Klimafreundlichkeit und Abfallvermeidung im Ganztag : Datum:

In den Mensen der Ganztagsschulen wandert zuviel Essen in den Müll. Wie das vermieden und gleichzeitig ein Beitrag zur Klimafreundlichkeit geleistet werden kann, verrät die Ökotrophologin Antonia Blumenthal, Mitarbeiterin bei der Verbraucherzentrale NRW.

Online-Redaktion: Spielen die Themen „klimafreundliche Ernährung“ und Abfallmengen in Ganztagsschulen eine Rolle?

Antonia Blumenthal: Vor zehn Jahren hätte ich Ihre Frage wahrscheinlich noch mit einem relativ klaren nein beantwortet, auch wenn ich mir bewusst bin, dass sich manche Schulen auch damals schon diesen wichtigen Überlegungen gestellt haben. Trotzdem wäre es seinerzeit schwergefallen, Einrichtungen zu finden, die das wirklich interessiert.

Online-Redaktion: Und heute?

Blumenthal: Es hat sich einiges grundlegend geändert. Das Bewusstsein in der Bevölkerung und damit auch bei den in Schule Tätigen für die Notwendigkeit, etwas für unser Klima und unsere Umwelt tun zu müssen, ist allgegenwärtig. Der verantwortungsvolle Umgang mit Lebensmitteln gehört untrennbar dazu. Die Jugend hat das realisiert. Bewegungen wie Fridays for Future belegen das. Deshalb bieten wir, wenn es möglich ist, auch Bildungseinheiten in den Schulklassen an. Auch das Interesse an unseren Seminaren, Fortbildungen und Beratungen steigt deutlich an. Und wäre Corona nicht dazwischengekommen, wäre die Zahl der Schulen, die an diesen Fragen mit uns arbeiten wollen, sicher höher als vor drei Jahren, als wir bereits mit 20 Schulen intensiv zusammengearbeitet haben. Aber in den vergangenen sechs Monaten spüren wir trotz der Maßnahmen gegen die Pandemie ein verändertes Verhalten der Schulen. So manche lassen sich von solch widrigen Umständen nicht aufhalten, sondern handeln nach der Devise, worauf sollen wir noch warten…

Online-Redaktion: Auf Sie und Ihre Unterstützung vielleicht… Was können Sie anbieten?

Blumenthal: Schulen aus NRW, die sich bei uns melden, können zwischen Seminaren oder einer sehr exakten und intensiven Beratung der Einrichtung mit all ihrer jeweiligen Besonderheiten wählen.

Mensa
© VZ NRW / Mathias Kehren

Online-Redaktion: Von wem geht die Initiative bei Schulen aus?

Blumenthal: Auf unsere Unterstützungsangebote in der Schulmensa bezogen, sind es in erster Linie Küchenpersonal (Küchenleitung, OGS-Leitung, Küchenpersonal) oder Schulleiter/Pädagogen oder auch die Caterer, die sich bei uns melden. Aber auch Träger der Schulen. Eltern melden sich selten mit dem Wunsch, die Ernährung in der Schule ändern zu wollen. Wenn es dann aber um die Ernährung zu Hause geht, kann der Impuls seitens der Schülerinnen und Schüler kommen.

Online-Redaktion: Wie gehen Sie bei einer Beratung vor Ort vor?

Blumenthal: Wir versuchen alle an Schule Beteiligten an einen Tisch zu holen. Denn im besten Falle sind sie alle Gäste ihrer Mensa und haben alle unterschiedliche Vorstellungen, Erwartungen und Wünsche vom und ans Essen. Bei ihnen allen möchten wir zum einen das Bewusstsein für klimafreundliche Ernährung sowie die Vermeidung von „Abfällen“ und Essensresten schärfen. Das eine ist eine Wissensfrage, dass andere eine der konkreten Umsetzung. Zunächst machen wir uns dann ein Bild von der konkreten Situation. Was wird zubereitet? Wieviel wird zubereitet? Wie ist das Einkaufs-, wie das Konsumverhalten? Dann prüfen wir, wieviel übrigbleibt und in den Müll wandert? Natürlich müssen wir für eine Bewertung auch Faktoren berücksichtigen, wie etwa die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die tatsächlich zum Essen kommen etc. Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, überlegen wir gemeinsam mit den Schulen, was und wie es verändert werden kann.

Online-Redaktion: Beginnen wir mit dem Wissen. Was ist klimafreundlicher Konsum?

Blumenthal: Klimafreundlicher Konsum hat viele Facetten, und die Vermeidung von Speiseabfällen ist eine davon. Knackpunkt ist, nicht über den Bedarf zu produzieren, um eine Überproduktion zu vermeiden und natürlich muss es schmecken. Um einmal eine Zahl zu nennen: Am Beispiel von 16 Schulen in NRW können wir sagen, dass im Durchschnitt 100 Gramm pro Person/pro Mittagesmenü zu viel produziert wird, die dann im Abfall landen.

Online-Redaktion: Wo liegen die Ursachen für die Überproduktion?

