Schülerzeitung im Ganztag: Fundiert, stramm, scharf : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Schüler und Schülerinnen haben enorm viel zu sagen“, betonte Bundesratspräsident Daniel Günther bei der Preisverleihung für die besten Schülerzeitungen 2019. Mit dabei: „Bildungslücke“, „Was Strammes“ und „Peperoni“.

Cover der Schülerzeitung "Bildungslücke"
© Realschule Bad Kissingen

Dass sie in diesem Jahr mit ihrer „Bildungslücke“ beim bundesweiten Schülerzeitungswettbewerb „Kein Blatt vor dem Mund“ der Länder einen Preis gewonnen hatte, erfuhr die Realschule Bad Kissingen aus dem Radio. Beziehungsweise durch den Anruf eines lokalen Radiosenders. „Die wollten eine Reaktion von uns auf den Sieg einfangen. Wir wussten aber nicht mal, dass wir überhaupt nominiert waren“, sagt Martina Pennekendorf, die als Deutsch-, Geschichts- und Kunstlehrerin seit zehn Jahren die Schülerinnen und Schülern ihres Wahlpflichtkurses bei der Erstellung der Schülerzeitung begleitet.

„Wir haben letztes Jahr den dritten Platz beim Bayerischen Schülerzeitungspreis gewonnen, wussten aber nicht, dass man damit automatisch in den bundesweiten Wettbewerb aufrückt“, so die Lehrerin, „und eine schriftliche Benachrichtigung hat uns irgendwie nicht erreicht.“ Machte nichts, die Information erhielt die offene Ganztagsschule noch rechtzeitig. Und Ende Juni fuhren Fünftklässler Marlon und Neuntklässlerin Simone zusammen mit Informatiklehrer Daniel Egerer nach Berlin.

Für die „Bildungslücke“ war es schon die dritte Teilnahme an einer Preisverleihung. Bereits 2015 gewann sie einen SPIEGEL-Schülerzeitungspreis. Während des Aufenthalts in Hamburg lernten die vier Schülerinnen und Schüler aus Bad Kissingen den Street Artist und Sprayer Ray de la Cruz kennen. „Und als wir wieder zu Hause waren, kam die Idee auf, ihn in der Schülerzeitung vorzustellen. Eine Schülerin hat den Kontakt aufgenommen und ein Interview geführt“, berichtet Martina Pennekendorf. „Die Schüler haben das Thema buchstäblich auf der Straße gefunden – so muss Schülerzeitung sein!“

„Du im Hier und Jetzt“

Die „Bildungslücke“ erscheint einmal jährlich. Durchschnittlich arbeiten 20 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 5 bis 10 an einer Ausgabe. In einer Redaktionskonferenz diskutiert die Redaktion Anfang des Schuljahres mögliche Themen und wählt einen Themenschwerpunkt aus. Es gibt auch Standardrubriken, zum Beispiel werden neue Lehrerinnen und Lehrer vorgestellt. Wenn es dann ans Recherchieren geht oder Außentermine anstehen, „bleibt einer von uns zwei Lehrern im Computerraum bei den Schülerinnen und Schülern und einer fährt mit den Jugendlichen los“, beschreibt Martina Pennekendorf.

Gruppenfoto der Redaktion der „Bildungslücke“
Redaktion der „Bildungslücke“ © Realschule Bad Kissingen

Die Schwerpunktthemen der letzten Jahre lauteten „Abenteuer“ oder „Glück“ oder „Starke Schüler“. Titelthema der in München und Berlin ausgezeichneten „2 in 1“-Ausgabe 2017/2018 war „Du im Hier und Jetzt“. Es ging um „Noten, Familie, Freunde“, um das Thema „Sitzenbleiben“, um das „Leben in einer Wohngruppe, aber auch um eine so ernste Sache wie „Scheidungskinder“. Im zweiten Teil „#DU“ ging es um die Frage „Welchen Raum nimmt dein virtuelles Leben ein?“, um das Smartphone als Einstieg in die virtuelle Welt, um digitale Freundschaften und eine Bookstagrammerin. Die Jury des Schülerzeitungswettbewerbs lobte: „Fundiert und augenzwinkernd wird hier so manche Bildungslücke geschlossen.“

