Die Gourmetkinder bitten zu Tisch : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Seit drei Jahren bitten die "Gourmetkinder" der Fritz-Köhne-Schule in Kooperation mit dem Haus der Jugend in Hamburg-Rothenburgsort zu Tisch. Im Juni 2010 veröffentlichten sie sogar ihr eigenes Kochbuch.

Gruppenfoto eines Kochs mit Schülerinnen und Schülern vor einer Schultafel
Koch und Ökotrophologe Nils Schmidt kocht mit seinen Gourmetkindern in der Koch-AG der Ganztagsschule © Peter Schulte

Juni 2010: Lauter kleine Köchinnen und Köche mit weißen Mützen und Schürzen werkeln an Herden, Backöfen und Arbeitsplatten, während im Restaurant "Harbour Light" auf dem Hamburger Messegelände die Gäste an festlich gedeckten Tischen auf ihr Drei-Gänge-Menü warten. Der neunjährige Rani wendet kleine Herzen aus Maisgrieß in einer großen Pfanne. "Mir muss jemand die Butter in die Pilzsuppe schütten, wenn ich rühre", ruft die achtjährige Zeynab.

Die Gourmetkinder, die hier die Kochlöffel schwingen, sind Ganztagsgrundschülerinnen und -schüler der Fritz-Köhne-Schule in Hamburg-Rothenburgsort. Dieser Stadtteil in Hamburg-Mitte ist kein "Schickimicki"-Stadtteil. Die durchschnittlichen Einkünfte der rund 8.000 Bewohner liegen bei rund der Hälfte des Durchschnitts der Hansestadt, während die Zahl der Hartz-IV-Empfänger doppelt so hoch ist.

Für die Gründung der "Gourmetkinder" im Jahr 2007 in ihrer Gemeinde sind in erster Linie zwei Männer verantwortlich: Hermann Teiner, der Leiter des Hauses der Jugend in Rothenburgsort, und Nils Schmidt, ein Koch.

Kurse in den Stadtteil eingebunden

Dass Hermann Teiner zusammen mit Schmidt und den Schülerinnen und Schülern der Fritz-Köhne-Schule, einer teilgebundenen Ganztagsschule, ein Kochprojekt angeschoben hat, ist kein Zufall: Teiner ist ebenfalls gelernter Koch - und seine Wurzeln hat er auch als ehemaliger Jugendamtsmitarbeiter und jetziger Leiter des Hauses der Jugend in Rothenburgsort nicht vergessen. Vor den "Rothenburgsorter Gourmetkindern" initiierte er bereits Projekte wie "Es kocht in Hamm", ein Stadtteilkochfest für die ganze Familie, und das Wilhelmsburger Kochfest.

Dieses Faible für das Kulinarische setzte Teiner auch in der bewährten Zusammenarbeit mit der Fritz-Köhne-Schule und deren Schulleiter Ingo Wulf und Konrektorin Elena Zajonz ein. Die Kooperation des Hauses der Jugend ist seit Jahren nicht auf Einzelprojekte beschränkt, sondern gehört zur dauerhaften konzeptionellen Grundlage der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Rothenburgsort. Von dieser Zusammenarbeit profitieren die Schule und Jugendhilfe gleichermaßen: Die Fritz-Köhne-Schule gewinnt personelle Ressourcen, die für schulische Bildung, individuelle Förderung und Elternarbeit genutzt werden können. Die Jugendhilfe bindet wiederum frühzeitig Kinder an ihre Einrichtung und gewinnt diese für weitergehende außerschulische Angebote und Beratung, auch wenn diese nicht mehr die Fritz-Köhne-Schule besuchen. Sie nutzt dazu auch schulische Ressourcen und Ausstattung.

