SV-Bildungswerk: „Ganztagsschule auf gutem Weg“ : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung e.V. will die demokratische Beteiligung in Ganztagsschulen unterstützen. Jette Nietzard engagiert sich dort insbesondere für Kinderrechte und Social Media.

Online-Redaktion: Frau Nietzard, Sie haben sich auf der Tagung „Ein ganzer Tag Ganztag‟ im Workshop „Demokratische Schulkultur und Mitbestimmung im Ganztag‟ eingebracht. Welche Themen interessierten dort die Teilnehmenden?

Jette Nietzard: Es waren unter anderem sehr aktive Elternvertreterinnen und -vertreter und Lehrerausbilderinnen und -ausbilder im Workshop. Wir haben diskutiert, ob die Ganztagsschule das bringt, was viele von uns sich von ihr wünschen. Wie können wir alle Schülerinnen und Schüler abholen? Was ist der Auftrag, die Rolle von Lehrerinnen und Lehrern? Wie sieht ihre Rolle als Lernbegleiter aus? Was braucht ein Schulsystem von übermorgen? Die Schulleiterin der Marktschule Bremerhaven Ute Mittrowann hat vorgestellt, wie man eine demokratische Schule schon heute gestalten kann.

Online-Redaktion: Sie sprechen von Wünschen. Was erhofft sich das SV Bildungswerk von der Ganztagsschule?

Nietzard: Wir erhoffen uns ein längeres gemeinsames Lernen in heterogenen Lerngruppen, das die Schülerinnen und Schüler am Ende dazu befähigt, ihr Leben bestmöglich bestreiten können. Die Kinder und Jugendlichen sollten ihre eigenen Erfahrungen machen, gerade auch durch die freieren Lernkonzepte, die Ganztagsschulen oft ermöglichen. Wir sehen es als sehr positiv an, dass zum Beispiel AGs die individuellen Interessen der Schülerinnen und Schüler besser berücksichtigen können. Das kann aber nicht alles sein. Wir finden, dass Schülerinnen und Schüler auch stärker ihren Bildungsweg mitbestimmen sollten.

Gruppe von SchülerInnen
© SV Bildungswerk

Online-Redaktion: Wie bilanziert das SV Bildungswerk nach rund 15 Jahren Ganztagsschulentwicklung: Sind Ganztagsschulen Schulen der Partizipation?

Nietzard: Es gibt tolle Konzepte an Ganztagsschulen, die Schule demokratischer machen und mehr Mitbestimmung für Schülerinnen und Schüler ermöglichen, wo ihre Meinungen respektiert werden und sie politische Erfahrungen sammeln können. Es gibt auch gute Beispiele für interkulturelles und generationenübergreifendes Lernen. Aber nicht an jeder Ganztagsschule geht es automatisch demokratischer zu. Sie sind aber auf einem guten Weg, und das möchten wir unterstützen.

Online-Redaktion: Demokratiebildung und Engagement scheinen nötiger denn je. Welche Wege sind erfolgversprechend?

Nietzard: Wir brauchen eine implementierte Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern, und zwar nicht nur auf dem Level, ob es in Ordnung ist, Kuchen zu verkaufen. Sie müssen Selbstwirksamkeit erfahren und merken, dass die Entscheidungen, die sie treffen, auch umgesetzt werden. Fridays for Future zeigt, wie junge Menschen sich in die Politik einbringen und auch außerhalb der Schule aktiv werden. Schulen müssten diesen Prozess begleiten, mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen und politische Meinungsbildung vorantreiben. Das oberste Ziel unserer Schulbildung ist doch, dass am Ende demokratische und mündige Menschen die Schulen verlassen.

Online-Redaktion: Ihr Projekt Openion kommt da ja zum rechten Zeitpunkt, hat es sich doch „Bildung für eine starke Demokratie‟ zum Ziel gesetzt...

Nietzard:Openion ist kein direktes Projekt des SV Bildungswerk, sondern der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung gewesen. Wir gestalteten dafür einige Workshops und den Abschlusskongress im September 2019. 100 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland haben wir an zwei Tagen auf diesen Kongress vorbereitet und sie dann während des Kongresses begleitet, damit sie eine gleichwertige Stimme gegenüber den Erwachsenen bilden konnten.

Zuvor hatten sich die Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang mit dem Thema Demokratie auf unterschiedliche Weise beschäftigt. In Workshops haben sie sich zu den drei Themenfeldern „Demokratie im Wandel‟, „Kooperation von Schulen und außerschulischen Partnern‟ und „Partizipation und Teilhabe‟ fortgebildet und konnten so gut vorbereitet und gestärkt ihre Perspektive in die Veranstaltung einbringen. Drei Workshops im Hauptprogramm haben die Jugendlichen dann selbst moderiert.

