Kaleidoskop statt Königsweg : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der im Auftrag des Verbundprojekts "Lernen für den GanzTag" entstandene Kurzfilm "Baustelle GanzTag - Raum für mehr" zeigt die Gestaltungsmöglichkeiten für Ganztagsschulen an Beispielen aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen auf.

DVD-Cover Baustelle Ganztag

Im September 2004 startete das Verbundprojekt "Lernen für den GanzTag", das bis Ende des letzten Jahres gemeinsam durch Bund und Länder im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) gefördert wurde. Am Projekt beteiligen sich Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Projektleitung und wissenschaftliche Begleitung liegt beim Institut für soziale Arbeit (ISA) in Münster.

Das Ziel des Verbundprojektes ist es, auf der Grundlage von gemeinsamen Qualifikationsprofilen für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte in Ganztagsschulen Bausteine für gemeinsame Fortbildungen zu entwickeln. "Die Arbeit an diesen Fortbildungsmodulen geht jetzt langsam zu Ende", berichtet Uwe Schulz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISA. "Einige werden noch etwa drei bis vier Monate erprobt, aber bis Ende März müssen alle Module abgeschlossen sein." Denn das Verbundprojekt läuft im Sommer 2008 aus, und bis zur Abschlusstagung am 29. Mai 2008 in Köln soll eine CD mit allen Expertisen und den rund 30 Fortbildungsmodulen verfügbar sein.

Ein Ergebnis der Arbeit am Fortbildungsmodul 6 "Bau- und Schulflächengestaltung" liegt bereits vor und konnte auf dem Ganztagsschulkongress am 22. September 2007 in Berlin in seiner endgültigen Fassung in Augenschein genommen werden: Der Kurzfilm "Baustelle GanzTag - Raum für mehr". Zur Realisierung dieses Projektes hatten sich im Januar 2005 die Länder Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zusammengefunden. "Uns hat dieses Thema schon immer interessiert, und als Nordrhein-Westfalen auch Interesse zeigte, haben wir dies gemeinsam in Angriff genommen", berichtet Hermann Zöllner vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM), der wie Uwe Schulz in der Lenkungsgruppe des Verbundprojektes sitzt. Gemeinsam sind die beiden für dieses Fortbildungsmodul zuständig.

Alle Protagonisten kommen zu Wort

"Als wir mit der Arbeit an dem Fortbildungsmodul anfingen, stellten wir fest, dass es kein Konzept für Ganztagsschulbauten gibt, sondern lediglich einzelne Ansätze", erinnert sich Zöllner. "Aber wir haben uns auch gefragt, ob es ein solches fixes Konzept überhaupt geben kann - und ob es das geben soll? Oder sollte jede Schule ihren eigenen Weg gehen?"

Ein Film, der sich an Verantwortliche in den Kommunen, an Schulträger, Architekten sowie Lehr- und sozialpädagogische Fachkräfte richtet und diese im Film selbst zu Wort kommen lässt, schien ein geeignetes Medium, um das Thema der räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten für Ganztagsschulen aufzugreifen. Praktische Beispiele und Erfahrungen mit kreativen, individuellen Raumlösungen sollten anderen Schulen Anregungen zu Um- oder Neugestaltung von Räumen und Freiflächen geben.

Um solche Beispiele in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen aufzutun, wandten sich Zöllner und Schulz an die Serviceagenturen "Ganztägig lernen" und an die Schulbaureferate und fragten nach, "welche Ganztagsschulen baulich interessant" seien. So versammelte man nach einer laut Regisseur Delf Woischnig "gar nicht so einfachen Suche" drei brandenburgische und acht nordrhein-westfälische Ganztagsschulen, die dann von ihm und seinem Kollegen Oliver Hoffmann besucht wurden. Auf der DVD kommen die Protagonisten dieser Schulen zu Wort: Schulleiterinnen und Schulleiter, Architektinnen und Architekten, Schülerinnen und Schüler und Vertreter der Kommune.

"Was lässt sich eigentlich in diesem Schulgebäude pädagogisch umsetzen?"

"Uns war es wichtig, ein Kaleidoskop von Möglichkeiten zu zeigen - statt nach dem Königsweg zu suchen", erklärt Regisseur Woischnig, der Mitte 2006 zusammen mit Hoffmann an 13 Drehtagen die Kamera laufen ließ. "Schularchitektur ist ein dankbares Thema für einen Filmemacher, weil es nicht so abstrakt wie Bildungsstandards oder Rhythmisierung ist, und lässt sich daher besser darstellen."

