„Bildungsort Esstisch“ in Thüringer Ganztagsschulen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

In Thüringen gibt es traditionell eine hohe Beteiligung am Schulessen. Alexandra Lienig, Leiterin der Vernetzungsstelle Schulverpflegung, erläutert im Interview die Qualitätsansprüche, an denen sich ihr Team orientiert.

Team der Vernetzungsstelle: (v.l.) Franziska Schattke, Adrienne Neumann, Alexandra Lienig, Mike Ogorsolka und Katharina Berg © VZTH

Online-Redaktion: Frau Lienig, welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Vernetzungsstelle Schulverpflegung in Thüringen?

Alexandra Lienig: Wir wollen dazu beitragen, dass es ein gesundes und ausgewogenes Schulessen gibt, zu dem die Kinder und Jugendlichen in schönen Mensen gerne hingehen und das nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Dieser Traum treibt uns an.

Online-Redaktion: Wie ist die Situation der Schulverpflegung in Thüringen?

Lienig: In der DDR gab es seit 1956 ein warmes Essen in der Schule – das ist eine gewachsene Struktur, die gut ist und die keiner in Frage stellt. 88 Prozent der Schulen werden von Zentralküchen beliefert. Gerade hier in Thüringen haben wir eine recht hohe Beteiligung am Schulessen. Das bedeutet aber nicht, dass sich das Schulessen nicht noch weiterentwickeln muss. Uns ist klar, dass das ein Prozess ist, denn es sind auch Mentalitäten, die man erstmal verändern muss.

Online-Redaktion: Welche Mentalität meinen Sie?

Lienig: Das Mittagessen ist in Deutschland oft noch kein echter Bestandteil der Schulkultur, im Unterschied zu den nordeuropäischen Ländern oder Frankreich zum Beispiel, wo man sich richtig die Zeit nimmt, das Mittagessen als Gemeinschaftserlebnis wahrzunehmen. Hierzulande gewinnt man manchmal den Eindruck, dass eine Mittagsverpflegung nur angeboten wird, weil eine Ganztagsschule das halt muss, als Pflichtübung, und so wird sie dann umgesetzt. Da fehlt die Liebe. Die Vorteile der Mittagspause und des gemeinsamen Essens wollen noch nicht so richtig in den Köpfen ankommen.

Online-Redaktion: Wo kann eine Schule da ansetzen?

Lienig: Ein erster Ansatzpunkt sind die Räumlichkeiten. Sie sind oft noch rein funktional und liegen nicht selten im Kellergeschoss. Da erschließt sich selbst in schönen Altbauten der Charme nicht so richtig. Das zweite ist das Speisenangebot. Da entwickeln sich die Schulen und Caterer schon gut weiter und haben in den letzten Jahren viel geschafft. Bei den Anbietern ist der Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) wesentlich präsenter als noch vor einigen Jahren. Auch die Schulträger formulieren in den Ausschreibungen jetzt viel präziser, welche Qualitätsstandards erwartet werden und greifen dabei auf den DGE-Standard zurück. Was sich noch verbessern muss, ist die Qualitätssicherung. Da sind wir jetzt dran und haben einige Projekte entwickelt, um die Schulen und die Schulträger zu unterstützen.

Online-Redaktion: Sie schreiben auf Ihrer Website vom „Bildungsort Esstisch“. Was spielt für Sie beim Mittagessen noch alles hinein?

Etwas über Lebensmittel erfahren... © VZTH

Lienig: Schülerinnen und Schüler können etwas über Lebensmittel erfahren, vor allem auch neue Lebensmittel kennenlernen. Sie können auch unterschiedliche Esskulturen kennenlernen. Essen ist nicht zuletzt auch Genuss, Entspannung und Kommunikation. Deshalb finde ich es auch so wichtig, eine gemeinsame lange Pause zu haben.

Online-Redaktion: Wie erfahren die Schulen von den Angeboten der Vernetzungsstelle?

Lienig: Grundsätzlich können sich alle über unsere Homepage informieren. Angebote für Schulen können wir zusätzlich mit Unterstützung des Bildungsministeriums und des Thillm, des Thüringer Instituts für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien an diese kommunizieren. Es kommen natürlich auch Schulen von sich aus auf uns zu – allerdings meistens erst dann, wenn es brennt. Wenn zum Beispiel die Eltern sich so lange über das Essen beschwert haben, dass die Schulleitung das Thema vom Schreibtisch bekommen will. Manchmal rufen Eltern bei uns an. Aber auch wenn eine Ausschreibung und ein Caterer-Wechsel anstehen, kommen die Schulträger oder Schulen auf unsere Unterstützungsangebote zurück. Das ist dann schön zu sehen, wie sich in den Schulen Gedanken gemacht wird, Einfluss auf die Schulverpflegung zu nehmen, sei es auf das Angebot oder die Anbieter.

Online-Redaktion: Sie arbeiten im Team?

Lienig: Als ich 2009 in der Vernetzungsstelle angefangen habe, war ich mit einer Kollegin zu zweit. Seit 2017 sind wir aber stetig gewachsen. Wir haben inzwischen mit Mike Ogorsolka auch einen ausgebildeten Koch im Team. Zwischen uns Ernährungswissenschaftlerinnen ist das eine echte professionelle Bereicherung. Neben ihm und mir sind inzwischen Katharina Berg, Adrienne Neumann und Franziska Schattke dabei. Von Beginn an sind wir bei der Verbraucherzentrale in Erfurt angesiedelt.

