"Schulbauten, die zeitgemäß sind" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Architekt Wolf-Emanuel Linsenhoff hat verschiedene Schulbauten in Brandenburg realisiert. Im Interview spricht er über die Herausforderungen für eine zeitgemäße Schularchitektur unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern.

„Baustelle GanzTag“ hieß 2007 ein Film über die Anforderungen an Schulbauten für Ganztagsschulen, an dem maßgeblich die Länder Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg beteiligt waren. Kooperationsvereinbarungen mit den Architektenkammern im Rahmen des Ganztagsschulausbaus oder das Programm „Architektur macht Schule“ sorgten dafür, dass der Gestaltung von Schulgebäuden und -räumen eine neue Aufmerksamkeit zuteil wurde.

In den letzten Jahren haben wir über zahlreiche Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, darunter das Engagement der Montag Stiftung, oder über die Initiativen des Zentrums für Lehrerbildung Koblenz-Landau berichtet. Der Architekt Wolf-Emanuel Linsenhoff spricht im Interview über die Herausforderungen für eine zeitgemäße Schularchitektur jenseits preußischer Schulkonzeption und über Beispiele gelungener Neu- und Umbauten im Land Brandenburg.

Online-Redaktion: Herr Linsenhoff, eines Ihrer Spezialgebiete ist der Schulbau. Wie hat sich das ergeben?

Außenansicht der Nashorn-Grundschule in Vehlefanz
Nashorn-Grundschule in Vehlefanz © FLD Architekten

Wolf-Emanuel Linsenhoff: Nach der Wende ergab sich für unser Büro die Möglichkeit, in Vehlefanz im Landkreis Oberhavel eine neue Grundschule zu bauen. Es handelte sich um den ersten Schulbau in Brandenburg nach der Wende, für den noch Pläne aus DDR-Zeiten vorlagen. Wir wollten gegenüber diesen Plänen, die einen typischen Plattenbau vorsahen, etwas wirklich Neues machen. So entstand die „Nashorn“-Schule mit der charakteristischen Spitze des Gebäudeteils, in dem die Bibliothek untergebracht ist. Dieser Bau hat uns Spaß gemacht. Er ist richtig identitätsstiftend für alle Beteiligten geworden, und das hat dann unser Engagement im Schulbau verstärkt.

Online-Redaktion: Sie sind nicht nur Architekt von Schulen, sondern auch ein Kritiker der vorhandenen Schulbaulandschaft. Was sehen Sie an der Entwicklung der Schularchitektur kritisch?

Linsenhoff: In Westdeutschland gab es die Bildungsoffensive der 1960er Jahre, die es zum Beispiel meiner Frau als Bauerstochter ermöglicht hat zu studieren, was vorher undenkbar war. Architektonisch hieß das aber, dass hauptsächlich geklotzt wurde: Es entstanden riesige Bildungszentren. West-Berlin baute zum Beispiel 13 Bildungszentren, wahre Betonmonster ohne Fenster, weil man der Auffassung war, dass nur Kunstlicht die demokratisch gleiche Beleuchtung für alle Schülerinnen und Schüler garantiere oder dass Aus-dem-Fenster-gucken kontraproduktiv für den Lernprozess sei.

Ich selbst habe noch Entwürfe für solche Schulen gezeichnet. Bei so viel anerkannter Hässlichkeit drehte sich der Wind in den Achtzigern. Man kehrte von den „Bildungsfabriken“ wieder zu den herkömmlichen Schulgebäuden zurück. Es sollte wieder schnuckeliger werden, man arbeitete mit knallbunten Farben, aber an der Struktur änderte sich nichts. Man ging wieder zurück zum Standard des langen Flurs und davon abgehenden Klassenzimmern.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielen Schulbaurichtlinien?