"Baustelle GanzTag" gibt es in zwei verschiedenen Fassungen: Die Langfassung dauert 34 Minuten, eine kürzere zwölf Minuten. Je nachdem, wie viel Zeit in einem Workshop zur Verfügung steht, kann die eine oder die andere Versionen gezeigt werden. Inhaltlich gliedert sich die Dokumentation in vier Module: Klassenräume, Freiflächen, Mensa und Funktionsräume. Wenn eine Schule also eine Mensa bauen will, kann sie sich zur Inspiration das sieben Minuten lange Segment zu diesem Komplex anzusehen.

"In einer frühen Phase stellt sich für Ganztagsschulen die Frage, was sich von dem, was man pädagogisch umsetzen will, eigentlich in diesem Schulgebäude umsetzen lässt", beschreibt Hermann Budde, Leiter des Referates Schulentwicklungsplanung und Schulbau im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, die Herausforderung, der sich "Baustelle GanzTag" widmet.

Bei der Konzeption "ohne Schranken denken"

Um gute Beispiele für die Neuorganisation von Klassenräumen vorzustellen, reisten die Regisseure nach Herford in die Grundschulen Landsberger Straße und Radewig, wo durch einfache Maßnahmen wie Wanddurchbrüche und das Einsetzen von so genannten Lichterkern, Glastüren und Fensterfronten Klassenräume zu Lernlandschaften umgestaltet wurden. Bettina Gräber, ehemalige Schulleiterin an der Grundschule Landsberger Straße, rät, "ohne Schranken zu denken", wenn es um die Konzeption neuer Räume geht, "und mit offenen Augen andere Schulgebäude anzusehen. Manchmal muss man Winzigkeiten ändern, und es ändert sich die ganze Atmosphäre einer Schule." An der Grundschule Brück in Brandenburg reichte es, alte zugemauerte Türen wieder freizulegen, um für die Klassenräume Gruppenräume hinzuzugewinnen.

Den größten Part des Films nimmt das zweite Modul "Freiflächen" ein. Darin wird deutlich, dass die Gestaltung von Außenflächen besonderen Einschränkungen unterworfen ist. In kleinen innenstädtischen Lagen besteht wie bei der Südschule in Iserlohn buchstäblich wenig Spielraum. Ebenso gibt es zahlreiche Beispiele vom Aufbruch von Betonwüsten wie an der Grundschule Sümmern in Iserlohn, wo es nun durch einfache Gestaltungselemente wie Bänke und Sitzkreise auch möglich ist, draußen zu malen, zu lesen und zu unterrichten. An der Planung sind die Schülerinnen und Schüler beteiligt worden.

In der Grundschule Dehme in Bad Oeynhausen sind nach Entsiegelung und Begrünung mit Hilfe einer Gartenbaumeisterin ein Hügelbeet und ein Schulteich entstanden, die zum Entdecken und Arbeiten ebenso anregen wie zum Verweilen und Ausspannen. Es gibt Bereiche für Bewegung, Spiel, Unterricht und Ruhe. Das äußere Areal kann nun ständig genutzt werden - während der Unterrichtszeit ebenso wie in den Pausen.

Weniger Unfälle auf den neu gestalteten Flächen

Die Finanzierung solcher Maßnahmen ist nicht ohne Sponsoren möglich, wie Veronika Wehmeier, Schulleiterin der Grundschule Dehme, einräumt. Auch Ingo Müller, Schulleiter der Peter-Joseph-Lenné-Schule in Potsdam, erklärt, es sei nötig, "Initiative zu ergreifen, um sich mit vielen Projekten dem Umfeld der Schule zu empfehlen. Man kann Eltern und Sponsoren leichter mobilisieren, wenn man selbst schon etwas vorweisen kann". An seiner Gesamtschule haben Schülerinnen und Schüler zusammen mit einem Bildhauer von Miró inspirierte Kunstwerke gestaltet, zum Beispiel ein Eingangstor oder aus Mosaiken zusammengesetzte Bänke.

Natürlich sollen Freiflächen nicht nur schöner aussehen, sondern auch pädagogischen Zwecken dienen: So müssen die Schülerinnen und Schüler an der Südschule in Iserlohn eine Strecke von 50 Metern zurücklegen, um jeweils wieder durch die neue Röhre runterzurutschen. Trotz der vielen neuen Spielgeräte an dieser Grundschule gibt es "interessanterweise weniger Unfälle als früher", berichtet Konrektor Ulrich Römer. Positiv sei darüber hinaus das "soziale Miteinander", dass sich besser entwickelt habe.

