Vom offenen zum gebundenen Ganztag: Regionale Schule am Lindetal : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule – geht das? Die Regionale Schule am Lindetal in Neubrandenburg hat sich auf den Weg gemacht. Mehr Verbindlichkeit schätzen auch die Eltern. Schulleiterin Regine Stieger im Interview.

Online-Redaktion: Frau Stieger, welche Entwicklung hat die Regionale Schule am Lindetal in den vergangenen Jahren genommen?

Lindetal Schule
Regionale Schule am Lindetal © Gute Gestaltung, Ute Zscharnt

Regine Stieger: Wir sind seit einem Jahr in einem neuen Gebäude untergebracht und haben seitdem einen regen Zuspruch von Schülerinnen, Schülern und Eltern. Zurzeit lernen 450 Schülerinnen und Schüler bei uns. Dazu gehören auch circa 80 Schülerinnen und Schüler, die in zwei DAZ-Klassen, also mit „Deutsch als Zweitsprache“, unterrichtet werden. Je nachdem, wie schnell sie Deutsch können, integrieren wir sie in Regelklassen.

Online-Redaktion: Warum ist Ihr neues Gebäude ein Anziehungspunkt?

Stieger: Weil wir super ausgestattet sind und tolle Arbeitsbedingungen haben. Wir haben alles erhalten, was sich das Herz nur wünschen konnte – sei es die technische Ausstattung oder das ästhetische Drumherum. Wir werden noch einen neuen Schulhof und eine neue Sportanlage bekommen. Die Bedingungen zum Lernen sind für die Schülerinnen und Schüler sehr gut. Hier kann sich jedes Kind wohlfühlen.

Online-Redaktion: Wie kam es zu dieser hervorragenden Ausstattung?

Stieger: Seit 1995 gibt es in Neubrandenburg einen sogenannten Schulnetzplan, der für die Stadt Neubrandenburg und den umliegenden Landkreis Mecklenburgische Seenplatte auch festlegt, in welcher Reihenfolge die Baumaßnahmen in den Schulen angegangen werden. In diesem Plan standen wir an letzter Stelle, bis wir nun endlich auf Platz eins aufgerückt sind und beschlossen wurde, unsere Schule neu zu bauen. Dazu sind Fördermittel vom Land Mecklenburg-Vorpommern geflossen, aber auch die Stadt hat sich mächtig ins Zeug gelegt.

Im Gespräch mit Oberbürgermeister Silvio Witt
Im Gespräch mit Oberbürgermeister Silvio Witt © RAA Mecklenburg-Vorpommern

Es wurde von Anfang an versprochen, dass wir eine Schule erhalten, die den anderen Neubauten oder sanierten Schulen in Neubrandenburg nicht nachstehen würde. Dazu sind wir von Beginn an in die Planungsmaßnahmen eingebunden worden. Die Kolleginnen und Kollegen konnten ihre Vorstellungen der Ausstattung und der Räumlichkeiten einbringen und, wenn man so will, richtig rumspinnen, wie eine schöne Schule aussehen sollte.

Online-Redaktion: Haben Sie diese günstigen Bedingungen zu dem Schritt ermutigt, von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule überzugehen?

Stieger: Auch. Wir sind seit 2006 offene Ganztagsschule. Im Frühjahr letzten Jahres kam die Information aus dem Kultusministerium, dass wieder Anträge auf Einrichtung der gebundenen Form eingereicht werden könnten. Das haben wir getan und die Zustimmung bekommen. Damit sind nicht zuletzt eine höhere Zuweisung von Lehrerstunden und ein Budget für die Kooperation mit außerschulischen Partnern verbunden.

Online-Redaktion: Sie haben bereits eine stattliche Anzahl von Kooperationspartnern gewinnen können. Wie haben Sie das geschafft?

Stieger: Unsere Schule ist recht gut vernetzt. Wir arbeiten in vielen Arbeitskreisen mit. Zum Beispiel sind wir verbandelt mit dem Programm „Ein Quadratkilometer Bildung“ der Freudenberg-Stiftung. Da arbeiten der Oststadt-Verein, die Hans-Christian-Andersen-Grundschule und sämtliche Kitas der Neubrandenburger Oststadt mit. So kennt man sich halt, kann überall die Ohren aufsperren und lernt viele Leute kennen, die man dann fragen kann, ob sie Lust haben, in unserem Ganztag mitzuarbeiten.

