Schulbau und Ganztag: „Nichts ist wichtiger als Beteiligung“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Schulbau-Messe findet in diesem Jahr in Dresden statt. Dabei sein wird auch der Chemnitzer Architekt Dirk Fellendorf, der sich bundesweit für nachhaltige und partizipative Schul- und Bildungsbauten einsetzt.

Online-Redaktion: Haben sich Schulbau und Schularchitektur in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Dirk Fellendorf
Dirk Fellendorf © Dirk Fellendorf

Dirk Fellendorf: Ja, das sehe ich so. In den vergangenen Jahren gab es sichtbar eine Öffnung für neue pädagogische Konzepte. Offene Raumkonzepte mit Möglichkeiten zur Differenzierung und gleichzeitig eine verstärkte Berücksichtigung der Inklusion fließen in die Planungen und Konzepte ein. Es werden Rückzugsmöglichkeiten geschaffen und auch Flächen genutzt, an die man früher nicht zu denken wagte. Bei einem Schulkomplex mit Gymnasium, Realschule und Berufsschule, die einen Campus bilden, wurden beispielsweise aufgrund des Platzbedarfes auch Freiflächen auf dem Dach der Sporthalle geplant. Neu ist ebenso, dass baulich der Zusammenfassung von Schulformen, etwa zu Gemeinschaftsschulen, Rechnung getragen wird.

Online-Redaktion: Verantwortlich für den Schulbau sind ja die Schulträger. Haben es Schulen in privater Trägerschaft leichter als Schulen in kommunaler Trägerschaft, neue pädagogische Ideen umzusetzen?

Fellendorf: Es scheint so, dass es privaten und kirchlichen Trägern leichter fällt, neue Wege zu gehen. Ich gewinne aber zunehmend den Eindruck, dass auch Kommunen als Schulträger ein gesteigertes Interesse entwickeln, flexibler mit dem Schulbau und der Raumnutzung umzugehen. Häufig steht dem entgegen, dass viele „Köche“ an Bord sind: die Kommune und in der Kommune unterschiedliche Ämter, das Land, Planungsbehörden und Baugesellschaften. Und dann sollen völlig zu Recht auch noch die Schulen selbst, die Eltern, Schülerinnen und Schüler einbezogen werden.

Das führt natürlich zu weiten Wegen und extrem vielen Abstimmungsprozessen, sodass manche lieber von vorneherein die Finger davon lassen. In skandinavischen Ländern und beispielsweise den Niederlanden, wo traditionell alleine die Kommunen für die Schule zuständig sind, ist das viel einfacher. Dort verfügt die Schulleitung über ein eigenes Budget und entscheidet selbst mit dem School Bboard, wofür wie viel Geld ausgegeben wird.

Online-Redaktion: Warum ist die Beteiligung der Schulleitung, der Eltern, der Schülerinnen und Schüler so wichtig?

Fellendorf: Ich würde so weit gehen, zu sagen: Nichts ist wichtiger. Schülerinnen und Schüler ebenso wie Eltern sollten sich mit ihrer Schule identifizieren. Und wie bitte sollen Lehrkräfte ihre pädagogischen Vorstellungen ohne die erforderlichen Räume umsetzen? Manchmal, diese Erfahrung habe ich gemacht, werden die Schulen nicht angemessen eingebunden, weil die Kommune Sorge hat, die beim Land angestellten Lehrerinnen und Lehrer nicht „einfangen“ zu können, wenn diese wieder einmal mit neuen Ideen kommen.

Chemnitzer Schulmodell
© Chemnitzer Schulmodell

Wichtig ist, dass es eine adäquate Form der Beteiligung gibt. Das muss allerdings gut organisiert und strukturiert sein. Hierbei empfiehlt sich eine Baugruppe, in der sich aus dem Kollegium Lehrkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen und auch Eltern, idealerweise sogar mit Bauhintergrund, zusammenfinden und mitreden. Diese Gruppe vermittelt zwischen der Planung und den Nutzern und kann bei einer Einbindung von Anfang an und während des gesamten Prozesses entscheidend zum Erfolg eines Schulbauprojekts beitragen.

Online-Redaktion: Zurück zu ihrem schönen Wort „einfangen“. Wie umschiffe ich die Gefahr, je nach Zeitgeist immer wieder einen neuen Schulbautyp zu benötigen?

Fellendorf: Da liegt häufig das Problem. Es muss allen bewusst sein, dass das, was man jetzt baut, mindestens 30 bis 40 Jahre Bestand haben muss. Wir benötigen also eine ordentliche Bedarfsplanung und Gebäude mit flexibel nutzbaren und anpassbaren Raumstrukturen. Hier in Chemnitz hat man das eigentlich ganz clever gelöst. Die neu gebauten Oberschulen werden nicht drei-, sondern vierzügig gebildet und damit so gestaltet, dass sie später auch als dreizügige Gemeinschafts- oder Gesamtschule genutzt werden können. Pädagogische Erfordernisse müssen in Bauten definiert werden.

Das erfordert auf allen Seiten die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Pädagogen und Schulleitungen sollten sich informieren, etwa auf der Schulbau-Messe, wie sie im März in Dresden stattfindet. Wir Architekten sollten uns von Ansätzen anderer Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland inspirieren lassen. Und warum kann es in der Ausbildung der künftigen Lehrkräfte nicht auch einmal ein Seminar zum Thema Schulbau geben?

Online-Redaktion: Inwieweit sollten Überlegungen zum Ganztag in die Planungen einfließen?

