"Phase Null": Pädagogik und Architektur im Schulbau : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der Dialog zwischen Pädagogik und Architektur ist Anliegen der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. Projektleiterin Barbara Pampe im Interview über die Begleitung von Kommunen im Wettbewerb „Schulen planen und bauen“.

Online-Redaktion: Frau Pampe, was war Anlass, den Wettbewerb „Schulen planen und bauen“ aufzulegen?

Barbara Pampe
Barbara Pampe © Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Barbara Pampe: Wir haben 2010 in den Montag Stiftungen diskutiert, dass sich die Gesellschaft wandelt, und uns gefragt, ob und wie die Rahmenvorgaben der Bundesländer im Schulbau darauf reagieren. In der vom BMBF geförderten Studie „Vergleich ausgewählter Richtlinien zum Schulbau“ haben die Montag Stiftungen die Schulbaurichtlinien, die Leitlinien und die Förderrichtlinien der Kommunen und Länder angeschaut und auch mit denen im deutschsprachigen europäischen Ausland wie der Schweiz und Südtirol verglichen.

Wir mussten feststellen, dass sich in den deutschen Vorgaben kaum etwas von den Veränderungen zum Beispiel zu ganztägigen Bildungsangeboten wiederfand. In einer Ganztagsschule sitzen die Schülerinnen und Schüler ja nicht den ganzen Tag auf dem Stuhl und hören zu, sondern es muss Räume für Bewegung, für musische und kreative Aktivitäten, zum Ausruhen und zum Essen geben. So entstand die Idee, die Kommunen bei der Planung von Schulen zu unterstützen, die der heutigen Pädagogik entsprechen. Zusammen mit vielen interdisziplinären Experten und Partnern, zum Beispiel aus dem Bund Deutscher Architekten und dem Verband Bildung und Erziehung, haben wir in Werkstattgesprächen ergründet, wie die Praktiker eigentlich mit den Richtlinien umgehen.

Dabei zeigte sich, dass der Verhandlungsprozess zwischen Pädagogik und Architektur auf ein Minimum reduziert war, dass heißt auf Fragen wie „welche Räume benötigt ihr?“ oder „welche Farben werden gewünscht?“ Es gab selten einen Austausch darüber, welche Aktivitäten in den zukünftigen Räumen stattfinden sollten. Wenn es nun aber diese Veränderung gibt, Schule anders zu denken, dann muss es unserer Meinung nach diesen Austausch zwingend geben.

Online-Redaktion: Wie kann man diesen Austausch organisieren?

Pampe: Der Dialog ist zeitlich nur sinnvoll, bevor die Architektin oder der Architekt mit der Planung beginnt. Diesen Zeitpunkt nennen wir „Phase Null“. In dieser „Phase Null“ muss geklärt werden, wann und wie die Räume genutzt werden sollen, welche Verbindungen sie untereinander brauchen, welche Anforderungen es an Ausstattung und Atmosphäre gibt und welche Nutzungen mit anderen Einrichtungen oder dem Stadtteil geteilt werden können. Diese formulierten Qualitäten fließen in ein Raumprogramm ein, das dann Grundlage für den weiteren Planungs- und Bauprozess sein wird.

Online-Redaktion: Ist die „Phase Null“ inzwischen praxiserprobt?

Britta Hüning
© Britta Hüning

Pampe: Die Theorie, die wir im Buch „Schulen planen und bauen“ ausführlich schildern, kommt ja aus der Praxis. Sie wurde in der Praxis entwickelt, bevor das Buch entstanden ist. Um diese Praxis weiter zu verbreiten, haben wir den bundesweiten Wettbewerb „Schulen planen und bauen“ ausgelobt. Hier konnten sich Kommunen für Pilotprojekte bewerben, um eine Finanzierung für die „Phase Null“ zu erhalten. Für unsere Entscheidung, die Pilotprojekte zu fördern, war die Motivation der Bewerbenden entscheidend, ihre Kreativität und ihre Innovationsbereitschaft.

