StEG: Fachliches Lernen in der Ganztagsschule : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Wie kann der Ganztag fachliche Kompetenzen fördern? Auf der Fachtagung „Qualität und Lernwirksamkeit von Ganztagsschulen“ stellte sich die derzeit laufende Studie „StEG-Lesen“ des Instituts für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund vor.

Gruppe von Schülerinnen und Schülern
© Britta Hüning

Wenn Prof. Ludwig Stecher an internationalen Tagungen teilnimmt, macht der Professor für Empirische Bildungsforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Beobachtung: „Im Ausland schaut man fast ein wenig neidisch auf StEG, weil es international kaum eine vergleichbar umfassende begleitende Forschung zum Ganztag gibt.“ Derzeit läuft die dritte Förderphase der vom BMBF geförderten „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen – StEG“.

Im Mittelpunkt stehen derzeit vertiefende Analysen zur Qualität von Ganztagsangeboten. Untersucht wird deren Wirkung, insbesondere auf die individuelle Förderung fachlicher und sozialer Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Dazu werden unter anderem Interventionsstudien an Ganztagsschulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I durchgeführt.

Eine dieser Studien, „StEG-Lesen: Förderung der Lesekompetenz an Grundschulen durch eine innovative Arbeitsgemeinschaft im Ganztag“, stellten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Fachtag „Qualität und Lernwirksamkeit von Ganztagsschulen“ am 7. Dezember 2017 in der Technischen Universität Dortmund vor. Hinzu kamen Präsentationen aus dem Programm „Ganz In – Mit Ganztag mehr Zukunft. Das neue Ganztagsgymnasium NRW“.

 

StEG-Lesen: eine Interventionsstudie an Grundschulen

Zur Tagung eingeladen waren rund 50 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren – das sind Schulleitungen, Lehrkräfte, Lehrerfortbildnerinnen und -fortbildner sowie Verantwortliche aus der Bildungsadministration, die Ziele und Ergebnisse solcher Bildungsstudien breit in Fortbildung und Unterstützungssysteme weitertragen sollen, wie Prof. Heinz Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund, einer der Mitbegründer der StEG-Studie und Mitglied des Konsortiums, hofft. „Die Umstellung von der Halbtags- zur Ganztagsschule hat die Lernkultur in den Schulen angereichert“, stellte der Wissenschaftler zum Auftakt fest. „Doch gerade der Unterricht ist noch unzureichend untersucht. Mit der Qualität von Unterricht und erweiterten Angeboten steht und fällt die Wirksamkeit der Lernkultur des Ganztags.“ Aus Sicht von Prof. Holtappels müssen Ganztagsschulen zur Angebotsentwicklung stärker „curricular-didaktisch“ arbeiten.

Podiumsdiskussion
(v.l.) Moderator Martin Burghoff, Dr. Thomas Bethge, Ruben Herzberg, Carina Merth, Prof. Ludwig Stecher © Redaktion www.ganztagsschulen.org

Das Institut führt in Kooperation mit Prof. Wolfram Rollett von der Pädagogischen Hochschule Freiburg die Teilstudie „StEG-Lesen“ durch. Diplom-Psychologin Karin Lossen und Diplom-Sozialwissenschaftlerin Katja Tillmann vom Institut für Schulentwicklungsforschung leiten das Projekt. Nachdem in der vorangegangenen Projektphase (2012-2015) im Teilprojekt „StEG-P: Angebotsqualität und individuelle Wirkungen in der Primarstufe“ keine direkten Effekte des Besuchs oder der Qualität von Leseangeboten auf die Lesekompetenz nachgewiesen werden konnten, stellte sich die Frage, wie ein Ganztagsangebot mit dem Ziel, die Lesefähigkeiten der Kinder zu verbessern, gestaltet sein sollte.

