Schulverpflegung mit Partizipation : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Die Mensa ist mehr als Ort der Verpflegung. „Freunde treffen" und „mit Freunden essen" ist für Schülerinnen und Schüler genauso wichtig. Dr. Birgit Braun leitet die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Schleswig-Holstein.

Ökotrophologin Dr. Birgit Braun
Ökotrophologin Dr. Birgit Braun © Manuela Sorg

Online-Redaktion: Frau Dr. Braun, Sie sind auch wissenschaftliche Expertin – was ist eine gute Schulverpflegung?

Dr. Birgit Braun: Das beste Zeichen für eine gute Schulverpflegung ist, wenn viele Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler gerne und häufig in die Mensa oder Cafeteria kommen. Dazu gehört eine Mensa, in der es, auch wenn viele essen, nicht zu laut wird. Für die Älteren ist wichtig, dass sie für sich sein können, und die Mittelstufe hätte gerne Rückzugsmöglichkeiten, die sie „Pause von der Schule“ machen lässt. Pausenzeiten, die ein Essen in Ruhe ermöglichen, sind häufig Theorie, aber wichtig, wenn ein warmes Essen oder ein Salat verzehrt werden möchte. Und nicht zuletzt sollten alle die Möglichkeit haben, Speisen auswählen zu können.

Online-Redaktion: Welche Aufgaben hat dabei Ihre Vernetzungsstelle?

Braun: Wir, die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Schleswig-Holstein, sehen uns als Dreh- und Angelpunkt zu allen Fragen der Schulverpflegung. Wir verstehen uns als Netzwerker und geben gern unser Wissen weiter, insbesondere zum DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung. Dabei versuchen wir, schrittweise die Qualität von Schulessen in Richtung gesund und nachhaltiger zu verändern.

Online-Redaktion: Gibt es regionale Unterschiede innerhalb von Schleswig-Holstein?

Braun: Es gibt riesige Unterschiede in Schleswig-Holstein. Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle, was den Ganztag und damit auch die Nachfrage nach Mittagessen betrifft. Und es gibt Unterschiede zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen. In Grundschulen ist das Angebot ein warmes Mittagessen. In weiterführenden Schulen bevorzugen insbesondere die älteren Schülerinnen und Schüler eher kostengünstige und schnell verzehrbare Snacks, die am liebsten zu allen Pausenzeiten verfügbar sein sollten. Solch ein Angebot ist dann besonders attraktiv, wenn die Speiseräume klein, die Mittagspause kurz und die Busfahrzeiten nicht primär auf die schulischen Belange abgestimmt sind – allesamt Aspekte, die nicht von heute auf morgen verändert werden können.

Online-Redaktion: Sie arbeiten im „Netzwerk Ernährung Schleswig-Holstein“: Wer gehört dazu?

Braun: Das Netzwerk Ernährung hat eine ganze Reihe von Akteuren. Dazu gehören beispielweise die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen, die Sektion Schleswig-Holstein der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und noch weitere rund um das Thema Ernährung in Schleswig-Holstein Tätige. Das Netzwerk führt alle zusammen. Im Moment ist es allerdings nicht aktiv. Es sind jedoch Akteure darunter, mit denen wir auch jetzt gerne und häufig kooperieren.

Online-Redaktion: Welche Bedeutung hat die Mensa neben der reinen Verpflegung? Und ist das den Ganztagsschulen immer ausreichend bewusst? 

„Freunde treffen" oder „mit Freunden essen"
„Freunde treffen" oder „mit Freunden essen" © Britta Hüning

Braun: Wir haben ältere Schülerinnen und Schüler gefragt, was ihnen in der Mittagspause wichtig ist, und ihre spontanen Antworten lauteten: „Freunde treffen“ oder „mit Freunden essen“. Das entspricht eigentlich schon ganz den Forderungen des WBAE, des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft , der 2020 diese Bedeutung hervorgeheben hat. So hat er angemerkt, dass ein gemeinsames Essen zum Informationsaustausch beiträgt, aber auch soziale Beziehungen, gemeinsame Normen und Werte sowie eine soziale Integration fördert. Das Potenzial der Schulverpflegung als sozialer Lernort ist auch aus unserer Sicht bislang noch längst nicht ausgeschöpft. Ich denke, das ist den Verantwortlichen in den Ganztagsschulen durchaus bewusst. Doch die Rahmenbedingungen stimmen häufig noch nicht.

