Unterricht verändern im Ganztagsgymnasium : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Gebundener und offener Ganztag – das Dag-Hammarskjöld-Gymnasium in Würzburg bietet beides. Und dazu noch SELF-Tage, WIP-Stunden und „Challenges“.

Wer ist Dag Hammarskjöld? 2012 entschied sich das Evangelische Gymnasium Würzburg, sich in Dag-Hammarskjöld-Gymnasium umzubenennen. Die gesamte Schulgemeinschaft war in den Namensfindungsprozess eingebunden. „Wir wollten nicht das x-te Goethe-Gymnasium sein und einen Namen finden, der die Werte, für die wir als Schule in kirchlicher Trägerschaft stehen, verkörpert“, erzählt Schulleiter Hermann Berst. Der 1953 zum UN-Generalsekretär gewählte Schwede Dag Hammarskjöld (1905-1961) erhielt 1961 posthum den Friedensnobelpreis. Er war ein gläubiger Mensch, der davon überzeugt war, dass sich jeder Mensch aktiv in die Arbeit am Nächsten einbringen sollte und kann. In den USA gedenkt die Evangelisch-Lutherische Kirche an jedem 18. September Hammarskjölds.

Schulleitungsteam (v.r.n.l.): Schulleiter Hermann Berst, Stellvertreter Klaus Schmidt, Projektkoordinatorin Sabine Heckmann, Stellvertreter Christian Herpich
Schulleitungsteam (v.r.n.l.): Schulleiter Hermann Berst, Stellvertreter Klaus Schmidt, Projektkoordinatorin Sabine Heckmann, Stellvertreter Christian Herpich © Dag-Hammarskjöld-Gymnasium

„Individuell lernen, miteinander gestalten und sozial handeln“ sind damit korrespondierende Eckpunkte des Schulkonzepts des Dag-Hammarskjöld-Gymnasiums. In dem Ganztagsgymnasium lernen rund 400 Schülerinnen und Schüler, begleitet von 45 Lehrerinnen und Lehrern sowie elf weiteren pädagogischen Fachkräften und Verwaltungsmitarbeitern. „Wir wollen gemeinsam soziales Verantwortungsbewusstsein, politisches Denken und gesellschaftliches Engagement an unserer Schule lernen und leben“, erklärt Berst.

Projekt „Mitmensch“

Dafür stehen zum Beispiel das Projekt „Verantwortung“ in den 5. bis 9. Klassen, das Projekt „Mitmensch“ in der 10. Jahrgangsstufe und seit letztem Schuljahr die „Challenge“. Im Projekt „Verantwortung“ übernehmen die Schülerinnen und Schüler über mindestens drei Monate kleine soziale oder gemeinnützige Aufgaben in der Schule oder der Nachbarschaft. Das kann das Sauberhalten eines Spielplatzes sein, der Besuch einer kranken Nachbarin, Vorlesen in Seniorenheimen oder Hausaufgabenhilfe für Übersiedlerkinder. Im Projekt „Mitmensch“ arbeiten die Zehntklässler eine Woche lang in einer sozialen Einrichtung des Diakonischen Werks Würzburg und kümmern sich um Menschen mit Behinderungen.

Bei der „Challenge“ suchen sich Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen in Kleingruppen eine Herausforderung, die sie innerhalb einer Woche bewältigen können. Sie arbeiten mit einem Taschengeld von 60 Euro an einem Projekt, das mehr als 100 Kilometer von Würzburg entfernt sein muss. Letztes Jahr beispielsweise halfen Neuntklässler einem Almbauern bei der Sennarbeit, andere bauten einen Kinderspielplatz am Bodensee. „Die Kinder müssen diese Reisen und Aufgaben völlig alleine organisieren und werden von speziell geschulten Studierenden begleitet“, so der Schulleiter. „Sie haben gemerkt, was sie in der Gruppe erreichen können, und haben die Challenge schätzen gelernt.“

Pflicht und Kür

Für Christian Herpich, einer der beiden stellvertretenden Schulleiter, geht es um individuelle Förderung und darum, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Persönlichkeit entwickeln. „Aber wir brauchen auch die Gemeinschaft. Wir müssen lernen, uns gegenseitig zu tragen, und zu ertragen, dass ein anderer anders ist als ich.“

Um das zu erreichen, müsse sich auch der Unterricht verändern. „Es braucht eine kreative und kritische Auseinandersetzung mit der Welt, den Medien und den Informationen. Die schaffen wir durch einen Unterricht, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten lernt. Ich kann reinen Frontalunterricht halten, aber dann verliere ich zu viele. Bei uns ist selbstständiges Lernen in alternativen Lernformen mit speziellem Material wie in einem Lernbüro oder in epochalen Unterrichtssequenzen zentral“, so Herpich.

Lernbüro Mathematik: Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Gummibärchen
Lernbüro Mathematik: Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Gummibärchen © Dag-Hammarskjöld-Gymnasium

Im Lernbüro schließen sich für vier bis sechs Wochen zwei bis drei Fächer zur Bearbeitung eines Themas“ zusammen – beispielsweise „Fische“ oder „Die Zelle". Die Fachschaften haben die lernplanrelevanten Inhalte dazu in speziellen Arbeitsmaterialien für die Schülerinnen und Schüler kombiniert. Ein sogenannter Laufplanzettel enthält Pflicht- und „Kür“-Aufgaben. „Die Schülerinnen und Schüler bekommen hier nichts vorgekaut, sondern entscheiden selbst, wie und wann sie sich den Inhalten widmen“, erläutert Herpich. Lehrerinnen und Lehrer begleiten sie dabei als Mentoren.

