Berlin 2017: „Ganztags(t)räume“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Der diesjährige Bundeskongress des Ganztagsschulverbandes „Ganztags(t)räume – Wenn Raum und Pädagogik zusammen wirken“ rückte den Austausch in den Mittelpunkt – zur Freude der Teilnehmenden.

Serviceagentur
Die Berliner Serviceagentur „Ganztägig lernen“ war Gastgeberin des Kongresses © Redaktion www.ganztagsschulen.org

War es der Reiz der Hauptstadt? Oder das neue Konzept? Vielleicht beides. Auf jeden Fall konnte sich der Ganztagsschulverband mit seinem Vorsitzenden Rolf Richter über die Teilnehmerzahl zu seinem diesjährigen Bundeskongress freuen. Rund 400 Interessierte kamen vom 15. bis 17. November 2017 nach Berlin-Spandau. Unter der Überschrift „Ganztags(t)räume – Wenn Raum und Pädagogik zusammenwirken“ erwartete sie ein Programm, das brandaktuelle Fragen der Ganztagsschule aufgriff.

Der Verband hatte sich diesmal für ein deutlich verändertes Konzept entschieden, nachdem in den letzten Jahren immer wieder mehr Möglichkeiten zum Austausch gewünscht worden waren. Die Arbeitskreise, Workshops und Foren des zweiten Kongresstages gingen diesmal im neuen Format des „Open Space“ auf: Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestimmten ihre Themen selbst. Nur das Motto war vorgegeben: „Heute träumen – morgen machen“.

„Mit der Methode Open Space haben wir auf unseren Kongressen gute Erfahrungen gemacht“, so Daniela Wellner-Petsch. Die Vorsitzende des Berliner Landesverbandes, die seit vielen Jahren auch zum Team der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin gehört, hat schon viele Veranstaltungen auf Landesebene organisiert. „Wir sind sehr gespannt, wie es angenommen wird.“

Ganztagsschule unter Druck

In seinem Grußwort nannte Staatssekretär Mark Rackles von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie fünf Felder, in denen er „die Ganztagsschule aktuell unter Druck“ sieht: In Berlin ist – wie in anderen Großstädten – ist das zuerst die Raumsituation. Mit bis zu 30 Prozent mehr Schülerinnen und Schülern stehen manche Bezirke vor einem Problem. Dem begegnet das Land nun mit einer Schulbauoffensive.

Ein zweites Feld ist die Aus- und Fortbildung. Drittens geht es um die Optimierung der Ganztagskonzepte und viertens um Zeit und Räume, die Ganztagsschulen brauchen – Räume hier verstanden als Entwicklungsräume für die Kinder und Jugendlichen. Schließlich hält Rackles bundeseinheitliche Regelungen für die rechtliche Situation des pädagogischen Personals an Ganztagsschulen für notwendig.

In der Einladung zum Kongress hatte der Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes, Rolf Richter, bereits erläutert, wie das Thema „Raum“ vom Verband verstanden wird: Es geht um den Schulraum im engeren Sinne ebenso wie um den Sozialraum der Schule, um Schulgebäude ebenso wie um alters- und lerngerechte Schulumgebungen und den „Entwicklungsraum“ der Ganztagsschulen mit ihrer veränderten Tagesstruktur und verlängerten Verweildauer insgesamt.

Kern ist schließlich die Frage, wie Raum und Pädagogik zusammenwirken. In seiner Eröffnungsansprache ging Richter auch auf die immer wieder diskutierte Frage Freiwilligkeit versus verpflichtender Besuch ein. Hier hat der Verband, der lange ausschließlich gebundene Ganztagsschulen forderte, seine Position offenbar etwas modifiziert. „Die Schulen könnten den Eltern entgegenkommen, indem sie eine verpflichtende Kernzeit bis 15 Uhr anbieten und ab da ein freiwilliges weiteres Programm“, lautete sein Kompromissvorschlag. Viel Diskussionsstoff für drei Tage.

Fachkräftemangel als Thema von Ganztagsschulen

Die Anliegen der Teilnehmenden, die aus ganz Deutschland angereist waren, ähnelten sich oft. So bewegt zum Beispiel Regina Beck-Mischak, Schulleiterin der Sekundarschule „Albert Niemann“ in Erxleben (Sachsen-Anhalt), und Rita Würker-Wittmann, Schulleiterin des Schulzentrums „Janusz Korzcak“ in Mühlhausen (Thüringen), die Frage: Wie lassen sich Kooperationspartner für den Ganztag finden?

Team der Sekundarschule "Albert Niemann" aus Erxleben
Wieder dabei: das Team der Albert-Niemann-Sekundarschule aus Erxleben © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Regina Beck-Mischak hat sich mit ihren Kolleginnen Astrid Grüner und Inge Jäger zum Kongress angemeldet, weil wir „bei manchen Problemen als Schule an unsere Grenzen kommen“. Das Team erhoffte sich Kontakte zu anderen Ganztagsschulen, besonders aus ihrem Bundesland, um sich austauschen zu können, wie diese es schaffen, pädagogisches Personal über die Lehrkräfte hinaus zu gewinnen.

Denn der Fachkräftemangel macht auch vor der Sekundarschule „Albert Niemann“ nicht halt. „Wir haben Geld, das wir eigenständig verwalten und mit dem wir pädagogische Mitarbeiter gewinnen können“, erzählte Regina Beck-Mischak. „Aber wir finden niemanden, für den wir es ausgeben können. Es gibt derzeit zum Beispiel keine Sozialarbeiter. Und Vereine oder Musikschule können ihre Mitarbeiter nicht einfach für ein oder zwei Stunden in der Woche freistellen. Die Personalgewinnung für den Ganztag ist mühsam und kostet viel Zeit und Energie.“

Wie gestalten wir den Ganztag?