Schule im sanierten Schulstandort Schmachtenhagen (Landkreis Oranienburg)
Schule im sanierten Schulstandort Schmachtenhagen (Landkreis Oranienburg) © FLD Architekten

Linsenhoff: Zunächst einmal vorausgeschickt: Richtlinien sind Richtlinien und keine Gesetze. Und man kann diese Richtlinien interpretieren. Grundsätzlich ist es aber so, dass diese Schulbaurichtlinien von einem veralteten Lernkonzept ausgehen, das der preußischen Schulkonzeption mit Frontalunterricht und Nürnberger Trichter verhaftet ist. In Gebäude übersetzt, ergibt sich hier die klassische Schule mit einem langen, dunklen Flur, von dem links und rechts Klassenräume abgehen. Individuelle Förderung ist nicht vorgesehen. Jedem ist klar, dass das inzwischen nicht mehr adäquat ist. Zu Veränderungen zu kommen, ist aber äußerst schwierig, denn es setzt Veränderung in den Köpfen, auch meiner Kollegen voraus.

Online-Redaktion: Welche baulichen Formen unterstützen ein individualisiertes Lernen?

Linsenhoff: Wir benötigen Organisationsstrukturen für den Raum, um unterschiedliche Lernkonzepte ausprobieren zu können. Um mit dem Brandschutz konform zu gehen, braucht es statt des Flurs, über den man fliehen kann, Brandschutzbereiche. Die erreichen wir über eine Lernfläche mit akustisch getrennten Bereichen, die Blickkontakte gewährleisten. Hier ermöglichen Glaswände oder flexible Wände in größeren Räumen das Bilden von Stammklassen und Lerninseln. Es gibt die Klassen mit der Verglasung Richtung Flur, der kein Flur mehr ist, sondern eine Lernfläche. Hier kann die Lehrerin oder der Lehrer frontal unterrichten und nach Bedarf Gruppen- und Einzelarbeit einstreuen.

Online-Redaktion: Hält der Brandschutz nicht manchmal auch als Ausrede her, um größere Veränderungen zu vermeiden?

Linsenhoff: Das ist gewiss so. Ein Beispiel, dass der Brandschutz keinen Widerspruch zu innovativen Schulbauten darstellt, ist eines unserer Projekte im Landkreis Oranienburg, die Regine Hildebrandt-Schule in Birkenwerder. Dort hat der Landkreis als Bauherr erklärt: Wir wollen die gleiche Sicherheit, aber mit anderen Mitteln. Und das ist möglich, wie wir haben zeigen können.

Online-Redaktion: Sie sprechen sich für mehr Partizipation der Schülerinnen und Schüler im Planungsprozess aus. Wie kann diese erreicht werden?

Linsenhoff: Mitwirkung geschieht schon häufig, aber man sollte es nicht den Architekten überlassen, die Partizipation zu organisieren, denn dazu fehlt es am entsprechenden Wissen. Allzu oft endet diese sehr schwierige Aufgabe dann in reinen Alibi-Veranstaltungen. Auch ich muss selbstkritisch sagen, dass wir es bei unseren Bauten noch viel besser hätten hinkriegen können. Aber wir haben immerhin bei einem Projekt den Soziologen Sigmar Gude hinzugezogen, für eine fundierte Analyse des Bedarfs und der Wünsche der Schülerinnen und Schüler. Wenn man erreichen kann, dass am Ende die Schule besser funktioniert und angenommen wird, dann sind die Ausgaben für eine solche Unterstützung geradezu Peanuts. Bevor man 100 000 Euro für einen Fehler ausgibt, sollte man lieber einen Bruchteil davon für einen Soziologen ausgeben.

Lernräume in  der Regine Hildebrandt-Gesamtschule in Birkenwerder
Regine Hildebrandt-Gesamtschule in Birkenwerder © Wolf-Emanuel Linsenhoff

Wir haben zunächst einmal die Schülerinnen und Schüler der 7. bis 12. Klasse in drei Veranstaltungen für das Thema Architektur sensibilisiert. Dann stellten die Jugendlichen Wände auf, schufen neue Räume und fanden Beurteilungen über diese Raumkonzepte, die ganz unterschiedlich ausfielen. In der Schule haben wir dann große Plakate aufgehängt und Modelle aufgestellt, die die verschiedenen Möglichkeiten der Raumgestaltung illustrierten.

