Podcast „Gutes im Ganztag“: Lecker essen in Hamburg : Datum: Autor: Autor/in: Claudia Pittelkow

Wer anfängt, den Ganztag zu planen, sollte am besten mit der Qualität in der Mittagspause beginnen – das und vieles andere empfiehlt Björn Steffen im neuen Podcast „Gutes im Ganztag“ der Hamburger Schulbehörde.

Ganztagsreferent Björn Steffen ist Host des Podcasts
Ganztagsreferent Björn Steffen ist Host des Podcasts © Claudia Pittelkow

Lautes Stimmengewirr, dann das Klingeln zum Ende der Pause: So startet der neue Podcast „Gutes im Ganztag“ aus der Hamburger Schulbehörde. In der ersten Folge geht es ums Schulessen, ein Thema, das Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen immer wieder beschäftigt. Mittagessen in der Schule – kann das schmecken? Eine Ernährungswissenschaftlerin berichtet in Folge 1 darüber, wie das gelingen kann – und woran es scheitern kann.

Die Idee zum Podcast hatte Björn Steffen, Referent für Schulverpflegung im Hamburger Ganztagsreferat und Host des Podcasts. Acht 15- bis 20-minütige Folgen wurden bereits produziert, weitere sind in Planung. 

Online-Redaktion: Herr Steffen, um welche Themen geht es in Ihrem Podcast „Gutes im Ganztag?

Björn Steffen: Insgesamt werden in diesem Jahr 20 Folgen zum Themenschwerpunkt Schulverpflegung produziert. Dafür spreche ich mit wechselnden Gästen beispielsweise über das Free-Flow-Ausgabesystem, also das Prinzip der Selbstbedienung, über Lärm in der Mensa, über den Einsatz von Stehtischen als sogenannte Speed Zone oder auch in einer Folge darüber, was Brasilien in der Schulverpflegung besser macht. Wir planen aber noch weitere Podcasts zu anderen ganztagsrelevanten Themen, etwa zu Rhythmisierung, Raumgestaltung oder pädagogischer Begleitung. Der Leitgedanke dabei ist, dass eine gut gestaltete Schulverpflegung zentrales Element eines gut gestalteten Ganztags ist.

Online-Redaktion: Wozu ist der Podcast da und an wen richtet er sich?

Björn Steffen: Der Podcast soll inspirieren, informieren und ermutigen. An jeder Schule gibt es Personen, die etwas verändern und verbessern wollen und sich darüber Gedanken machen, aber es gibt auch an jeder Schule Personen, die alles so lassen wollen, wie es ist. Dieser Podcast ist dafür gedacht, in den schulinternen Diskussionen diejenigen zu stützen, die etwas verbessern wollen.

Er richtet sich vornehmlich an Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeitende der Kooperationspartner im Ganztag, aber auch an Elternräte und alle anderen Interessierten. Mit dem Podcast wie auch mit unserem YouTube-Kanal wollen wir einen Wissenstransfer organisieren. Unsere kurzen Filme über das Free-Flow-System und die Speiseraumgestaltung haben bereits jetzt über 3.000 Klicks, der Podcast zurzeit fast 1.300 Wiedergaben – das Interesse ist also da, auch bei solchen Nischenthemen.

Online-Redaktion: Free-Flows, also frei zugängliche Büfetts, werden aktuell als bestes System für Schulkantinen gepriesen. Wie finden denn die Kinder dieses Selbstbedienungsprinzip?

Free-Flow: Ein frei zugängliches Büfett ...
Free-Flow: Ein frei zugängliches Büfett ... © Fernando Soares Elb-Fotografie

Steffen: Die Kinder schätzen das sehr, wenn sie sich frei selbst bedienen können. Das ist die Botschaft: Freiheit. Denn Kinder werden ruhig, wenn sie frei sind. Wenn sie selbst entscheiden können, gibt es keinen Grund, übers Essen zu meckern oder zu streiten. Dass das Ausgabesystem Free-Flow nicht funktioniert, dass Kinder das nicht können mit der Selbstbedienung und sich immer zu viel oder das Falsche nehmen, ist ein weitverbreitetes Vorurteil. Doch das stimmt nicht, im Gegenteil: Die Kinder können das! Das wissen wir aus der Praxis und das wird auch von ernährungswissenschaftlicher Seite gestützt. Wir wollen den Skeptikern an den Schulen durch gezielte Information etwas entgegensetzen und dazu ermutigen, Free-Flow zu etablieren.

Online-Redaktion: Dennoch hält sich das Essen aus Schüsseln am Tisch – also das Gegenteil von Selbstbedienung – in Hamburgs Schulkantinen hartnäckig. Warum?

Steffen: Vor 13 Jahren, bei der Einführung des Ganztags in Hamburg, hatten wir uns an den Grundschulen das Schüsselsystem überlegt, um für die Ganztagsschule zu werben. Wir als Ganztagsaktivisten haben damals das Narrativ erzählt, dass das Mittagessen im Ganztag gut fürs soziale Lernen ist, weil die Kinder hier wie zu Hause im Familiensystem essen. Das heißt, man sitzt gemeinsam am Tisch, bedient sich aus Schüsseln und achtet auf Benimmregeln.

