„Eine gute Ganztagsmensa bietet für jeden etwas Leckeres“ : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Gut essen in der Ganztagsmensa ist mehr als Nahrungsaufnahme. Es ist eine Frage gesellschaftlicher Werte. Meike Halbrügge von der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Mecklenburg-Vorpommern im Interview.

Meike Halbrügge
Meike Halbrügge © Vernetzungsstelle Schulverpflegung Mecklenburg-Vorpommern

Online-Redaktion: Welche Unterstützung bieten Sie als Vernetzungsstelle Schulverpflegung den (Ganztags)Schulen?

Meike Halbrügge: Viel, sehr viel. Das reicht von Weiterbildungen, Fachtagungen über individuelle Beratungen, Austauschtreffen, Speiseplanchecks, die Messung von Tellerresten über Wochen der Lebensmittelwertschätzung bis hin zu manch anderem Projekt. Bei allem, was wir tun und anbieten, orientieren wir uns an den Qualitätsstandards für die Verpflegung in Schulen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Dabei geht es uns grundsätzlich nicht nur um die Frage, was auf Tisch und Teller kommt – also um das konkrete „Essen“ –, sondern um Ernährungsbildung und das Bewusstsein für die Werte, die damit verbunden sind. Und damit spreche ich nicht nur von materiellen Werten, sondern meine etwa auch die Art und Weise, wie man sich am Tisch und in der Gruppe verhält.

Online-Redaktion: Sie liefern in einer Antwort Stichworte für ein langes Interview… Beginnen wir doch einmal mit der Lebensmittelwertschätzung. Warum wandert auch in Mensen zu viel in die Tonne?

Halbrügge: Leider wird nach wie vor zu viel am Kunden, sprich an den Schülerinnen und Schülern, aber auch den Lehrkräften „vorbeigekocht“. Damit sind wir ganz schnell beim Thema Beteiligung. Wenn die Schülerinnen und Schüler nach ihren Wünschen gefragt werden, wenn sie spüren, dass sie Einfluss auf das haben, was da hinter der Theke passiert, entwickeln sie geradezu automatisch eine Identifikation mit dem Essen und dem Personal.

Das stellt die Grundlage für Gespräche dar. Darüber, wo die Produkte herkommen, warum diese verwendet werden und keine anderen. Und nicht zuletzt möchten die Schülerinnen und Schüler auch nicht einfach etwas auf den Teller serviert bekommen. Eine möchte vielleicht mehr Gemüse, der andere vielleicht eine zusätzliche Kartoffel. Manche möchten die Sauce auf die Kartoffel, das Fleisch oder den Fisch, andere daneben. Sie möchten gefragt, ja gesehen werden. Das alles wirkt sich auf die Akzeptanz aus.

Online-Redaktion: Alles eine Frage der Kommunikation?

Ausgabekräfte haben meist wenig Zeit
Ausgabekräfte haben meist wenig Zeit © Britta Hüning

Halbrügge: Vielleicht nicht alles, aber Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle. Beispielsweise auch, wenn es darum geht, dem Gegenüber zu vermitteln, warum eben nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Dazu ist die Palette der individuellen Wünsche einfach zu bunt. Aber es geht darum, Verständnis füreinander und für das eigene Handeln zu wecken, ja zu sensibilisieren. Wenn Schülerinnen und Schüler wissen, dass die Ausgabekräfte wenig Zeit haben, werden sie vieles verstehen und akzeptieren. Wenn die Ausgabekraft berücksichtigt, dass die Kinder und Jugendlichen auch nicht immer gleich „drauf sind“, beispielsweise, wenn sie gerade eine Note versemmelt haben, dann fördert das den partnerschaftlichen Umgang.

Online-Redaktion: Welche Faktoren sind ansonsten zu berücksichtigen?

Halbrügge: Die Zeit, die Schülerinnen und Schülern zum Mittagessen zur Verfügung steht, wird häufig, manchmal aus organisatorischen Zwängen, unterschätzt. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass sozusagen in „Schichten“ gegessen werden muss, wenn eine Mensa nicht Platz für alle bietet. Aber Kindern und Jugendlichen geht es nicht anders als uns Erwachsenen. Sie möchten ohne Hektik essen, betrachten den Aufenthalt am Tisch auch als Freizeit, in der sie mit ihren Freundinnen und Freunden zusammen sein können, „abhängen“ und sich austauschen.

Darum ist es meines Erachtens wichtig, das bei der Planung neuer Einrichtungen zu berücksichtigen. Außerdem wünschen sich die Schülerinnen und Schüler einen Raum mit Aufenthaltsqualität, einen Raum, in dem sie sich wohl fühlen. Wenn die Mensa allerdings für verschiedene Veranstaltungen, etwa auch als Versammlungsraum oder Aula genutzt wird oder werden muss, fließt das in die Planung und Gestaltung mit ein: Zweckmäßigkeit steht dann an oberster Stelle.

Online-Redaktion: Sie sprachen Werte an…

Halbrügge: Darüber, wie wichtig es ist, den Wert von Lebensmitteln zu schätzen, haben wir bereits gesprochen. Ebenso ist ein Wert, zu wissen, dass das für Schülerinnen und Schüler nahezu selbstverständliche Essen und Trinken anderen auf der Welt nicht immer vergönnt ist. Dass sie erkennen, dass es bestimmte Lebensmittel eben nicht zu jeder Jahreszeit gibt und dass es ökologisch unvernünftig ist, Obst und Gemüse einmal um die halbe Welt zu fliegen, nur damit sie bei uns jederzeit verfügbar sind – das sind Werte. Dass Lebensmittel auch teuer sein dürfen, manchmal sogar müssen, damit diejenigen, die sie anpflanzen, pflegen und ernten, nicht ausgebeutet werden – auch das ist ein Wert. Man könnte die Liste weiter ergänzen. Wichtig ist mir, zu zeigen, dass der Umgang mit Lebensmitteln fester Bestandteil von Pädagogik, ja von Erziehung sein muss.

