Zeit in Ganztagsschulen: Ein Gewinn : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Das Thema bewegt die Ganztagsschulen in Mecklenburg-Vorpommern: Wie gelingt Rhythmisierung? Antworten gibt eine dreiteilige Werkstatt zum Thema. Den Auftakt machte der Schulforscher Prof. Dr. Heinz Günter Holtappels.

Isabell Kitta von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, die die Veranstaltung auf die Beine gestellt hat, begründete die Wahl des Inhaltes: „Die Anregung und das Bedürfnis, darüber mehr zu erfahren und sich auszutauschen, kommen aus den Ganztagsschulen.“ Und wie es dem Selbstverständnis der Agentur entspricht, war der Wunsch der Basis für sie „Befehl“. Einem, dem sie gerne nachkommt, weil heute eine andere Rhythmisierung erforderlich ist als früher, versicherte Kitta.

Doch ein zweiter Grund gesellt sich hinzu. „Wir begleiten unsere Ganztagsschulen bei ihrer qualitativen Entwicklung hin zu Lern- und Lebensorten. Da gehört die Rhythmisierung automatisch dazu“, sagte die stellvertretende Agenturleiterin Ute Harrje zu Beginn der 90-minütigen Online-Fortbildung. Und versicherte: „Wir verbinden – Ganztagsschulen und außerschulische Kooperationspartner, aber eben auch in unseren zahlreichen Netzwerken.“

Gesagtes und Gemerktes

Die beiden Vertreterinnen der Serviceagentur hielten sich nicht mit langen Vorreden auf. Sie wussten, ihr prominenter Gast, der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Heinz Günter Holtappels, emeritierter Professor der TU Dortmund und Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung, würde viel zu berichten wissen. Vielleicht aber ahnten sie auch, was er später zu Protokoll geben würde: Gerade einmal 25 Prozent dessen, was einem gesagt werde, behalte der Mensch. Er meinte dies natürlich mit Blick auf die Gestaltung des Schulalltags und des konkreten Unterrichts und lieferte unfreiwillig in der späteren Fragerunde den Beweis für die Richtigkeit der These: Die zweite von drei Fragen, die die Leiterin der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Bremen Angelika Wunsch formuliert hatte, bat er freundlich zu wiederholen. Er hatte sie vergessen. Es ging um Erkenntnisse über die Wirkung der Rhythmisierung aus dem Ausland.

Gemeinsam lernen im Eldenburg-Gymnasium Lübz
© Britta Hüning

Auch ohne diesen zufälligen, aber umso anschaulicheren Nachweis, leuchtete den Zuhörenden ein, dass eine „Dauerberieselung“ durch die Lehrkräfte wenig Fruchtbares hervorbringt. „Schülerinnen und Schüler benötigen Zeit, das Gehörte in ´Schubladen` ablegen zu können. Darum sind die Tätigkeiten zwischen kognitiven Einheiten so wichtig. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler spielen, arbeitet das Gehirn entsprechend weiter“, erläuterte er. Und fügte hinzu, „dass die Eigentätigkeit die aktivste und effektivste Form des Lernens darstellt“. Vorträge, die länger als 30 Minuten dauerten, könnten Schülerinnen und Schüler nicht verarbeiten.

Ohnehin sei eine gewisse Flexibilität bei der Unterrichtsplanung ratsam. „30 Minuten Sport sind Quatsch, da haben sich die Schülerinnen und Schüler gerade einmal umgezogen. 60 Minuten Lesezeit sind zuviel für die Konzentrationsfähigkeit“, betonte er. Sein weiterer Hinweis: „Ein Projekt kann man auch nicht in 90 Minuten durchführen. Dafür benötigt es mindestens einen Tag, gerne aber auch mehr.“ Grundsätzlich plädierte er für 60- oder 90-minütige Unterrichtsblöcke: „Sie ermöglichen eine größere Zahl von Wechseln der Unterrichts- und Arbeitsformen.“ Mit Blick auf die Lehrkräfte meinte er: „Schulen mit flexibler Zeitgestaltung zeichnen sich meist durch eine hohe Innovationsbereitschaft, ein breiteres Unterrichtsangebot und mehr interne Kommunikation aus.“