Es musste in der Kommune bereits eine Steuergruppe geben und der Beschluss musste stehen, eine Schule bauen zu wollen. Diese Verantwortlichen aus Schulamt, Hochbauamt, Stadtentwicklung, Brandschutz sowie Schulleitung, Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte wollten wir alle an einem Tisch haben. Eine Jury, in der sich wieder die Bereiche Architektur, Pädagogik und Verwaltung personell abbildeten, hat dann in der ersten Wettbewerbsrunde 2012 bis 2014 und in der zweiten mit dem Schwerpunkt Inklusion 2015 bis 2017 jeweils fünf Projekte ausgewählt.

Online-Redaktion: Wie hat die Montag Stiftung den Prozess begleitet?

Pampe: Fünf Schulbauberaterteams aus Pädagogen und Architekten, die sich bei uns beworben hatten, moderieren, beraten und steuern die Pilotprojekte in enger Zusammenarbeit mit uns. Hier besteht die Kooperation zwischen Pädagogik und Architektur. Es fanden Workshops mit den Schulen zu unterschiedlichen Themen statt, wobei die Frage der unterschiedlichen Raumnutzung zu unterschiedlichen Zeiten besonders spannend ist. Das ist keine Frage von Fläche, sondern von Synergien. Früher konnte man als Lehrerin oder Lehrer nicht wissen, ob der Klassenraum nebenan leer ist. Heute kann man Schulen so planen und bauen, dass durch Transparenz schnell sichtbar wird, wann und wie ich einen Raum nutzen kann.

Ein gutes Beispiel ist die Bildungslandschaft Altstadt-Nord, ein Verbund von sechs Bildungseinrichtungen in der Kölner Altstadt. Diese Einrichtungen haben im Vorfeld zusammen überlegt, welche Flächen sie wirklich alleine benötigen und welche sie mit anderen Bildungspartnern teilen können. Die Überlegungen sind in ein Raumprogramm geflossen, das jetzt kurz vor der Fertigstellung steht.

Gesamtstruktur des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal
Gesamtstruktur des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal © Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

Hier gibt es beispielsweise eine zentrale Bibliothek als Selbstlernzentrum, die auch für den Stadtteil geöffnet ist. Es gibt eine Frischkochküche. Das ging nur, weil man gemeinsam an Synergien gearbeitet hat. Und es sieht sogar danach aus, als ob die Kosten unter den veranschlagten liegen, die bei getrennter Realisierung angefallen wären.

Online-Redaktion: Wie ermöglichten Sie den Wettbewerbsteilnehmern das Lernen von „guten Beispielen“?

Pampe: Wir schalten ein- bis zweitägige Exkursionen ein, um mindestens zwei Schulen anzuschauen, die wir während des Schulbetriebs besichtigen. Das ist immer ein toller Moment, weil die abstrakten Diagramme der Workshops plötzlich lebendig werden. Die Hospitationsgruppe kann sich mit den Lehrkräften der Schule austauschen und mit Schülerinnen und Schülern sprechen. Kommunalvertreter reden mit denen einer anderen Kommune. Wir haben auch eine „Phase Null“ über neun Monate filmisch begleiten lassen und zu einem Film zusammengeschnitten. Da gibt es genau bei der Exkursion den Moment, bei dem eine Lehrerin sagt: „So etwas will ich auch für unsere Schule!“

Gemeinschaftgrundschule Neubulach
Gemeinschaftgrundschule Neubulach © bueroschneidermeyer, Stuttgart/ Köln

Außerdem haben wir noch eine Datenbank angelegt. Unter „Lernräume aktuell“ gibt es auf der Internetseite der Montag Stiftung gute Schulbeispiele, bei denen Pädagogik und Architektur Hand in Hand gehen. Die Datenbank ist in Raumbereiche gegliedert und zeigt auch gelungene Details. Denn „die“ gute Schule, die in allem Vorbild ist, gibt es schließlich nicht.

Online-Redaktion: Aus Ihrer Sicht als Architektin: Haben „Phase Null“-Projekte eine andere Qualität?

