Das A und O einer guten Schulverpflegung : Datum: Autor: Autor/in: Peer Zickgraf

Prof. Ulrike Arens-Azevedo von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg gibt Auskunft über die Studie "Strukturanalyse der Schulverpflegung".

Schülerinnen und Schüler essen in einer Mensa.
Ein Beispiel für eine vorbildliche Schulverpflegung ist die "nördlichste Gesamtschule" Deutschland, die Integrierte Gesamtschule Flensburg. © Ulrike Arens-Azevedo

Online-Redaktion: Wie ist es gegenwärtig um die Ernährung und Gesundheit der Kinder und Jugendlichen bestellt?

Arens-Azevedo: Die aktuellste Untersuchung ist die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS). Sie verdeutlicht, dass 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis siebzehn Jahren übergewichtig und und 6,3 Prozent von Adipositas betroffen sind. Das ist viel zu viel. Zumal wir davon ausgehen, dass Kinder und Jugendliche mit Übergewicht auch im weiteren Leben mit diesem Problem zu tun haben werden. Wir haben ebenso viel zu viele Kinder, die nach wie vor sehr viel Zeit vor dem Fernseher verbringen und sich zu wenig bewegen.

Online-Redaktion: Es besteht also Handlungsbedarf?

Arens-Azevedo: So ist es. Nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, dass Schulverpflegung in Hamburger Schulen schwer zu realisieren ist, hatte ich die Idee zu einer "Strukturanalyse der Schulverpflegung". Es gab angesichts der sprunghaft gestiegenen Zahl an Ganztagsschulen in offener und gebundener Form, die im Rahmen des Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) entstanden sind, eine Unmenge an Anfragen bei den Verantwortlichen zur Situation in den Schulen und wie am besten Schulverpflegung realisiert werden kann. So haben mein Kollege Prof. Dr. Helmut Laberenz und ich dann für die Studie einen Auftraggeber gesucht.

Wir sind daraufhin mit der CMA Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrargesellschaft mbH zusammengekommen, die auch ein Interesse an dieser Fragestellung hatte und wissen wollte, wie die Infrastrukturen der Schulverpflegung in Deutschland gegenwärtig beschaffen sind.

Online-Redaktion: Wie sind Sie dann vorgegangen?

Arens-Azevedo: Die Studie ist im Jahr 2007 angelaufen. Zu diesem Zeitpunkt konnte immerhin die stolze Zahl von 8733 Schulen in Deutschland über die zuständigen Behörden, Ministerien sowie beim statistischen Bundesamt ausgemacht werden, die zur Kategorie "Ganztagsschule" zählen. Danach haben wir die Kultusministerien der Länder gebeten, die entsprechenden Befragungen zu genehmigen.

Eine Frau hält einen Vortrag.
Prof. Arens-Azevedo von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg © Ulrike Arens-Azevedo

Der Befragungszeitraum reichte vom 7. November 2007 bis zum 31. Januar 2008. Die meisten Ministerien stimmten der Befragung zu. Für einige Bereiche sahen sich die Kultusministerien allerdings nicht zuständig, so dass wir uns dementsprechend direkt an die Schulträger gewandt haben. Insgesamt gingen rund 3.000 ausgefüllte Fragebögen ein. Ein Vortest der Befragung wurde in Hamburg durchgeführt.

Online-Redaktion: Was ist denn eine Strukturanalyse und in welchem Zusammenhang steht sie mit den bundesweiten Qualitätsstandards für die Schulverpflegung, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung im Auftrag des BMELV offiziell herausgegeben hat?

Arens-Azevedo: Wir haben nicht danach gefragt, wie im Moment die Qualität der Verpflegung ist. Dazu war es im Jahr 2007 noch zu früh. Schließlich wurden erst im September 2007 die bundesweiten Standards für die Schulverpflegung vorgestellt. Die Standards haben also einen systematischen Aufbau. Sie umfassen die Qualität der Ergebnisse (Speisen und Getränke), der Prozesse sowie der Strukturen.

