Demokratie leben und erleben : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Es gleicht einem flammenden Appell für Demokratie und Toleranz, was sich in diesen Tagen im Umspannwerk Jena, der Imaginata, abspielt. 100 Schülerinnen und Schüler haben sich hier, begleitet von ihren Lehrkräften, zur "22. Lernstatt Demokratie" versammelt.

Arbeitsgruppe im Sitzkreis
Bilder von der "22. Lernstatt Demokratie" (Quelle: Förderprogramm Demokratisch Handeln) © Grit Hiersemann

Man fühlt sich fast automatisch an den Song "Ein bisschen Frieden" erinnert, wenn man die Imaginata betritt. Junge Menschen sitzen in kleinen Gruppen zusammen, diskutieren, lachen, tauschen Erfahrungen aus und lassen sich von den Ideen der anderen inspirieren. Ihre Gedanken und ihre Arbeit kreisen um Toleranz, Demokratie, Menschenrechte und das friedliche Miteinander. Sie alle haben am Förderprogramm "Demokratisch Handeln" teilgenommen und präsentieren in Jena, womit sie sich ein Jahr lang intensiv beschäftigt haben. Eine friedliche Stimmung greift um sich.

Eine Lernstatt als Impulsgeber

Eine Stimmung, von der sich auch die Hamburger Schauspielerin und Sängerin Saskia Brzyszczyk fesseln lässt. Sie leitet in Jena einen Workshop, möchte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern erfahren, wie schwer sich Menschen tun, wenn Worte nicht ausreichen, um sich auszudrücken. "Was bleibt mir dann an Körpersprache, was an Ausdrucksweise", stellt sie als Frage in den Raum. Erfahren muss es jeder selbst. Von einem ist die agile Künstlerin überzeugt: "Kunst kann unabhängig von Sprache, Herkunft und Glauben eine Verbindung zwischen Menschen schaffen."

Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an diesem bundesweiten Wettbewerb geht es nicht darum, einen Preis zu gewinnen. Als "Lohn" reicht den jungen Menschen, die in Jena insgesamt 48 unterschiedlichste von ihnen angestoßene Demokratieprojekte präsentieren, die Freude und Genugtuung darüber, etwas bewegt zu haben. Sie wurden aus über 300 Bewerbungen ausgesucht und dürfen nun an der Lernstatt teilnehmen. Was sie auf die Beine gestellt haben, ist auch ohne Preise ausgezeichnet. Da wandelt sich etwa auf Schülerinitiative eine ganze Schule innerhalb einer Projektwoche zum Staat (Gymnasium am Kurfürstlichen Schloss Mainz), oder da geht von der Jenaplan-Schule der Impuls aus, in der Kommune ein Jugendparlament zu installieren. Am Goethe-Gymnasium in Bensheim fordern nicht nur 850 Schülerinnen und Schüler "Stay tolerant - what else?", sie beschäftigen sich auch intensiv in Workshops und Projekten mit der Frage, wie sie den eigenen Anspruch in die Realität umsetzen können. Andere Gruppen organisieren Tage und Feste für Afrika, widmen sich dem "Countdown für eine nichtstrahlende Zukunft" oder kümmern sich um ein faires Miteinander von Jung und Alt - um nur einige zu nennen.

Schüler werben für mehr Mitbestimmung

Tim (18) koordiniert die Aktivitäten des Goethe-Gymnasiums in Bensheim. Er erinnert sich an die ersten Bemühungen, das Thema Zivilcourage in Workshops aufzugreifen. Heute sind diese fester Bestandteil des Schulalltags. Das geschärfte Bewusstsein für Zivilcourage und Demokratie hat einen unerhofften positiven Begleiteffekt entwickelt. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die bereit sind, sich in der Schülervertretung zu engagieren, ist sprunghaft gestiegen. Aus Jena nimmt Tim wertvolle Impulse für die weitere Arbeit mit. "Und ganz viel Motivation", ergänzt der 19-jährige Jannik. Er besucht die Jenaplan-Schule und kann sich vorstellen, eines Tages möglicherweise selbst Politiker zu werden. Er glaubt, dass es beim Demokratieverständnis in der Schule selbst noch erheblichen Nachholbedarf gibt. "Häufig geben die Politik und die Lehrer vor, wie es in Schule und Unterricht zu laufen hat. Wenn wir als Jugendliche stärker eingebunden und gehört würden, entstünde sicher eine bessere Lernatmosphäre und damit auch Lernmotivation."