Die Kooperationspartner haben sich durch die Summe all unserer Aktivitäten ergeben. Und es gibt auch Eltern, die sich einbringen. Eine Mutter zum Beispiel ist ganz dick beim Kochen und Backen dabei, was sehr gut bei den Schülern ankommt. Wir haben ehemalige Ingenieure im Vorruhestand, die noch lange nicht zum alten Eisen gehören, die tolle Angebote für die Berufsorientierung machen.

Online-Redaktion: Warum lassen Sie die offene Ganztagsschule nun hinter sich?

Stieger: Machen wir uns nichts vor: Es ist doch ein ziemliches Organisationsproblem. Am Anfang des Schuljahres schreien alle Kinder Hurra und melden sich zu den Ganztagsangeboten an. Und dann bröckelt die Teilnahme stetig, was sehr schade ist. Wir haben einen großen Organisationsaufwand, aber das Durchhaltevermögen unserer Schülerinnen und Schüler, bei einer Sache vom Anfang bis zum Ende dabeizubleiben, ist noch nicht so entwickelt, wie wir uns das wünschen würden.

Dieses Problem haben wir in der gebundenen Ganztagsschule, an der alle Kinder und Jugendlichen teilnehmen, nicht. Die Angebote, die wir ihnen unterbreiten, werden sie schnell überzeugen, dass es gut für sie ist, diese zu nutzen. Hier entwickeln sie Durchhaltevermögen und eine gewisse Beständigkeit, die ja Grundvoraussetzungen sind, später auch erfolgreich in der Ausbildung und im Beruf zu sein.

Online-Redaktion: Und was bedeutet das inhaltlich?

Stieger: Wir haben auch Schülerinnen und Schüler, die ohne unseren Input am Nachmittag sicher nicht sehr viele Anregungen bekommen. Da bringt ihnen keiner das Nähen, das Kochen, gesunde Ernährung oder Gitarre spielen oder das Funken bei. Wir wollen ihnen zeigen, welche schönen Sachen das Leben bereit hält, was man aus seiner Freizeit Sinnvolles machen kann und auch eine Perspektive für den Beruf aufzeigen.

Ich denke, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen dies als Bereicherung auch ihrer Arbeit sehen: Man kann die Schülerinnen und Schüler von einer ganz anderen Seite kennenlernen und ebenso als Lehrer oder Lehrerin anders wahrgenommen werden. Dazu ist es meine Aufgabe, die Kolleginnen und Kollegen möglichst nach ihren Interessen und Neigungen einzusetzen. Die meisten werden im kommenden Schuljahr zwei Angebote am Nachmittag machen, die alles an Sport, Förderunterricht, Kunst und Musik abdecken.

Online-Redaktion: Eltern sind daran interessiert, dass ihre Kinder in der Ganztagsschule mehr Zeit zum Lernen erhalten, aber auch, dass sie die Hausaufgaben dort erledigen. Wie richten Sie sich darauf ein?

Stieger: Wir sind sehr gesegnet, weil wir durch die höhere Stundenzuweisung im kommenden Schuljahr in Deutsch, Englisch und Mathematik von Klasse 5 bis 8 jeweils eine Stunde mehr unterrichten können. Bei den älteren Schülerinnen und Schülern konzentrieren wir uns in der Förderung ganz auf das, was sie sich in unserer Umfrage zum Ganztag gewünscht haben, nämlich auf die Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung und der bei der Erstellung der Jahresarbeiten.

Die Prüfungsvorbereitung ist in der Vergangenheit immer nur gelaufen, wenn sich ein Fachlehrer bereit erklärt hat, sich in seiner Freizeit am Nachmittag oder in den Ferien zu treffen. Jetzt können wir das in einer ganz anderen Größenordnung anbieten. Es gibt zudem Förderunterricht in den 5. und 7. Klassen in den Programmen „Mathe macht stark“ und „Lesen macht stark“.

