Bildung und Bauen für alle : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Bildung soll den Kindern und Jugendlichen nicht zuletzt Freude bereiten. Es braucht dafür aber eine andere Schularchitektur, die aus Lernräumen Lebensräume macht. Doch wie sollen sie gestaltet sein, damit die Schulen den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden? Welche Rolle spielen dabei die Ganztagsschulen und die dazu erforderlichen pädagogische Konzepte? Das Symposium "Schule Leben Lernen - Lernräume der Zukunft", das den Auftakt zu einer Gesprächsreihe über die Lernräume der Zukunft bildet und vom Bund deutscher Architekten (BdA) am 25. Mai 2009 in Leipzig im Museum für bildende Künste veranstaltet wurde, gab interessante Antworten.

Bildung und Bauen sind die Zukunftsthemen par excellence. "20.000 Schulen haben in Deutschland Sanierungsbedarf", erklärte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Architekten (BDA), Michael Frielinghaus, zum Auftakt der Veranstaltung. Das ist knapp die Hälfte aller Schulen hierzulande.

Doch es gehe nicht nur darum, den aufgestauten Sanierungsbedarf zu bewältigen, sondern die Schulbaumaßnahmen an die Anforderungen, die sich durch die gestiegene Anzahl von Ganztagsangeboten an Schulen stellen, anzupassen. Aber auch die energetische Sanierung von Schulen stellt eine große Herausforderung dar.

"Schlechte Architektur können wir uns nicht mehr leisten", fügte der Architekt hinzu. Gute Schulen zeichneten sich heutzutage durch vernetzte Strukturen, große Atrien oder Lichthöfe für die Klassen aus. Das Investitionsprogramm "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) habe eine intensive Diskussion über die Qualität von Schularchitektur in Gang gebracht und verdeutlicht, dass der "Bau von Schulen eine Gesellschaftsaufgabe ist".

Eine gute Schularchitektur für eine moderne Pädagogik

Beispiele sind die Laborschule in Bielefeld oder die von Peter Hübner gestaltete Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen, die laut Frielinghaus eine ganz eigene Architektursprache ausdrückt. Schularchitektur sei aber auch eine Reaktion auf die Pädagogik mit neuen Anforderungen an das pädagogische Personal: auf multiprofessionell zusammengesetzte Kollegien und neue Arbeitszeitmodelle, aufselbständiges und selbstorganisiertes Lernen oder Möglichkeiten flexibler Raumnutzung für unterschiedliche Lernformen. Allerdings sprach sich Frielinghaus auch für Augenmaß aus: "Zu viel Flexibilität erschlägt die Schülerinnen und Schüler."

Das Schicksal mancher Kommune hängt davon ab, ob sie sich um den Bau guter Bildungseinrichtungen bemüht: "Die Eltern beurteilen die Qualität eines Standortes zunehmend nach der Güte des Bildungssystems", meint Michael Frielinghaus. Dem konnte der Bürgermeister der Stadt Leipzig, Martin zur Nedden, nur zustimmen.

So habe es eine Zuwanderung von rund 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in die Kernstadt gegeben, weil die Stadt sich die Sanierung der Altbau-Wohnungen sowie der Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Universität auf die Fahnen geschrieben habe: "Die Politik für die Bildungslandschaft macht auch einen umgekehrten Prozess möglich." Dementsprechend rechnet Leipzig bis 2020/25 entgegen dem Trend in den neuen Ländern mit einem weiteren Anstieg der Bevölkerung. 

Die Bürger sollten stärker beteiligt werden

Das Erfolgsrezept für eine prosperierende Stadt heißt für den Bürgermeister eine lokale Bildungslandschaft. Sie ermögliche den zielgerichteten Einsatz der Fördermittel. Auf der einen Seite ginge es um den Ausbau der Infrastruktur in jungen Quartieren, während es auf der anderen Seite um längere Öffnungszeiten von Kitas und Schulen mit Integrationsbedarf für benachteiligte Kinder gehe.

Dabei spielten Beteiligungsprozesse sowohl innerhalb der Verwaltung als auch parallel dazu bei den Bürgerinnen und Bürgern eine zentrale Rolle. Die Bildungslandschaft lebt aber auch davon, dass sie die Stadtteilnetzwerke ausbaut und die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen wie Bremen und Nürnberg betreibt.

Obwohl Leipzig in den 1990er Jahren einen regelrechten Bauboom erlebte, verbleibt bei den Schulbauten ein Sanierungsbedarf von 490 Mio. Euro - und dies trotz der 300 Mio. Euro, die bislang in die Sanierung investiert worden seien: "Wir sind deshalb froh, dass das Konjunkturpaket I und II gekommen ist." Nach dem das IZBB bislang deutschlandweit rund 7.000 Ganztagsschulen  unterstützt, ermöglichen die neu aufgelegten Konjunkturpakete I und II nun die zweite groß angelegte Modernisierung des deutschen Bildungssystems.