Pampe: Es gibt immer noch viele Kommunen, in denen Schulen vorher nicht an der Planung beteiligt worden sind. Die erfahren sehr spät im Prozess sozusagen: „Das wird übrigens eure neue Schule.“ Und dann sind oft Umplanungen und Umbauten die Folge, weil die Schule erklärt, dass die Planungen nicht zu ihrem pädagogischen Alltag passen. Kommunen, die so etwas erleben mussten, sind auf uns zugekommen und haben gesagt: Euer Pilotprojekt passt genau zu unseren Erfahrungen!

Die Stadt Wuppertal zum Beispiel hat das Pilotprojekt jetzt genutzt, um den Prozess der Beteiligung vor dem Planungsprozess unter der Fragestellung „Wie sieht ein zukunftsfähiges Raumprogramm aus?“ fest für jedes Schulbauprojekt in ihrer Kommune zu implementieren. Bei Grundschulprojekten arbeiten die Architekten aus dem Hochbauamt mit den Schulleitungen zusammen. Bei größeren, komplexeren Projekten für weiterführende Schulen holen sie sich externe Beraterteams hinzu.

Weitere „Phase Null“-Prozesse wurden durch die Stiftung an folgenden Schulen begleitet:

In Hamburg hat sich aus dem Pilotprojekt für den Bau der Geschwister-Scholl-Stadtteilschule eine „Phase Null“ zum Thema Bildungslandschaft der Stadtteile Osdorf und Lurup entwickelt.Das ist ein integriertes Stadtteilentwicklungskonzept, das wir mit begleitet haben. Ämterübergreifend wurde überlegt, wie man das Netzwerk der vielen bereits inhaltlich zusammenarbeitenden Bildungspartner im Außenraum sichtbar machen kann. Was heißt Bildung im Außenraum? Was haben Stadträume wie Plätze, Straßen, Wege und Grünflächen mit Bildung zu tun? Und wie muss dieser Außenraum gestaltet sein, dass er von Kindern und Jugendlichen angenommen wird? Dazu gehört zum Beispiel, die Eingangsbereiche besser sichtbar zu machen und für bessere Orientierung zu sorgen.

Grundschule am Baumschulenweg in Bremen
Grundschule am Baumschulenweg in Bremen © Eberhard Weible

Zusammen mit dem Büro studio urbane landschaften – bildung aus Hamburg haben wir einen Bildungsband entwickelt und elf Maßnahmen aufgezeigt, um den Außenraum so zu gestalten, dass die Bildungslandschaft sowie alle Stadtteilbewohner ein guter Außenraum wird und die Kinder und Jugendlichen ihn besser nutzen können.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Dipl.-Ing. M.Eng. Architektin Barbara Pampe leitet seit 2014 den Projektbereich Pädagogische Architektur bei der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. Nach einem Studium in Bordeaux, Weimar und Delft arbeitete sie in verschiedenen Architekturbüros und gründete 2011 gemeinsam mit Vittoria Capresi „baladilab“. Im Bereich Schulbau forschte und lehrte sie am Institut für Öffentliche Bauten und Entwerfen der Universität Stuttgart bei Prof. Arno Lederer. 2011 – 2014 hatte sie eine Professur für Entwerfen und Gebäudelehre an der German University in Cairo GUC inne. Barbara Pampe ist Verfasserin und Mitherausgeberin diverser Publikationen zum Thema Schulbau und lehrt an verschiedenen Hochschulen.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

Arno Lederer & Barbara Pampe (2010). Raumpilot Lernen. Hg. von der Wüstenrot-Stiftung. Stuttgart, Zürich: Krämer.
Barbara Pampe (2010). Warum sind die anderen besser – Schul(bau)entwicklung in der Schweiz, in den Niederlanden und in Finnland. In: Michael Braum & Oliver G. Hamm (Hg.): Worauf baut die Bildung? Fakten, Positionen, Beispiele. Basel: Birkhäuser.
Barbara Pampe (2011). Wie kommt die Schule zur Baukultur? Eine Betrachtung beispielhafter Bildungsbauten. In: Bundesstiftung Baukultur (Hg.), Baustelle Bildung. Dokumentation. Wolfsburg, S. 20-22.
Montag Stiftungen, Bund Deutscher Architekten, Verband Bildung und Erziehung (Hg.) (2013). Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland. Bonn, Berlin.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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