Daher wurde in „StEG-Lesen“ gemeinsam mit Fachdidaktikern sowie Expertinnen und Experten aus der Schulpraxis eine Arbeitsgemeinschaft (AG) zur Leseförderung in Ganztagsgrundschulen entwickelt. Um zu überprüfen, ob die Kinder durch den Besuch der AG ihre Lesekompetenz wesentlich verbessern, wird eine Interventionsstudie durchgeführt. Interventionsstudien sind so konzipiert, dass eine Gruppe, die an der Intervention (Lese-AG) teilnimmt einer anderen Gruppe gegenübergestellt werden kann, die dies nicht tut. Die Erhebung der Lesekompetenz aller Viertklässlerinnen und Viertklässler der beteiligten Schulen vor Beginn und nach Ende der AG ermöglicht einen Vergleich der Entwicklung der Lesefähigkeiten der Kinder, die die Lese-AG besucht haben mit Kindern, die nicht an der AG teilgenommen haben.

Die AG zur Leseförderung wird in zwei Phasen an 22 Ganztagsgrundschulen eingesetzt. Dabei werden die teilnehmenden Schulen in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe der Schulen führte die Lese-AG bereits im ersten Schulhalbjahr 2016/2017 durch, die andere im laufenden ersten Schulhalbjahr 2017/2018. So ist jede Schule einmal durchführende Schule und einmal Vergleichsschule. Erfahrungen aus der ersten Umsetzungsphase und Feedback aus den teilnehmenden Schulen wurden genutzt, um die Materialien für die zweite Phase anzupassen und zu verbessern.

Lesestrategien lernen im „Detektiv-Club“

„Pionierarbeit ist ein großes Wort“, meint Projektleiterin Katja Tillmann, „aber es gibt bislang keine Studien zu systematischer Leseförderung im Ganztag von Grundschulen. Und auch für uns ist es neu, im Rahmen einer Interventionsstudie gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Fachdidaktik und Schulpraxis ein für den Ganztag geeignetes Format zu entwickeln.“ Im Titel der konzipierten AG kommen die Wörter „Lesen“ oder „Leseförderung“ nicht einmal vor. Stattdessen wählen die Schülerinnen und Schüler den „Detektiv-Club“.

Schülerinnen und Schüler im Schulunterricht
© Britta Hüning

Den Kern zur Förderung der Lesekompetenzen bildet das Erlernen und Einüben von grundlegenden Lesestrategien. Zudem wurde bei der Entwicklung berücksichtigt, dass im Ganztag von Grundschulen nicht nur ausgebildete Lehrkräfte tätig sind. Ein ausführliches Manual und genaue Instruktionen für jede Sitzung ermöglichen es auch Personen ohne Erfahrung in der Leseförderung, mit den Materialien zu arbeiten und die AG durchzuführen.

Mit ansprechend gestalteten Lernmaterialien, einschließlich Detektivausweis, Lupe und anderen Detektivutensilien, machen sich die Kinder daran, Fälle mit Bezügen zu ihrer Lebenswelt zu lösen, die allesamt das Lesen erfordern oder mit Leseaufgaben verknüpft sind. In Fällen wie „Computervirus auf Schulcomputer“, „Im Zoo ist ein Tier verschwunden“ oder „Taschendiebstähle im Park“ geschieht das Lesen quasi nebenbei, während die Schülerinnen und Schüler den Ehrgeiz entwickeln, sich erfolgreich als Detektive zu bewähren.

Die ersten Ergebnisse der Forschung werden im Sommer 2018 vorliegen. Diplom-Psychologin Karin Lossen konnte auf dem Fachtag aber bereits berichten, dass sich erste positive Entwicklungen abzeichnen: „Die Materialien kommen bei den Schülerinnen und Schülern gut an! Auch das Ganztagspersonal kann gut mit den Materialien arbeiten. Einige Schulen haben uns zurückgemeldet, dass die Methode des Tandem-Lesens jetzt ihren Weg in den Deutschunterricht gefunden hat. Und die Lehrkräfte und außerschulischen Fachkräfte tauschen sich über die Methoden in der AG aus.“

Katja Tillmann ergänzt: „Auch wenn es nur anekdotisch ist: Es ist natürlich schön zu hören, wenn ein Mädchen erzählt, es habe sich aufgrund der AG erstmals ein Buch als Geschenk gewünscht.“ Die beiden Bildungsforscherinnen hoffen, dass sich die positiven Beobachtungen auch in den quantitativen Ergebnissen der Studie niederschlagen werden.

