IN FORM-Bundeskongress: Qualität der Schulverpflegung : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Erstmals liegt eine bundesweite Studie zur Qualität der Schulverpflegung vor. Die Initiative IN FORM der Bundesregierung stellte sie am 25. November 2014 in Berlin vor.

Die Veranstaltung ist mit über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern „überbucht“. Im Humboldt-Carré drängeln sich die Journalisten, sie umringen Hermann Gröhe, den Bundesminister für Gesundheit, und Christian Schmidt, den Bundesminister für Ernährung, deren Ministerien hinter der Initiative IN FORM stehen. Diese „Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ soll seit 2008 den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung umsetzen. Erreichen möchte man, dass „Kinder gesünder aufwachsen, Erwachsene gesünder leben und dass alle von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit profitieren“.

Schmidt weiß, dass „bereits in den ersten 1.000 Tagen die Weichen für ein gesundes Leben gestellt werden“ und die „prägende Zeit in der Schule“ nicht minder wichtig für die Ernährungsgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen ist. Daher möchte IN FORM dafür sorgen, dass die Heranwachsenden mit gesunder Ernährung in Berührung kommen.

Essen ist keine Nebensache

Der 1. Bundeskongress Schulverpflegung brachte Beteiligte aus Bildung, Verwaltung, Politik, Gesundheitswesen, Wissenschaft und Forschung zusammen, um den Austausch und die Vernetzung auf diesem Gebiet zu fördern, aber auch, um die Ergebnisse der ersten bundesweiten Studie zur Schulverpflegung vorzustellen. Zusätzlich präsentierten die Vernetzungsstellen Schulverpflegung der Länder in einer Ausstellungsmeile ihre Angebote.

Minister Christian Schmidt während der Eröffnungsrede
Kongress-Saal im Humboldt-Carré © BMEL/photothek.net, Thomas Trutschel

Dass „Essen keine Nebensache sein darf, sondern Chefsache werden muss“ meinte Hermann Gröhe in seinem Grußwort zu Beginn des Kongresses.

„Ernährungsbildung und Schulverpflegung müssen Hand in Hand gehen“, erklärte Christian Schmidt. IN FORM leiste hier mit den Vernetzungsstellen Schulverpflegung in allen 16 Bundesländern wertvolle Arbeit: „Sie organisieren Fortbildungen und vermitteln Fachkräfte an die Schulen. Die Vernetzungsstellen bleiben Dreh- und Angelpunkt, sie sind unverzichtbar.“ Das wurde durch das rege Interesse der Teilnehmenden in den lebendigen Diskussionen nur bestätigt.

Salatbüffets an einem Drittel der Schulen

Dargestellt wurden zwei zentrale Forderungen: Der Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) müsse verpflichtend für die Schulverpflegung werden. Zweitens brauche es einen Ernährungs-TÜV. Hier solle die DGE als Hüterin der Qualitätsstandards zu einem „Qualitätszentrum Schulessen“ werden, das unter anderem die Caterer qualifiziert. „Diejenigen, die die Verpflegung beauftragen, müssen demnächst einen Qualifizierungsnachweis von ihren potentiellen Lieferanten einfordern“, so Schmidt.

Er sprach auch über die Ergebnisse der Studie zur Schulverpflegung, die trotz manchem, was noch kritisch zu sehen sei, positive Veränderungen aufzeigt: „Die Angebotsbreite und -vielfalt des Essens hat stark zugenommen. Immerhin 30 Prozent der Schulen bieten inzwischen ein Salatbuffet an, und auch das kostenlose Trinken wird in 70 Prozent der Schulen unterstützt.“

Als Vertreterin der Bundesländer sah die Berliner Senatorin für Bildung, Sandra Scheeres, die Eltern in der ersten Verantwortung, „aber Kitas, Schule und Jugendarbeit müssen Alltagskompetenzen vermitteln. Die Gesundheitsbildung spielt dabei eine große Rolle.“ „Die Schulen bräuchten Wegweiser an die Hand: Wie gestalte man eine Mensa? Wie sorge man für eine Wohlfühlatmosphäre während des Essens?

Durch den Ganztagsschulausbau seien die Länder schon länger mit dem Thema Mittagsversorgung befasst. In Berlin sei die Vernetzungsstelle Schulverpflegung wertvoll beim Prozess gewesen, Standards für die Essensversorgung festzuschreiben, wozu Eltern und die Bezirke an einen Tisch geholt wurden. Nun habe man das Essensgeld auf 3,25 Euro angehoben, landesweite Kontrollstellen eingerichtet, welche in die Küchen hereinschauen, und den Schulen die Möglichkeit eingeräumt, aus den Verträgen auszusteigen, wenn die Qualität nachlasse.

„Ganztagsschule ohne Mensa ist unvorstellbar“

Stand der Vernetzungsstelle Mecklenburg-Vorpommern
© BMEL/photothek.net, Thomas Trutschel

„In einem Punkt besteht Konsens“, erklärte Reinhard Sager, der Präsident des Deutschen Landkreistages. „Eine Ganztagsschule ohne Mensa ist unverstellbar. Der Ausbau der Ganztagsschulen mit Hilfe des IZBB-Programms ist die entscheidende Maßnahme beim Einrichten von Mensen gewesen. Das hat eine Aufbruchstimmung erzeugt.“ Das bildungspolitische Papier des Landkreistages „Herausforderungen im Bildungswesen – Kommunaler Gestaltungsauftrag und Gestaltungswille“ vom Oktober 2014 betone die Wichtigkeit von attraktiven Angeboten in Ganztagsschulen, einer pädagogischen Hausaufgabenbetreuung – und einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen Ernährung.

