich dieses Themas verstärkt an und untersuchen, wie Schularchitektur Lehren und Lernen besser ermöglichen kann.“ Empirisch sei inzwischen gut belegt, dass Architektur das Lernen beeinflusse. Dennoch müsse noch genauer untersucht werden, wie sich Lehrerhandeln durch die räumlichen Gegebenheiten verändere oder wie die Schülerinnen und Schüler in ihren Lernprozessen beeinflusst würden.

Räume senden schweigende Botschaften

Prof. Henry Sanoff von der North Carolina State University ist überzeugt, dass der „Raum als dritter Pädagoge“ einen entscheidenden Einfluss auf das Geschehen in der Schule ausübt. Der renommierte Architekt hat Schulen, die zu Vorzeigeschulen geworden sind, wie die Davidson Elementary School in North Carolina, entworfen. In seinem Vortrag zeigte Sanoff Leitlinien auf, die es bei der Gestaltung von „responsiven Schulen“ zu beachten gelte.

Sanoff konzipiert – wie an der Davidson Elementary School geschehen – L-förmige Klassenzimmer. In Davidson sind das vier Cluster à sechs Klassenräumen. Jeder Cluster umfasst 150 Schülerinnen und Schüler und kann also als eine kleine Schule innerhalb der Schule gesehen werden – mit der entsprechenden Ausstattung und Funktionsräumen. „Bei der Planung beschreiben wir in einem architektonischen Programm genau jeden Funktionsraum der Schule – was soll dort geschehen, wie muss er beschaffen und ausgestattet sein?“, erläuterte der Architekt.

Ein Gebäude, ein Raum, die Farbgestaltung, sogar die Anordnung der Stühle im Klassenzimmer senden immer schweigende Botschaften. „Wenn ein Kind ein Gebäude sieht, wird die Botschaft übermittelt, ob es willkommen ist oder nicht. Sobald es das Klassenzimmer betritt, signalisiert ihm die Anordnung der Stühle, welche Art von Unterricht es zu erwarten hat: Der Stuhlkreis erhöht die Anspannung bei manchen Kindern, weil sie dort erwarten, recht exponiert zu sein, während die klassischen Stuhlreihen manche Kinder beruhigen, weil sie hoffen, abtauchen zu können“, so Sanoff. Da die Bedeutung informellen Lernens inzwischen bekannt sei, müssten auch Orte geschaffen werden, die zum Zusammentreffen einladen.

Partizipativ planen...

In den USA seien Beschädigungen an den Gebäuden durch Graffiti und Vandalismus ein großes Problem. Indem man ein Gefühl für Miteigentum schaffe, werde dieses Problem minimiert. Entscheidend ist für Henry Sanoff hier die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern sowie von Lehrkräften und Eltern in den Planungsprozess. Am Beginn des partizipativen Planungsprozesses füllen alle Beteiligten „Ich wünsche mir…“-Formulare aus, in denen sie ihre Vorstellungen darlegen. Dann schließt sich ein dreitägiger Workshop an, in dem Elemente der Wünsche zu einem Entwurf zusammengefügt werden.

„Das ist teilweise frustrierend, weil sie erkennen müssen, dass es Begrenzungen gibt“, berichtete Sanoff. „So war es an der Davidson Elementary School zunächst nicht möglich, dass alle Klassenzimmer wie gewünscht nach Süden zeigten.“ Aber durch den Diskussionsprozess ergaben sich auch Perspektivwechsel und neue Ideen: Indem Sanoff die Klassenzimmer nicht beidseits des Ganges anordnete, konnte der Wunsch der Südausrichtung schließlich doch erfüllt werden. An der Davidson Elementary School habe dann die Architektur nachweislich die Aufgabenstellungen der Lehrerinnen und Lehrer mit beeinflusst. Im Laufe der Jahre zeugten zahlreiche Kunstwerke an den Wänden und die Gestaltung der Flure von der Interaktion mit dem Raum.

Schülerpartizipation ist gleichfalls ein Thema, das durch die Beschaffenheit des Raumes beeinflusst wird. „Am Anfang muss die Frage stehen: Was wollen wir mit der Partizipation erreichen?“, meinte Sanoff. Am Perpich Center for Arts Education in Minnesota hatte der Architekt in einem Design Workshop den Lehrerinnen und Lehrern diverse Gestaltungsalternativen für Klassenräume zur Auswahl gestellt, aus denen diese die für ihre Zwecke passende Wahl trafen.