Online-Redaktion: Ein weiteres Projekt mit der DKJS war im vergangenen Sommer „Erfolg macht Schule‟. Worum ging es dort?

Zwei SchülerInnen
© SV Bildungswerk

Nietzard: Wir haben an 20 thüringischen Schulen mit hohen Abbrecherquoten die Jugendlichen befragt, weshalb so viele ohne Abschluss die Schulen verlassen und was für sie gute Schulbildung bedeutet. Gemeinsam haben wir dann erarbeitet, wie Schule gestaltet sein sollte, damit die Schülerinnen und Schüler trotz ihrer individuellen und strukturellen Schwierigkeiten Schule erfolgreich abschließen können. Ganz oft haben wir die Rückmeldung erhalten, dass sie im Rahmen dieses Projekts überhaupt zum ersten Mal gefragt wurden, wie sie sich in der Schule fühlen und was für sie eine gute Schule ausmacht. Das ist erschreckend und bestärkt uns darin, wie wichtig es ist, nach ihren Meinungen zu fragen.

Online-Redaktion: Welche Projekte begleitet das SV Bildungswerk noch?

Nietzard: Unser großes Projekt ist weiterhin das SV-Berater-Projekt, mit dem wir an Schulen in ganz Deutschland gehen und die Schülerinnen und Schüler in Workshops unterstützen, sich besser an ihren Schulen zu beteiligen. Dabei geht es um ihre Rechte, die sie häufig nicht so genau kennen. Dann setzen wir das Projekt „Schule·Klima·Wandel‟ um, in welchem Jugendliche sich gegenseitig stärken, die Klimawende voranzubringen. Auch hier geben von uns fortgebildete Klima-Botschafterinnen und -Botschafter ihre Erfahrungen in Workshops auf Augenhöhe an andere Schülerinnen und Schüler weiter. Wir möchten mit diesem Projekt Schulen dahingehend verändern, dass sie sowohl die Vermittlung von Handlungskompetenzen für die Zukunft als auch Partizipation von Jugendlichen stärker als Teil ihrer Aufgabe begreifen.

Daneben gibt es noch viele kleinere Projekte. In Berlin versuchen wir derzeit, Schulen längerfristig zu begleiten. Ein- bis zweitägige Workshops sind zwar eine gute Grundlage, aber mehr auch nicht. Daher wollen wir jetzt Schülerinnen und Schüler über ein Jahr und länger begleiten. Wir finden außerdem, dass auch außerhalb der Schule politische Beteiligung von Jugendlichen gestärkt werden muss. Deshalb gehen wir gerade verstärkt in andere Einrichtungen und Kontexte, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, die man in Schülervertretungen nicht trifft.

Online-Redaktion: Kann die Digitalisierung auch Partizipation unterstützen?

Nietzard: Es reicht sicherlich nicht, Hardware an Schulen zu bringen, sondern es müssen auch die Kompetenzen da sein, damit zu arbeiten. Dazu gibt es gute Konzepte, die an die Schulen gebracht werden müssen. Wir haben nicht selten die Situation, dass Lehrkräfte, die nicht mit den digitalen Medien groß geworden sind und sich manchmal auch nicht viel damit befassen, Schülerinnen und Schülern beibringen sollen, sich sicher im zu Netz bewegen. Egal ob Schülerinnen nach dem Prinzip der Peereducation, externe Beraterinnen oder Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler auf diesem Weg des Kompetenzerwerb begleiten, wichtig ist, dass Jugendliche sich sicher im Netz bewegen und über Datenschutz und die Funktion von Algorithmen vertraut gemacht werden.

Die digitale Partizipation ist eine große Chance, besonders in ländlichen Räumen, wo manchmal der letzte Schulbus schon um 14 Uhr fährt. Die Schülerinnen und Schüler können sich vernetzen, SV-Arbeit auch von außerhalb der Schule aus machen oder AGs organisieren.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!
 

Zur Person:

Jette Nietzard, Jg. 1999, ist seit 2017 im Bildungswerk für Schülervertretung und Schülerbeteiligung e.V. (SV-Bildungswerk) aktiv und dort für die Themen Kinderrechte und Social Media zuständig. Sie studiert Kindheitspädagogik in Berlin und war Mitglied des Vorstands der Landesschüler*innenvertretung NRW. Sie gehört dem erweiterten Vorstand der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e. V. an. 2019 war sie Mitarbeiterin des bundesweiten Projekts „OPENION – Bildung für eine starke Demokratie“.

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Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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