Werkstatt, WIP- und SELF-Stunden

Im Dag-Hammarskjöld-Gymnasium können sich die Schülerinnen und Schüler für einen naturwissenschaftlich-technologischen, einen wirtschaftswissenschaftlichen und einen sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt entscheiden. Im gebundenen Ganztagszweig der Klassen 7 bis 10 setzt das Gymnasium auf besondere unterrichtliche Angebote, die das selbstständige Lernen ebenso forcieren wie das Lernen und die Verantwortungsübernahme in der Gemeinschaft.

In wöchentlichen Werkstattstunden arbeiten die Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen für ein halbes Jahr in einem selbstgewählten Kurs. Hier geht es nicht nur um Lehrplanthemen, sondern auch um Projektangebote zu alltagsrelevanten Fragestellungen. Zu letzteren gehören in diesem Schuljahr zum Beispiel ein „Word und Excel“-Kurs, eine Schmiedewerkstatt und Italienisch für Anfänger. Die Kurse binden auch außerschulische Partner ein, so beispielsweise einen Experten, der den Aufbau und Betrieb eines Aquariums anleitet.

Eine weitere Lernmethode sind die WIP-Stunden (Wiederholen, Intensivieren und Projektarbeit) montags bis donnerstags für die Jahrgänge 7 bis 9. In diese sind auch die ehemaligen Hausaufgaben integriert.

Und schließlich gibt es die SELF-Tage (Selbständiges, eigenverantwortliches Lernen und Forschen), fächerübergreifende Projekte zum vertieften Lernen, die mehrmals im Schuljahr an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden. Jedes Fach bekommt die Gelegenheit, ein lehrplanbezogenes Thema ohne zeitliche und räumliche Beschränkungen anzugehen. Im Januar 2017 organisierten die 10. Klassen zum Beispiel im Fach Religion eine Jugend-Uni mit Vorlesungen außerschulischer Experten zum Thema Glück und hörten Vertreter des Islam und des Buddhismus. Die 7. Klassen besuchten im Fach Musik die Tonstudios der Musikhochschule Würzburg und drehten dort ein Musikvideo. An Klassenelternabenden können die Ergebnisse den Eltern präsentiert werden.

Ganztag erleichtert Kooperation mit der Jugendarbeit

Der rhythmisierte, gebundene Ganztag bietet nicht nur für die Schülerinnen und Schüler mehr Möglichkeiten, auch die Lehrkräfte haben den gestreckten Tagesablauf schätzen gelernt. „Früher wurden Fragen oft nur beim Stundenwechsel zwischen Tür und Angel besprochen“, erinnert sich Hermann Berst. „Heute können wir Dinge untereinander ganz anders klären. Es gibt Klassen-Teams und viel mehr kollegiale Zusammenarbeit.“ Die vielen Innovationen der letzten Jahre seien nicht immer für jeden Kollegen etwas. „Es braucht aber auch die kritischen Stimmen“, findet der Schulleiter. „Nicht alles, was neu ist, muss auch automatisch gut sein.“

9. Klasse im Funkhaus Würzburg
9. Klasse im Funkhaus Würzburg © Dag-Hammarskjöld-Gymnasium

2014 wurde auch ein offenes, additives Ganztagsangebot eingerichtet, an dem knapp 100 Schülerinnen und Schüler der 5. bis 9. Jahrgangsstufen altersgemischt teilnehmen. Ein von der Diplom-Pädagogin Ulrike Ernst-Schwertberger geleitetes Team aus zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist an vier Tagen der Woche bis 16.30 Uhr und freitags bis 15 Uhr für die Jugendlichen da – im OGS-Gruppenraum, im Kickerraum, in den Turnhallen und auf dem Sportplatz, in der Mensa und der Schulküche oder auf dem Pausenhof. Seit diesem Schuljahr gibt es für die Fünftklässler noch eine Halbtagsklasse mit der Möglichkeit, mindestens zwei Ganztagsnachmittage „zuzubuchen“. Damit kam die Schule dem Wunsch vieler Eltern nach, die ein flexibleres Angebot wünschten.

Vor allem ermöglicht der Ganztag die Kooperation mit der Jugendarbeit. Christian Herpich schätzt die Möglichkeit, Schulsozialarbeit und erlebnispädagogische Angebote einzubinden, bei Bedarf auch spontan. Wenn Konfliktsituationen entstehen oder ein Jugendlicher sichtbare Probleme hat, greift die „Task Force“ der Schulsozialarbeit ein. Je nach Lage können verschiedene außerschulische Partner eingebunden werden. „Wir sind sehr gut vernetzt. Der Aufbau dieses Netzwerkes hat Mühe gekostet, aber jetzt können wir schnell zielgerichtet helfen.“

„Unsere Erfahrungen mit dem Ganztag sind ermutigend“, bilanziert Schulleiter Hermann Berst. „Wir möchten eine familiäre Schule sein, in der jede Lehrkraft alle Schülerinnen und Schüler kennt.“ Das Dag-Hammarskjöld-Gymnasium hat aber auch einen Wunsch: „Nach Jahren beständiger Neuerungen in den aufsteigenden Jahrgangsstufen bräuchten wir jetzt mal ein, zwei Jahre Konsolidierung, um evaluieren und feinjustieren zu können.“

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