Die Kritik teilt der wissenschaftliche Leiter und Mitbegründer des Förderprogramms Demokratisch Handeln, Prof. Dr. Peter Fauser (Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung, FSU Jena) durchaus. "Es ist hinreichend bekannt, dass der Mensch von klein auf demokratisch ist. Er will sich mit anderen abstimmen und mit anderen arbeiten. Doch mit Demokratie früh anzufangen, ist in der deutschen Schule noch ziemlich unbekannt." Aber genau in der Schule möchte der Geschäftsführer des Förderprogramms Demokratisch Handeln, Dr. Wolfgang Beutel, ansetzen. "Wir können die Schulen nur mit denjenigen verändern, die dort arbeiten", sagt er. Er wünscht sich demokratische Strukturen in der Schule und dass Schule noch stärker als bisher das Verständnis für Staat und Gesellschaft fördert. "Das würde den Weg zur Demokratie öffnen", glaubt er. Er ist davon überzeugt, dass Schülerinnen und Schüler, die in der Schule das Gefühl der Zugehörigkeit erfahren, weitaus weniger gefährdet sind, aus Frust über Politik radikalen Ansichten zu folgen.

Dem stimmen auch die Schülerinnen und Schüler bei der 22. Lernstatt Demokratie zu. Valerie (17) vom Rhein-Wied-Gymnasium in Neuwied genießt, dass "hier bei der Werkstatt alle gleich sind. Demokratie bedeutet für sie, dass alle gleichberechtigt sind und jeder etwas zum Ganzen beitragen kann". Jessica (18) ist überzeugt, dass Demokratie und Gleichberechtigung an ihrer Schule, dem St. Franziskus Gymnasium mit Realschule in Kaiserslautern, gelebt wird. Grundsätzlich versteht sie unter Demokratie, dass jeder möglichst gleiche Chancen hat, dass Fairness groß geschrieben wird und alles getan wird, damit jeder zufrieden leben kann.

Wettbewerb fördert demokratische Handlungskompetenz

Die Lernstatt bietet beiden viel Feedback und damit Anregung für ihr künftiges Engagement. Sie ist Abschluss eines Wettbewerbes, der demokratische Haltung und demokratische Kultur im gelebten Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken soll. Es geht um die Förderung von "demokratischer Handlungskompetenz" und "kritischer Loyalität" bei Schülerinnen und Schülern, aber auch Lehrerinnen und Lehrern. Der Wettbewerb wird gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, von einer Gruppe von Kultusministerien sowie verschiedenen Stiftungen. Seit 1990 sind in 22 Ausschreibungen bislang 4569 Projekte eingereicht worden.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Workshops
Bilder von der "22. Lernstatt Demokratie" (Quelle: Förderprogramm Demokratisch Handeln) © Grit Hiersemann

Demokratielernen in der schulischen und außerschulischen Alltagswelt von Kindern und Jugendlichen zu verankern, lautet auch das Ziel von "DemokratieErleben", einer Initiative der Körber-Stiftung, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sowie des Förderprogramms Demokratisch Handeln. Als Programmpartner hinzugetreten sind die Robert-Bosch-Stiftung, die Freudenberg-Stiftung, das SV-Bildungswerk, die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik und die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung. Die Initiative wird von der Ständigen Konferenz der Kultusminister unterstützt.

Sechs Thesen für Demokratie in der Ganztagsschule

Erst kürzlich hatte sich eine Expert/innen-Runde zu einem Round-Table-Gespräch in Hamburg getroffen, um das "Demokratieerleben in der Ganztagsschule" zu erörtern. Dabei ging es um sechs Thesen:

  • Ganztägige Schulen müssen Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen.
  • Gute Ganztagsschulen erkennt man an einer demokratischen Unterrichts- und Schulkultur.
  • Ganztagsschulen sind geeignete Lernorte der Demokratie.
  • Eine demokratische Ganztagsschule fordert von Schülerinnen und Schülern, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen - und Gelegenheiten erhalten, dies zu tun.
  • Ganztagsschulen sind lernende Organisationen und leben vom Engagement vieler unterschiedlicher Professionen und Beteiligten.
  • Ganztagsschulen öffnen sich in den Sozialraum.

Höhepunkt dieser engagierten Demokratiebewegung ist das Demokratiefest, das unter der Prämisse "Gutes sichtbar machen" am 18. Juni im Schloss Bellevue und in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck gefeiert wird.

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