Den Großteil des Bundeskongresses nahm die Vorstellung der Studie zur Schulverpflegung durch Prof. Ulrike Arens-Azevedo von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg ein, die im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft von Februar bis Oktober 2014 durchgeführt wurde. Hierzu befragte das Forschungsteam der Hochschule 212 Schulträger, 1553 Schulleitungen (davon 72 Prozent Ganztagsschulen) sowie rund 12.000 Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulformen.

Prof. Arens-Azevedo führte durch die einzelnen, aus den Befragungen von Schulträgern, Schulleitungen, Schülerinnen und Schülern gewonnenen Erkenntnisse: „Die Schulträger nehmen das Prinzip der Partizipation ernst, aber bei der Umsetzung der Essensversorgung fehlt die Qualitätskontrolle“, so die Ernährungswissenschaftlerin. „Nur bei 27 Prozent der befragten Schulträger gibt es vertraglich festgelegte Qualitätskontrollen.“ Die vertragliche Forderung der Einhaltung des DGE-Standards war immerhin bei rund 50 Prozent der Schulträger Bestandteil der Vereinbarungen mit den Catereren – in Bremen, Hamburg und im Saarland sogar zu 100 Prozent.

Erstaunliche Unterschiede in Bestellzeiten, Preisen und Rahmenbedingungen

Die Befragung der Schulleitungen ergab, dass in den meisten Schulen zwei Menüs zur Auswahl gestellt werden. Noch selten ist die Möglichkeit der Auswahl aus „Komponenten“, also die individuelle Zusammenstellung des Essens. Die Konkurrenz für die Schulmensen durch im Schulumkreis gelegene Supermärkte, Bäckereien und Metzgereien ist in allen Bundesländern ein Problem.

„Erstaunlich ist, wie sehr die Vorbestellungszeit in den Schulen schwankt: Von wenigen Tagen bis zu sechs Monaten“, berichtete Prof. Arens-Azevedo. „Welcher Erwachsene will sich entscheiden, worauf er ein halbes Jahr später Appetit hat?“, fragte sie schmunzelnd ins Publikum. Es gebe große regionale Preisunterschiede beim Schulessen – sie reichen von 1,50 Euro bis 3,68 Euro. Nur an sieben Prozent der Schulen gebe es einen Schulverpflegungsausschuss, wie ihn die DGE empfehle. Der Bekanntheitsgrad der Vernetzungsstellen Schulverpflegung sei bei den Schulleitungen „noch ausbaufähig“. Das größte Problem stelle für fast alle Schulen die Lautstärke in den Mensen dar. Letzteres bemängelten auch die Schülerinnen und Schüler in ihren Fragebögen. „Hier muss etwas passieren“, schlussfolgerte die Wissenschaftlerin.

Schülerinnen und Schüler beteiligen

Die Speisepläne bewerteten die Kinder und Jugendlichen zu 40 Prozent als „sehr gut bis gut“. Die Schülerinnen und Schüler wünschten sich eine „Wunsch-Box“, um Einfluss auf das Essen nehmen zu können. Für das Forschungsteam, das 760 Speisepläne begutachtet hatte, boten die Mensen, gemessen am DGE-Qualitätsstandard, noch zu viel Fleisch und zu wenig Fisch. Die angebotenen Gemüsesorten seien oft ungeeignet für die langen Transportwege und Warmhaltezeiten.

Die Ländermeile, auf der sich die Vernetzungsstellen der Bundesländer präsentieren
© BMEL/photothek.net, Thomas Trutschel

„Die Schulverpflegung kann verbessert werden“, resümierte Ulrike Arens-Azevedo, „wenn die Vorlieben der Schülerinnen und Schüler beachtet, die Auswirkungen von Warmhaltezeiten auf Gemüse bedacht, die Vielfalt der Gerichte erweitert und die Hürden bei der Bestellung gesenkt werden.“ Auch wenn sich in den letzten Jahren vieles verbessert habe – vor allem in weiterführenden Schulen haben die Schülerinnen und Schüler mehr Auswahl als früher – blieben die Herausforderungen mit Blick auf Vielfalt und die Qualität des Schulessens weiterhin groß.

In den Diskussionsrunden ging es schließlich auch um Ausschreibungsprozeduren bei den Schulträgern und deren Möglichkeiten zur Qualitätskontrolle. Die anwesenden Schülervertreterinnen und -vertreter mahnten besonders die stärkere Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an. Schülerinnen und Schüler seien durchaus kompetent, über eine gute Schulverpflegung mitzuentscheiden. Christoph Bier, Diplom-Oecotrophologe und Leiter der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung des Saarlandes, resümierte: „Wir sind auf einem guten Weg, wir haben schon viel gemacht. Und den Rest schaffen wir auch noch, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten.“

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