Online-Redaktion: Auf Ihrer Website findet sich auch der Slogan „Gemeinsam erfassen, bewerten und verbessern“. Wie bekommen Sie dieses „Gemeinsam“ hin?

Lienig: Gut gelingt das zu unseren Regionalfachtagungen, die immer von einer schönen Mischung zwischen Schulverwaltungsämtern, Ministerien, Schulen, Caterern, Küchen und Schulträgern besucht werden. Dabei kommt man gut ins Gespräch. Am besten gelingt es jedoch über eine gemeinsame Auftaktveranstaltung mit dem Schulträger und den Schulen. Dort bieten wir an, dann auch in die einzelnen Schulen zu kommen, um uns vor Ort ein Bild zu machen. In den Schulen sollte ein fester Ansprechpartner für das Thema Mittagessen bestimmt werden. Schülerinnen und Schüler, aber ebenso Eltern sollten eingebunden sein. Das klappt in der Regel sehr gut. Die Gesprächsrunden in den Schulen sind manchmal richtig groß, weil sich viele für die Mittagsverpflegung interessieren. Zusammen kann man das Thema dann gut bearbeiten: Wo besteht Unzufriedenheit, welche Verbesserungsvorschläge und Wünsche gibt es?

Zielgruppenorientierte Angebote für Lehrerinnen und Lehrer © VZTH

Wir moderieren diese Runden und müssen manchmal bremsen, weil sich manche Vorstellungen zu den Preisen, die für das Mittagessen bezahlt werden, nicht umsetzen lassen. Der Preis ist sowieso immer ein großes Thema, denn zu DDR-Zeiten hat das Schulessen nur ganz wenig gekostet (0,55 Mark; die Red.), was manchem noch präsent ist. Aber wenn man sich an den DGE-Qualitätsstandard halten will, wird das Essen nun mal notwendigerweise teurer. 2017 lag der durchschnittliche Preis für ein Schulessen in Thüringen bei 2,60 Euro. Die Spanne ist jedoch groß und erreicht in einigen Schulen inzwischen über 4,00 Euro.

Online-Redaktion: Bieten Sie Fortbildungen an?

Lienig: Wir machen zielgruppenorientierte Angebote für die Lehrerinnen und Lehrer auf Fachtagungen. Für die Caterer organisieren wir Workshops zum DGE-Qualitätsstandard, aber auch anderen Themen wie beispielsweise Allergien. Den Schulträgern bieten wir Workshops zum Thema Vergaberecht an. Für die Schülerinnen und Schüler gibt es regelmäßig an den Schulen die Tage der Schulverpflegung mit Aktionsangeboten in Sachen Ernährungsbildung.

Online-Redaktion: Essen ist ja auch eine subjektive Erfahrung, eine Sache der Gewohnheiten, im wahrsten Sinne Geschmackssache. Wie kann man das objektiv diskutieren?

Lienig: Zunächst mal ist es wichtig, zuzuhören. Und dann mit Argumenten ernsthaft aufzuklären. Wenn Schülerinnen und Schüler sich zum Beispiel Pizza wünschen, müssen wir darauf aufmerksam machen, dass eine Pizza, die stundenlang warmgehalten worden ist, weder optisch noch geschmacklich mit der Pizza im italienischen Restaurant mithalten kann. Für den täglichen Caterer-Mensa-Betrieb ohne Zubereitungsküche kann das schwierig sein. Das gilt auch für andere Gerichte. Wir haben im letzten Jahr bei Probenentnahmen des Schulessens in Thüringer Küchen bereits große Vitamin- und Mineralstoffverluste schon direkt beim Abfüllen festgestellt – da liegt das Problem sogar schon vor dem Warmhalten! Das hat uns richtig überrascht, und wir überlegen derzeit, was da zu tun wäre.

Online-Redaktion: Wollen manche Schulen die klassische Warmhalteküche verändern?

Köchin beim Brotschneiden in der Küche
© Britta Hüning

Lienig: Manche Schulen bereiten das Essen vor Ort zu und arbeiten dabei mit Tiefkühlkomponenten. Das Verfahren „Cook & Chill“, bei dem das Essen schockgekühlt und dann in der Schule aufgewärmt wird, gibt es dagegen in Thüringen noch kaum. Ich kenne nur drei Caterer, die so arbeiten. Das Land hat sich inzwischen dankenswerterweise entschieden, im Rahmen eines Förderprogrammes die Schulküchen bei interessierten Schulen mit sogenannten Konvektomaten, also Heißluftöfen, auszustatten, die eine Voraussetzung für das Cook & Chill- oder Cook & Freeze-Verfahren sind. Das ist ein finanziell umfangreiches Projekt. Die Schulen können über ihren Träger diese Technik beantragen. Eine Bedingung des Landes ist es, dass die Caterer dieser Schulen den DGE-Qualitätsstandard umsetzen – sie bekommen den finanziellen Mehraufwand dann aber auch subventioniert. Das ist eine spannende Entwicklung.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person:

Alexandra Lienig, Jg. 1980, leitet seit 2009 die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Thüringen in Trägerschaft der Verbraucherzentrale Thüringen e.V mit Sitz in Erfurt. Nach dem Studium der Ernährungswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit dem Abschluss als Diplom-Trophologin war sie u. a. als Ernährungsberaterin und als Dozentin an der Berufsbildenden Schule „St. Elisabeth“ in Erfurt tätig.

Die Vernetzungsstelle Schulverpflegung wird aus Landesmitteln des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz gefördert.

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