Kinder- und Jugendparlament Sömmerda: "Etwas für unsere Stadt machen" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Seit März 2013 wirkt das Kinder- und Jugendparlament im thüringischen Sömmerda aktiv an der Gestaltung der Kommune mit. 19 Schülerinnen und Schüler der Klassen 4 bis 12 kümmern sich um die Interessen und Wünsche der Kinder und Jugendlichen.

An diesem 19. Oktober 2015 ist der Sitzungssaal im Rathaus von Sömmerda bereit: Ein Stuhlkreis ist arrangiert, im hinteren Teil des Raumes stehen Stuhlreihen für die Besucher, während vorne ein Beamer eingerichtet ist. Ein Detail, das vor dem Betreten des Saals in der Halle ins Auge fällt, mag leicht irritieren: Werden vor Rathaussitzungen obligatorisch so viele Süßigkeiten angeboten?

Es ist nicht der Stadtrat, der an diesem Tag zusammentritt, sondern das Kinder- und Jugendparlament von Sömmerda, einer Kreisstadt in Thüringen mit knapp 19.000 Einwohnern und acht Schulen. Die vierte Sitzung steht an, und es wird eine der längsten der bisherigen Parlamentsgeschichte, denn auch im Thüringer Becken ist der Flüchtlingsstrom angekommen und die 13 anwesenden Mitglieder des 19 Köpfe starken Gremiums wollen helfen. Am Internationalen Tag der Kinderrechte am 20.November möchte man einen Begegnungstag mit den Flüchtlingskindern und deren Familien organisieren. Aber wie und wo und wann genau, ist Gegenstand der Debatte.

„Es ist die Ironie der Geschichte, dass just, als die Kinder und Jugendlichen sich entschieden hatten, lieber mehrere, dafür aber kürzere Sitzungen im Jahr abzuhalten, wir heute so lange getagt haben“, meint Julia Ansorg, die als Ansprechpartnerin der Schülerinnen und Schüler und Büroleiterin des Bürgermeisters die Verbindung zur Stadt personifiziert, im Anschluss. Aber niemand ist darum böse, zeigt es doch, wie ernsthaft sich die Kinder und Jugendlichen der Klassen 4 bis 12 aus den Schulen der Stadt Gedanken machen.

Initiative des Bürgermeisters

Die Sitzung beginnt unter den Augen der zahlreichen erwachsenen Zuschauer mit einer betont auflockernden Begrüßung: Die Jungen und Mädchen geben sich die Hände, tippen sich mit den Füßen an und berühren sich mit dem Po. Gelächter und Gekicher. Aber dann wird es ernst mit einem echten parlamentarischen Ablauf: Es gibt eine Tagesordnung, die erweitert und verändert wird. Bei der Frage des Vorsitzenden und Zwölftklässlers Paul Böning, wer das Protokoll führen will, gehen erst einmal alle Augenpaare zu Boden, bis sich ein Mädchen bereit erklärt. Die sechs Arbeitsgruppen werden zur Berichterstattung gebeten; es gibt Nachfragen aus der Runde und dem Publikum. Die Jung-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier stimmen bei Beschlüssen mit grünen, gelben oder roten Stimmkarten ab, die sie in die Luft halten.

Den Anfang nahm dieses demokratischen Gremium mit einer Kinderkonferenz, die im März 2011 stattfand. Die Mädchen und Jungen der Kinderkonferenz stellten damals die Ergebnisse einer Befragung zu bestehenden Angeboten für Kinder und Familien aus den Stadtteilen vor und sprachen mit Politikern über ihre Wünsche und wie man diese am besten realisieren könnte. Unter anderem äußerten viele Kinder den Wunsch nach einem neuen Spielplatz im Stadtpark. Dieser Wunsch wurde im Sommer 2012 verwirklicht.

Bürgermeister Ralf Hauboldt gefiel die Mitwirkung der Kinder so gut, dass er die Idee einbrachte, ein ständiges Gremium einzurichten, welches die Belange der Kinder und Jugendlichen in Sömmerda vertreten sollte. Die Kinder und Jugendlichen sollten die Möglichkeit bekommen, sich selbst stärker in das Geschehen in ihrer Stadt einzubringen und es mitzugestalten.

„Notfalls selbst etwas tun“

Vor Weihnachten 2012 fasste der Stadtrat den Beschluss, ein Kinder- und Jugendparlament aufzubauen. Diesem stellt der Stadtrat jährlich 1.000 Euro zur Verfügung, über das die Mitglieder in Absprache mit der Verwaltung selbst verfügen können. Zur Besetzung des Parlaments führten die acht Schulen der Stadt, darunter die Ganztagsgrundschule „Adolf Diesterweg“, jeweils Wahlen durch. Am 4. März 2013 fand die konstituierende Sitzung im Rathaus für die erste zweijährige Legislaturperiode statt.