Das ist wohl einer der Gründe, warum das Schüsselsystem immer noch in so vielen Schulmensen aufrechterhalten wird. An einzelnen Schulen wird sogar noch im Klassenraum gegessen. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das Free-Flow-System in einem gut gestalteten Speiseraum die beste Lösung ist. Wir schreiben den Schulen jedoch nichts vor. Nur wenn Schulen von sich aus an uns herantreten, beraten und unterstützen wir bei der Umstellung. 

Online-Redaktion: Gibt es einen aktuellen Fall, den Sie uns beispielhaft schildern können?

Steffen: Ja, eine Grundschule hat uns vor einiger Zeit kontaktiert, in der die Kinder noch nach Schüsselsystem im Klassenraum essen. Sie wollten gerne etwas ändern, aber der externe Kooperationspartner wollte nicht mitziehen. Wir unterstützen die Schule jetzt und finanzieren die Innenraumplanung, allerdings unter der Auflage, auf Free-Flow umzustellen. Uns liegen ganz tolle Entwürfe der Innenarchitektin vor, mit einer Stehtisch-Zone für all jene Kinder, die nur kurz etwas essen und dann schnell wieder raus wollen.

Denn warum soll man Kinder zwingen, sich zu setzen? Die haben ja den ganzen Vormittag gesessen und wollen sich bewegen! Ernährungsphysiologisch ist es übrigens völlig in Ordnung, im Stehen zu essen. Hier hat auch ein kultureller Wandel in den Essensgewohnheiten stattgefunden, dem wir Rechnung tragen müssen. Außerdem entlastet diese sogenannte Speed-Zone die Fläche insgesamt.

Online-Redaktion: Wie zufrieden ist Hamburg mit der Schulverpflegung?

Gut gestaltete Schulverpflegung: zentrales Element guten Ganztags
Gut gestaltete Schulverpflegung: zentrales Element guten Ganztags © Fernando Soares Elb-Fotografie

Steffen: Das ist sehr unterschiedlich und hängt von den Rahmenbedingungen und Bedürfnissen ab. Vor zehn Jahren gab es gefühlt mehr Kritik am schulischen Essen als heute. Hamburg ermöglicht als einziges Bundesland eine freihändige Vergabe durch die einzelne Schule in Form einer Dienstleistungskonzession: Die Caterer machen die Verträge direkt mit den Eltern, nicht mit den Schulen. Die Schulleitung schließt dann einen sogenannten Mustervertrag mit dem Caterer und überlässt ihm damit die Möglichkeit, in der Schule sein Essen anzubieten.

Aktuell sind etwa 60 Cateringunternehmen im Einsatz, wodurch auf die speziellen Bedürfnisse einzelner Schulen besser reagiert werden kann, als wenn ein Caterer 200 Schulen beliefern würde. Die persönliche Bindung zwischen Schulleitungen, Caterern und Gästen ist enger, und das ermöglicht mehr Qualität. Das ist einer der Punkte, warum Hamburg so erfolgreich in der Schulverpflegung ist.

Online-Redaktion: Worauf ist zu achten, wenn man Qualität beim Schulessen haben will?  

Steffen: Die Qualität des schulischen Ganztags steht und fällt mit dem guten Miteinander von Schulbeschäftigten unterschiedlicher Professionen. Es läuft nicht, wenn jede Lehrkraft sich nur auf ihr Fach konzentriert, man muss innerhalb eines Teams funktionieren. Beim Ganztag kommen noch die Beschäftigten der Jugendhilfe dazu. Wichtig sind gemeinsames Planen, Konzepte, ein Ganztagsausschuss, Partizipation, Feedback und Vertrauen. Ohne die Kooperationsidee funktioniert Schule nicht und Ganztag schon mal gar nicht.

Wenn es um die Schulverpflegung geht, kommt nun nochmal jemand aus einer ganz anderen Profession dazu, nämlich der Caterer. Nur wenn es gelingt, das alles zusammenzubringen, hat man Qualität. Sonst nicht. Ein Caterer kann noch so gut sein, wenn er auf Strukturen trifft, die nicht optimal für ihn sind. Hat er beispielsweise zu wenig Zeit, zu wenig Raum, zu wenig pädagogische Begleitung, kann auch der beste Caterer keine Qualität liefern.

Online-Redaktion: Also sagt die Schulverpflegung auch etwas über die Schule aus?

Steffen: Genauso ist es. Die Schulverpflegung ist ein Indikator. Es gibt eigentlich keine gute Schule mit schlechter Schulverpflegung, und es gibt keine gute Schulverpflegung ohne eine gute Schule drumherum. Gute Qualität bekommt man nur in der gemeinsamen Konzeption hin.

Online-Redaktion: Wo sind die Fallstricke bei der Schulverpflegung, was sollte vermieden werden?