... und evaluieren

Als Abschluss des Planungs- und Bauprozesses steht bei Henry Sanoff die Evaluation des Raumes: Die Orte werden von den Kindern und den Erwachsenen gemeinsam begangen, diskutiert und auf Skalen bewertet (PDF, 154KB, nicht barrierefrei). Dabei werden sechs Kategorien berücksichtigt: Erstens der Kontext: In welcher Beziehung zu seiner Umgebung steht das Gebäude? Zweitens die „Massierung“: Wie steht es um die Qualität der Anordnung der Gebäude in der Anlage? Das beinhaltet Fragen wie: „Wie gut ist die Bedeutung der verschiedenen Teile des Gebäudes für einen Besucher erkennbar?“ oder „Trägt die Beziehung der Gebäudeteile zu einer einheitlichen Erscheinung des Ganzen bei?“

Drittens geht es um das „Interface“ – die Beziehung zwischen Innen und Außen. Hier wird unter anderem gefragt: „Sind die Ein- und Ausgänge leicht erreichbar?“ oder „Wie angenehm ist das Erlebnis des Eintritts von Außen ins Innere durch den Haupteingang?“ Fragenkomplex vier dreht sich um die „Orientierung“: Wie leicht oder schwierig ist es, die richtigen Wege, Verkehrsmuster und Durchgänge im Gebäude zu erkennen?“ Fünftens wird der soziale Raum beurteilt: „Wie gut dient die Umwelt der Schule verschiedenen menschlichen Bedürfnissen?“ Hier wird unter anderem gefragt: „Bietet das Gebäude die Möglichkeit für den zentralen Austausch von Informationen?“ oder „Bieten die Klassenräume die Möglichkeit für Privatheit und individuelle Arbeit?“ Schließlich geht es sechstens um den „Komfort“, um die Umweltbedingungen des Gebäudes für menschliches Wohlbefinden.

Schulen, „aus denen keiner mehr flieht“

Wie Henry Sanoff ist auch der Architekt Prof. Peter Hübner davon überzeugt, dass die Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler ein entscheidender Faktor ist, um Schulgebäude zu schaffen, in denen sich die Nutzerinnen und Nutzer dann auch wohlfühlen. „Es ist ein Geschenk, die Menschen zu beteiligen. Sie liefern so viele Einfälle, und gerade Kinder entwickeln konkret und unglaublich schnell Ideen“, meinte Hübner, der zahlreiche Schulbauten konzipiert hat, darunter die mit dem Schulbaupreis gekrönte Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen.

Er zeigte viele Bildbeispiele für Schulen, „aus denen keiner mehr flieht, sondern in denen man sich gerne niederlässt“ und in denen es „viele kleine Nischen und Ecken zum Zurückziehen“ gibt. Und solche Schulen müssten nicht teurer sein als Standardbauten. Auch könne die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern sogar Kosten drücken, wie der Bau der Aula des Evangelischen Gymnasiums Lippstadt 2002 gezeigt habe.

Faktor Lärm

Einen Faktor, den PD Dr. Rotraut Walden, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Universität Koblenz-Landau, für entscheidend bezüglich der Aufenthaltsqualität und des Lernerfolges hält, ist der Lärm. Die Wissenschaftlerin legte in ihrem Beitrag über „Lärm und Ruhe in ihrer Bedeutung für Unterricht und Schule“ dar, dass nach Schallpegelmessungen in Schulen der Lautstärkepegel von 50 Dezibel, der als Höchstmaß für konzentriertes Arbeiten, gilt, mit bis zu 90 Dezibel weit übertroffen wurde. Oft werde er durch Nachhalleffekte noch verstärkt, und manche Kinder könnten dem Unterricht dann aus akustischen Gründen schlichtweg nicht folgen. „Hier können einfache Maßnahmen wie das Unterlegen von Filz unter dem Mobiliar, Vorhänge, Korkpinnwände oder schallabsorbierende Wände und Decken helfen“, erklärte Rotraut Walden.

Schulbauforschung wird gebraucht

Einen Blick aus Richtung der Pädagogik und der Psychologie warf Prof. Christian Rittelmeyer, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen auf das Thema der Gestaltung von Schulbauten. „In der Architekturbranche toben heftige Diskussionen um die Schulbauten, und es fallen Vorwürfe wie ‚Schweinemastställe’ oder ‚Betonbunker’“, so der Wissenschaftler. Doch von Meinungen und Vorurteilen zu fundierten Erkenntnissen über die Wahrnehmung von Gebäuden komme man nur durch „nutzerorientierte Forschung“.

Der Körper reagiere nachweislich auf Raum- und Farberleben. Räume könnten zum Beispiel allein durch eine aggressive Farbgebung als „bedrängend“ empfunden werden. Durch Befragungen zum Erleben von Atmosphäre, Raumgröße und Zustand des Baus gewinne man Erkenntnisse, wie ein Schulgebäude jenseits der Intentionen der Architektinnen und Architekten auf seine Nutzerinnen und Nutzer wirke. Drei Hauptkriterien konnte Rittelmeyer benennen: „Wie anregend oder monoton wirkt das Gebäude? Wie freilassend oder beengend? Wie warm und weich oder hart und kalt wirkt es?“

Zum Abschluss des Symposiums formulierte der Erziehungswissenschaftler zwei Forderungen: „Die Folgerungen der Schulbauforschung müssen endlich ernst genommen werden. Und in die Planungsprozesse und die Jurys müssen Lehrkräfte und Schüler einbezogen werden.“

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