Lindetal Schule
Die Regionale Schule am Lindetal ist „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ © RAA Mecklenburg-Vorpommern

Das Thema Hausaufgaben ist ein Steckenpferd von mir. Mein erster Satz nach dem Abitur meiner Tochter war: „Jetzt hat das endlich ein Ende mit den elenden Hausaufgaben!“ Ich möchte meinem Kollegium und den Eltern die Einstellung schmackhaft machen, dass sich Hausaufgaben in einer Ganztagsschule überholt haben. Wenn es darum geht, ein Gedicht auswendig zu lernen oder mal ein Plakat zu erstellen, kein Ding. Aber „Mathe, Seite 19, Nummer 5“ – das nutzt niemandem etwas. Den guten Schülerinnen und Schülern nutzt es nichts, weil sie es auch ohne Nummer 5 können, den schwachen nicht, weil sie Nummer 5 nicht verstehen. Und ein Teil ist gleich einmal zu faul, die Aufgabe zu lösen. Meine Aufgabe als Lehrerin ist es, dass die Kinder in der Schule das lernen, was der Lernplan verlangt. Und wenn sie um halb vier nach Hause gehen, dann müssen sie mit ihrem Arbeitstag fertig sein.

Online-Redaktion: Wie haben Sie sich als Schulleitung und Kollegium auf den Schritt zum gebundenen Ganztag vorbereitet?

Stieger: Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ mit Maria Parttimaa-Zabel ist ein toller Partner. Wir arbeiten inzwischen in vier verschiedenen Netzwerken mit, um unsere Schule weiterzuentwickeln. Schon lange sind wir in einem Netzwerk zur Ganztagsschulentwicklung, das besser denn je arbeitet. Dort tauschen wir uns mit anderen Schulen aus, und da besteht eine gute Vertrauensbasis. Inzwischen sind wir auch bei den Themen Deutsch als Zweitsprache, Heterogenität und Inklusion unterwegs. In einem bundesweiten Schulnetzwerk waren wir ebenfalls schon dabei.

Wir schauen uns an, wie es anderswo klappt. Wenn man immer nur in der eigenen Suppe rührt, kommt nicht viel Neues heraus. Ich bin jemand, die sich gerne was abschaut und es selbst ausprobieren möchte. Wenn auch nicht immer alle im Kollegium gleich begeistert waren, wenn ich mal wieder mit einer neuen Idee kam, so hat es sich doch bewährt, einfach mal was anzupacken. Das ist sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für uns Lehrerinnen und Lehrer gut.

Lindetal Schule
© Quadratkilometer Bildung

Online-Redaktion: Wie sehen die Eltern und die Schüler die gebundene Ganztagsschule?

Stieger: Wir haben die Beteiligten mit Fragebögen nach ihrer Meinung gefragt. Die Eltern waren dafür, denn sie wollten mehr Verbindlichkeit. Bei den kleineren Schülerinnen und Schülern gab es auch keine Probleme, denn sie kennen den Ganztag aus der Grundschulzeit und haben ihn eher schmerzlich vermisst, wenn sie zu uns kamen.

Online-Redaktion: Gab es auch die Diskussionen um die Lehrerarbeitszeit?

Stieger: Die ist noch nicht zu 100 Prozent abgeschlossen – da würde ich lügen, wenn ich das behaupten würde. Klar ist es für einige Kolleginnen und Kollegen neu, auch nachmittags in der Schule zu sein. Aber das ist der moderne Anspruch an den Lehrerberuf. Zumal die Unterrichtsverpflichtung von 27 Wochenstunden ja unverändert bleibt. Bei uns hat jeder Kollege hat einen Klassenraum mit PC und Internet-Anschluss. Es gibt einen Lehrerarbeitsraum mit sechs PC, Scanner und Drucker. Wenn man mal eine Freistunde hat, kann man diese sinnvoll für die schulische Arbeit nutzen, die man sonst zu Hause erledigen müsste. Das hat auch seinen Charme. Ich gebe aber zu, dass das ein Lernprozess ist.

 

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