"Für Ganztagsschulen muss man Aufenthaltsbereiche erweitern" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Seit fast 40 Jahren plant Wolfgang Obel Schulen. Im Interview spricht er über die Herausforderung, ganztägige Bildung in Architektur zu übersetzen.

Gymnasiums Donauwörth
© Gymnasium Donauwörth

Aktuell plant sein Büro zwölf Schulbauten, womit sich die Zahl der realisierten Projekte auf knapp 90 Schulen erhöhen wird. Dazu gehören die Grund- und Mittelschule Lenting, die Ludwig-Auer-Mittelschule Donauwörth und die gerade fertig gestellte Grund- und Mittelschule Oettingen. Wolfgang Obel, seit über 40 Jahren als Architekt im Schulbau tätig, kann auf reichlich Erfahrungen in diesem Bereich zurückblicken.

Online-Redaktion: Herr Obel, wie muss eine Schule beschaffen sein, um Schülerinnen und Schüler eine bestmögliche Lernumgebung zu bieten?

Wolfgang Obel: Aus meiner Erfahrung habe ich den Schluss gezogen, dass sich der Frontalunterricht nie auflösen wird. Für mich ist daher die Verbindung eines abgeschlossenen Raums mit Sichtverbindungen zu öffentlichen Bereichen wie den Fluren der richtige Weg.

Die Flure werden in den Unterricht einbezogen, werden dazugeschaltet. Dann kann Binnendifferenzierung erfolgen, klassen- und jahrgangsübergreifend gelernt werden. Aber jede Klasse kann sich jederzeit in ihren angestammten Klassenbereich zurückziehen. Das heißt umgekehrt, dass die Flure, ich will sie mal öffentliche Räume nennen, keine schmalen, dunklen Gänge mit der Mindestbreite von zwei Metern sein sollten, sondern sie sollten gut belichtet und hervorragend belüftet sein und über eine gute Akustik verfügen.

Sehr wichtig ist auch eine optimale Orientierung: Die Schülerinnen und Schüler müssen sich problemlos im Gebäude zurechtfinden. Sie sollten sich sofort orientieren können, wenn sie die Schule betreten.

Online-Redaktion: Wie viel Spielraum hat ein Architekt beim Schulbau?

Obel: In Bayern gibt es eine Schulbaurichtlinie, die 1984 in eine Empfehlung überführt wurde. Das hatte zur Folge, dass die zu Grunde gelegten Klassenraumgrößen verkleinert wurden. Vor 1984 galten Größen von 72 Quadratmetern, während in der Empfehlung seitdem von 58 bis 66 Quadratmetern die Rede ist. Die Klassenstärken haben sich aber seitdem kaum verringert, und die Ansprüche an den Unterricht sind gewachsen. In der Empfehlung heißt es, dass der Sachaufwandsträger gerne mehr bauen kann, es dann aber selbst bezahlen muss.

Gebessert hat sich in letzter Zeit, dass inzwischen Flächen für die Mittagsbetreuung und hin und wieder auch für die Ganztagsbetreuung bereitgestellt werden. Aber es gibt keine Differenzierung zwischen offener und gebundener Ganztagsschule. Hier braucht es aus meiner Sicht ein verbindliches Raumprogramm, an dem sich der Sachaufwandsträger orientieren kann.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt die Ganztagsschule für die Architektur?

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Obel: Ich befürworte die Ganztagsschulen, denn ich sehe unter anderem klar die gesellschaftliche Notwendigkeit, wenn zum Beispiel beide Elternteile arbeiten und sonst niemand das Kind betreuen kann. Die Schule kann die ganztägige Bildung und Betreuung leisten. Aber dazu müssen beispielsweise die Aufenthaltsbereiche erweitert werden. Die Ganztagsschule entwickelt sich immer mehr zu einem Lebensort für Schülerinnen und Schüler. Und die Gebäude müssen darauf eine Antwort geben, und zwar unausweichlich.

Die Zahl der Ganztagsschulen wird immer weiter zunehmen. Die Eltern fordern das ein, viele kennen inzwischen seit der Kinderkrippe nichts Anderes als eine ganztägige Betreuung für ihr Kind. Auch Kindern wie meiner Enkelin, die die Kinderkrippe besucht, tut das sehr gut. Zwar ist da die Mutter zu Hause, aber das Kind lernt unheimlich viel von anderen Kindern.

Online-Redaktion: Sehen Sie Bewegung im Schulbau?

Obel: Da sind die Erfahrungen ganz unterschiedlich. Zum Teil ist es ärgerlich, dass manche nicht differenzieren wollen zwischen jenen, die etwas vom Schulbau verstehen, und solchen, die noch nie mit dieser Materie zu tun hatten. Da heißt es dann: „Der hat ein Wohnhaus gebaut, der wird doch wohl auch eine Schule hinbekommen.“ Da geht es oft primär um Kosten. Und in zehn Jahren steht man dann da und behilft sich mit Anbauten.

