Mensa als Herzstück der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Es ist ein ungewöhnliches Betätigungsfeld für einen Kooperationspartner von Ganztagsschulen. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Oberhausen begleitet die Konzeption und den Aufbau von Mensen in Schulen. Die Hintergründe.

Online-Redaktion: Frau Bährend, wie kam es dazu, dass die AWO Ganztagsschulen bei der Gestaltung ihrer Mensa berät?

Andrea Bährend: Eigentlich ist dieses Unterfangen einer Kette von Zufällen, mutigen Entscheidungen und viel Begeisterung zu verdanken. Die AWO Oberhausen ist seit 2003 Partner im Offenen Ganztag in der Primarstufe und seit 2007 Partner von Schulen im Ganztag in der Sekundarstufe I. 2008 unterstützten wir als zukünftiger Partner im Ganztag das Elsa-Brändström-Gymnasium bei der Planung des neu einzurichtenden Ganztags. Teil der Planung war auch das Raumkonzept und somit die Einrichtung einer Mensa. Die Schule liegt in der Innenstadt, ein Anbau für eine Mensa war aufgrund der Bebauungsdichte nicht möglich. Der Geschäftsführer der AWO, Jochen Kamps, brachte während eines Planungstreffens den Vorschlag ein, ein leer stehendes Ladenlokal zur Mensa umzufunktionieren. Dieser anfänglich skeptisch betrachtete Gedanke stellte sich als gute Lösung heraus, und es war nahe liegend, außerhalb von Schule auch ein anderes Raumkonzept, ein Schulbistro, für das gemeinsame Mittagessen zu entwickeln. In Ermangelung eines geeigneten Architektenentwurfes, begeistert und überzeugt von der eigenen Idee, übernahmen Jochen Kamps und ich dann die Regie und setzten unsere Idee der anderen Mensa um: Es entstand das „Café Lunchström“.

Online-Redaktion: Spürten Sie Skepsis der Schulleitung und besonders auch der Schulverwaltung nach der Devise: Verfügt die AWO über die erforderliche Kompetenz?

Bährend: Ich glaube, es war ein Zusammentreffen verschiedener glücklicher Komponenten, das diesen ersten Versuch ermöglichte: Ein überzeugender Geschäftsführer traf auf ein mutiges Schulamt und eine engagierte Schulleitung. Die Auflage der Kommune war, dass die Mensa den finanziellen Rahmen des 1000-Schulen-Programms nicht überschreiten durfte, denn Oberhausen befindet sich seit 25 Jahren in der Haushaltskonsolidierung, finanzielle Extravaganzen sind da nicht möglich. Wir konnten am Ende beweisen, dass die neue Mensa schöner, aber nicht teurer ist. Das Café Lunchström war ein Erfolg und nach diesem gelungenen Beispiel und den positiven Erfahrungen zog das Konzept in Oberhausen ganz schnell Kreise.

Online-Redaktion: Das Zusammenspiel Schule, Behörde, Architekten, Eltern und Schüler ist erfahrungsgemäß bei der Mensagestaltung problematisch. Welche Rolle spielen Sie?

Bährend: Die AWO setzt genau an dieser Schnittstelle zwischen den verschiedenen Akteuren an. Als Ganztagspartner können wir die pädagogische Sicht der Raumgestaltung vertreten, wir verfügen über reichhaltige Erfahrungen darüber, was eine Schule für einen gelingenden Ganztag benötigt. Wir können die Bedürfnisse des Kollegiums, der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern aufgreifen und verstehen und mit Ihnen arbeiten, um ein Konzept zu entwickeln, das zum Profil der Schule passt. Wir können aber auch mit Tischlereien und Möbelfirmen verhandeln, wir holen günstige Angebote ein, um preiswerte Lösungen zu finden. Wir nehmen die Einwände der Schulverwaltung ernst. Und wir bringen Erfahrungen mit, können beraten und Beispiele nennen.

Online-Redaktion: Was zeichnet eine attraktive Mensa, welche die Schülerinnen und Schüler gerne nutzen, Ihrer Meinung nach aus?