Da Ernährung nicht nur etwas mit Ernährungsphysiologie zu tun hat, gibt es viele weitere Aspekte zu berücksichtigen wie die Sensorik, Hygiene, Ambiente und Räumlichkeiten. Ferner muss auch der Tagesablauf in der Schule stimmen. Das heißt beispielsweise: In den Pausen muss es die Möglichkeit geben, dass man in der Schule in Ruhe etwas essen kann. Die Standards haben also einen systematischen Aufbau. Wir sind dabei nach dem Konzept der Ergebnis- und Struktur-, Prozessqualität vorgegangen.

Gruppenfoto von vier Köchinnen.

In der Studie geht es im Wesentlichen um die Strukturqualitäten. Das heißt, wir haben einmal danach gefragt, was für Schulen, Schulstufen, wie viele Schülerinnen und Schüler in der Schule vertreten sind. Dann haben wir uns ganz systematisch die Bereiche angeschaut, die für die Verpflegung im engeren Sinn wichtig sind: Welche Pausen gibt es, sind sie gestaffelt, wie lange sind die Mittagspausen, sind Lehrkräfte während der Mittagspause anwesend? Wer ist der verantwortliche Ansprechpartner? Wie ist die Atmosphäre der Speiseräume? Wie ist der Durchschnittspreis des Mittagsessens und wird es bezuschusst? Bis hin zu der Frage, ob es kostenloses Wasser in der Schule gibt oder welche Formen der Zwischenverpflegung vorhanden sind.

Die Studie deckt alles ab, was mit Verpflegung zu tun hat. Allerdings haben wir uns ganz bewusst gefragt, wie professionell die Verpflegung in Deutschland abläuft. Ein Blick in die Betriebsverpflegung etwa zeigt, dass jede Kantine heutzutage einen gewissen Standard hat. Wenn man sich nun die Ergebnisse der Studie vor Augen hält, kann man feststellen, dass wir in der Schule noch ganz weit von diesen Standards entfernt sind. Unter anderem auch deswegen, weil es schwierig ist, einen Verantwortlichen für die Schulverpflegung zu benennen. Also, wer ist in der Schule für die Schulverpflegung verantwortlich?

Im besten Fall ist es der Schulleiter. In diesem Fall ist eine klare Hierarchie vorhanden, der Schulleiter kann bestimmte Dinge delegieren. Es gibt inzwischen Schulleiter, die ein Herz für die Verpflegung entdeckt haben, weil sie merken, dass sie in der Schule durchaus etwas bewegen zu können. Außerdem kommt es dem Ruf der Schule zugute, wenn es eine vernünftige Verpflegung gibt. Vor diesem Hintergrund haben sich einige in die Materie hineingefuchst. Aber in dem Moment, wo Schüler, Elternvereine oder der Schulträger - letzterer ist meistens ganz weit von der Bedarfslage entfernt - für die Verpflegung zuständig sind, fehlen häufig die Ansprechpartner.

Drei Jungen haben große Kochhandschuhe an.

Es braucht tatsächlich einen Fahnenträger bzw. jemand, der Lust hat sich mit Verpflegungsfragen zu beschäftigen und das in die Schule kommunizieren kann. Beispiel Mittagspause: Meiner Meinung nach müsste sie 60 Minuten lang sein, so steht es auch in den Verpflegungsstandards. Häufig ist sie aber deutlich kürzer. Eine wichtige Frage ist ferner: Wie kommt man aus Verträgen, die nicht gut sind, wieder raus?

In solchen Fällen muss der Schulleiter sagen: Liebes Lehrerkollegium, wir wollen das aus diesen oder jenen Gründen. Es fängt schon damit an, wo die Speisepläne ausgehängt werden. Wer kommt da dran? Wie organisiere ich die Bezahlung des Essens - über die Eltern? Eigentlich läuft alles immer wieder auf den Schulleiter zu, er kann die Weichen stellen und wenn er Lust darauf hat, macht er das auch gut.