Die Lust am Lernraum wieder erwecken

Daniela Rätzel
Daniela Rätzel von der HTWK Leipzig. © BDA

Während der Bildungszeit erleben die Menschen die Lernräume oft negativ und in ihrer ganzen "Unheimlichkeit". So werden Bildungsräume als "Operationssäle", "Flickwerke"" oder "Jagdhütten" empfunden, wie Dr. Daniela Rätzel von der HTWK Leipzig in ihrer Dissertation im Jahr 2002 herausfand.

Das Problem sei, dass die Pädagogen den Raum hinnehmen, so wie er ihnen serviert wird. Sie passten sich den Fehlplanungen an, statt die Räume zu gestalten, meint die Erwachsenenpädagogin. Sie müssten lernen, sich Raum zu nehmen und bräuchten raumgestalterische Fähigkeiten. Dafür müssen die Räume "als didaktisches Medium erkannt und gestaltet" und die Lust an den Lernräumen wiederbelebt werden.

Angenehme Erinnerungen, die die Befragten an Kindertagesstätten, Werkstätten oder die Universitäten knüpfen, verdeutlichen, dass Räume dort als positiv empfunden werden, wo der "dritte Pädagoge" Freiräume zulässt. Eine systematische Erkundungsreise in das eigene Gebäude und die Bereitschaft, die Wirkung von Architektur kennenzulernen, provoziert laut Rätzel die Lust an der Veränderung.

Aber nicht nur die Raumanordnungen oder die Innenausstattung der Räume wirken sich auf die Lernbereitschaft aus, auch die Atmosphäre die geschaffen wird, also Stress, Angst sowie Wärme bestimmen das Lernklima mit.

Bildungsangebote entscheiden über die Zukunft des Stadtteils

Auf die enge Wechselbeziehung zwischen sozialer Struktur und die Qualität der Bildungsangebote machte Eduard Heußen, der für die Wohnungsgesellschaft degewo ein entsprechendes Projekt verantwortet, aufmerksam. Die Gesellschaft in Berlin verwaltet rund 5000 Wohnungen und versucht als starker Partner des Bildungsverbundes Antworten auf pädagogische Herausforderungen zu geben. Diese sind auch notwendig, wie ein Blick auf London oder Köln verdeutlicht.

So habe das landesweite Schulranking in England, also die Klassifizierung und Veröffentlichung der Schulqualität, starke Auswirkungen auf die Wohnortentscheidungen der Familien. Ein anderes Beispiel ist Köln: Die Errichtung der privaten Internationalen Friedensschule sei ein zentrales Verkaufsargument für Wohnungen geworden: "Die Schule und das Viertel haben einen grandiosen Erfolg", erläuterte Heußen die Zusammenhänge von Bildung und Standort.

Zerrissen zwischen zwei Welten

Seinen Fokus legte Heußen aber auf Berlin. Im Brunnenviertel in Berlin-Wedding gebe es einen Sanierungsbedarf von 70 Prozent. Das Viertel habe acht Schulen und zehn Kitas. Rund 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler seien nichtdeutscher Herkunft und 70 Prozent vom Schulgeld befreit. In diesem Viertel mussten pädagogische Antworten auf die spezifischen Bedürfnisse von Einwandererkindern gefunden werden, erläuterte Heußen.

"Die Kinder sind hin- und hergerissen zwischen Anatolien und Kreuzberg: Wie sollen sich die Kinder verorten?" Die Stabilisierung der Bildungseinrichtungen, das Schaffen von Übergängen von der Kita in die Grundschule, die Einrichtung eines Ganztagsgymnasiums, das den Schwerpunkt auf das selbstorganisierte Lernen legt, all dies habe Bewegung in den Schulen erzeugt.

In allen Einrichtungen finde nun Schulentwicklung statt und darüber hinaus wurden "Dorfplätze" errichtet, die die Atmosphäre eines Uni-Campus verströmten und die zu Integrationszentren ausgebaut werden sollen. Orientierung des Lernens an der Biographie, Binnendifferenzierung, Jahrgangsteamarbeit, Lehrerarbeitsplätze, Bewegungsräume, gesunde Ernährung, Rhythmisierung des Ganztags, Stärkung der Persönlichkeit sowie der Verantwortungsübernahme vermitteln wieder Lust am Lernen.

"Wem hat die Schule Spaß gemacht?"

Mit dieser Frage wendet sich Prof. Frank Hausmann gerne an seine Studentinnen und Studenten. Von 120 würden höchstens zehn ihren Arm heben, so der Architekt. Damit künftige Generationen von Schülerinnen und Schülern mehr Lust am Lernen entwickeln, hat Hausmann an der Fachhochschule Aachen im Rahmen eines Forschungsprojektes das "Offene Klassenzimmer" entwickelt. Schließlich sei offenkundig, dass "die Kinder immer mehr Zeit mit Lernen und damit mehr Zeit in der Schule verbringen."