Fachunterricht und Lernzeiten obligatorisch koppeln

Im Programm KosiMa (Kontexte für sinnstiftendes Mathematiklernen) ist ein Mathematikbuch entwickelt worden, das an einer Vielzahl von Schulen über mehrere Jahre erprobt wurde. Im Projekt Ganz In wurden die Ergebnisse von KosiMa genutzt, um Professionsentwicklung an 31 Gymnasien in NRW, die sich auf den Weg in den Ganztag befinden, wissenschaftlich zu begleiten. Im Vortrag wurden Beispiele auf verschiedenen Ebenen der Unterrichts- und Professionsentwicklung gezeigt. Prof. Stephan Hußmann zeigte dabei auf, welche Kernprozesse im Unterricht sich gut in die Lernzeiten integrieren lassen. Die im Vortrag fokussierten Kernprozesse waren Erkunden, Ordnen und Vertiefen.

Mathewerkstatt
© Redaktion www.ganztagsschulen.org

„Es ist ein Dilemma, dass alles Wesentliche bisher nur im Fachunterricht geschieht, dabei lassen sich die Kernprozesse, unterschiedlich gewichtet, sehr gut für die Lernzeiten nutzen“, so Prof. Hußmann.
Nach einer Einführung in das Themenfeld durch die Lehrperson bietet das Erkunden den Rahmen für eine eigentätige Erschließung. Dies kann sehr gut in die Hände der Schülerinnen und Schüler gegeben werden. Das Systematisieren und Sichern hingegen ist ein Prozess, der in großen Teilen in Unterrichtsphasen angesiedelt sein sollte. Das Vertiefen sollte an den individuellen Fähigkeiten der Lernenden orientiert sein. Zentral ist eine systematische Strukturierung und Verbindung von Lernzeiten und Fachunterricht.

„Das freie Arbeiten in der Lernzeit kann wieder gut im Unterricht aufgenommen werden. Ich würde mir wünschen, dass Fachunterricht und Lernzeiten obligatorisch gekoppelt würden. Das braucht aber eine sehr gute Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen und den Rückhalt der Schulleitung“, so Prof. Hußmann. Notwendige Grundlage sind zum einen tragfähige Konzepte und Aufgaben mit hohem Differenzierungspotential und zum anderen nachhaltige Strukturen für Professionsentwicklung. Zudem brauchen Veränderungsprozesse Zeit und kontinuierliche Unterstützung.

Sprachbildung im Physikunterricht

Die Arbeitsgruppe von Prof. Hendrik Härtig von der Universität Duisburg-Essen begleitet im Programm „Ganz In“ mehrere Gymnasien. In einem der Projekte befassen sich Physiklehrkräfte mit der Sprachbildung als fachübergreifende Aufgabe. „Die allgemeine und die fachspezifische Nutzung sprachlicher Mittel ist für viele Lernende auch im Physikunterricht eine große Herausforderung“, meinte Hendrik Härtig. „Schülerinnen und Schüler verstehen mitunter die gestellten Aufgaben nicht, weil die Sprache für sie unverständlich scheint.“

Physik
© Britta Hüning

In wissenschaftlich begleiteten Lehrerfortbildungen haben sich die Lehrkräfte mit dem Sprachgebrauch im Physikunterricht befasst und eine Unterrichtseinheit zum Themenbereich Elektrizität für Sechst- und Siebtklässler entwickelt, die fachliches und sprachliches Lernen verbindet. Ein Erfolg, der sich dem Physikdidaktiker zufolge im Vergleich mit einer Kontrollgruppe gezeigt hat: „Die Intervention schult die Fähigkeit zum Umgang mit einer sachgerechten sprachlichen Darstellung.“

Hendrik Härtig zog ein Resümee: „Wir brauchen Konzepte für eine breite Sprachförderung. Hierfür wäre der Ganztag geeignet, da hier noch stärker fachübergreifende bzw. fächerverbindende Projekte ihren Platz finden können. Ich hätte Lust, daran als Didaktiker mit den Schulen zu arbeiten. Wer Interesse hat, kann mich gerne kontaktieren.“

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