Online-Redaktion: Gibt es Unterscheide zwischen den neuen und alten Ländern?

Arens-Azevedo: Die Unterschiede sind sehr deutlich, wobei man dazu sagen muss, dass die neuen Länder in einer Hinsicht einen großen Vorteil haben: Schulverpflegung war in der DDR üblich. Aber auch heute nehmen wesentlich mehr Kinder in den neuen Ländern die Schulverpflegung wahr, als dies in den alten Ländern der Fall ist. Über die Akzeptanz oder die Qualität muss man nicht mehr diskutieren, das ist im Osten wesentlich besser. Große Unterschiede gibt es auch bei den Preisen: In den neuen Ländern gibt es deutlich niedrigere Preise. Auch ist das System der Warmverpflegung deutlich ausgeprägter. So weit die großen Unterschiede. 

Einen große Rolle spielt auch die Anzahl der Essen: Für 60 bis 70 Essen hat ein externer Anbieter kaum Lust zu produzieren. Wer dagegen Essen in großen Mengen herstellt, ist ganz anders im Geschäft und kann natürlich Preise bestimmen. Das ist für die alten Länder ein großes Problem, da hier die Anzahl der Kinder, die derzeit am Schulessen teilnehmen, noch sehr gering ist.

Nahaufnahem von Händen mit großen Kochhandschuhen, die nach einer Kochschüssel greifen.

Online-Redaktion: Was sind weitere zentrale Ergebnisse der Studie etwa in Bezug auf frisches Gemüse und Obst?

Arens-Azevedo: Ein Ergebnis ist ganz interessant: Wir haben mit Bezug auf die Qualität nach Einzelaspekten wie frischem Obst und Gemüse gefragt. Das wird durchgängig in der Mehrzahl der Schulen angeboten. Positiv ist auch, dass sich die meisten Schulen bemühen, kostenlos Trinkwasser anzubieten. Alles andere ist sehr heterogen. So haben wir nach dem Bioanteil der Speisen, Aktionen und Themenwochen im Rahmen der Schulverpflegung gefragt. Hier muss noch viel verbessert werden.

Online-Redaktion: Was haben Sie über die Organisation und räumlichen Voraussetzungen von Schulverpflegung herausgefunden?

Arens-Azevedo: Hier waren wir an einem Punkt etwas überrascht. So sind die Räumlichkeiten überwiegend gut bewertet worden. Da ist die Zustimmung deutlich höher gewesen, als wir erwartet haben.

Eine Hürde ist häufig die Bezahlung. Wenn die Kinder beispielsweise das Geld mit in die Hand bekommen, funktioniert das sehr viel schlechter, als wenn das vom Konto der Eltern abgebucht wird.

Online-Redaktion: Sehen Sie mit dem zahlenmäßigen Ausbau der Ganztagsschulen eine nennenswerte Verbesserung der Verpflegungssituation?

Arens-Azevedo: Das hoffen wir. Man muss bedenken, dass beim Ausbau der Ganztagsschulen die Verpflegung bislang eine eher untergeordnete Rolle spielt. Tatsächlich haben wir in den Schulen auch danach gefragt, welche Problembereiche sich ergeben. Das geht los bei der Schulung des Personals über Menü und Rezeptplanung, Hygiene, Kostenmanagement bis hin zu Unterrichtseinheiten. Man sieht an vielen Dingen - beispielsweise, wo eingekauft wird - , wie wenig professionell bislang die Strukturen sind.

Drei Schülerinnen und ein Schüler sitzen am Tisch und lachen in die Kamera.

Deswegen muss man sagen: Das IZBB ist eine große Chance, aber man wird sehen, wie man das entsprechend umsetzt. Ein interessanter Punkt unserer Studie ist die Frage, wer das Essen liefert. Es ist zum Teil das Altenheim, der Gasthof, der Fleischer oder Metzger. Wenn man diese fragen würde, was sie über gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche wissen, wäre das Ergebnis sicherlich nicht optimal.

