Thüringen: "Auf zur guten Ganztagsschule!" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die Fachtagung "Auf zur guten Ganztagsschule!" der Serviceagentur "Ganztägig lernen" Thüringen bot neben einer Bilanz unter dem Motto "Voneinander lernen und miteinander gestalten" neue Gelegenheiten zur Vernetzung.

Im September 2013 machten sich 13 Thüringer Ganztagsschulen auf den Weg, sich in einem von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ begleiteten „Referenzschulnetzwerk“ zu verbinden. Die Schulen reflektierten in vier Netzwerktreffen und gegenseitigen Hospitationen ihren Entwicklungsstand, erhielten Impulse und identifizierten ihre Stärken. Es galt, ein systematisches Fortbildungsangebot von Ganztagsschulen für Ganztagsschulen zu schaffen und auch Schulen außerhalb des Netzwerks durch Fortbildungen und Hospitationen zu unterstützen.

Nach über einem Jahr kam diese Arbeitsphase nun auf der Fachtagung „Auf zur guten Ganztagsschule!“ am 12. November 2014 in Weimar zu einem feierlichen Abschluss. Vor rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verabschiedete die Serviceagentur das Referenzschulnetzwerk mit einem symbolischen Dankeschön unter dem Applaus des Plenums im Weimarer Reithaus. In einer Podiumsdiskussion am Vormittag bilanzierten Beteiligte und Beobachter die Wirkungsweise eines solchen Netzwerks.

Moderierter Austausch ist eine gute Fortbildung

„Der moderierte Austausch von Schulen führt zu nicht vorhersehbaren Lernprozessen“, meinte Dr. Sabine Schweder, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Schulpädagogik an der Universität Greifswald. Karin Arnold, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Grundschule in Jena, bestätigte: „Wir haben viele Schulen besucht und aus der Anschauung, dem Austausch und kritisches Hinterfragen gelernt. Besonders gut hat uns die Reise nach Stockholm gefallen, wo wir in offenen Schulen hospitierten. Ich bin oft von Gymnasien, an die unsere Schülerinnen und Schüler wechseln, enttäuscht, die nichts von dem weiterführen, was wir begonnen haben. Daher bin ich froh, im Netzwerk auch auf andere weiterführende Schulen getroffen zu sein.“

Für eine solche Schule der Sekundarstufe I, die Regelschule „Ludwig Bechstein“ in Arnstadt (Ilm-Kreis), berichtete Schulleiterin Carola Gorke: „Wir haben geschaut, was die Anderen machen, und dann sortiert, was davon zu uns passt.“

Für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung als Trägerin der Thüringer Serviceagentur erklärte die stellvertretende Programmleiterin Kati Helm: „Ein Netzwerk ist wie eine gute Fortbildung. Es gibt einen strukturierten Austausch, Rückmeldungen, theoretischen Input und Schulbesuche. Diese Erfahrungen werden die Referenzschulen nun weitergeben. Und die Serviceagentur hat vor Ort gesehen, was die Schulen bewegt und was sie benötigen.“

Mit der Serviceagentur ein Leitbild „Qualität“ erarbeitet

Über den Stand des Ganztagsschulausbaus informierte Dr. Marion Malz, stellvertretende Referatsleiterin im Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Sie konnte die stattliche Zahl von 75 Prozent ganztägig organisierten Schulen im Bundesland vermelden. „Diese hohe Zahl resultiert aus den Grundschulen mit ihrer Horttradition. Bei den Sekundarschulen gibt es nur 37 Prozent Ganztagsschulen. Das ist ein Problem.“ Denn es sei inzwischen erkennbar, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss in den als Ganztagsschulen organisierten weiterführenden Schulen niedriger sei.

In Thüringen sind die Horte schulgesetzlich als organisatorischer Bestandteil der Grundschule verankert. Grundschüler haben den Anspruch auf Förderung in einem Hort an fünf Tagen der Woche mit einer täglichen Betreuungszeit bis zu zehn Stunden. Erzieherinnen und Erzieher der Horte sind Landesbedienstete. Für die Klassenstufen 5 und 6 kann ein Ganztagsangebot vorgehalten werden. Im Sekundarbereich gibt es zwar ein schulisches Mittagessen, für außerunterrichtliche Angebote sind die Schulen jedoch auf Förderprogramme wie das Landesprogramm Schulsozialarbeit oder kommunale Förderung verwiesen.

„Die Ganztagsschulen sind der Motor der Schulentwicklung in Thüringen“, zeigte sich Marion Malz überzeugt. „Jetzt geht es darum, die Qualität der Angebote zu erhöhen. Wir haben zusammen mit der Serviceagentur ein Leitbild ‚Qualität’ erarbeitet. Prüfpunkte, auf die die Schulämter bei ihrer Stundenzuweisung achten, sind die Abkehr vom 45-Minuten-Takt und längere Pausen – sonst endet der Schultag in selbstgemachtem Stress. Es müssen individuelle Lernzeiten am Vor- und am Nachmittag liegen, ebenso außerunterrichtliche Angebote sowohl am Vor- als auch am Nachmittag. Darüber hinaus müssen Mahlzeiten angeboten werden.“

