Wie tickt die Uhr im Ganztag? : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg, Petra Gruner

Auch in Sachsen suchen Schulen mit Ganztagsangeboten nach dem richtigen Rhythmus, denn „die zeitliche Strukturierung ... ist ein Kernelement eines guten Ganztagskonzeptes“. Eine Broschüre der Servicestelle Ganztagsangebote stellt 13 gute Beispiele vor.

Innenansicht Bibliothek
Blick in die Bibliothek des Gymnasiums Dresden-Bühlau © Gymnasium Dresden-Bühlau

Inzwischen gibt es einige Filme zum Thema Ganztag. Einer der besten ist immer noch der – außerhalb von Sachsen vielleicht zu wenig beachtete, aber unbedingt sehenswerte – Film „Nutze den Tag – Ganztagsangebote an Sächsischen Schulen“, den die Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen 2008 herausgegeben hat. Im Mittelpunkt stehen die Schülerinnen und Schüler, zu Wort kommen auch Schulleitungen und Lehrkräfte. „Wir haben ganz bewusst über den Tagesablauf nachgedacht – Zauberwort Rhythmisierung“, heißt es dort. Oder: „Schule wird durch die Einbindung von Ganztagsangeboten vom Ort des Lernens auch ein Stückweit zum Ort der Begegnung.“ Oder: „Es ist zwar viel Arbeit, aber wir haben soviel Zuspruch und sehen unsere Schüler jetzt auch mit anderen Augen. Dass man oftmals ins Staunen kommt, was Schüler so alles können.“

Eine Veranstaltung der Regionalstelle der Sächsischen Bildungsagentur "Wie tickt die Uhr im Ganztag?" im Dezember 2014 knüpfte insofern an Bisheriges an: Pädagoginnen und Pädagogen aus allen Schulformen diskutierten Organisationsmodelle und Formen von Rhythmisierung, stellten ihre Rhythmisierungskonzepte vor und profitierten gegenseitig von den Erfahrungen. Die entscheidende Frage lautete: „Was müsste geändert werden, damit bereits am Vormittag Ganztag stattfindet?“

Lernen nicht nur am Vormittag

Die Schwerpunkte und Ergebnisse sahen für die Schulen unterschiedlich aus. Bei den Grundschulen kamen die Teilnehmenden zum Beispiel zur Erkenntnis, dass man vor einer zeitlichen Umstrukturierung des Tages auch die Horterzieherinnen an den Tisch holen und Transparenz für die Eltern herstellen muss. Grundsätzlich müsse das Umdenken stattfinden, dass „Lernen nicht nur am Vormittag stattfindet“. Wichtig sei es, sich für unterschiedliche Blöcke wie Förderband, Bewegungspausen oder Blockunterricht auch Unterstützung durch die externen Fachkräfte zu holen. Auch in Gymnasien und Oberschulen sollen Förderstunden möglichst klassenübergreifend in den Vormittagsunterricht hineingeholt werden.

Für einen rhythmisierten Unterricht braucht es ausreichende Räume, um in Kleingruppen zu lernen. Dazu können auch Flure und Vorbereitungsräume genutzt werden. Alle Fachlehrkräfte müssen durch rechtzeitige Informationen eingebunden, Kooperationen mit Externen wie zum Beispiel pensionierten Kolleginnen und Kollegen angeschoben werden. Um Akzeptanz für die Veränderung der Lernkultur im Zuge der Rhythmisierung im Kollegium, bei Schülerinnen und Schülern, schließlich auch bei den Eltern zu erreichen, bedarf es guter Kommunikation.

Die von der Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen erarbeitete Broschüre „Wie tickt die Uhr im Ganztag? Schulbeispiele aus Sachsen“ stellt nun 13 Zeitmodelle vor. Nach einem einführenden Kapitel folgen fünf Abschnitte, die sich an den Tageszeiten orientieren: „Zu Beginn“, „Am Vormittag“, „Am Mittag“, „Am Nachmittag“ und „Zum Schluss“. Es werden Anregungen für Rhythmisierung aus allen Schularten geboten. Zusätzlich verzeichnet die Broschüre außerdem die Unterstützungsangebote der Servicestelle Ganztagsangebote und der Regionalstellen der Sächsischen Bildungsagentur sowie alle 16 Referenzschulen in Sachsen.