Doch diese Situation hat momentan auch etwas mit der geringen Nachfrage zu tun. Für den Fleischer sind 60 bis 70 Essen ein tolles Nebengeschäft, für einen großen Caterer oder eine Zentralküche ist es ein lächerlicher Betrag. So ist zu hoffen, dass bei größerer Akzeptanz und häufiger Wahrnehmung der Mittagsverpflegung strukturell eine bessere Qualität möglich wird.  

Online-Redaktion: Ein wichtiger Punkt in Ihrer Studie ist ferner die Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler. Warum?

Arens-Azevedo: Auch das ist leider nicht überall realisiert worden. Ich werbe immer dafür, ein kleines Team von Schülern als Testesser zu bilden, mit denen zusammen man Rezepte entwickeln kann und die wiederum wichtige Multiplikatoren sind. Wir haben an mehreren Schulen die Schüler befragt und immer wieder festgestellt, dass die Lieblingsessen ein breit gefächertes Spektrum darstellen.

Das fängt eben nicht bei der Currywurst an und hört bei Pommes Frites auf. Es gibt in den meisten Schulen heutzutage mehrere Kulturen, die hoch interessante Mahlzeiten an den Schulen möglich machen. So bevorzugen manche Kinder und Jugendliche mit türkischem Hintergrund Speisen mit Hülsenfrüchten. Man muss also klug genug sein, das zu kombinieren, dann steigt auch die Akzeptanz.

Online-Redaktion: Was würden Sie im Bereich der Finanzierung empfehlen?

Arens-Azevedo: Wir haben in Bezug auf die Finanzierung nach den Preisen gefragt: Der Durchschnittspreis lag Anfang des Jahres 2008 bundesweit bei 2,43 Euro. In den neuen Ländern sind die Preise allerdings deutlich niedriger, in Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg eben durchaus höher, bei fast drei Euro. Die Bezuschussung für sozial Schwache ist leider, je nach Land sehr unterschiedlich und manchmal sogar kommunal unterschiedlich.

Ich wünschte mir daher eine stärkere Einheitlichkeit, denn, wenn wir sozial schwache Kinder haben, ist es klar, dass sie denselben Zugang zum Essen haben müssen wie andere auch. Gerade die Ergebnisse der KIGGS-Studie zeigen, dass der Gesundheitszustand bei Kindern und Jugendlichen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status deutlich schlechter ist. Das sind genau die Brennpunkte, um die man sich stärker kümmern müsste. Wir haben daher eine weitere Studie zu dem Thema angeschlossen, die die Kostenstruktur untersucht. Die Frage ist dabei, mit welchem Geld man ein optimiertes Essen an den Schulen realisieren kann.

Wir haben de facto die Qualitätsstandards in entsprechende Mahlzeiten umgesetzt und diese für 100, 200, 300, 400 und 500 Essen gestaffelt berechnet. Viele Studien blenden nämlich aus, dass man mit höheren Stückzahlen auf andere Kosten kommt und zwar sowohl bei der Selbstherstellung als auch bei der Anlieferung von Essen. Im Weiteren wird man schauen müssen, welche Qualität geliefert wird. Deshalb wird im Moment über die Zertifizierung der Schulverpflegung und die Unterstützung über die "Vernetzungsstellen Schulverpflegung" in den Ländern diskutiert.

Damit hätten wir Gewissheit, dass zumindest das Angebot gut ist. Doch dann wissen wir immer noch nicht, ob die Schülerinnen und Schüler das Essen annehmen. Ich fände es gut, wenn man dann wieder so etwas wie eine KIGGS-Studie durchführte und nachschaute, ob und wie sich der Gesundheits- und Ernährungszustand der Kinder und Jugendlichen gebessert hat.

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