Ganztag mit Feel-Good-AG : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Um das „Lernen in einem wertschätzenden Umfeld“ ging es auf einer Fachtagung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin. Welchen Platz für Emotionen bieten Ganztagsschulen, und wie geht Anerkennung?

Außenansicht der Werkstatt der Kulturen
Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln © Redaktion

Die Veranstaltung war umgehend ausgebucht. Erstaunlich, wie groß die Nachfrage nach dem Thema der Fachtagung der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin am 7. März 2019 war: „Schule ohne Beschämung – Lernen in einem wertschätzenden Umfeld!“ lautete der Titel. „Ein wertschätzendes Umfeld, eine positive Schulkultur steigern nachweislich die Lernmotivation und den Lernerfolg. Dies gilt insbesondere für die Ganztagsschule“, so war die Tagung angekündigt und traf offensichtlich einen Nerv.

Am Ende des Tages standen acht voll beklebte Plakatwände vor den rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln. Sie waren nicht nur Ergebnis konzentrierter Kleingruppenarbeit, sondern auch Ausweis des Engagements und der Offenheit der Diskussionen, wie sie über den gesamten Tag geführt worden waren.

Der Sozialwissenschaftler Dr. Stephan Marks, dessen Vortrag über eine wertschätzende Kultur im Umgang mit Schülerinnen und Schülern und mit Kolleginnen und Kollegen am Vormittag die Diskussionsgrundlage gebildet hatte, zeigte sich beeindruckt von den vielen Vorschlägen: „Dass so viel Wissen und Kompetenz vorhanden ist, ist überwältigend.“

 

Wertschätzung in pädagogischen Beziehungen

Dieses Wissen wurde ebenso in den Austauschphasen deutlich, die schon während des Vortrags eingeschoben waren, wie in den anschließenden Nachfragen und Kommentaren der Beteiligten. Gekommen waren Erzieherinnen und Erzieher, Ganztagskoordinatoren, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Lehrerinnen und Lehrer und auch Schulleitungen von Berliner Ganztagsschulen aller Schularten.

Schüler und Lehrer arbeiten gemeinsam im Werkunterricht
© Britta Hüning

Karin Wagnitz-Brockmöller von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Berlin, die lange als Lehrerin an der Werner-Stephan-Oberschule in Berlin-Tempelhof tätig war und die Praxis gut kennt, fand sehr beeindruckend, wie offen viele Pädagoginnen und Pädagogen von Situationen aus ihrem Schulalltag berichteten, von Situationen, in denen immer wieder eine mangelnde Wertschätzung gegenüber Schülerinnen und Schülern und manchmal auch innerhalb des Kollegiums deutlich wurde: „Es war eine sehr dichte Plenumsrunde.“

Schon im Mai 2018 hatte die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Annedore Prengel auf einer Veranstaltung zu Gast. Es ging um „Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz“. Prengel hat mit anderen einen „Ethischen Leitfaden für pädagogische Beziehungen“ erarbeitet, der inzwischen weithin anerkannt ist. In der damaligen Diskussion in Berlin wurde bereits deutlich, dass sich viele Ganztagsschulen dieser Problematik bewusst waren und daran arbeiteten.

Mit der jetzigen Veranstaltung knüpfte die Serviceagentur den thematischen Faden weiter. Aus vielen Ganztagsschulen waren gleich ganze Teams gekommen. So kamen zum Beispiel der Schulleiter und der Sozialarbeiter einer Schule aus Berlin-Wedding gemeinsam. Der Schulsozialarbeiter erinnerte sich, dass ihn, als er seinerzeit quasi von außen dazu gekommen war, die Sprache mancher Kolleginnen und Kollegen überrascht hätte: „Du musst die Klasse in den Griff kriegen“ oder „Du musst die Schüler in die Reihe kriegen, die müssen spuren“. Oft wird solcher Tonfall, mit dem nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer einst selbst in den Schuldienst begleitet wurden, gar nicht mehr bemerkt.

In den Kollegien gebe es, so wurde andererseits ebenfalls betont, so gut wie keine Diskussionen über Überforderungssituationen und Gefühle. Und selbst echtes Fehlverhalten gegenüber Schülerinnen und Schülern werde nicht immer sanktioniert. Sabine Hüsemann von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ weiß zu berichten: „Dies spielt eine verdeckte Rolle an den Schulen. Manchmal wissen alle vom Fehlverhalten eines Kollegen, aber keiner schreitet ein. Es gibt keine Fehlerkultur.“

Projekt „Soziales Lernen“

Zuschauer folgen dem Vortrag von Stephan Marks
Überwältigende Nachfrage und offene Diskussionen © Leon Dunkhase

Stephan Marks betonte, dass es auch nicht darum gehe, den Schülerinnen und Schülern die Scham zu ersparen, wenn sie sich falsch verhielten: „Fehlverhalten kann nicht einfach ignoriert werden. Aber die Basis muss die Anerkennung des Schülers oder der Schülerin als Persönlichkeit sein. Verbale Gewalt kann eine sehr brutale Gewalt sein. Ständige Abwertung kann dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler nicht mehr trauen, ihre Talente zu zeigen.“