Einige Beispiele greifen wir heraus.

Förderstunden, Lernwerkstatt, selbstbestimmte Freizeit

Die Oberschule Niederwiesa (Landkreis Mittelsachsen), die 2012 den Sächsischen Schulpreis erhielt, hat bereits ein ausgefeiltes Rhythmisierungskonzept entwickelt. Sie hat den 45 Minuten-Takt abgeschafft und stattdessen 90 Minuten-Blöcke gebildet. Die veränderten Zeitstrukturen schaffen Spielräume für individuelle, dem Lern- und Arbeitsrhythmus angepasste Unterrichtsgestaltung. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden im Rahmen des zu bearbeitenden Unterrichtsinhaltes teilweise selbst, wie sie dabei vorgehen. Förderstunden sind in den Vormittagsunterricht integriert.

Foto des G4-Plakats
Plakat zum "G4"-Gipfel - Lehrer, Schüler, Eltern, Partner - in der Oberschule Niederwiesa © Oberschule Niederwiesa

Ein Angebot, durch individuelle Förderung ihre Lernergebnisse zusätzlich zu steigern, bietet die Lernwerkstatt. Hier können die Jugendlichen auch Lern- und Arbeitstechniken erwerben, vertiefen und anwenden. Das jahrgangsübergreifende und kooperative Lernen fördert soziale Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeit. Den Schülerinnen und Schüler stehen sechs Computerarbeitsplätze, Regale mit Nachschlagewerken und Lexika sowie Handreichungen zum „Lernen lernen“ zur Verfügung. Der Pausenhof hat Ruhezonen, Bewegungszonen und Spielzonen für die individuelle  Gestaltung der freien Zeit.

In den Jahrgangsstufen sind unterschiedliche Ganztagsförderangebote verankert: von der Klassenleiterstunde über eine „Kompetenzförderstunde“ bis zu freiwillig wählbaren Kursen wie Mathekurs oder ein Kniggekurs. Für Schülerinnen und Schüler, die vor dem Hauptschulabschluss stehen, ist der Kurs „Wir schaffen einen guten Abschluss“ verbindlich. In der 10. Klasse gibt es ein verbindliches Angebot für die Fächer Mathematik,  Englisch und Chemie/Biologie.

Start in den Tag mit dem Lesezirkel "Bücherwurm"

Die Oelsnitzer Grundschule „Am Karl-Marx-Platz“ im Vogtland hat sozusagen aus der Not eine Tugend gemacht: Dass in der ländlichen Region die Schülerinnen und Schüler schon sehr früh vor den Schultoren stehen, nutzt die Schule nun für den „Start in den Tag“. Schulleiterin Jana Stingl und ihre Stellvertreterin Kristin Stark nehmen die Kinder am Morgen ab 6.45 Uhr in Empfang. Zwei Klassenräume in der unteren Etage sind zu Spielzimmern umgestaltet worden, ein weiteres zum Ruhezimmer mit Bücherkiste und Sitzkissen. Die Kinder starten mit Angeboten wie „Fit am PC“ oder dem Lesezirkel "Bücherwurm" in den Tag. Das hat sich laut Schulleiterin Stingl bewährt: „Die Kinder haben nicht nur ihre Hausschuhe schon an, sie sind auch geistig anwesend.“

„Lernen ist mehr als Unterricht“ ist das Motto der Friedrich-Engels-Grundschule in Meerane (Landkreis Zwickau). Die Schülerinnen und Schüler sind Mitglieder im „Club der kreativen Dichter“, gelangen „Per Mausklick zum Erfolg“ oder sind „Mit Leselöwen unterwegs“. Anlässlich des bundesweiten Vorlesetages 2014 las zum Beispiel der Bürgermeister von Meerane, Prof. Dr. Lothar Ungerer, den Viertklässlern in der Schülerbücherei vor.