Bährend: Eine Mensa ist dann gelungen, wenn sich Schülerinnen und Schüler, aber auch die Lehrkräfte gerne dort aufhalten. Daher finden wir es wichtig, dass eine Mensa nicht wie ein Speisesaal, sondern wie ein Bistro aussieht, eingerichtet im Stil der Cafés, die beide Personengruppen auch in ihrer Freizeit aufsuchen würden. Dazu gehört, neben dem entsprechenden Gastronomiemobiliar und einem guten Farbkonzept auch ein Beleuchtungskonzept fernab von Rasterleuchten. Böden müssen anders als bisher gestaltet werden, blau-geflockte oder graue Linoleumböden sollten der Vergangenheit angehören und durch Böden in Holzoptik ersetzt werden. Bänke geben einem Raum Struktur, gepolsterte, abwaschbare Sitzmöbel spenden Komfort. Wir spielen gerne mit den Sitzhöhen. Tische sind mal in der Form einer Ellipse, mal groß und lang, mal quadratisch flexibel.

Ganz wichtig ist der Lärmpegel: Oberstes Gebot ist eine gute Akustikdecke! Fliesenböden sind laut, Metallfüße an Stühlen und Tischen verursachen zusätzlichen Lärm, harte Kunststofftischplatten reflektieren den Schall – ich habe schon in Mensen gestanden, die menschenleer und doch furchtbar laut waren.

Online-Redaktion: Teilen die bereits genannten Partner Ihre Auffassung?

Bährend: Wir haben bisher nur positive Rückmeldungen erhalten, auch von Schulen, die anfänglich deutliche Bedenken geäußert haben. Als wir im vergangenen Frühjahr eine Kommune bei der Umgestaltung einer Mensa beraten haben und dabei auf einige Zweifel stießen, fand sich innerhalb eines Tages eine Schulleiterin, die alle in ihre –von der AWO eingerichtete – Mensa einlud und mit großer Begeisterung von diesem neuen Konzept berichtete und ihre guten Erfahrungen schilderte. Ebenso verhält es sich mit der Schulverwaltung. Diese ist stolz, Pionierin gewesen zu sein und hat das AWO-Konzept stets weiterempfohlen.

Online-Redaktion: Wie leisten Sie Überzeugungsarbeit?

Bährend: Wir sind keine Theoretiker, wir sprechen aus der Praxis, kennen den Ganztagsschulbetrieb. Das merken die Schulen. Wir sprechen von Erfahrungen, wissen, was sich bewährt hat, können auch Fehler eingestehen, und wir verstehen vor allem die Bedenken. Diese Erfahrung mit den bereits gebauten und gelebten Mensen, die ist einfach unschlagbar: Wir können Beispiele nennen, durch Mensen führen. Man kann das, wovon wir erzählen, begutachten und anfassen. Seit 2009 streuen wir unsere Erfahrungen, haben bereits aktiv an der Ganztagsmesse mitgewirkt, Workshops im Auftrag des Instituts für Soziale Arbeit durchgeführt. In den vergangenen zwei Jahren haben wir unsere Zusammenarbeit mit der Vernetzungsstelle Schulverpflegung verstärkt, gemeinsame Workshops veranstaltet und so einen weiteren Weg gefunden, Schulen und Schulverwaltungen anzusprechen und zu ermutigen.

Online-Redaktion: Wie gelingt es Ihnen, alle Beteiligten, bei dem Prozess der Mensagestaltung mitzunehmen?

Bährend: Wir überzeugen durch Beispiele. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass die Beteiligten von sich aus den Wunsch nach Veränderung mitbringen.

Online-Redaktion: Sie haben inzwischen 14 Schulen begleitet. Auf welche Resonanz stoßen die Mensen dort?

