Essen in der Mensa: Gemeinschaftserlebnis und Ernährungsbildung : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Schulverpflegung ist mehr als essen. Darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 7. Deutschen Kongress Schulverpflegung am 25. Oktober in Bad Kreuznach einig. Ebenso einhellig die Meinung: Die Qualität des Schulessens lässt vielfach sehr zu wünschen übrig.

Olaf schaute am Freitag unglücklich. Der Schüler des Gymnasiums am Römerkastell in Bad Kreuznach musste ebenso wie seine Schulfreunde auf das gewohnte Mittagsessen verzichten. Dort, wo sich sonst täglich 500 Schülerinnen und Schüler einfinden, um gesund, abwechslungsreich und in Gemeinschaft zu essen, tagten nun auf Einladung des Deutschen Netzwerks Schulverpflegung e.V. Menschen, die sich ernsthafte Gedanken, mitunter auch Sorgen um die Qualität der Speisen in deutschen Schulen machen.  Nach kurzem „Grummeln“ gönnte Olaf den ungewohnten Gästen ihr Speiseerlebnis. „Genießen Sie es, es ist wirklich klasse“, strahlte er und meinte: „Kein Wunder bei dem Caterer.“

Der so Gerühmte ist Sternekoch Johann Lafer. Er eröffnete 2012 am Gymnasium im Römerkastell seine erste Schulmensa: food@education. Der Titel ist mit  Bedacht gewählt. Denn Lafer, aber auch die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer betonten: Schulverpflegung ist mehr als essen. Es ist Ernährungs- und Gesundheitserziehung, hat einen hohen sozialen Stellenwert und vermittelt nicht zuletzt Werte – wie den Umgang mit der Natur, mit Lebensmitteln und Tieren. Gleich zum Auftakt bedauerte der Vorsitzende des gastgebenden Vereins, Dr. Michael Polster, dass es bei der bundesweiten Diskussion ums Schulessen viel zu stark um die Finanzierung und viel zu wenig um den Nutzen einer gesunden Ernährung gehe. Die zentrale Forderung seiner Initiative stellte er voran: „Die Teilnahme am Essen in der Schule sollte kostenlos sein.“

Schulverpflegung, eine Investition in die Zukunft

Dass dies durchaus für einen Staat und die Kommunen möglich ist, wenn man den Wert erkenne, bestätigte ihm im Laufe des Tages Anna Hakala. Die zweite Botschaftsrätin der Botschaft von Finnland in Berlin schilderte, dass in ihrer Heimat das Schulessen für die heute rund 900.000 Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden selbstverständlich kostenfrei serviert wird. Sie erinnerte an die Tradition des Landes mit zum Teil sehr weiten Schulwegen und steigender Berufstätigkeit der Frauen.

Vor allem aber wisse man doch, dass gutes Schulessen zum Wohlbefinden beitrage, die Energie für Leistung steigere und man so außerdem die Erziehung und Ernährungspädagogik unterstütze. „Schulverpflegung ist eine Investition in die Zukunft, die später auch zu Ersparnissen führt“, betonte sie. Sechs Prozent der Kosten für die Grundausbildung eines jungen Menschen, die Staat und Kommunen aufbrächten, flössen daher in die Schulverpflegung.

Kochen und Ernährung sind ein Thema für Ganztagsschulen

Das Thema Finanzierung umschiffte Ulrike Höfken, die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz, elegant. Versicherte aber ebenfalls: „Ernährung und besonders die Gemeinschaftsernährung ist eines der wichtigsten Themen der Zukunft.“

Michael Polster
Dr. Michael Polster © E. Heinrichsdobler, Schulverpflegung/DNSV

Nur ein marginaler Teil der Jugendlichen esse mittags noch zuhause. Zugleich beklagte sie, dass nicht einmal 40 Prozent der Ganztagsschülerinnen und -schüler in der Mensa anzutreffen seien. Eine Frage der Qualität? Ziemlich sicher, glaubt die Ministerin und meinte: „Wie durch Zufall erwachsen neben Schulen Imbissstände und Fast-Food-Ketten.“ Sie sei erstaunt, wie viele Schüler dort locker mehr als fünf Euro für einen Imbiss zahlten. Ähnliche Elternbeiträge für ein Schulessen seien unrealistisch, weil nicht durchsetzbar. Sie zeigte sich überzeugt: „Was gar nichts kosten darf, kann nun wirklich auch nichts sein.“ Mit zwei Euro jedenfalls könne kein Caterer der Welt Speisen in gewünschter Qualität und Frische auf die Tische zaubern. Sie warnte vor den Folgen von Fehlernährung und bedauerte, dass nur sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler angäben, in der Schule etwas übers Kochen zu lernen. Gerade Ganztagsschulen könnten sich dem Aspekt stärker widmen.