Auch bei einer Mensa spielt das soziale Lernen eine Rolle, wie Petra Meyer, Lehrerin an der Grundschule Radewig in Herford, betont: "Die Kinder lernen zum Beispiel, mit dem Essen zu warten, bis alle am Tisch sitzen und erst aufzustehen, wenn alle fertig sind." Aber um unnötigen Stress bei der Essensausgabe zu vermeiden, ist es laut Schulleiterin Monika Isermann auch nötig, genügend Raum einzuplanen, damit kein Anrempeln provoziert wird. "Unsere Mensa ist ein sehr heller Raum, der auch größer empfunden wird, als er ist", so die Pädagogin. Räume und Wege müssen gut geplant werden, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Essenausteilen nicht in die Quere kommen.

"Ein Stück Zuhause" muss Kindern auch Ruhe bieten

An der Grundschule Schrabergschule in Herdecke lässt sich durch schnell zu entfernendes Mobiliar die Mensa multifunktional nutzen - als Spielraum oder dank einer Verdunkelungsmöglichkeit als Kinosaal. Auch kleinere Lösungen sind möglich, wie die Kochecken in den Klassenräumen der Förderschule Joseph-Beuys-Schule in Neuss zeigen, die ein gemeinsames Frühstück in der Klasse ermöglichen, "für manche Kinder die erste gemeinsame Mahlzeit des Tages", wie Lehrerin Ute Neuwald erlebt hat.

Im letzten Kapitel des Films werden Funktionsräume vorgestellt: An der Gesamtschule Albert-Schweitzer-Schule in Hennigsdorf ist zum Beispiel ein Elternzimmer entstanden. Die Eltern können aktiv an der Schule mitarbeiten, ohne sich jedes Mal wieder neu auf Raumsuche begeben zu müssen. Das Gleiche gilt für das Pädagogische Fachpersonal. "Es ist schön, dass wir jetzt ein eigenes Büro haben", erklärt Heike Broszinsky-Orth, Leiterin des Ganztagsbereichs in der Paul-Gerhardt-Schule in Werl.

In der Grundschule ist auch ein ehemaliges Schwimmbad zum Spielzimmer umgestaltet worden. Es gibt hier flache Sitz- und Liegegelegenheiten, "Kuschelecken und eine Verdunkelungsmöglichkeiten sind sehr wichtig", meint Heike Broszinsky-Orth. Wenn eine Ganztagsschule für die Kinder auch "ein Stück Zuhause" sein soll, wie es Schulleiterin Petra Ninnemann von der Grundschule Sümmern formuliert, muss auch an Rückzugs- und Ruheräume gedacht werden. Da reicht es nicht, "einfach ein Klassenzimmer zu nutzen", findet Referatsleiter Norbert Reichel vom Schulministerium NRW. Größere Räume lassen sich auch in verschiedene Zonen unterteilen, in denen dann Medienecke, Spielecke, Ruhe- und Kreativbereiche zu finden sind.

Von traditionellen Vorstellungen abkommen

Hermann Zöllner ist mit "seinem" Film zufrieden: "Er ist absolut authentisch. Es ist den Filmemachern gelungen, die Personen wirklich lebendig einzufangen, so dass es auch mal etwas zu lachen gibt. Bei den baulichen Beispielen ist die ganze Bandbreite von Konventionellem bis zu tollen neuen Ideen vertreten."

Neben dem Film ist auch noch eine Handreichung erhältlich, die Informationen zum Entwurfs- und Planungsprozess aus den unterschiedlichen Perspektiven der Architekten und Pädagogen und Anregungen für die gemeinsame Entwicklung standortspezifischer Lösungen enthält. In diesem Punkt sieht Zöllner die größte Herausforderung bei der Konzeption von Ganztagsschulen, die Häuser des Lebens und Lernens sein sollen, und die auch im Film thematisiert wird: "Schulen müssen ein Leitbild entwickeln, eine pädagogische Grundidee, die dann aber auch von den Architekten übersetzt werden kann. Schulen wie Architekten müssen von ihren traditionellen Vorstellungen, wie eine Schule auszusehen hat, abkommen und gemeinsam neue Ansätze schaffen."

Für Regisseur Delf Woischnig war die Arbeit an dem Thema "Ganztagsschule und Architektur" Neuland - und gleichzeitig eine schöne Erfahrung: "Es hat alles sehr gut geklappt, was nicht zuletzt daran lag, dass wir vor Ort auf engagierte Menschen trafen, die schöne Anregungen vermitteln konnten." Einen Wermutstropfen gab es Woischnig zufolge aber doch: "Die Schulleiterinnen und Schulleiter hätten uns gerne noch viel mehr von ihren Schulen gezeigt - wir mussten uns aber auf das vorgegebene Thema konzentrieren."

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