Fachtagung in Wismar: Lernraumlabor für den Ganztag : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Mecklenburg-Vorpommern hat ein Schulbauprogramm aufgelegt. Um Schulen für die nächsten Jahrzehnte, die auch Anforderungen an ganztägiges Lernen erfüllen, ging es bei der Schulbau-Fachtagung „Lernraumlabor“ in Wismar.

Was Dr. Bodo Wiegand-Hoffmeister, der Rektor der Hochschule Wismar, zum Auftakt des „Lernraumlabors“ in seiner Hochschule prophezeite, wird sich wohl erfüllen. Das jedenfalls hofften viele der rund 150 Teilnehmenden an der zweitägigen Schulbau-Fachtagung des Landes Mecklenburg-Vorpommern rund um Schulbau und Pädagogik. Als hätte es der Rektor geahnt, als er zu Beginn der Veranstaltung mutmaßte: „Sie könnte sich etablieren, denn sie trifft ein Thema, das ein dauerndes ist“, gingen die Gäste in Erwartung einer baldigen Neuauflage nach Hause.

Sie hatten bei der von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, der Hochschule Wismar, die auch Architektinnen und Architekten ausbildet, und dem Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung in Mecklenburg-Vorpommern organisierten Tagung viel professionellen Input. Vor allem aber gab es ausgiebig die Gelegenheit für die Teilnehmenden aus der Praxis, ihre eigenen Gedanken einzubringen, wenn es darum geht, „Strategien und Zukunftsszenarien für leistungsfähige Lernlandschaften und Ganztagsschulen“ in ihrem Land zu skizzieren.

Raumkonzepte für die Zukunft

Lernraumlabor Mecklenburg-Vorpommern
© Serviceagentur „Ganztägig lernen“ M-V

Wie sehr Schulbau und Pädagogik zusammenhängen, war den Teilnehmenden wohl schon bei ihrer Anreise bewusst gewesen. Doch in den Vorträgen und Diskussionen, aber auch in vielen wertvollen Gesprächen beim „Kaffee zwischendurch“ wurde die Bedeutung noch einmal greifbarer. Tom Michael Scheidung, Staatssekretär im Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, verwies darauf, wie facettenreich der Schulbau heute ist.

Das reiche von Fragen der Nachhaltigkeit beim Bau über den Einfluss ganztägiger Bildung auf die Gestaltung bis hin zur Möglichkeit für die Schulen, sich nach außen zu öffnen. Wörtlich sagte er: „Ein vielfältiges Raumkonzept ist nötig, damit die Lust auf gemeinsames Lernen gefördert werden kann. Wir müssen forschendes und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen, damit die jungen Menschen befähigt werden, die Zukunft zu bewältigen.“ Der Ganztag spiele dabei eine zentrale Rolle.

Für den Dekan der Fakultät Gestaltung an der Hochschule Wismar, Prof. Dr. Oliver Hantke ist in diesem Kontext klar: „Die Architektur alleine wird es nicht richten. Die Rezeptur aus räumlicher Gestaltung und pädagogischen Konzepten muss stimmen.“ Dr. Michael Retzar, Leiter der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, ergänzte: „Mit den heutigen Neu- und Umbauten legen wir den Grundstein für das Lernen in den kommenden 50 Jahren.“ All diese Gedanken spiegelten sich im Austausch der zwei Tage wider, die Thomas Hetzel von der Serviceagentur als einer der Organisatoren als „Marktplatz der Perspektiven“ bezeichnete.

Auf Augenhöhe begegnen

Dass es einer veränderten Pädagogik in anderen Räumen bedarf, verdeutlichte Dr. Ele Jansen. Die Australierin aus Sydney ist Mitarbeiterin des InnovationPort Wismar, eines der sechs Digitalisierungszentren in Mecklenburg-Vorpommern unter der Dachmarke „Digitales MV“. In ihrem Statement betonte sie: Schülerinnen und Schüler sollten Gelegenheit haben, Selbstwirksamkeit zu erfahren, und sie sollten lernen, mit eigener Verantwortung zu agieren. „Sie müssen selbst auf Lösungen kommen“, meinte sie. Dies sei unter anderem erforderlich, weil Unternehmen ansonsten „Leute bekommen, die nur gelernt haben, Aufgaben zu erfüllen.“ Dieses neue Lernen bedürfe entsprechender Räumlichkeiten.

Den Zusammenhang zwischen Schulbau und Pädagogik, der an diesen Tag wie ein „guter Geist“ über allem schwebte, unterstrich Karin Doberer, die 2003 das Unternehmen „Lernlandschaft“ im mittelfränkischen Röckingen gegründet hat, das Schulbau- und Schulentwicklungsprozesse begleitet. Sie schaut primär auf die Pädagogik: „Wenn sich das pädagogische Verständnis nicht ändert, nutzen auch Rollen unterm Stuhl nichts.“ Pädagogik und Architektur müssten sich auf Augenhöhe begegnen, doch jede beteiligte Profession, müsse „in ihrer Rolle bleiben“: Lehrkräfte als Lehrkräfte, Baufachleute als Baufachleute. „Entscheidend ist, dass sie sich verstehen. Darum muss ich mich stets vergewissern, ob das, was ich gesagt habe, bei meinem Gegenüber auch so angekommen ist“, erläuterte sie.