Online-Redaktion: Was stellt für Sie eine gute Schulverpflegung dar?

Koch-Event mit Kindern
© Vernetzungsstelle Schulverpflegung Mecklenburg-Vorpommern

Halbrügge: Formal ist eine Schulverpflegung dann gut, wenn sie sich an den DGE-Standards orientiert. Aber ich wünsche mir auch Flexibilität. Jede Schule ist anders, jede Schule hat andere Schülerinnen und Schüler. Gut bedeutet für mich eine Auswahlmöglichkeit. Klar, allein schon wegen der Planung müssen die Schülerinnen und Schüler die Hauptkomponente ihres täglichen Essens vorab wählen. Doch der Trend zur freien Komponentenwahl darüber hinaus nimmt zu. Also Wahl am Buffet. Denn wenn wir uns selbst einmal ehrlich hinterfragen: Wissen wir alle heute schon, was wir übermorgen essen möchten?

Online-Redaktion: Wie bedeutsam ist der Preis?

Halbrügge: Die Antwort darauf fällt mir ein wenig schwer. Wir erleben es immer wieder, dass über zu hohe Preise geklagt wird. Und dann sehen wir, was nebenan beim Discounter oder Schnellimbiss doch ausgegeben wird. Es gibt Familien, für die die Finanzierung des täglichen Essens, wenn sie keine staatliche Unterstützung erhalten oder nicht annehmen wollen, eine enorme Belastung darstellt. Da hilft mitunter auch die Erklärung nicht, wie sich die Preise zusammensetzen oder welche finanzielle Unterstützung es gibt, etwa durch das Bildungs- und Teilhabepaket. Und ich kann mich, wenn ich ehrlich bin, nicht von dem Verdacht freimachen, dass Geld manchmal ein vorgeschobenes Argument ist, um nicht sagen zu müssen, es schmeckt mir nicht, mir ist es da zu hektisch oder ich habe einfach keine Lust auf gemeinsames Essen.

Online-Redaktion: Wie stark sollten Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, sonstiges pädagogisches Personal, aber auch der Caterer in Planung der Mensa und des Speiseplans eingebunden sein?

Halbrügge: Wenn möglich sollten möglichst alle an allem und jederzeit beteiligt sein. In der Beteiligung liegt ja schließlich neben der gesteigerten Akzeptanz auch die Chance für neue, für andere Ideen. So ein Austausch befruchtet. Ich weiß um die personelle Situation in Schulen. Aber ich kenne auch die Erfahrungswerte jener Schulen, die einen Mensarat gegründet haben, die den Austausch fördern, in denen Schülerinnen und Schüler und Eltern an der Speisekarte mitwirken. Dort, wo sich die Schulgemeinschaft entsprechend auf den Weg gemacht hat, wurde die Mensa eine Erfolgsgeschichte, und zwar auch unter der Überschrift „Wenn Hänschen in der Mensa isst, isst Hans auch dort.“

Online-Redaktion: Wie kriege ich als Lehrer oder Lehrerin all die angesprochenen Themen und Werte in den Unterricht und den Ganztag?

Halbrügge: Gegenfrage: Nennen Sie mir ein Fach, in dem Lebensmittel und Essen nicht aufgegriffen werden können, im besten Fall sogar fächerverbindend. Ich fass mich mit meinen Beispielen kurz: In Deutsch kann die Aufgabe lauten, einen Werbetext für die eigene Mensa zu formulieren. In Mathe kann eine „Kundenbefragung“ zur Zufriedenheit mit dem Speisenangebot statistisch ausgewertet werden. In Biologie und Chemie können die Folgen einer einseitigen Ernährung beleuchtet werden.

Das Thema Lebensmittel kann in jedem Fach aufgegriffen werden.
Das Thema Lebensmittel kann in jedem Fach aufgegriffen werden. © Britta Hüning

Schließlich kann in der Lehrküche eine Speise aus dem Land des nächsten WM-Gegners gekocht und probiert werden. Im Ganztag geht es sogar noch weiter: Da führt beispielsweise eine Arbeitsgemeinschaft an den Umgang mit Lebensmittel heran, es wird gekocht, gebacken und gemeinsam gegessen. Die Schulgarten-AG ist sowieso ganz nah dran. Die AG Nachhaltigkeit beschäftigt sich mit fairen oder regionalen Lebensmitteln. Um es auf den Punkt zu bringen: Eine gute Schule macht daraus die Themen Ernährungsbildung, Naturschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit. Eine gute Ganztagsmensa bietet für jeden etwas Leckeres und ist ein Ort, wo alle gerne hingehen.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Meike Halbrügge ist seit 2009 Projektleiterin Schulverpflegung der DGE-Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung Mecklenburg-Vorpommern mit Sitz in Schwerin. Sie ist ausgebildete Diätassistentin und arbeitete lange in Reha-Einrichtungen. Nach dem Abitur über den zweiten Bildungsweg studierte sie in Mönchengladbach Oecotrophologie (Ernährungs- und Haushaltswissenschaft). Das Team der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung berät und unterstützt die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern bei allen Fragen rund um die Schulverpflegung.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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