Schulbaumesse München: Transparenz im Lernhaus : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Ob Schulen neu gebaut, saniert, geschlossen oder umgewidmet werden müssen – jede Kommune sieht sich Herausforderungen im Schulbau ausgesetzt. Auf der Schulbaumesse am 11. und 12. November 2015 in München diskutierten Architektur und Pädagogik über einen zeitgemäßen Schulbau.

In diesem Jahr schlug die jährliche Schulbaumesse ihre Zelte erstmals auch in München auf: Am 11. und 12. November präsentierten sich rund 70 Aussteller im MVG Museum in München-Giesing. Dazu kamen rund 2000 Besucherinnen und Besucher, die sich an den Ständen der Bauunternehmen, Architekturbüros und Ausstattern informieren, aber auch den Vorträgen und Podiumsdiskussionen zuhören wollten. Bisher hatte die Messe nur in Hamburg stattgefunden. Die Cubus Medien GmbH organisierte seit 2013 diese Kommunikationsplattform, auf der sich von Bauherren und Bauunternehmung über Architekten bis zu Schulbaubehörden und Schulleitern alle am Schulbau Beteiligten austauschen können.

Rainer Schweppe
Rainer Schweppe © Redaktion www.ganztagsschulen.org

München war insofern eine kongeniale Wahl, weil sich dort in den kommenden Jahren enorm viel im Schulbau bewegen wird. Der Rat der Stadt hat ein Schulbauprogramm in Höhe von 4,5 Milliarden Euro für Sanierung und Neubauten bis 2030 bewilligt. Die Kämmerei der Stadt hat sogar errechnet, dass sich die Summe auf 9 Milliarden Euro erhöhen könnte. Stadtschulrat Rainer Schweppe nutzte sein Grußwort, um das Programm und seine Hintergründe zu erläutern, das in Hamburg in ähnlicher Weise aufgelegt worden ist. Dort will die Stadt rund 3 Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Die Zahlen in der bayerischen Landeshauptstadt sprechen für sich: Die Schülerzahlen sind von 2001 bis 2015 von 85.000 auf 101.000 gestiegen. Für die Einwohnerzahl prognostiziert man eine Steigerung von 1,5 auf 1,7 Millionen. Damit wächst München „um die Größe einer Stadt wie Freiburg“, wie es Schweppe formulierte, und so sind folglich auch weiter wachsende Schülerzahlen zu erwarten.

Lerncluster als Alternative zur Flurschule

Um sich dieser Herausforderung zu stellen, gründete die Stadt 2013 die Arbeitsgruppe Schulbauoffensive, in der alle für den Schulbau relevanten städtischen Referate vertreten sind: das Referat für Stadtplanung und Bauordnung für stadtplanerische Belange und für Fragen des Bauordnungsrechts, das Baureferat für die technische Realisierung von Bauvorhaben, das Referat für Bildung und Sport für Fragen des Bedarfs und der pädagogischen Anforderungen, das Kommunalreferat für Grundstücksfragen und die Stadtkämmerei für das Thema Finanzierung. Die Gruppe erarbeitete das Aktionsprogramm Schul- und Kita-Bau 2020, das im November 2014 einstimmig vom Stadtrat beschlossen wurde und die erwähnten 4,5 Milliarden vorhält. 154 Schulbauprojekte sind dabei „mit höchster Priorität“ voranzutreiben. Dies soll laut Schweppe mit „einer Beschleunigung und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren“ einher gehen.

Die Neubauten werden sich dabei an einem eigenen Raumstandard für Grund-, Mittel- und Realschulen sowie Gymnasien orientieren, den das Referat für Bildung und Sport entwickelte und der Stadtrat am 20. Mai 2015 beschlossen hat: Das Münchner Lernhaus, ein Konzept von kleinen Schulen in einer großen. Mehrere Jahrgänge lernen dort in einem Cluster, der aus mehreren Klassenzimmern, Räumen für die ganztägige Betreuung oder Differenzierung, einem Teamzimmer für Lehrkräfte und pädagogisches Personal sowie einer WC-Anlage besteht. Diese Räume gruppieren sich um den sogenannten „Marktplatz“, der die Mitte der Einheit bildet. Je Lernhaus lernen hier 100 bis 180 Schülerinnen und Schüler. 16 Münchner Schulen sind bereits so organisiert.

Dr. Otto Seydel, Leiter des Instituts für Schulentwicklung in Überlingen, der an dem Konzept mitgewirkt hat, stellte auf der Schulbaumesse die zugrunde liegenden pädagogischen Konzepte vor: „Das Lernen hat sich gewandelt. Heterogenität, Individualisierung, Ganztag, Inklusion und Arbeitsorganisation sorgen dafür, dass der Frontalunterricht nur noch eine Lernorganisation neben anderen ist. Darauf müssen die Räume Antworten geben.“ Die Alternative zur Flurschule sei der Lerncluster.