Seitdem kümmern sich die 19 Mitglieder um die Interessen und Wünsche der Kinder und Jugendlichen und vermitteln zwischen ihnen und den Einrichtungen der Stadt. Das Parlament soll Vorstellungen und Standpunkte von Kindern und Jugendlichen sammeln und bearbeiten, um den kommunalen Entscheidungsträgern ihre Sicht auf den örtlichen Gestaltungsbedarf darzustellen und für notwendige Beschlüsse zu sensibilisieren. Das Kinder- und Jugendparlament kann darüber hinaus jederzeit Anträge und Fragen im Stadtrat stellen.

„Es geht auch darum, dass Kinder und Jugendliche Freude daran haben, der Stadt bei Fragen und Problemen zu helfen, neue Gedanken in die Politik der Stadt einzubringen und etwas über parlamentarische Demokratie zu lernen“, skizziert Julia Ansorg. „Das Kinder- und Jugendparlament soll Verantwortung für Kinder und Jugendliche übernehmen, auf Sachen hinweisen, die verbessert werden müssen und notfalls auch selbst etwas dafür tun.“ Die Empfehlungen des Kinder- und Jugendparlamentes würden bei Entscheidungen des Stadtrates einbezogen und nach Möglichkeit die Wünsche der Kinder berücksichtigt.

Kletterparcours und Kinder- und Jugendstadtplan

Eine sichtbare Hinterlassenschaft der Arbeit der ersten Legislaturperiode ist der neue Kletterparcours im Stadtpark, der am 22. Juni 2015 offizielle Eröffnung feierte. Die Pläne dazu hatte der Bürgermeister mit dem Kinder- und Jugendparlament abgestimmt. Die Hinweise zu Farbgestaltung und Bauweise der Jungparlamentarier leitete man an das Bau- und Umweltamt der Stadt weiter, das die Hinweise bei der weiteren Planung berücksichtigte.

Adler als Maskottchen
Der Adler ist das Maskottchen des Kinder- und Jugendstadtplans © Stadt Sömmerda

Ein weitere Initiative, deren Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, entstand durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Kinder- und Jugendparlamenten: Die Schülerinnen und Schüler möchten einen Kinder- und Jugendstadtplan erstellen. In diesem sollen für diese Altersgruppe relevante Orte und Institutionen eingezeichnet werden. Die Arbeitsgruppe „Kinder- und Jugendstadtplan“ veranstaltete einen Malwettbewerb, um ein Maskottchen für den Plan zu finden, und im vergangenen Monat besuchte die Arbeitsgruppe den Verlag, um Details für den Plan abzustimmen, insbesondere kindgerechte Symbole auszusuchen.

Der Kinder- und Jugendstadtplan soll dann unter anderem den Schulen für den Heimatkundeunterricht zur Verfügung gestellt werden. Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und zusätzlich über Sponsoren finanziert.

Engagement für Flüchtlinge

In der jetzigen Legislaturperiode will das Kinder- und Jugendparlament weiter überlegen, was sich in der Stadt verbessern lässt: Die „Unsere Stadt“-AG wird dazu eine Radtour durch die Stadt durchführen. Nachdem man sich als Kinder-und Jugendparlament schon auf dem Stadtfest präsentiert hatte, werden sich die Schülerinnen und Schüler demnächst auch auf der SÖM, der regionalen Messe für Arbeit, Wohnen und Leben, zusammen mit dem Seniorenbeirat präsentieren.

Die zehnjährige Lina erklärt zu ihrem Engagement im Kinder- und Jugendparlament: „Wir wollen etwas für unsere Stadt machen, zum Beispiel Schilder an den Spielplätzen aufstellen, damit da nicht immer so viel Müll rumliegt.“ Für Emilia Rothe, die 15 Jahre alte Stellvertretende Vorsitzende des Parlaments, war die Arbeit im Parlament wegen der großen Altersspreizung zunächst schwierig, aber seit einem Kennenlern-Workshop laufe die Kommunikation besser.

Auch in der Frage des Begegnungstags mit den Flüchtlingen kommt das Kinder- und Jugendparlament am Nachmittag des 19. Oktober zu einer einvernehmlichen Lösung: Im Schüler-Freizeit-Zentrum möchte man am 20. November für drei Stunden mit den Flüchtlingskindern Basteln, Backen, Tanzen, Singen und Spielen. Ein weiterer wertvoller Beitrag der Schülerinnen und Schüler zum Leben in ihrer Kommune.

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