Steffen: Wenn Schülerinnen und Schüler in langen Schlangen vor der Mensa warten müssen, jeden Tag aufs Neue, das ist ein gutes Beispiel, wie es nicht laufen sollte. Das bekommt der Caterer mit und auch die pädagogische Begleitung. Wenn das im Ganztagsausschuss eingebracht wird und die Reaktion ist, „das können wir nicht ändern“, läuft etwas schief.

Die Qualität des Ganztags steht und fällt mit dem guten Miteinander
Die Qualität des Ganztags steht und fällt mit dem guten Miteinander © Fernando Soares Elb-Fotografie

Oder wenn die pädagogische Begleitung sich beschwert, dass es nie Salat gibt, womöglich weil an der Salatbar nur eine Person steht und schnippelt, der Caterer für dieses Problem aber nicht erreichbar ist. Auch hier läuft etwas schief. Ein Player nimmt etwas wahr, der andere ignoriert das, so funktioniert es nicht. Alle Player müssen sich in die anderen hineindenken, sonst gibt es keine Qualität.

Online-Redaktion: Welches sind aktuell die wichtigsten Handlungsfelder?

Steffen: Dazu gehören das Ausgabesystem Free-Flow und die Speiseraumgestaltung, außerdem die Bereiche Organisation, Schichten, Rhythmisierung und pädagogische Begleitung. Vor allem mit der pädagogischen Begleitung müssen wir uns intensiver beschäftigen. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob das Mittagessen ein ganz normales Ganztagsangebot ist oder ob das etwas ist, was darüber hinausgeht. Ich denke, es ist mehr, denn es geht ums Essen und Trinken, um körperliche Grundbedürfnisse also, und die Erwartung ist dementsprechend hoch.

Dennoch gibt es viel weniger pädagogische Begleitkonzepte, als man angesichts der Bedeutung des Mittagessens annehmen würde. Sollen die Kinder nur satt werden? Oder sollen sie auch etwas lernen über Lebensmittel? Oder was ist, wenn die Aufsichtskraft bemerkt, dass ein Kind immer alleine isst? Oder sich immer zu viel auf den Teller tut, aber nicht aufisst. Soll die pädagogische Begleitung sich darum kümmern? Hier besteht konzeptueller Handlungsbedarf.

Online-Redaktion:  In Hamburg wurde der Ganztag bereits 2011 flächendeckend eingeführt, in anderen Bundesländern fangen Schulen damit gerade erst an. Haben Sie einen Tipp?

Steffen: Wenn ich denen, die jetzt mit dem Ganztagsausbau anfangen, etwas zurufen dürfte aus Hamburg, wäre es: Wenn ihr jetzt anfangt, euren Ganztag zu planen, überlegt euch gleich zuerst, wie ihr Qualität in der Mittagspause hinbekommt. Wie sieht die Fläche aus, wie sieht die Zeit aus und wie sieht die Küche aus? Und dann baut den Rest drum herum! Denn die anderen Themen bekommen sowieso genug Raum, da muss man sich keine Sorgen machen. Das ist mein Appell aus Hamburg.

Online-Redaktion: Was können Schule und Ganztag von der Schulverpflegung lernen?

Steffen: Kinder und Jugendliche können mehr! Je mehr man ihnen zutraut, desto entspannter wird es. Sie verhalten sich prima am Selbstbedienungsbüfett. Sie werden ruhiger und angenehmer im Umgang, wenn man ihnen Freiräume gibt. Sie wissen häufig ziemlich gut, was sie brauchen. Die Forschung hat auch gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mutiger werden durch Vorbilder im gleichen Alter. Da ist immer jemand im Freundeskreis, der Brokkoli probiert oder Pilze. Auch wenn die Eltern es schon oft vergeblich versucht haben, wenn die beste Freundin Pilze probiert, dann traut sich das Kind plötzlich auch selbst. Kinder regulieren und inspirieren sich gegenseitig. 

Zur Person:

Björn Steffen, Jg. 1965, ist seit 2016 Referent für Schulverpflegung im Ganztagsreferat der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung. Seit Februar 2024 ist er Host des neuen Podcasts „Gutes im Ganztag“. Nach dem Lehramtsstudium an der Universität Hamburg und dem Referendariat war er zunächst Lehrer an der Gesamtschule Öjendorf. Von 2005 bis 2009 leitete er die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hamburg im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und rief das Netzwerk der Hamburger Ganztagsschulkoordinatorinnen und Ganztagsschulkoordinatoren mit ins Leben. 2009 bis 2011 war er pädagogischer Leiter an der Neuen Schule Hamburg, einer von der Popmusikerin Nena gegründeten Privatschule, die als Demokratische Schule nach dem Sudbury-Modell arbeitet. 2011 wurde er Schulleiter der Theodor-Haubach-Grundschule, einer teilgebundenen Ganztagsschule, die er bis 2016 leitete.

Zu den bisherigen acht Folgen des Podcast „Gutes im Ganztag“ gehören u. a.:

Schulverpflegung und pädagogische Begleitung: ein Dreamteam?

Wie funktioniert ein Kinderkiosk?

Gibt es eine faire Ernährungsumgebung?

Macht Free-Flow glücklich?

Schulessen – geht das auch leise?

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