Ebenso könne sie nicht akzeptieren, dass es an den meisten Schulen keine Verknüpfung zwischen Schulessen und Ernährungsbildung gebe. Ein eigenes Schulfach sei aus Sicht des Landes nicht erforderlich. Die Themen Ernährung und Gesundheit könnten bestens fächerübergreifend aufgegriffen werden. Eine gute Schulverpflegung zeichne sich durch qualitativ hochwertiges  Essen, eine gute Atmosphäre mit geringem Geräuschpegel in der Mensa, ausreichend Zeit und guten Service aus. Unter diesen Voraussetzungen könne Schule und insbesondere Ganztagsschule viel zu Integration, sozialem Lernen und auch zur Tischkultur beitragen. „Schule hat auch die Aufgabe, Werte wie den Umgang mit Lebensmitteln und Tieren, aber auch die Wertigkeit jener, die mit diesen Produkten arbeiten, zu vermitteln.“

Mehr Geld für Motoröl als für Olivenöl?

Dieser Aufgabe hat sich auch Sternekoch Johann Lafer verschrieben. Spricht der 56-Jährige über Essen und Kinder, spürt man, dass die Einrichtung seiner ersten Schulmensa für ihn mehr als ein neues wirtschaftliches Betätigungsfeld darstellt. Er ist mit Herzblut dabei. „Ich komme vom Land und bin gläubig“, betonte er. Darum wolle er bei Kindern ein Bewusstsein schaffen für Lebensmittel und den Umgang mit ihnen.

„Wir werfen viel zu viel weg“, mahnte er. Zugleich kritisierte er das Konsumverhalten. Wenn das Lämpchen im Auto blinke und anzeige, dass Öl nachgefüllt werden müsse, fülle jeder, ohne mit der Wimper zu zucken, Öl nach und lege dafür problemlos 18,50 Euro auf den Tisch. Die gleichen Menschen aber ärgerten sich im Supermarkt darüber, dass gutes Olivenöl 12 Euro koste.
Ein Jahr betreibt Lafer nun seine food@education. Mit Erfolg. 500 Mittagessen wandern täglich über die Theke. Kinder, die vorab bestellen, können zwischen einem konventionellen und einem vegetarischen Gericht wählen. Für Kurzentschlossene gibt es ein Tagesmenü. Das kostet 4,20 Euro – 3,10 Euro zahlen die Eltern, 1,10 Euro steuert die Kommune bei. Offen gestand der Koch gegenüber www.ganztagsschulen.org: „Für 2,50 Euro könnten wir dieses Niveau nicht anbieten.“ Und selbst 4,20 Euro seien nur möglich, wenn man darauf achte, saisonale Angebote und nicht etwa Erdbeeren im November auf den Tisch zu bringen.

Die Zutaten kommen alle aus dem nahen Umfeld. Alles wird täglich frisch zubereitet. Lafer schüttelt sich angesichts mancher Produktionsketten: „Da wird ein Hühnchen geschlachtet, liegt dann zwei Wochen im Tiefkühlregal des Supermarktes, wird aufgetaut und zu Frikassee verarbeitet, wieder eingefroren, dann eines Morgens in die Schule gebracht im Warmwasser langsam aufgetaut und dann serviert. Ganz ehrlich, wollen Sie ein Hühnchen essen, das dreimal gestorben ist?“

Lafer: „Eine Mensa braucht nicht Kunden. Sie braucht Fans“

Sein Erfolgsrezept verbirgt sich hinter der Überlegung: „Was wollen die Kinder?“ Eine Umfrage unter den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums öffnete ihm die Augen. „Warum gehst Du in die Mensa?“ wollte er von ihnen wissen. Und erfuhr: 1. um Freunde und Kumpels zu treffen und 2. wegen des W-LANs. Erst auf Platz 6 tauchte das Essen auf. Die Aspekte „gesund“ und „biologisch“ folgten auf Rang 9 und 10.