Online-Redaktion: Wie können Schulmensen der in vielerlei Hinsicht zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft gerecht werden? 

Braun: Meine Vision einer Mensa für alle wäre ein für alle Schülerinnen und Schüler zugänglicher Treffpunkt in der Mittagszeit mit einem für alle beitragsfreien Speisenangebot, das allen Schülerinnen und Schülern eine eigenständige Wahl aus einem Speisenangebot zubilligt. Wenn die Wahlmöglichkeiten die heterogenen Vorstellungen der Schülerschaft berücksichtigen, kann das gut funktionieren. Denn „Gemeinschafts“verpflegung heißt nicht, dass alle das Gleiche auf dem Teller haben, sondern dass verschiedene Speisen, je nach Laune und Geschmack in Gemeinschaft verzehrt werden.

Eine Salat- beziehungsweise Rohkostbar oder eine Nudelbar helfen, aus einem Standardmenü, das schon lange vorher bestellt wurde, ein individuelles Mittagessen zusammenzustellen. Ein Büfettangebot ist in schleswig-holsteinischen Mensen bislang noch selten zu finden – dazu fehlt es häufig an Geld. Schülerinnen und Schüler, aber ebenso Lehrkräfte kommen dann gerne essen, wenn sie den ganzen Tag in der Schule sind, wenn die Qualität und der Preis des Essens stimmen, wenn Auswahlmöglichkeiten bei den Speisen bestehen und ein ruhiger Sitzplatz für sie zur Verfügung steht.

Online-Redaktion: Wie werden denn Schülerinnen und Schüler einbezogen, ihre Wünsche berücksichtigt?

Braun: In vielen Schulen werden inzwischen regelmäßig Umfragen zur Akzeptanz der Schulverpflegung durchgeführt. In weiterführenden Schulen sind Schülerinnen und Schüler meist in den Mensaräten vertreten. Aktuell sind beispielweise drei Schulen in Schleswig-Holstein mit Unterstützung durch BINGO! besonders aktiv. BINGO! Schleswig-Holstein fördert Projekte und Aktivitäten gemeinnütziger Einrichtungen in der Natur- und Umweltbildung mit räumlichem Bezug zum Land Schleswig-Holstein.

Die Partizipation von Kindern stärken
Die Partizipation von Kindern stärken © Deutsche Gesellschaft für Ernährung

Im Projekt „Schulkiosk in Schüler:innenhand“ setzt sich je eine Klasse im Fach Verbraucherbildung oder im Fach Wirtschaft/Politik in einem Schuljahr mit der Bewirtschaftung des Schulkiosks auseinander. Die Schülerinnen und Schüler und testen neue Speisenangebote, die preislich und sensorisch attraktiv sind und die saisonal, fair regional und ökologisch und gesundheitsfördernd sein können.

Online-Redaktion: Welche Schwerpunkte Ihrer Arbeit sehen Sie in den nächsten Jahren?

Braun: Wir möchten gerne die Partizipation von Kindern bei der Gestaltung von Verpflegungsangeboten in den Fokus nehmen. In einem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten IN FORM-Projekt in den Jahren 2025 bis 2027 werden wir ausprobieren, ob und wie das funktionieren kann.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Dr. Birgit Braun, Jg. 1961, leitet seit 2009 die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Schleswig-Holstein bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Sektion Schleswig-Holstein. Die studierte Ökotrophologin und Doktorin der Agrarwissenschaften ist seit vielen Jahren in Forschungsprojekten, in der Lehre und in Projekten zur Praxis der Gemeinschaftsverpflegung tätig.

Veröffentlichung u.a.:

Braun, B., Schafmeister, M., Jonas, A., Senkler, H., Betke, N. Neuthard, C. & Stehr-Murmann, S (2022): Wie SchülerInnen ihre Schulverpflegung sehen. Ernährungsumschau. Forschung und Praxis, 69 (8), 118-124.

Die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Schleswig-Holstein ist bei der Sektion Schleswig-Holstein der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. in Kiel angesiedelt und wird mit Landesmitteln vom Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein gefördert.

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