Es gibt Sachaufwandsträger, die sich überzeugen lassen, dass man eine Schule nicht nach Schema X bauen kann, sondern dass sich Architekten und Pädagogen und Gemeinde zusammensetzen, gemeinsam planen und sich austauschen: Welche Schülerinnen und Schüler haben wir hier? Was ist das für eine Schulform? Wo wollen wir mit unserer Schule einmal hin? Was erwarten wir in der Zukunft für Veränderungen?

Nach 15 bis 20 Jahren sind die Bauherren dann froh, dass man so geplant hat. Denn wenn dann Veränderungen oder Erweiterungen notwendig sind, kann man sie organisch in den bestehenden Raum einfügen, da er von Anfang an als Ganzes geplant worden ist. Da sind sehr gute Ansätze vorhanden.

Online-Redaktion: Akustik, Belüftung, Licht, Flächen – reichen die bereitgestellten Mittel beim Schulbau aus, um alles angemessen zu berücksichtigen, oder ist die Decke immer irgendwo zu kurz?

Obel: Es müssen immer Kompromisse gefunden werden. Denn die Förderung aufgrund der sogenannten Kostenrichtwertpauschale bei Neubauten orientiert sich an den Klassen-Quadratmeterzahlen. Aber Klassen mit 58 Quadratmetern funktionieren nicht, die geförderte Fläche ist zu gering.

Online-Redaktion: Wie sind Sie im Laufe der Jahre zu den bestmöglichen Ergebnissen gekommen?

Obel: Einen Trick gibt es nicht. Aber man kann die zur Verfügung stehenden Verkehrsflächen so gestalten, dass sie in den Unterricht mit einbezogen werden können. Heterogenität, Inklusion und Integration erfordern Raum, den man durch flexible Elemente gewinnen kann. Eine zentrale Rolle spielt auch die Pausenhalle oder Aula.

Gymnasium Donauwörth
© Gymnasium Donauwörth

Wenn man das geschickt gestaltet, gewinnt man hier für die Ganztagsbetreuung zusätzliche Flächen. Alle Schulveranstaltungen müssen hier möglich sein, damit die Schulgemeinschaft nicht in Turnhallen oder Ähnliches ausweichen muss. Dieser Platz wird auch zu einem zentralen Begegnungsort, zu einem Marktplatz, auf dem sich die Schülerinnen und Schüler treffen.

Wir haben eine solche Halle in die Mitte einer älteren Schule eingebaut. Und ich hätte nicht gedacht, dass die Halle so angenommen werden würde, als Platz der Präsentation und der Begegnung. Ein weiterer toller Nebeneffekt: In einer Schule mit rund 1.500 Schülerinnen und Schülern muss man immer mit Vandalismus rechnen. Aber die Schulleitung hat uns zurückgemeldet, dass Beschädigungen durch die vollkommene Transparenz und Offenheit gegen Null tendieren.

Online-Redaktion: Offenheit kann aber auch dazu führen, dass der Unterricht gestört werden kann. Wie verhindern Sie das?

Obel: Das ist richtig, die Bewegungen der Schülerströme von den Klassenzimmern zu den Fachräumen dürfen die Unterrichtszonen nicht stören. Das kann man aber durch das entsprechende Ansetzen der Treppenhäuser erreichen. Und die Erfahrung lehrt, dass das hervorragend gelingt, umso mehr, wenn man es mit einem aufgeschlossenen Bauherren und einer guten Schulleitung zu tun hat. Wenn jetzt das Kultus- und das Finanzministerium nun auch noch ein bisschen was tun, dann könnten wir Schulen bauen, die nicht nur einen Zeitwert von 20 bis 30 Jahren haben, sondern darüber hinaus bestehen.

Online-Redaktion: Sie planen, eine wissenschaftliche Studie anzuschieben und auch finanziell zu unterstützen. Was möchten Sie erforscht wissen?

Obel: Uns würde in einer langfristigen Studie über mehrere Jahre interessieren, wie die Räume von den Schülerinnen und Schülern und den Lehrkräften angenommen werden und wie sie sich in den Räumen verhalten. Was wird als lernfördernd angesehen, was als lernhinderlich?

Zur Person:



Wolfgang Obel, Jahrgang 1947, Mauererlehre mit Gesellenprüfung. 1966-1970 Fachhochschule Augsburg und Nürnberg mit Abschluss Ing. grad. (Hochbau) Dipl.-Ing.;

1972-1974 Studium an der Universität Stuttgart; Fachbereich Architektur mit Fachrichtung Schulbau / Städtebau.



Bereits während des Studiums gewann Obel den Wettbewerb für die damalige Hauptschule Donauwörth, heute Ludwig-Auer-Mittelschule. Seit 1976 führt er sein Architekturbüro in Donauwörth. Obel lehrt an der Universität Regensburg im Masterstudiengang Tragwerksplanung.

Veranstaltungstipp:

Am 11. und 12. November 2015 findet in München die Messe SCHULBAU 2015 statt. Die Messe bringt alle am Schulbau beteiligten Akteure zusammen: Architekten, Planer und Pädagogen. Das Programm finden Sie hier.

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