Fellendorf: Mit der Antwort auf diese Frage bin ich schon häufiger angeeckt. Ich plädiere immer wieder dafür, im Bereich Ganztag lieber weniger, dafür aber hochwertige zusätzliche Räumlichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig sollten die Räume, die für den Unterricht vorgesehen sind, auch dem Ganztag offenstehen. Ich bin mir bewusst, dass dies häufig eine Frage der Zuständigkeiten, von Haftungsfragen und des Rollenverständnisses darstellt – und nicht selten daran scheitert. Mit der Folge, dass mancherorts beispielsweise eine Küche, in der Hauswirtschaft unterrichtet wird, und eine separate Küche für die Mensa existieren. Welche Verschwendung von Platz und Geld. Mit guter Kommunikation und entsprechendem Willen kann das verhindert werden. Beides ist übrigens auch in den frühen Planungsphasen beziehungsweise in der Bedarfsplanung wichtig, wenn die Vorstellungen der unterschiedlichen Professionen, also der Pädagogen und der Architekten, „übersetzt“ werden müssen.

Gebäude Glas
© Britta Hüning

Aber noch einmal zum Ganztag: Gemeinsam genutzte Räume können natürlich auch die Verzahnung von Vor- und Nachmittag fördern. Als jemand, der in Sachen Schulbau in ganz Deutschland aktiv ist, muss ich manchmal schmunzeln, wenn in den alten Bundesländern über die hohen Kosten für den Ganztag geklagt wird. In den neuen Bundesländern gibt es den Ganztag ja schon immer, in sächsischen und thüringischen Grundschulen mit der Tradition des Schulhorts nutzen ihn sogar 85 bis 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler.

Online-Redaktion: Ganztag, Digitalisierung, veränderte Pädagogik – wie können Schulgebäude den Anforderungen gerecht werden, etwa die bestehenden DDR-Typenbauten mit ihren klaren Stahlbetonkonstruktionen?

Fellendorf: Wir brauchen Flexibilität in allem, also auch in der grundsätzlichen Nutzung von Gebäuden. Warum soll eine Schule, die an neue pädagogische Anforderungen nur unter extremen Kosten angepasst werden kann, nicht auch anders, beispielsweise als Wohngebäude genutzt werden können? Oder warum können nicht andere Gebäude zu Schulen umgenutzt werden, wie kürzlich aus einer ehemaligen Fabrik in Chemnitz das internationale Stefan-Heym-Gymnasium erwachsen ist? Es muss geschaut werden, wie man beispielsweise Clusterflächen für Jahrgänge oder Schulzüge mit Klassen-, Differenzierungs-, Arbeitsräumen für Lehrkräfte und Rückzugsmöglichkeiten schaffen kann.

Mal wird die Lösung Neubau heißen, ein anderes Mal genügt ein geschickt geplanter Anbau bei gleichzeitigen moderaten baulichen Veränderungen des Gebäudes. Gleichzeitig kann durch eine geschickte Einrichtung, beispielsweise mit Schallschluckelementen zur Abtrennung von Kommunikationsecken, Differenzierung ermöglicht werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn dann noch Bundesländer damit beginnen, die sogenannten Nutzungseinheiten speziell für Schulen flächenmäßig größer zu denken und dadurch die Problematik der Fluchtwege zu reduzieren, befinden wir uns auf einem guten Weg. Egal, ob wir über Neu- oder Umbau reden.

Blick Fenster
© Britta Hüning

Online-Redaktion: Ein Beispiel?

Fellendorf: Das Chemnitzer Schulmodell ist eine staatliche Schule und wurde 1990 gemeinsam von Pädagogen und Eltern initiiert. Sie erfüllt alle Aufgaben der Grundschule wie der Oberschule Sachsens. Das Chemnitzer Schulmodell ist eine stadtoffene Ganztagsschule der Stadt Chemnitz. Im Zuge der Erweiterung und Modernisierung wurden damals verschiedene Varianten, vom Neubau bis zum Umzug in eine sanierte oder unsanierte Bestandsschule diskutiert. Am Ende entschied man sich für eine der Typenbauschulen. Die Flure wurden teilweise aufgelöst, einzelne Wände herausgerissen. Ein geschickter Anbau ergänzt das alte Gebäude. Hier wurde Flexibilität vorgelebt, die übrigens generell auch für Typenbauten gut umsetzbar ist. Womit wir wieder beim Entscheidenden wären: Flexibilität und Kreativität.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Dirk Fellendorf, Jg. 1977, ist Architekt, Geschäftsführer der fellendorf GmbH architekten I ingenieure Chemnitz und seit 2021 Mitglied der Vertreterversammlung der Architektenkammer Sachsen, der er seit 2004 angehört. Seit 2016 ist er führend an der Organisation der Schulbaukonferenz Sachsen beteiligt. 2001 schloss er sein Architekturstudium an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden als Diplom-Ingenieur ab und sammelte seitdem 21 Jahre Berufserfahrung als Projektleiter in verschiedenen Planungsgesellschaften. Seit 2020 fungiert er als Sachkundiger Einwohner im Ausschuss für Stadtentwicklung und Mobilität des Stadtrats Chemnitz. Er ist u. a. Mitglied im Förderverein des Chemnitzer Schulmodells und Gründungsmitglied des Vereins für Baukultur Chemnitz e.V. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Schul- und Bildungsbauten und Nachhaltiges Bauen.

Während der Schulbau-Messe am 22. und 23. März in Dresden wird er an der Podiumsdiskussion „Nutzung im Bestand – Umbau statt Neubau“ beteiligt sein.

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