Neue Bedarfe erfordern neue Konzepte

Lernraumlabor in Mecklenburg-Vorpommern
„Grundstein für das Lernen in den kommenden 50 Jahren“ © Serviceagentur „Ganztägig lernen“ M-V

Auf die zentrale Bedeutung der Kommunikation zwischen den Beteiligten verwies auch Thomas Sies von der „Schulbau Hamburg“ (SBH), die im Auftrag der Hansestadt alle Baumaßnahmen an Hamburger Schulen verantwortet. „Am besten lässt man sich am Ende der sogenannten Phase 0 von allen Beteiligten unterschreiben, was vereinbart wurde“, regte er an. Wenn im laufenden Prozess deutlich werde, dass es zwischen Pädagogik und Architektur Missverständnisse gegeben habe, seien die kaum noch umkehrbar. Und wenn doch, dann nur auf sehr kostspielige Weise. Sehr naheliegend auch sein Tipp: „Bedenken Sie, wenn im Prozess die Schulleitung wechselt. Die neue Schulleitung müssen Sie in Ihre Vorstellungen unbedingt einbinden.“

Sies stellte das Baukastensystem „Hamburger Klassenhaus“ vor, das es möglich macht, in vergleichsweiser kurzer Zeit auf Bedarfe von Schulen reagieren zu können. Er leitete einen von fünf Workshops, die das pädagogische Handeln in alten und neuen Räumen, aber auch Fragen des nachhaltigen Schulbaus bis hin zum Umgang mit dem Brandschutz aufgriffen.

Einig war man sich wohl, dass Schulbauten für die unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler so weit wie möglich passende Lernarrangements schaffen müssten. Viel diskutiert ist in dem Zusammenhang seit Längerem der Abschied von der „Flurschule“ der Industriegesellschaft mit Klassenräumen mit homogenen Lerngruppen. Weil die Informationsgesellschaft andere Kompetenzen erfordere, wirke sich das auch auf den Schulbau aus: Gebraucht werden Differenzierungsräume, offene Lernwelten für flexible Unterrichtsformen in Kleingruppen, Großgruppen und Einzelunterricht, für entdeckendes Lernen und Projekte sowie Präsentationen und Vorführungen aller Art.

Frühe Beteiligung ratsam

Kurzweilig verlief die von Dr. Michael Retzar moderierte Podiumsdiskussion „Moderne Lernlandschaften und leistungsfähiger Schulbau“, an der neben Karin Doberer und Thomas Sies auch der Präsident der Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern Christoph Meyn und Schulleiter Nils Kleemann von der Montessori-Schule Greifswald teilnahmen. Nils Kleemann plädierte dafür, sich gegenseitig mehr Vertrauen bei der Gestaltung von Schulen zu schenken: Das gelte für die Schulleitung ebenso wie für Architektinnen und Architekten und die Schulverwaltung.

Mit Blick auf die Realität der Zusammenarbeit bei Schulbauten mahnte der Präsident der Architektenkammer, selbst Diplom-Ingenieur und Vorstand einer Planungsgesellschaft in Stralsund: „Planer und Architekten werden in der Regel zu spät eingebunden.“ Dem stimmte Karin Doberer zu: „Eine zu frühe Beteiligung aller gibt es nicht, nur eine zu späte.“ Sie ermutigte die Schulen, frühzeitig zu formulieren, was zwingend erforderlich und was wünschenswert sei. Thomas Sies empfahl, sich dafür Zeit zu nehmen, „um zu sagen, was man will und zu hören, ob der andere das auch so verstanden hat.“

Gehör wünscht sich auch eine weitere wichtige Berufsgruppe: die Erzieherinnen und Erzieher. Robert Ziller, Erzieher aus Schwerin, erinnerte daran, dass auch seine Berufsgruppe in die Planungen eingebunden werden müsse. Gerade sie müsste ebenfalls die Chance erhalten, ihr Wissen über die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler aus Sicht ihrer Profession einzubringen. Konkret dachte er dabei etwa an die Doppelnutzung von Räumen für Unterricht und Ganztagsangebote.

Schule aus vielen Blickwinkeln

Die Teilnehmenden hoffen auf eine baldige Neuauflage der Fachtagung.
Die Teilnehmenden hoffen auf eine baldige Neuauflage der Fachtagung. © Serviceagentur „Ganztägig lernen“ M-V

Als „Versuch“ betitelten die Veranstalter den sogenannten Partizipationsworkshop „Lernräume der Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern“, der nach der sogenannten PrismaTisch-Methode ablief. Anregt durch Hunderte von Fotos teilte sich die Teilnehmerschar in mehrere Gruppen und beleuchtete dort den Schulbau unter den Perspektiven „Raum und pädagogische Konzepte“, „Schule und Gemeinwesen“, „Architektur und Nachhaltigkeit“ sowie „Prozessgestaltung und Kosteneffizienz“.

Moderiert von der Schulentwicklungsbegleiterin Dr. Petra R. Moog vom Düsseldorfer Team „Die Schulbauberater“ LINK, das auf Beteiligungsprozesse spezialisiert ist und dem niederländischen Schulbau- und Bildungsberater Teun von Wijk, diskutierten die Teilnehmenden zwei Stunden lang. Moog betonte, dass Partizipation nicht bedeute, nur zu informieren. Sie stellte verschiedene Methoden vor, wie Schülerinnen und Schüler beteiligt werden könnten, etwa, wenn sie selbst einen Klassenraum im wahrsten Sinne des Wortes entwerfen und als Modell „basteln“ sollen. Teun van Wijk stellte nicht nur die zahllosen Blickwinkel vor, unter denen Themen des Schulbaus zu erörtern sind, sondern nannte als Vorteil der PrismaTisch -Methode: „Die Teilnehmenden inspirieren sich, tauschen sich als Experten aus und sind für kritische Fragen nicht undankbar, sondern sehen sie als wertvoll an.“

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