Der Blick über den Tellerrand: Schulessen in Europa : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Das europäische Ausland verfügt dank seiner Ganztagsschultradition über eine längere Erfahrung mit dem Mittagessen unter dem Dach der Schule. Wie machen es unsere Nachbarn?

Auf diesen Europameistertitel könnte Deutschland gut und gerne verzichten - aber mit rund 40 Millionen übergewichtiger Menschen führt die Bundesrepublik in dieser "Disziplin" vor den europäischen Nachbarn. Die Gründe für die steigende Zahl übergewichtiger Menschen sind schon seit langem bekannt: Zu viel Fett und zu viel Zucker gepaart mit zu wenig Bewegung sorgen für eine "Zeitbombe", wie es der Pforzheimer Psychologe Tom Handtmann ausdrückt. "Wir sind zu dick, weil wir zu viel, zu fett, zu schnell und zu süß essen und uns gleichzeitig zu wenig bewegen. Der Kaloriengehalt von Getränken wird komplett unterschätzt."

Mit einem Fünf-Punkte-Aktionsplan will die Bundesregierung das Problem angehen. Die Krankenkassen versuchen derweil, mit Anreizsystemen zu einer gesunden Lebensweise zu animieren. Vorbeugung ist das Stichwort. Tom Handtmann erklärt, dass "bei Kindern, die bereits fettleibig sind, Therapien nicht mehr gut greifen. Deshalb bin ich ein Freund der Prävention". Bei der Vorbeugung seien in erster Linie die Eltern gefragt, die ihren Kindern eine ausgewogene Ernährung mit regelmäßigen, gemeinsamen Mahlzeiten bieten sollten. Wichtig sei auch, dass Eltern bei ihren Kindern sehr früh die Lust an der Bewegung wecken.

Bei vielen Elternhäusern mag dies Wunschdenken bleiben - doch als gutes Vorbild kann die Ganztagsschule einspringen, wenn sie neben Gesundheits- und Ernährungsbildung den Kindern und Jugendlichen durch Tisch- und Esskultur, Frühstück, Zwischenmahlzeiten mit viel Obst, den Verzicht auf Softdrinks und Mischgetränke sowie eine warme, ausgewogene Mahlzeit eine gesunde Ernährung buchstäblich vor Augen führt.

"Essen als einen Wert empfinden"

Schulleiter Andreas Meisner von der Gesamtschule Franzsches Feld in Braunschweig sieht das als entscheidendes Pfund, mit welchem die Ganztagsschulen wuchern müssen: "Ich bin der Meinung, dass man Unterricht, Projekte und Betreuung nicht trennen, sondern alle Elemente in das tägliche Schulleben integrieren sollte. Gerade beim Thema gesundes Essen geht es darum, den Schülern ein Vorbild zu liefern. Das prägt viel stärker als eine Unterrichtseinheit über Essen oder ein Extra-Schulfach ,Ernährung'. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, das Essen als einen Wert zu empfinden."

Doch gutes Essen kostet Geld - die Kommunen wie die Eltern. Zu viele Erziehungsberechtigte können oder wollen das entsprechende Essensgeld nicht aufbringen - Tendenz steigend. Die "Berliner Morgenpost" vom 14. Mai 2007 titelte daher "Kein Geld für Mittagessen: Kinder an Ganztagsschulen haben Hunger".

"Die Verpflegung spielt beim Ausbau der Ganztagsschulen für die Schulträger noch eine eher untergeordnete Rolle", konstatiert Prof. Ulrike Arens-Azevedo, Vizepräsidentin der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Dies liegt zum einen daran, dass die Chance der Verknüpfung von Verpflegungsangebot mit einer gezielten Ernährungserziehung noch nicht oder nur ansatzweise gesehen wird, zum anderen aber vor allem an den bislang nicht vorhandenen Infrastrukturen, die keine entsprechenden Räume und Ausstattungen vorsehen und schon gar nicht auf eine regelrechte Dienstleistung eingerichtet sind."

Hinsichtlich der Verpflegungssituation in deutschen Ganztagsschulen bietet sich der Wissenschaftlerin zufolge ein uneinheitliches Bild, das vielfach vom persönlichen Engagement von Schulleitungen, Eltern- oder Ministerialvertretern geprägt ist. Nach nachhaltigen Lösungen für die Schulverpflegung werde deshalb praktisch in allen Bundesländern noch gesucht.

"Feed Me Better!"

Da fast alle europäischen Nachbarn seit jeher über ein Ganztagsschulsystem verfügen, bei der die Verpflegung zum Schulalltag gehört, lohnt sich in dieser Situation möglicherweise der Blick über den Tellerrand. Generell lässt sich feststellen, dass europaweit die Ausstattung der Mensen und Cafeterien von der Finanzkraft des jeweiligen Schulträgers abhängig ist und fast überall Caterer das Essen anliefern. In Dänemark, Irland, der Slowakei, der Schweiz und den Niederlanden ist darüber hinaus die Mitarbeit von Schülerinnen und Schülern bei der Herstellung der Speisen vorgesehen.

Die Qualität des Schulessens in Europa ist laut der Studie "Eating at School - an European Study" von 2003 im Großen und Ganzen eher beklagenswert: "Die Verpflegung wird selten als systematischer Beitrag zu einer gesundheitsförderlichen Ernährung gesehen und die unterschiedlichsten Programme zur Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen der Länder werden im Rahmen der Schulverpflegung nur unzureichend umgesetzt."