Wiederum hat das Team im Bereich der Lernkultur etwas zu bieten: „Da sind wir gut. Wir arbeiten individuell mit den Schülerinnen und Schülern und haben den Unterricht gut mit den Ganztagsangeboten verknüpft.“ Auch die Räumlichkeiten der Sekundarschule könnten sich sehen lassen: „Wir haben ein ganz tolles Gebäude, das wir dank unseres sehr guten Schulträgers nach unseren Vorstellungen umbauen konnten“, lobte die Schulleiterin den Landkreis Börde.

Erst 2016 von der DKJS ins Leben gerufen: Al-Farabi-Musikakademie
Erst 2016 von der DKJS ins Leben gerufen: Al-Farabi-Musikakademie © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Rita Würker-Wittmann vom Schulzentrum „Janusz Korzcak“ war zum ersten Mal beim Kongress des Ganztagsschulverbandes. „Ich bekam die Ankündigung für die Veranstaltung und bin gleich als Mitglied in den Verband eingetreten“, berichtete die Schulleiterin. Zum Schulzentrum Mühlhausen, einer Schule in Trägerschaft des Vereins „Mühlhäuser Werkstätten“, die sie erst seit dem Sommer leitet, gehört auch eine Gemeinschaftsschule, die gerade „hochwächst“.

„Unsere Schule hat einen Riesenzuspruch. Wir haben ein altes, tolles Gebäude für die Gemeinschaftsschule. Auch die Finanzen sind nicht das Problem.“ Das Schulzentrum sucht vielmehr ebenfalls händeringend Personal. „Ich möchte hier Kontakte knüpfen und mich vernetzen“, so Rita Würker-Wittmann. Und sie hat konkrete Fragen zur Gestaltung des Ganztags: Wie regelt man die Hausaufgaben in der Ganztagsschule? Oder: Wie verhindern wir, dass in der Sekundarstufe I die Schülerinnen und Schüler allmählich aus dem Ganztag entschwinden?

Thema „Räume“ trifft den Nerv

Sich mit anderen auszutauschen, ist auch das primäre Ziel für Hendrik Weber aus Hamburg. Ihn interessierte besonders das Thema „Räume“. Weber ist der Ganztagskoordinator der Stadtteilschule Winterhude. „Ich habe den Posten jetzt seit einem Jahr. Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, in bestehende Netzwerke zu gucken und dabei zu sein. Unser Netzwerk der Ganztagskoordinatoren in Hamburg ist großartig.“

Aus Hannover war Martin Stuckmann, Ganztagskoordinator am Gymnasium Goetheschule, angereist. „Es ist gut, sich mal etwas aus anderen Bundesländern anzuschauen“, meint der Lehrer für Latein und Geschichte. „Wir haben Differenzierungsräume hinzubekommen, und nun ist die Frage, wie man diese wann nutzt. Ich würde gerne ein paar Highlights aus Schulkonzepten anderer Schulen zur Rhythmisierung mitnehmen.“

Als Vertreterinnen der Stadt Wolfsburg waren Elvira Wallner (Geschäftsbereich Schule) und Judith Wurm (Geschäftsbereich Jugend) nach Berlin gekommen. Judith Wurm interessiert, „wie wir Freiräume und Beteiligung in die Schule bringen können und wie sich Eltern und Schüler besser einbringen können“. Das Thema Ganztagsschule werde mit den wachsenden Schülerzahlen immer wichtiger. Die Stadt Wolfsburg möchte gewährleisten, dass jedes Kind, das einen Ganztagsschulplatz haben möchte, auch einen erhält. „Und uns treibt die multiprofessionelle Zusammenarbeit um“, verriet Elvira Wallner für den Schulbereich.

Berlin: Ganztagsschule unter Druck

Brochuren
Viel Lese- und Anschauungsmaterial – auch aus der Ganztagsschulforschung © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Der Reiz der Bundeskongresse des Ganztagsschulverbandes, die jährlich in einem anderen Bundesland stattfinden, besteht auch darin, die gute Beispiele vor Ort kennenzulernen. Dazu dienen die beliebten Schulbesuche. Am dritten Tag des Kongresses öffneten 20 Berliner Ganztagsschulen verschiedener Schulformen ihre Türen.

Zu ihnen gehörten etwa die Schule in der Köllnischen Heide, das Gottfried-Keller-Gymnasium und die Friedensburg-Oberschule. Alle drei sind gebundene Ganztagsschulen. Das immense Interesse, sich vor Ort ein Bild von der Praxis zu machen, zeigte sich schon im Vorfeld, denn die Schulbesuche waren schon mit den Anmeldungen schnell „ausgebucht“.

Schule an der Köllnischen Heide:
„Ich kann mir Schule ohne Ganztag überhaupt nicht vorstellen“


Wie Schülerinnen und Schüler, die Schulleiterin, ein Lehrer, eine Erzieherin und der Vereinstrainer der Fußball-AG ihre Ganztagsschule erleben, zeigen unsere Videointerview aus der Schule an der Köllnischen Heide, die Ralf Augsburg zusammen mit der Filmemacherin Marie Patzer zum zehnjährigen Jubiläum des Ganztagsschulprogramms geführt hat.

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