„Schüler wollen einen offenen Raum“

Das Lernhaus sei mehr als ein räumliches Organisationsmodell: Die Jahrgangsmischung fördere das Übernehmen von Verantwortung, die festen Räume würden ein Heimatgefühl vermitteln, aber auch die Verantwortung stärken, pfleglich mit ihnen umzugehen. Die Cluster ermöglichten Bewegung und Ruhe, wobei die Ganztagsräume integriert seien und so eine Einheit von Vor- und Nachmittag herstellten. „Ein Schild wie 'Der Ganztag findet von 13 Uhr bis 15.30 Uhr im Anbau statt' gehört hier der Vergangenheit an“, so Seydel. All dies werde durch Transparenz der Räume, abtrennbare Differenzierungsflächen und hohe Flexibilität der Möbel erreicht.

Transparenz war das Stichwort, das sich durch die Vorträge der internationalen Gäste zog. Als Partnerland der Messe war Dänemark vertreten. Rasmus Duong-Grunnet, Architekt bei Schmidt Hammer Lassen Architects aus Aarhus, stellte von seinem Büro geplante Schulen und Hochschulen vor, die als „Plattformen für soziale Interaktion“ konzipiert sind. „Das Atrium ist dabei das Herz des Gebäudes, auf das wir viel Wert legen“, so Duong-Grunnet. „Wir entwerfen offene Räume, bei denen die Grenzen verschwimmen. Flexible und informale Räume unterstützen die soziale Interaktion.“

Bei der Arbeit am Entwurf des City of Westminster College in London habe man die Lehrkräfte und die Studenten am Planungsprozess durch Befragungen beteiligt. „Die Schüler wollten einen offenen Raum und viel Glas nach außen“, berichtete der Architekt. Dementsprechend fiel das 2011 eröffnete Gebäude aus: Das Atrium zieht sich vom Erdgeschoss hoch bis in den siebten Stock, offene Flurbereiche ermöglichen Sichtachsen durch das gesamte Gebäude, und die Bibliothek mit den Computerarbeitsplätzen befindet sich vor einer riesigen Panorama-Fensterscheibe.

Öffnung der Schule zur Stadt

Wilhelm Berner-Nielsen, Architekt bei Arkitema Architects in Kopenhagen, berichtete von der dänischen Schulreform 2014, mit der ein Typus von Schule gefördert werden soll, „der für jeden Menschen die passende Lernumgebung schafft und es so ermöglicht, dass jeder Schüler sein Potenzial bestmöglich abrufen kann“. Die Architektur müsse entsprechend das Wohlbefinden stärken, ein Identitätsgefühl stiften, die Neugier stärken und inspirierend sein. Dies alles vor dem Hintergrund, dass die Schülerinnen und Schüler einen längeren und abwechslungsreichen Schultag in der Ganztagsschule verbrächten. Viele Nischen ermöglichten den Kindern und Jugendlichen dabei Rückzugsmöglichkeiten zum Lernen oder zum Ausspannen.

Modell
© Redaktion www.ganztagsschulen.org

Bei Schulen wie der Vibeeng Schule nahe Kopenhagen und der Lyreskov Schule in Aabenraa habe man dabei auch darauf geachtet, dass sich die Schule zu den Außenanlagen, zu deren Planung die Schüler und Eltern beigetragen hatten, öffnen und diese in den Unterricht einbezogen würden. Die Öffnung der Schule zur Stadt und umgekehrt sei ebenfalls ein wichtiges Wesensmerkmal neuer Schulgebäude. So kann die Stadt Räume der Schule wie die Bibliothek oder die Aula ebenfalls nutzen.

Beteiligung der Schulgemeinschaft in der „Phase null“

Rainer Nagel, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Baukultur, erklärte, dass auch in Deutschland die Verbindung der Schule mit dem öffentlichen Raum ein aktuelles Thema der Baukultur sei. „Es ist wichtig, die Schule und den öffentlichen Raum zusammen zu denken. Die Schule darf sich nicht abschotten. Die Rütli-Schule in Berlin oder die Elbinsel in Hamburg sind Beispiele, wie Projekte gerade wegen ihrer Öffnung nach außen gelungen sind.“ Wichtig sei hier die „Phase null“: Architekten und die an Schule Beteiligten kommen vor Beginn der Entwurfsarbeiten zusammen, um in Workshops oder Zukunftswerkstätten genau zu eruieren, wo die Bedarfe der Schule liegen und was sich die Schülerinnen und Schüler von der Architektur ihrer Schule erhoffen.

Die Öffnung der Schulen liege im „internationalen Trend“, stellte Karlheinz Beer, der Vorsitzende des BDA Landesverbandes Bayern, fest. Beim Schulbau sei eine ganzheitliche Sichtweise notwendig, die noch zu selten vorkomme. „Demokratisches Lernen braucht auch eine demokratische Schule“, forderte Beer. „In einer Ganztagsschule lernen, essen, bewegen, spielen und tauschen sich die Kinder in einem gesunden Rhythmus aus. Containerbauten können da nicht die Antwort sein“.

Nagel gab indes zu bedenken, dass die Beispiele Hamburg und München mit ihrem enormen Bedarf an neuen Schulräumen nur eine Seite der Medaille darstellten. „Der Gesamttrend sind noch immer sinkende Schülerzahlen, und gerade auf dem Land fragen sich die Kommunen, was sie mit den leeren Schulgebäuden machen sollen.“

 

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