Ein Mädchen beim Anbraten von Essen in einer Pfanne.
... und beim Braten © Peter Schulte

Seit August 2007 hat das Haus der Jugend die Pausenbetreuung der Dritt- und Viertklässler sowie eine generelle Ausfallbetreuungsbürgschaft für Nachmittagskurse übernommen und betreibt seit dem April 2008 zusammen mit der Schule den "Gesunden Schulkiosk". Zudem bietet die Jugendhilfeeinrichtung insgesamt acht Kurse mit qualifizierten Fachkräften im Nachmittagsbetrieb an. Dazu zählen die Angebote Theater, Malen und Zeichnen, Skaten, Mädchengruppe, Computer, Hausaufgabenhilfe und Kochen. Diese Kurse werden so weit wie möglich in die Stadtteilaktivitäten eingebunden. So spielen die Schülerinnen und Schüler aus der Theater-AG im Stadtteilprojekt "Der Rothenburgsort - Revue" und die Kinder der Mal- und Zeichen-AG wirken am örtlichen Bauwagenprojekt mit. "Wir sind davon überzeugt, dass diese strukturelle und intensive Kooperation dazu beiträgt, das soziokulturelle Leben und das Bildungsniveau der Kinder in Rothenburgsort zu verbessern", meint Teiner.

Mit Leistungsbereitschaft und Freude bei der Sache

Das Projekt der "Rothenburgsorter Gourmetkinder" zielt in die gleiche Richtung: "Dass es nicht nur Fastfood gibt, lässt sich Kindern kaum besser näher bringen als durch das Selberkochen und zwar mit frischen und bezahlbaren Zutaten", erklärt Markus Schreiber, Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte. "Wenn dann zum Abschluss noch in einem Nobelrestaurant für die Eltern und weiteres Publikum gekocht werden kann, wird sich im Kopf festsetzen: Kochen bringt Freude, und eine gehobene Küche gibt es auch in Rothenburgsort."

In der Koch-AG der Fritz-Köhne-Schule kochen die Ganztagschülerinnen und -schüler der Klassenstufen 2 bis 4 in wöchentlichen Kochkursen mit Profiköchen. Die Kinder lernen hier, wie eine Mahlzeit professionell zubereitet wird. "Wir trauen den Kindern mehr zu, als Spaghetti mit Tomatensauce zu kochen oder Pizzateig zu belegen", berichtet Nils Schmidt. "Wir haben festgestellt, dass sie auch mehr können, wenn man ihnen die richtigen Werkzeuge dazu gibt, den richtigen Umgang damit zeigt und ihnen Küchen- und Gartechniken beibringt, die im Wortsinne kinderleicht sind."

Ein Junge in Kochschürze trägt Teller ab.
... und räumen auch ab. © Peter Schulte

Die Höhepunkte sind neben dem einmal jährlich in verschiedenen Stadtteilen des Bezirks Mitte veranstalteten Kinderkochfestivals unzweifelhaft die vierteljährlich stattfindenden "Kinderrestaurant"-Tage, an denen die Kinder für ihre Eltern und andere Gäste all das kredenzen, was sie zuvor erlernt haben. "Es ist erstaunlich, mit wie viel Leistungsbereitschaft und Freude die Schülerinnen und Schüler die Tische eindecken, kochen, anrichten und servieren. Insbesondere beim Anrichten und Servieren ist eine Aufregung zu spüren, die der Atmosphäre einer Großküche nicht unähnlich ist", meint Schmidt. Die Kinder würden am Schluss durch das Lob und die Anerkennung der Gäste entlohnt, was auch schon in stehenden Ovationen Ausdruck gefunden habe.

Gastauftritt im Edelrestaurant

Inzwischen sind die "Gourmetkinder" schon "überregional" tätig gewesen und haben die Kochlöffel auch außerhalb ihres Stadtteils geschwungen. So kochten sie anlässlich von "Hamburg verwöhnt" für mehr als 40 Eltern, Verwandte und Lehrer in der gläsernen Küche der Hotelfachschule oder richteten für 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hamburger Gesundheitsbehörde ein Buffet an. Im Februar 2010 folgte der Höhepunkt der Höhepunkte: Ein Gastauftritt im Sternelokal "Le Canard". Im stilvollen Ambiente an der Elbchaussee kochten und servierten die Ganztagsschülerinnen und -schüler ihren Geschwistern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern ein Vier-Gänge-Menü. Bereits im Juni 2010 folgte ein Drei-Gänge-Menu für ausgewählte Gäste im Restaurant "Harbour Light" auf dem Hamburger Messegelände, das von der Firma Stockheim Catering betrieben wird.