"PISA, OECD, jeder Bericht und jede Studie bestätigt die Dringlichkeit der Änderungen in der Schulausbildung von Deutschlands Kindern und Jugendlichen. Was dabei auffällt: Die Architektur spielt - anders als in den sechziger Jahren keine Rolle in der Debatte", so Hausmann. Dabei müsse sich die moderne Pädagogik dem Anspruch stellen, individuelle Förderung und Lernen in heterogenen Klassen zu ermöglichen. In Südtirol steht doppelt so viel Lernraum wie in Deutschland zur Verfügung.

Zuerst sei man an die Laborschule in Bielefeld gefahren, um die Anforderungen an die moderne Pädagogik zu studieren, doch der Unterricht von drei Klassen in einem großen Raum habe sich nicht durchgesetzt. So habe man Beispiele gesucht, in denen herkömmliche Schulgebäude mit offenen Strukturen arbeiten. In Gesprächen mit Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie in Workshops mit Künstlern, Schulleitern und Architekten habe man sich über die Konzeption für das "Offene Klassenzimmer" verständigt.

Das "Offene Klassenzimmer" - "Das fliegende Klassenzimmer"

Über Wettbewerbe, die von den Gemeinden ausgeschrieben werden, habe man schließlich Aufträge gewonnen. Dass die Schulämter aber oft auf das Standardraumprogramm zurückgreifen, das lediglich konventionelle Lösungen erlaubt, empfindet Hausmann als die "ungünstigste Methode" zu einer besseren Schularchitektur zu gelangen. Hausmann und sein Team haben das "Offene Klassenzimmer" in der Westparkschule in Augsburg oder im Heisenberggymnasium in Karlsruhe bereits umgesetzt. Dabei sei auch ein großer Input von den Schülerinnen und Schülern gekommen.

"Kann Architektur als sozialer Katalysator wirken?" Oder: "Können Kinder Bauherren werden?" Diese Fragen beschäftigte die Architektin Susanne Hofmann vom Projekt "die Baupiloten", die im Jahr 2004 den Preis "Soziale Stadt" im Rahmen des gleichnamigen Bund-Länder-Programms gewann. Beim Bau von Schulgebäuden gesteht sie den Schülerinnen und Schülern bzw. Nutzern eine zentrale Rolle zu und animiert diese, ihre Phantasien in pädagogische Entwürfe zu transformieren: "Die Kinder sind Experten und zugleich Kritiker ihrer Entwürfe." Das heißt, die Kinder sind nicht nur Ideengeber, sondern auch Gestalter ihrer Ideen.

Architektur als sozialer und ästhetischer Prozess

An der Erika-Mann-Grundschule Berlin, die in einem sozialen Brennpunkt liegt, veranstalteten "die Baupiloten" zunächst einen Workshop mit dem Schülerparlament (3.-6-Klassen), auf dessen Grundlage sie dann den Umbau der Flure vornahmen. Erzählungen und Märchen dienen als Leitideen, die etwa in Gestalt eines Lichtdrachens die neu gestalteten Räume miteinander verbinden. Die dazu erforderlichen Arbeiten wurden von Häftlingen sowie von Ausbildungs- und Behindertenwerkstätten ausgeführt. Dabei wird die soziale Stadtentwicklung dadurch gewährleistet, dass bildungsnahe Familien vom Wegzug aus dem Viertel abgehalten werden: "Es findet Integration durch Partizipation statt", so Hofmann.

"Die Schule, in die ich gerne gehe, muss cool sein. Sie muss die tollste Schule sein", meinte der Sohn von Ulrich Kirchner. Der Architekt von Kirchner + Pryborowski Architekten BDA in Burg stellte zum Abschluss der Veranstaltung Beispiele von Schulzentren vor, die er als Lebensort umgestaltet hat. Der Aufwand war überschaubar: "Alle Projekte waren realistisch und alle wurden für relativ kleines Geld gebaut."

So die Internationale Grundschule Pierre Trudeau (Magdeburg) bzw die Albert-Einstein-Grundschule Burg: Sie sind Beispiele für die Umgestaltung eines Schulgebäudes des in der DDR üblichen Typenbaus "Erfurt". Wichtig sei es, die Politik, Bauverwaltung sowie Architekten, Planer, Bauleiter und nicht zuletzt die Nutzer (Kinder, Eltern, Lehrkräfte) als Akteure einzubeziehen.

Eines verdeutlichte die sehr interessante Tagung des Bundes Deutscher Architekten in Leipzig: Bildung und Bauen sind integrale Aspekte einer modernen Pädagogik. Sie haben die besten Realisierungschancen, wenn sie in eine kommunale Bildungsstrategie eingebettet sind.

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