Blumenthal: Bei unseren Bestandserhebungen stellen wir immer wieder eine nicht bedarfsgerechte Kalkulation fest. Die Betreiber der Mensen müssen zudem mit der Unwägbarkeit umgehen, wie viele Schülerinnen und Schüler tatsächlich zum Essen kommen. Krankheitsfälle oder die spontane Lust, doch lieber neben im Supermarkt einen Snack zu kaufen, sind nicht kalkulierbar. Zudem glauben viele, die Attraktivität der Mensa dadurch steigern zu können, dass sie für jeden Geschmack etwas anbieten. Wir dagegen empfehlen beispielsweise, zu kommunizieren, dass nicht zu jeder Zeit alles zu haben ist. Was alle ist, ist alle. Und wir empfehlen, an Tagen an denen Lieblingsessen wie Pommes auf dem Plan stehen, weniger Beliebtes zu reduzieren.

Online-Redaktion: Klimafreundlich bedeutet aber nicht nur bedarfsgerecht...

Blumenthal: Alles zur klimafreundlichen Ernährung aufzuführen, würde hier den Rahmen sprengen. Dass Fleischproduktion das Klima schädigt, ist bekannt. Wir raten, so wie es inzwischen auch die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung tun, dass maximal einmal pro Woche Fleisch angeboten wird. Es ist auch Ernährungsphysiologisch völlig unproblematisch, mehr rein pflanzliche Lebensmittel zu verwerten, zumal die Kinder mit Sicherheit zuhause auch noch Fleisch konsumieren. Was aber beispielsweise die meisten gar nicht wissen, ist, dass Reis aus der üblichen Form des Nassanbaus klimaschädlich ist. Bei der Produktion werden extrem große Mengen des schädlichen Methans freigesetzt. Schulen sollten daher Reis maximal einmal alle zwei Wochen anbieten. Alternativ können Sie beispielsweise auf heimischen Dinkelreis oder Hirse zurückgreifen.

Brokkoli wird abgewogen
© VZ NRW / Mathias Kehren

Online-Redaktion: Der Spagat für die Mensen ist nachvollziehbar – Klima schonen, Abfälle vermeiden und gleichzeitig „Kunden“ mit ihren höchst unterschiedlichen Wünschen halten. Wie gelingt das?

Blumenthal: Wahrscheinlich ist das die größte Herausforderung. Man wird es nie allen recht machen können. Andere, den Kindern und Jugendlichen eher fremde Gerichte schmackhaft zu machen, fällt sicher schwer und gelingt nicht von heute auf morgen. Wichtig erscheint uns, sich Rückmeldungen darüber einzuholen, was schmeckt und warum anderes vielleicht nicht. Im besten Fall werden Schülerinnen und Schüler, aber auch alle anderen, die die Mensen nutzen, in die Speiseplangestaltung eingebunden. Gelingt es, eine Identifikation herbeizuführen, werden das Essen und das Konzept auf Akzeptanz stoßen. Meinungen einzuholen, heißt übrigens nicht, auf Wunsch täglich Pizza und Pommes auf den Speiseplan zu setzen. Es geht dabei auch um die Schärfung des Bewusstseins. Daher plädieren wir dafür, das komplexe Thema fächerübergreifend im Unterricht zu aufzugreifen. Und wir erinnern die Schulen an ihre Vorbildfunktion. Klimafreundlichkeit zu predigen und alles in Plastik verpackt am Schulkiosk zu verkaufen, mündet in Unglaubwürdigkeit.

Online-Redaktion: Können Sie Schulen ein paar konkrete Tipps zur Vermeidung von Essensresten geben?

Blumenthal: Der erste Schritt ist der Blick auf die Speiseabfälle. Nur wenn bekannt ist was und wie viel entsorgt wird, können Lösungen gefunden werden. Konkret: Eine Schule, die an unseren Untersuchungen teilgenommen hat, bot das Mittagessen in Buffetform an. Sie nahm den Blick auf die Abfälle in den Arbeitsalltag der Küche auf. Als zweite Maßnahme produzierte sie weniger und legte bei Bedarf das Fehlende nach. Allerdings wurde auch deutlich gemacht, dass nicht alles jederzeit und bis zum Ende der Öffnungszeit verfügbar sei. Darüber hinaus lud sie ihre Gäste ein, sich jederzeit Nachschub zu holen. Das Ergebnis war enorm. Die ursprüngliche Abfallmenge konnte im Verhältnis zur Produktionsmenge von 27 Prozent auf 13 Prozent gesenkt werden. Damit schützt man nicht nur das Klima, sondern geht verantwortlich mit Ressourcen um. Und ganz nebenbei spart man Geld und kann dieses einsetzen, um möglicherweise teurere, regionale Bioprodukte zu nutzen

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Antonia Blumenthal, Jg. 1985, ist Ökotrophologin. Nach dem Studium der Ökotrophologie an der Fachhochschule Münster war sie von 2011 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Nachhaltige Ernährung. Seit 2015 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich „Ernährung und Umwelt“ der Verbraucherzentrale NRW und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Vermeidung von Speiseabfällen in Gemeinschaftseinrichtungen“. Seit 2016 berät sie für die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen auch die Ganztagsschulen des Landes.

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