Seit 2009 sponsort Stockheim Catering Hamburg die Küchenausstattung und die Zutaten. Geschäftsführer Alexander Walter erläutert: "Wir haben uns gezielt zur Förderung entschieden. Das Projekt vereint soziale, kulturelle und kulinarische Aspekte und ist regional bezogen. Die Kinder sehen, dass der Umgang mit Lebensmitteln und die Speisenzubereitung nicht nur ganz viel Spaß machen können und integraler Bestandteil des Alltags sein sollten, sondern beides auch professionell betrieben werden kann und eine spannende Berufsperspektive darstellt." Das Engagement habe sich für ihn persönlich schon allein für den Moment gelohnt, "in dem man den Kindern sagt, wie gut es einem geschmeckt hat, und ihre Augen leuchten sieht".

Ein Junge rührt mit einem Mixer in einer Metallschüssel.
... und Rühren ist hier Jungensache. © Peter Schulte

Projekte wie die "Gourmetkinder" können dauerhaft nur durch die finanzielle und personelle Unterstützung von Partnern aus Wirtschaft, Stiftungen und staatlichen Programmen umgesetzt werden. So wird das Projekt unter anderem durch städtische Mittel des Bezirksamtes Hamburg-Mitte sowie durch Mittel aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz getragen.

Freude am Kochen und Essen wecken

"Mit diesem Projekt wollen wir Kinderkochkurse mit Erlebnissen und Anerkennung verbinden: Wir möchten Kindern und Eltern zeigen, wie viel Lebensfreude gemeinsames Kochen, das Kochen für Gäste und eine angenehme Tischkultur schaffen", erläutert Hermann Teiner. "Wir wecken die natürliche Neugier der Kinder, erweitern ihre Grenzen und schaffen Lust auf Selbermachen und Ausprobieren." Es bleibt auch die Hoffnung, dass die Schülerinnen und Schüler auch zu Hause mit ihren Eltern kochen und dabei Zutaten verwenden, die über Fertigprodukte hinausgehen.

"Die Kinder kochen auch in unserer AG Nudeln und Pommes frites mit Ketchup - aber sie stellen die Nudeln, Pommes und sogar den Ketchup selber her", betont Nils Schmidt. "Uns ist es wichtig, dass wir saisonal und frisch einkaufen, und zwar im Supermarkt um die Ecke oder auf dem Wochenmarkt. In unseren Rezepten verwenden wir die ganze Fülle der Obst- und Gemüsesorten, dazu viel Geflügel und Fisch. Die Kinder sollen früh ein Gefühl für die Vielfalt von Nahrungsmitteln entwickeln und diese als gleichermaßen gesund und schmackhaft kennen lernen."

In der Koch-AG stelle er nicht den Anspruch, dass "alles immer pädagogisch perfekt zu sein hat", meint der Ökotrophologe. Habe ein Kind keine Lust auf eine Tätigkeit, lasse sich etwas Anderes finden. "Ich möchte hier Freude am Kochen und Essen wecken und nicht Widerwillen erzeugen." Auch deshalb dürften die Schülerinnen und Schüler ihre Lieblingsspeisen Schokoladenkuchen, Burger, Pizza, Pommes und Nudeln mit Ketchup in den "Lehrplan" aufnehmen - wenn sie es, wie gesagt, selbst herstellen.

Ein Mädchen richtet Essen auf Tellern an.
... und Anrichten. © Peter Schulte

Das Haus der Jugend hat zur weiteren Unterstützung im Juni 2010 ein "Gourmetkinder"-Kochbuch herausgegeben, das gleichzeitig eine Dokumentation des bisherigen Schaffens der Schülerinnen und Schüler der Fritz-Köhne-Schule ist. Der Hamburger Photograph Peter Schulte begleitete dazu die Kinder in der Küche und im Restaurant und hielt auch die unterschiedlichen Gerichte im Bild fest. Der Erlös des in einer Auflage von 1.000 Exemplaren erschienenen Werks fließt in die Projekte des Hauses der Jugend und der Fritz-Köhne-Schule. Hermann Teiner plant derweil, das "Gourmetkinder"-Projekt auf eine weitere Schule auszuweiten.

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