Ausnahmen sind hier England und Schottland, wo die Caterer durch Verpflichtungserklärungen zur Einhaltung von Nährstoffempfehlungen angehalten sind. Die Standards in Schottland sind besonders ausführlich und bedingen eine sorgfältige Berechnung aller Speisen.

Großbritannien versucht seit 2001, nachdem man dort durch die alarmierenden Zahlen übergewichtiger Kinder aufgeschreckt worden war, diesem Problem durch Standards, Elterninformationen und Werbung zur Teilnahme am Mittagessen zu begegnen. Von 2007 bis 2009 werden dafür zusätzliche rund 280 Millionen Pfund investiert. Die Regierung reagierte damit unter anderem auf die öffentlichkeitswirksame Kampagne "Feed Me Better" des Kochs Jamie Oliver. Dieser hatte 2005 in seiner Fernsehsendung "Jamie's School Dinners" auf die von Sparzwang und Fastfood dominierten Schulküchen aufmerksam gemacht und versucht, Wege zur gesunden Ernährung an Schulen aufzuzeigen. Das Essen kostet im Schnitt umgerechnet 2,50 Euro, für bedürftige Eltern und deren Kinder besteht die Möglichkeit, von der Kostenpflicht entbunden zu werden.

Gesundheitsassistenten für jede Schule

In Schweden und Finnland ist das Essen für alle Kinder kostenlos. In sämtlichen Schulen sind entsprechende Infrastrukturen vorhanden. Während die Zubereitung des Essens früher in staatlicher Verantwortung lag, liefern heute überwiegend private Unternehmen die Mahlzeiten an. In vielen Schulen wird auch selbst gekocht und für benachbarte Einrichtungen mitproduziert. Seit 2001 sind für beide Länder "Richtlinien für Schulmahlzeiten" veröffentlicht. Diesem Ernährungsstandard liegen die "Nordischen Ernährungsempfehlungen" zugrunde, die zum Beispiel Limonaden ausschließen, Milch nur mit einem Fettgehalt von 1,5 Prozent zulassen und ein Salatbuffet vorschreiben. Eine Überprüfung dieser Standards findet in Schweden nicht, in Finnland stichprobenartig statt. Hier überprüft man auch, ob sich das Essverhalten der Schülerinnen und Schüler verändert.

Frankreich hat 2001 die Richtlinien für das Schulessen im "Restauration Scolaire" festgelegt. Hier werden konkrete Mengen an Calcium, Eisen und Protein vorgeschrieben, sodass die Speisen praktisch alle berechnet werden müssen. Es werden täglich fünfmal Obst und Gemüse, Wasser zur freien Verfügung und Fisch zweimal pro Woche gefordert. Softdrinks sind verboten. Das Dekret fordert eine hohe Qualifikation des Verpflegungspersonals, das Schulungen über die ernährungsphysiologischen Anforderungen der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen und die Hygiene absolvieren muss. Das Dekret betont aber auch ausdrücklich das Vergnügen, das Essen bereiten soll - mit abwechslungsreicher Auswahl, ansprechender Garnierung und möglichst unbehandelten Lebensmitteln. Auch die Sinnesschulung als Aufgabe der Schulen findet Erwähnung. Das Erziehungsministerium hat darüber hinaus einen Leitfaden für Schüler und Eltern herausgegeben, um für den Alltag Empfehlungen für ein gesundes Frühstück und für Pausensnacks zu geben.

Portugal weist die höchste Rate übergewichtiger Kinder auf. Seit Anfang 2006 hat die Regierung deshalb eine Kampagne gestartet, die so personalintensiv wie in keinem anderen europäischen Land ist: Jede Schule bekommt eine Gesundheitsassistentin oder einen Gesundheitsassistenten zur Seite gestellt, welche die Schulen bei den Mahlzeiten beraten. Das Ministerium für Erziehung und das Ministerium für Gesundheit haben gemeinsame Rahmenkriterien erlassen, die Höchstgrenzen für Fett und Zucker festschreiben. Man hofft durch diese Maßnahmen, eine Veränderung im Essensangebot der Schulen herbeizuführen. Überprüfungen und Sanktionen sind indes nicht vorgesehen.

Wien: 30 Prozent Biokost

In Spanien ist das Schulessen kostenpflichtig. Nur rund 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler nehmen am Essen teil, dessen Qualität von vielen kritisiert wird. Eine Studie hat parallel dazu Defizite bei der Häufigkeit im Angebot von Fisch und Gemüse festgestellt. Daher werden derzeit nationale Standards gefordert.

In Österreich ist die Zahl der Ganztagsschulen, die sich bislang noch fast ausschließlich auf Wien konzentrieren, noch gering. Die Stadt Wien hat ein Leistungsverzeichnis erstellt, dass die Caterer erfüllen müssen, um die Schulen beliefern zu können. Es überwiegt die Versorgung mit Tiefkühlmenüs, das Verzeichnis fordert allerdings einen Anteil von 30 Prozent Biokost. Die Kosten für ein Mittagessen liegen bei 2,50 bis 2,90 Euro. Finanziell schwächere Familien können Zuschüsse erhalten.

In der Schweiz gibt es keine zentral formulierte Ernährungspolitik, inzwischen wird aber auch hier gefordert, die Ernährungsbildung in Schulen zu verankern.

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