„... Raum für Schüleraktivitäten“

Aus wissenschaftlicher Sicht unterfütterte Sabine Schweder in ihrem Vortrag diesen Ansatz: „Der zentrale Bereich an einer Ganztagsschule ist die Lernkultur, die alles Andere nach sich zieht. Wir brauchen den Frontalunterricht, aber nicht ausschließlich, sondern benötigen Raum für Schüleraktivitäten. Bevor der Zustand der Langeweile eintritt, sollte der Unterricht durch Elemente wie Lernbüro, Lernwerkstätten oder forschendes Lernen rhythmisiert werden.“ Das forschende Lernen entlasse die Lehrkräfte aus dem Druck, alles alleine meistern zu müssen. Stattdessen könnten sie in eine „Zuschauerrolle“ wechseln, wenn sich die Kinder und Jugendlichen untereinander austauschten. Dieser Austausch sei auch ein Lernprozess. „Auch freier Unterricht benötigt Struktur“, betonte die Wissenschaftlerin.

„Eine Grundschule mit Hort macht noch keine gute Ganztagsschule. Wir haben einen langen Weg hinter uns“, erklärte Schulleiterin Karin Arnold von der Heinrich-Heine-Grundschule in Jena. „Dazu haben wir uns in den 90er Jahren, die ich die ‚Trennungsjahre’ nenne, von alten Materialien getrennt und neue, zu uns passende Schulbücher und Lernhilfen zusammengestellt. Dann haben wir vor zwölf Jahren begonnen, nach und nach Jahrgangsmischung, Schuleingangsphase, Rhythmisierung und offenen Unterricht einzuführen.“ Die Pädagogin riet den anwesenden Kolleginnen und Kollegen im Auditorium: „Wenn Sie für eine Sache brennen, dann tragen Sie diese Idee den Eltern vor und probieren es aus. Wenn jemand aus meinem Kollegium für eine Sache brennt, dann unterstütze ich sie darin, es auszuprobieren.“

Für ihre Regelschule „Ludwig Bechstein“ in Arnstadt machte Schulleiterin Carola Gorke die selbstbestimmte Werkstattarbeit in der 9. und 10. Jahrgangsstufe als einen wichtigen Schulentwicklungsfaktor aus: „Sie verändert die Schulgemeinschaft enorm. Eine Schülerin meldete anschließend zurück, sie sei erwachsener geworden, eine andere, sie habe sich anders organisieren gelernt. Ein Schüler hat festgestellt, dass ihm noch Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlten.“ Insgesamt habe der Prozess, in dem die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig helfen, Respekt, Anerkennung und das „Miteinander-Wachsen“ unterstützt.

Formate statt Stundenplan

Die Fachtagung ermöglichte am Nachmittag weiteren Schulen den Austausch in „Themensalons“. Im Salon „Lernkultur erfolgreich gestalten“ stellten die Freie Gesamtschule UniverSaale in Jena und das Christliche Spalatin-Gymnasium in Altenburg ihre Organisations- und Arbeitsweisen vor. In Jena arbeitet man laut Schulleiter Wolfram Böhme mit einem Mehrpädagogensystem aus Fach- und Förderlehrern sowie Sozialpädagogen. Der Unterricht ist lernzieldifferenziert. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten mit Logbüchern und verbalen Leistungseinschätzungen. Auch die Jugendlichen selbst lernen, sich einzuschätzen, und tauschen sich dazu in ihren Tutorengesprächen aus, die einmal in der Woche für 15 Minuten fest vereinbart sind. Ebenso finden Entwicklungsgespräche statt, die von allen Pädagogen gemeinsam vorbereitet werden.

„Wir haben keinen traditionellen Stundenplan mehr, sondern vier Formate, in denen die Fächer aufgehen: Studierzeit, Kurszeit, Projektzeit und Werkstattzeit“, berichtete Böhme. „Die unterschiedlichen Formate tragen dazu bei, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten Wissen und Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Selbstständigkeit, insbesondere Zeitmanagement, und Kreativität erlangen. Dazu kommen noch Projektwochen, die besonders hilfreich sind, lernschwächere Schülerinnen und Schüler zu fördern.“

Das Christliche Spalatin-Gymnasium in Altenburg arbeitet noch hauptsächlich mit Frontalunterricht, ergänzt durch differenzierten Unterricht, Freiarbeitskonzepte und die Nachhilfe „Schüler helfen Schülern“. Die fächerübergreifende Freiarbeit nach dem Daltonplan ist dabei im Fachunterricht angesiedelt. „Hier wählen sich die Schülerinnen und Schüler ihre Themen selbst, erarbeiten sich die Inhalte und bestimmen Organisation und Tempo selbst“, erläuterte Juliane Baron, die stellvertretende Schulleiterin. „Das Freiarbeitskonzept evaluieren und entwickeln wir regelmäßig weiter.“

Auch in Altenburg war der Schulentwicklungsweg mit Widerständen und Sackgassen behaftet. „Wichtig ist es, mit einem Kern von engagierten Kolleginnen und Kollegen eine Sache voranzubringen, um Skeptiker zu überzeugen“, so Juliane Baron. Um eine gute Ganztagsschule aufzubauen, brauche es neben dem Mut zur Veränderung auch Geduld, Improvisationstalent und eine Fehlerkultur.

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