Die Schule hat ihre Arbeitsgemeinschaften vor einiger Zeit organisatorisch verändert: Am Donnerstag nehmen alle Schülerinnen und Schüler im dritten Unterrichtsblock, also der 5. und 6. Stunde, an einem der Förderangebote teil. Kinder und Eltern werden am Anfang des Schuljahres nach ihren Erst- und Zweitwünschen für die Ganztagsangebote befragt. Die Lehrerinnen und Lehrer steuern aber mit, welches Kind an welchem Angebot teilnimmt. Laut Schulleiterin Ulrike Brüssel hat sich durch das jahrgangsübergreifende Lernen das „soziale Gefüge verändert“: „Die Schülern lernen mehr mit- und voneinander.“

Zilles Erben und „Die Firma“

„Die Firma", „Presseclub“, „Werkstatt Meister Hämmerlein“ heißen Neigungskurse im Ganztagsangebot der Oberschule „Heinrich Zille“ in Radeburg (Landkreis Meißen), Im „Presseclub“ erwerben die Schülerinnen und Schüler journalistische Fähigkeiten und Kenntnisse der digitalen Bildbearbeitung. Ein Ergebnis: Die AG betreut den Internetauftritt der Schule. „Die Firma" stellt als Schülerfirma täglich ein gesundes Frühstücksangebot für Schüler, Lehrer und Gäste der Schule bereit, behandelt aber auch Themen wie Geschäftseröffnung, Geschäftsplan, Geschäftsführung-Marktforschung oder Preiskalkulation. "Zilles Erben" schließlich widmen sich der Traditionspflege der Schule, denn der Maler Heinrich Zille wurde in Radeburg geboren.

Cover der Broschüre
© Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen

An der Oberschule wurden 90 Minuten-Unterrichtsblöcke eingeführt, jeweils durch halbstündige Pausen unterbrochen. Ganztagskoordinatorin Silke Große erläutert: „Es ist unsere Aufgabe, den Tag für unsere Kinder zu strukturieren, dabei auf Ruhe- und Konzentrationsphasen zu achten.“ Große Flächen und viele Sportgeräte sorgen dafür, dass die Jugendlichen sich ausgiebig bewegen können. Zugleich haben die Lehrkräfte nun genügend Zeit, auch in den Pausen mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen.

„Wir machen Schule für Sayda und Umgebung“, lautet Slogan der Oberschule Sayda (Landkreis Mittelsachsen), die von Schülerinnen und Schülern aus 20 Gemeinden besucht wird. In der Oberschule wurde der Vormittag aufgelockert: Die Schülerinnen und Schüler der 5. Klassen besuchen im zweiten Unterrichtsblock die Lernwerkstatt, hier können sie abseits ihres Klassenverbandes Neues ausprobieren und an unterschiedlichen Dingen arbeiten. In den 90 Minuten nehmen die Kinder zwei verschiedene Angebote wahr. Zur Auswahl stehen Sport oder Basteln sowie Förderangebote in Mathematik, Deutsch und Englisch. Neben der Leserechtschreib-Förderung liegt die - von Fachlehrern durchgeführte - Hausaufgabenbetreuung am Vormittag. Auch für längerfristige Projekte sind Raum, Zeit und Material vorhanden. Am Nachmittag gibt es insgesamt 23 AGs, von „Akustikgitarre“, „Schlagzeug“ und „E-Gitarre“ bis zu „Klöppeln“, „Filzen“, „Kochen“ und diversen sportlichen Angeboten. Nicht zu vergessen die AG Homepage, die auch hier die Internetseite der Schule gestaltet.

Ganztag braucht Zeit(struktur) – nicht nur in Sachsen

Die Broschüre „Wie tickt die Uhr im Ganztag?“ zeigt nicht nur, wie bedeutsam das „Kernelement“ Zeitstruktur für die Lernkultur in Ganztagsschulen und die Förderung der Schülerinnen und Schüler in allen Schularten ist. Sie bietet mit den unterschiedlichen Modellen zugleich Anknüpfungspunkte für jede Schule mit Ganztagsangeboten – ob in Sachsen oder anderen Bundesländern. Neben den genannten Beispielen sind in der Broschüre vertreten: das Gymnasium Bürgerwiese, das Gymnasium Dresden-Bühlau und die 16. Grundschule „Josephine“ in Dresden, die Schule Grünau in Leipzig, die Grundschule Kittlitz in Löbau, die Freie Werkschule Meißen, die Oberschule „Anne Frank“ Stauchitz, die Scultetus-Oberschule Görlitz und die Goethe Oberschule Breitenbrunn.

Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen (Hrsg.): Wie tickt die Uhr im Ganztag? Schulbeispiele aus Sachsen. Dresden: Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.


 

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