Bährend: Die Schülerinnen und Schüler sind begeistert. Wir haben bereits Kommentare wie „das ist doch viel zu schön für uns“ gehört. Auch die Schulen sind stolz auf ihre Mensen. Allen Schulen gelingt es, gute Konzepte zu entwickeln, damit diese Räume gepflegt werden. Bei den Schülerinnen und Schülern geht unser Leitgedanke voll auf: Wir bringen ihnen durch die Raumgestaltung Wertschätzung entgegen, und sie wertschätzen diesen Raum – immer.

In vielen Fällen hat sich die Mensa zum Herzstück der Schule entwickelt, sie ist ein wichtiger Ort der Begegnung geworden und hat das Schulleben verändert. Wenn Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam Zeitung lesend, arbeitend, Kaffee trinkend mit einem Brötchen ihre Freistunden verbringen – dann verwandelt sich Schule in einen Lebensort.

Online-Redaktion: Was raten Sie Ganztagsschulen, wenn diese Sie fragen, worauf sie beim Mensa-Bau oder deren Gestaltung achten müssen?

Bährend: Wenn eine Mensa neu gebaut oder eingerichtet wird, so kann das nicht der Raum werden, der allen schon immer gefehlt hat. Völlig unpopulär spreche ich mich entschieden gegen die Multifunktionalität aus. Entscheiden Sie sich: Was ist das Allerwichtigste, was hier passieren soll? Nur so kann man dem Raum einen Charakter, ein Gesicht geben. Alle Schulen, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, setzten den Mensabetrieb an die erste Stelle und fanden für andere Bedürfnisse gute Lösungen.

Online-Redaktion: Angenommen, eine Ganztagschule käme heute zu Ihnen und würde Sie um Unterstützung bitten. Unter welchen Voraussetzungen würden Sie zusagen?

Bährend: Wir freuen uns, wenn wir mit unserer Idee auch andere Schulen und Kommunen begeistern können und beraten gerne. Wir haben bereits einige Kommunen unterstützt und einige Prozesse begleitet. Auch in diesem Beratungsprozess lernen wir dazu. Das Oberhausener Projekt ist gelungen, weil wir die Federführung bei der gesamten Projektdurchführung in der Hand hatten. Wir haben jedes Detail des Prozesses begleitet, die Umsetzung überwacht und den letzten Schliff bis hin zur Dekoration begleitet.

Wenn eine Kommune eine Beratungsleistung einkaufen möchte, die sich nur auf einzelne Aspekte des Konzeptes bezieht, dann mache ich ganz deutlich, dass das Endprodukt nicht dem Oberhausener Modell entsprechen wird. Es geht nicht um ein neues Möblierungskonzept, sondern um den Raum als dritten Pädagogen. Wichtig ist auch, dass alle Beteiligten wirklich von diesem Konzept überzeugt werden können und alte Gedanken- und Gestaltungspfade verlassen möchten. Wenn man Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen sowie Eltern mit in den Prozess einbeziehen möchte, so muss man sich die notwendige Zeit nehmen. Dieser Prozess muss intensiv begleitet werden, das ist nicht mit zwei Treffen umzusetzen.

Online-Redaktion: Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Mensa in Ganztagsschulen in zehn Jahren aus und welche Bedeutung kann sie haben?

Bährend: Unser Wunsch: Die Mensa der Zukunft ist das Herzstück der Schulen. Hier treffen sich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler. Sie trinken am Vormittag einen Kaffee, lesen Zeitung und nehmen mittags ein qualitativ hochwertiges Essen zu sich. Am Abend finden dort Veranstaltungen in gemütlicher Runde statt. Sie wird der Mittelpunkt der Schule als Lebensort.

Andrea Bährend ist Erzieherin und Diplom Sozialpädagogin. Seit 2007 ist sie Bereichsleitung der AWO KV Oberhausen e.V. für den Ganztag der Sekundarstufe I. Sie kooperiert mit 14 Schulen im Ganztag und in der pädagogischen Übermittagbetreuung in Oberhausen und Duisburg. Darüber hinaus ist sie Bereichsleiterin für Schulsozialarbeit der Sekundarstufen I und II. Sie fungiert als Ansprechpartnerin bei der AWO für den Bereich Mensagestaltung.

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