Es geht lustig zu in der „Bildungslücke“: So kann es schon mal in den Garten eines Lehrerkollegen gehen, wenn die Redaktion in Anlehnung an eine TV-Reihe den „perfekten Grillmeister“ sucht. Aber auch ernst: Eindrücklich sind Martina Pennekendorf die Interviews mit geflüchteten Kindern: „Das war ein Augenöffner, zu erfahren, wie dort Kinder ihre Situation sehen und wie sie Deutschland erleben.“

Wie in der realen Welt der Presse hat die gedruckte „Bildungslücke“ zu kämpfen. „Die Zeiten, in denen ich panisch in der Druckerei anrufen musste, weil die Auflagenhöhe nicht ausreichte, sind vorbei“, bedauert Martina Pennekendorf. „Wir versuchen verstärkt, Werbepartner zu finden, damit wir die Kosten nicht weiter erhöhen müssen.“

Doch es geht auch im kommenden Schuljahr weiter, diesmal wird vorab das Zeitungmachen selbst Thema sein. „Wir werden am Anfang über Textarten, Bildbearbeitung und Quellenarbeit sprechen“, kündigt die Lehrerin an. Ganz im Sinne von Bundesratspräsident Daniel Günther, der als Schirmherr des Schülerzeitungswettbewerbs bei der Preisverleihung aufrief: „Wir brauchen junge Menschen, die mit Informationen verantwortungsbewusst und kritisch umgehen.“

Lokal mit gutem Humor

Cover der Schülerzeitung "Wat Strammes"
© Erich-Kästner-Ganztagsschule

Über Quellenarbeit diskutiert auch die Schülerzeitungs-AG der Erich-Kästner-Ganztagsschule Bergheim, die die Schülerzeitung „Was Strammes“ herausbringt, mit der Journalistin Birgit Broich-Jansen. Allein der Titel ist „ein Hingucker“, wie die „Kölnische Rundschau bemerkt hat. „Manche nutzen die Medien ohne Überlegung und denken, dass alles, was gesendet und geschrieben wird, wahr sei“, weiß die Journalistin, die unter anderem für die „Kölnische Rundschau“ gearbeitet hat. „Auch thematisiere ich das Recht am eigenen Bild. Man kann eben nicht einfach knipsen und dann veröffentlichen.“

Birgit Broich-Jansen leitet seit acht Jahren die AG. Die Schülerzeitung „Was Strammes“ erhielt beim Schülerzeitungswettbewerb den erstmals ausgelobten Sonderpreis „Total lokal“, der damit auch den Lokaljournalismus entsprechend aufwertet. Damit gewann der Lokalmatador, der im Rheinland seit Jahren bei Schülerzeitungswettbewerben Preise abräumt, endlich auch beim bundesweiten Wettbewerb. „Das Blatt überzeugte mit der Vielfalt lokaler Themen – vom Besuch des ortsansässigen Tierheims bis hin zum Porträt eines Flüchtlings aus Syrien, der an die Schule kam“, heißt es in der Jurybegründung. Birgit Broich-Jansen fügt hinzu: „Bei uns gibt es auch viele witzige Texte, die Jugendlichen schreiben mit einem guten Humor.“

Über Lokales zu berichten gehört zur DNA der einmal jährlich erscheinenden Schülerzeitung. „Was Strammes“ behandelt Themen, „die wir in einem Radius von 50 Kilometern rund um die Schule finden“, berichtet die AG-Leiterin. Rund zehn Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10 treffen sich an jedem Freitag für zwei Stunden zur Redaktionsarbeit im Computerraum. Aber natürlich ist es mit den zwei Stunden nicht getan. Für Reportagen – auf der Straße über Obdachlose oder über ein Hochbegabten-Zentrum mit dem Fazit „Intelligente Kinder gibt es nicht nur auf dem Gymnasium“ – fahren die Redakteurinnen und Redakteure selbstverständlich viel raus. Ebenso zu Interviews, wie von Alicia mit der lokalen Krimiautorin Petra Hammesfahr.

„Die totale Leidenschaft“

Preisverleihung an "Was Strammes" in Berlin
Redakteure Alessandro und Roberto im Bundesrat © Jugendpresse Deutschland

Für manche Jugendliche, die sonst selten von zu Hause wegkommen, ist die Zeitung auch „Türöffner in die Welt“, wie die AG-Leiterin sagt. Durch den Journalismus können sie einmal „hinter Kulissen blicken“ und neue Orte und Menschen kennenlernen. „Ich sage immer: Nutzt die Gelegenheiten, die sich euch bieten!“ Solch eine Gelegenheit kann die Reportage über den ortsansässigen Tierarzt sein: Die Schülerin, die dort recherchierte, bewarb sich später auf eine Stelle und erhielt diese auch.