Was sich hinter dem Verhalten von Schülerinnen und Schülern verbirgt, lasse sich, so ein Schulsozialarbeiter, sehr gut in Projekten des sozialen Lernens ergründen und thematisieren. Ein Klassenlehrer habe ihm einmal gesagt, „er habe seine Klasse noch nie so still und konzentriert arbeiten sehen, wie in dem Projekt, in dem die Schüler über Schimpfworte und ihre Wirkungen reflektierten“, berichtete er. Ein anderer ergänzte: „Schulsozialarbeit sollte nicht als 'Feuerwehr' verstanden werden, zu der man Kinder oder Jugendliche abschiebt, wenn es Probleme in der Klasse gibt. Das wird oft zu einer Drehtür. Eine gemeinsam entwickelte Projektwoche zum sozialen Lernen kann viel größere Wirkungen erzielen.“

Über Ideen, wie die Anerkennung und die Wertschätzung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden können, tauschten sich die Teilnehmenden in Kleingruppen aus. So meinte eine Grundstufenleiterin. „Die Schülerinnen und Schüler dürfen keine Angst davor haben, Fehler zu machen. Wir müssen ihre Leistungen wertschätzen, nicht nur fachbezogen. Und wir müssen auch ihr Bemühen mehr honorieren.“ Die „Erwachsenen“ müssten „authentisch“ gegenüber den Kindern und Jugendlichen auftreten. Besonders sei auch Transparenz in den Entscheidungsfindungen und im Beurteilen notwendig.

Feel-Good-AG: „Was können wir machen, dass es uns gut geht?“

„Die Schülerinnen und Schüler sollten stärker in Entscheidungen einbezogen werden“, sah ein Erzieher als wichtige Voraussetzung an. Klassenrat und Schülerparlament wurden hierfür als Möglichkeiten genannt. Doch auch diese „müssen gut vorbereitet und durchdacht sein“, um nicht in eine „wenig konstruktive Meckerkiste“ abzugleiten, wie sie es auch schon erlebt habe, ergänzte eine Sozialpädagogin. Wertschätzung können auch verschiedene Aktionen bewirken. Genannt wurde beispielsweise ein Preis für Schülercourage: In einer Schule schlagen Konfliktlotsen dafür regelmäßig Mitschülerinnen und Mitschüler vor, und die Schülerschaft stimmt ab, wer den Preis erhält.

Blick in ein Klassenzimmer einer Grundschule während des Unterrichts
© Britta Hüning

In der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg in der Gropiusstadt von Berlin-Neukölln – einer Schule mit gebundenem und teilgebundenem Ganztag – gibt es seit einiger Zeit eine „Feel-Good“-AG. Hier diskutieren die Schülerinnen und Schüler, wie sie den Lern- und Lebensort gestalten können, um sich wohlzufühlen. „Was können wir machen, dass es uns gut geht?“ lautet ihre Leitfrage.

In einer anderen Ganztagsschule gibt es einen „wandernden Raum der Stille“. Das ist nicht der übliche feste Stille-Raum zum Entspannen und Ruhefinden, sondern Lehrkräfte, Sozialpädagogen und die Schülerinnen und Schüler lassen den Raum sozusagen zu sich kommen, indem sie ihn Woche für Woche in einem anderen Klassenzimmer einrichten.

„Räume öffnen für Emotionen“

Dass für solche Vorhaben eine multiprofessionelle Zusammenarbeit, also die Kooperation der verschiedenen Berufsgruppen an der Schule, sehr wichtig ist, versteht sich von selbst. Die Teilnehmenden waren sich darin auch einig. „Es müssen Räume, Zeiten und Methoden gefunden werden, in denen die Schülerinnen und Schüler individuell sichtbar werden können. Hier ist besonders die Schulsozialarbeit sehr wichtig“, resümierte Daniel Wellner-Petsch, die Mitarbeiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ und Landesvorsitzende des Ganztagsschulverbandes Berlin.

Und last but not least: Nicht nur die Wertschätzung für die Schülerinnen und Schüler ist wesentlich. Am Arbeitsplatz Schule brauchen auch Kolleginnen und Kollegen untereinander Anerkennung und Würdigung: in ihrer Arbeit und als Personen. Offenheit, der „Mut, etwas auszusprechen“ und Feedback sind für die Teilnehmerinnen und Teilnehmern solche Elemente, die helfen, eine wertschätzende Kultur zu etablieren. „Gefühle sind keine Schwäche, man muss Räume öffnen für Emotionen“, betonte eine Lehrerin.

Lehrer mit Schülerinnen und Schülern im Werkunterricht
© Britta Hüning

An einer Schule ist in den Teamrunden sogar extra ein „Emo-Teil“ integriert: In dieser Zeit können die Kolleginnen und Kollegen über ihre Gefühle und Befindlichkeiten sprechen. „Man muss eine Struktur für konstruktive Kritik schaffen“, so eine Erzieherin. Auch Supervision hilft. Anerkennung vermitteln kann den Lehrerinnen und Lehrerin schließlich die stärkere außerschulische Vernetzung, denn sie kann durch den Blick von außen den eigenen schärfen. Am Ende des Tages war das Engagement aller Beteiligten greifbar. „Wir haben vom Apfel der Erkenntnis gegessen“, formulierte eine Lehrerin.

 

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