Lernaktivitäten wechseln

Angesichts des Gehörten könnte man die Rhythmisierung als Königsweg des Lernens bezeichnen. Denn sie öffnet die Türen für den Wechsel zwischen Arbeits- und Unterrichtsformen, zwischen kognitiv-anspannenden und entspannenden Phasen. Heinz Günter Holtappels formulierte es so: „Zentrale Bedeutung in der Rhythmisierung hat der Wechsel der Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler.“ Genau dafür sei die Ganztagsschule aufgrund der größeren Zeitreserven bestens geeignet. „Dieser Zeitgewinn ist ein Geschenk“, betonte der Wissenschaftler. Allerdings mahnte er zugleich: „Mit der Zeit sollten Schulen dennoch nicht verschwenderisch umgehen, sondern sie sinnvoll nutzen.“

Eine geschickte Rhythmisierung trage dazu wesentlich bei. Er werde immer wieder gefragt, was denn eine gute Rhythmisierung ausmache. Da könne er dann allerdings nur antworten: „Es gibt nicht den perfekten Rhythmusplan.“ Dazu hinge ein jeder von zu vielen, von Schule zu Schule, von Mensch zu Mensch variierenden Faktoren und Rahmenbedingungen ab. Folgerichtig präsentierte er eine Vielzahl von Zeitplänen verschiedener Ganztagsschulen aus Nordrhein-Westfalen.

Aber er sagte auch: „Rhythmisierung ist zu denken als Rhythmus, Gliederung und Wechsel für einzelne Aktivitätsphasen innerhalb eines Schultags, für den Tagesablauf eines Schultags insgesamt, für den Wochenablauf im Sinne eines Wochenstrukturplans sowie für Wechsel im Jahresablauf.“ Zugleich plädierte er für Wechsel der Sozialformen im Unterricht – der Input der Lehrkraft zähle ebenso dazu wie die Einzel- oder die Gruppenarbeit. Zugleich ermunterte er die Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus gemeinsam lernen zu lassen: „Sie können sich gut selbst unterstützen, sodass alle profitieren.“

Wann Lernen gelingt

Spannend wurde es dann noch einmal, als es um den sogenannten Biorhythmus der Schülerinnen und Schüler ging. „Laut Forschungsergebnissen kann man davon ausgehen, dass ab 8.30 Uhr kognitives Lernen möglich ist“, sagte er. Gegen 11 Uhr erreiche die Leistungsfähigkeit ihren Höhepunkt, ehe sie dann langsam absinke. Gegen 14 Uhr sei ein erster Tiefpunkt erreicht. Konkret hob er hervor: „Lernen in der fünften Stunde geht noch. Die sechste dagegen liegt genau im Konzentrationsloch.“

Gemeinsam essen im Eldenburg-Gymnasium Lübz
© Britta Hüning

Logischerweise solle hier eine entsprechend große Pause liegen. Sie solle nicht nur zum Essen, sondern auch zur Bewegung oder Entspannung genutzt werden. Vor allem aber solle sie auch Gelegenheit „zum Quatschen“ bieten: „Denn sonst wird das in den Unterricht verlagert.“ Ab 14 Uhr steige die Konzentrationsfähigkeit für rund zwei Stunden wieder an. Allerdings erreiche sie nicht mehr das Vormittagsniveau: „Dazu hat man bis dahin schon zuviel geleistet“, so Holtappels. Er machte aber auch deutlich, dass es Schulen natürlich nicht möglich sei, auf jeden individuellen Rhythmus einzugehen: „Dazu ist die Leistungskonzentrationskurve bei jedem zu unterschiedlich.“

Wie Rhythmisierung gelingen kann, welche Voraussetzungen geschaffen und wie Hürden überwunden werden können, erfahren die am Workshop Teilnehmenden bald anhand eines Praxisbeispiels. Am 25. Oktober steht der Besuch des Eldenburg-Gymnasiums Lübz auf dem Programm. Dessen Schulleiter Torsten Schwarz kündigte spannende Einblicke an: „Wir rhythmisieren täglich, in der Woche und im Jahr.“

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