Wenn sie einen Text nennen soll, der ihr aus all den „Was Strammes“-Jahren besonders im Gedächtnis geblieben ist, muss Birgit Broich-Jansen nicht lange überlegen. Es ist die Reportage „Die totale Leidenschaft“ aus der ausgezeichneten Ausgabe. Drei Redakteure – Roberto, Alessandro und Domenic – hatten Mitglieder der Ultras „Wilde Horde“, den eingefleischten Fans des 1. FC Köln, interviewt. „Die Ultras haben uns zu einem Geheimtreffen in einem Geheimlokal gelotst. Da waren einige dabei, die schon was auf dem Kerbholz hatten, wir durften sie nicht fotografieren und keine Namen nennen. Und sie haben ganz offen gesprochen. Wenn wir das alles geschrieben hätten...“, berichtet die Journalistin.

Cover der Schülerzeitung "Peperoni"
© Stadtteilschule Walddörfer Hamburg

Toll war da natürlich die Fahrt zur Preisverleihung nach Berlin, zu der Alessandro und Roberto fahren konnten. Plötzlich im Bundesrat zu sitzen, war für sie „beeindruckend“, und auch der Fotografie-Workshop am folgenden Tag gefiel Roberto. „Ich habe Tipps bekommen, wie ich zum Beispiel gute Porträts mache oder den richtigen Blickwinkel finde.“ Auch die Hauptstadt fanden die beiden Schüler gut – und das Hostel: „Da waren Jugendliche aus ganz Deutschland, und wir haben untereinander viele Kontakte geknüpft.“ Birgit Broich-Jansen freut sich für die Erich-Kästner-Ganztagsschule: „Eine tolle Schule ist das.“

„Dick, informativ und verdammt scharf“

Die „Peperoni“ der Stadtteilschule Walddörfer war in Hamburg in den letzten Monaten in alle Munde, sogar der NDR berichtete. Die Auszeichnung erhielt die Schülerzeitung, an der Redakteurinnen und Redakteure aller Jahrgänge der Schule beteiligt sind, für ihre Ausgabe zum Thema „Medien“. Es ging um den eigenen Medienkonsum, aber auch um Themen wie Cybermobbing, Hate Speech, Fake News. Die Redaktion besuchte für die Ausgabe auch Profijournalisten.

Die in einer Auflage von 750 Exemplaren erscheinende „Peperoni“ hat in Hamburg einen guten Ruf: Sie ist in den Jahren 2016 bis 2018 dreimal in Folge zur besten Schülerzeitung Hamburgs der Stadtteilschulen gewählt worden und gehörte bereits 2017 zu den Siegern des Bundeswettbewerbs. In einem Film, gedreht von Leo aus der 10. Klasse, kommen viele Beteiligte, aber auch Leser und Leserinnen – Schüler und Lehrer – zu Wort. Lehrer Frank Urban erzählt, wie er die Schülerzeitung, die schon einmal eingegangen war, mit den Schülerinnen und Schülern vor einigen Jahren wiederbelebt hat.

„Es macht mir einfach Spaß, zu schreiben. Und ich find's gut, meine eigene Meinung rüberbringen zu dürfen“, begründet Autorin Annika ihr Engagement. Grafiker Johannes erläutert den langwierigen Entstehungsprozess einer Ausgabe: „Bevor so 'ne 'Peperoni' fertig ist, steckt da schon sehr, sehr viel Arbeit drin. Es dauert extrem lange, die ganzen Artikel zu schreiben. Dann werden sie zusammengetragen, dann haben wir bestimmte Leute, die sich allein nur darum kümmern, nochmal Korrektur zu lesen. Danach erst kommen wir als Layouter dran, und das Layout dauert auch schon mal gute drei Wochen.“

„Peperoni“ bietet ein breites Spektrum von Themen und Textformaten – Berichte aus dem Schulleben, Interviews, Reportagen über Personen und Projekte, Film-, Buch- und Musiktipps, Kolumnen zu gesellschaftspolitischen Fragen und „auch Klatsch, Tratsch, Horoskope und Witze“. Das Ergebnis beschreibt Lehrer Frank Urban schließlich lakonisch so: „Dick, informativ und verdammt scharf.“

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