Es war der Versuch, die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer, die wenig mit Architektur in Berührung kommen, zu qualifizieren, sodass sie mitentscheiden können. Das ist eine Voraussetzung. Denn wenn jemand keine Ahnung hat, wie soll er dann entscheiden? Das gilt umgekehrt übrigens genauso: Wenn ich als Architekt die Schule plane, dann muss ich wissen, wie Schule heute funktioniert. Es reicht nicht zu sagen: „Ich bin vor 40 Jahren selbst zur Schule gegangen, ich weiß, wie Schule ist.“ Und deshalb habe ich mich beispielsweise auch mal mit in den Unterricht gesetzt.

Online-Redaktion: Wie konnten die Schülerinnen und Schüler dann konkret Einfluss nehmen?

Linsenhoff: In einer Grundschule in Schmachtenhagen im Landkreis Oberhavel haben die Kinder den Ist- und den Wunsch-Zustand für ihr Schulgebäude zum Beispiel durch Zeichnungen vermittelt. An weiterführenden Schulen haben wir mit Fragebogen gearbeitet.

Online-Redaktion: Sie haben in Brandenburg auch Schulbauten aus der DDR umgebaut. Wie viel kann man bei diesem Altbestand von Typenbauten verändern?

Linsenhoff: Sehr viel. In der Struktur sind die Plattenbauten genauso hässlich oder genauso schön wie die westdeutschen Pendants, wobei die Flure mit 3,50 Metern in den DDR-Schulen breiter sind. Die Struktur steht, und wenn man dann alles entfernt, was nicht niet- und nagelfest ist, hat man Räume, die man neu gestalten kann und die durch Tricks und viele Ideen am Ende nicht schlechter aussehen als neu gebaute Schulen. Mit Bestand kann man immer was machen, und die DDR-Schulen besitzen ein großes Potenzial. Die Architekten haben sich ja damals auch was gedacht, aber die Mittel zur Umsetzung fehlten dann oft. Wir möchten den Entwurfsgedanken dieser DDR-Bauten verstehen und herausarbeiten. Bei der Sanierung der Sporthalle der Schule an den Havelauen in Henningsdorf war das verflixt schwierig, aber es ist uns gut gelungen, denke ich. Und auch in 30 Jahren wird man den Kleinhallentyp KT 60 der DDR so immer noch heraussehen können.

Online-Redaktion: Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen, um den Schulbau aus der von Ihnen kritisierten Starre zu lösen?

Linsenhoff: Ich finde es gut, dass Architektinnen und Architekten fordern, dass Architektur mehr in der Schule vermittelt werden soll. Das kann nie falsch sein. Aber umgekehrt muss sich meine Zunft auch mehr mit dem Thema Schule beschäftigen. Da fehlt die lebendige Auseinandersetzung zwischen der staatlichen Ebene als Auftraggeber, der Pädagogik und den Architekten. Die Architektenschaft muss sich überall ernsthaft mit den Schulen zusammensetzen, um gemeinsam zu Schulbauten zu kommen, die zeitgemäß sind.

Zur Person:

Wolf-Emanuel Linsenhoff studierte 1970 bis 1972 Architektur an der TH Aachen, dann bis 1975 Architektur und Stadtbau an der TU Berlin. Von 1976 bis 1982 arbeitete er in Architekturbüros in Berlin, u.a. am Schulbau des Oberstufenzentrums Neukölln. 1990 gründete er mit Harald Fromme das Büro Fromme+Linsenhoff, inzwischen Fromme+Linsenhoff+Doppler. In Brandenburg und Berlin realisierte er mehrere Schulneu- und -umbauten, darunter die Regine Hildebrandt-Gesamtschule in Birkenwerder, die große Erweiterung der Gesamtschule in Mühlenbeck, die Nashorn-Grundschule in Vehlefanz, die Schule an den Havelauen in Henningsdorf, die Theodor-Fontane-Schule in Menz oder die Justus-von-Liebig-Schule in Berlin-Friedrichshain.

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