Blick aufs Publikum
© E. Heinrichsdobler, Schulverpflegung/DNSV

Lafer: „Aber das bedeutet doch, dass ich die jungen Menschen einbinden muss.“ Am Gymnasium Am Römerkastell geschah und geschieht dies. Sie wirkten an der Gestaltung der neuen Mensa ebenso mit wie am Aussehen der Tabletts. Ein Mensabeirat entwirft Speisepläne und testet die Essen. Lafer: „Eine Mensa braucht keine Kunden. Sie braucht Fans.“ Der Fanclub wuchs rasant. Qualitätseinbußen akzeptiert er nicht mehr. Lafer und sein Team probierten es bewusst aus, tauschten frische gegen Aufbackbrötchen. Der Koch bilanziert: „Es war ein Debakel.“

Das Konzept Lafers, der eng mit dem wissenschaftlichen „Zentrum für Catering, Management und Kulinaristik“ der Hochschule Fulda zusammenarbeitet, hat einen gesamtheitlichen Gesundheitsansatz. „Mehr Sport“, lautet eine Devise. Zu Beginn des Schuljahres wurde der Sporttag, in diesem Jahr mit Weltklasse-Turner Fabian Hambüchen und Fechtmeisterin Britta Heidemann, etabliert. Und die Schülerinnen und Schüler werden „aktiviert“. Alle bekommen einen Schrittzähler (Lafer: „Zum Essen gehört auch Bewegung“). Die vier, die am Ende des Jahres die weitesten Wege zurückgelegt haben, dürfen den prominenten Koch nach New York begleiten.

Ebenfalls vom Kind aus gedacht ist der Pausensnack. Zweimal 20 Minuten dauern die kleinen Unterrichtsunterbrechungen. Zu kurz, um sich für ein Brötchen am Kiosk anzustellen. Lafers Lösung: Allen Gymnasiasten wurde eine App aufs Handy geladen. Dort können sie morgens den Frühstückssnack ihrer Wahl ordern. Der wird frisch zubereitet und steht pünktlich zur Pause vor der Klassentür. Lafer ist überzeugt: „Nur wenn du so arbeitest, kann eine Schulmensa wirtschaftlich rentabel und qualitativ gut sein. Die Menge macht es.“ Dass sein Konzept aufgeht, bestätigt ein strahlender Schulleiter. „Bei uns hat sich viel verändert. Auch das Schulklima“, sagt  Hermann Bläsius.

Schulmensen ohne Verpflegungskonzept

Die neue großzügige, helle und moderne Mensa trägt ihren Teil dazu bei. Dass deren Gestaltung an manchen Schulen in Deutschland am Bedarf vorbei gehe, bemängelte Prof. Dr. Georg Koscielny von der Hochschule Fulda.  Nach dem PISA-Schock habe es viel Aktionismus gegeben, aber zu wenig Investitionen in gute Mensen und qualitatives Essen. Die Gelder aus dem zehn Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket sei, wenn, dann zum Bau von Mensen ohne Verpflegungskonzept genutzt worden. „Und dann kommt der Caterer und soll es richten“, beklagte er.
Einen zusätzlichen Aspekt brachte der Bad Nauheimer Ernährungswissenschaftler Günter Wagner als Vertreter des Präventionsprogramms „KIKS UP“ Bad Nauheim schließlich in die Diskussion ein. Er appellierte an Schulen, ihre Mensen schon morgens zu öffnen. Menschen, die frühstückten, seien erwiesenermaßen dünner, reaktionsschneller, leistungsfähiger, weniger aggressiv. Sie könnten auch Informationen besser aufnehmen und besser speichern.

Durchaus nachdenklich ob derlei Erkenntnisse, Eingeständnisse und Visionen verließen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Konferenz, in deren Mittagspause sie in den Genuss Laferscher Kochkunst gekommen waren. Kein Grund zum Grübeln oder Zweifeln lieferte der Abschluss des Tages: Johann Lafer wurde mit dem „Goldenen Teller für die beste Schulmensa 2013“ ausgezeichnet. Dem Online-Votum von Schülerinnen und Schülern stimmten die Gäste in Bad Kreuznach deutlich zu. So meinte eine Pädagogin: „Gäbe es doch mehr Mensen wie diese…“ Ihre Hoffnung könnte zusätzliche Nahrung erhalten: Johann Lafer und die Hochschule Fulda arbeiten an einem Franchisingmodell.

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