"Schüler überraschen und so bei der Stange halten" : Datum: Autor: Autor/in: Stephan Lüke

Wie Unterricht sinnvoll rhythmisiert werden kann, verrät der Pädagoge und Koordinator für die Ganztagsschulen in Niederbayern, Martin Zuchs.

Schülerinnen und Schüler beim Unterricht in einem Klassenraum
Martin Zuchs mit Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern © Julia Thalhofer

Online-Redaktion: Was verstehen Sie unter gelingender und damit sinnvoller Rhythmisierung von Unterricht?

Martin Zuchs: Zum einen sollten anstrengendere und weniger anstrengende Fächer einander abwechseln. Zur Rhythmisierung trägt aber ganz entscheidend die Gestaltung des Unterrichts selbst bei. Lehrerinnen und Lehrer sollten darauf achten, unterschiedliche Arbeitsformen einzusetzen, musikalische und körperliche Betätigung zu integrieren.

Online-Redaktion: Mit Musik Englisch lernen?

Zuchs: Warum nicht? Der Einsatz von Lernliedern ist äußerst effektiv, lockert den Unterricht auf und macht den Schülerinnen und Schülern Freude. Und mit Freude lernen ist sicher Erfolg versprechender als nur unter Stress zu lernen. Nehmen Sie z. B. das Erlernen der Personalpronomen. Das gelingt in diesem Rhythmus etwa ganz hervorragend:

Schülerinnen und Schüler beim Unterricht. Vier davon stehen auf ihren Stühlen.
Martin Zuchs mit Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern © Julia Thalhofer

V: Ich bin I und du bist you,
A: Ich bin I und du bist you,
V: Hey, was sagst jetzt da dazu?
A: Hey, was sagst jetzt da dazu?
V: He, she, it ist er, sie, es,
A: He, she, it ist er, sie, es,
V: Sag mir doch, wie gefällt dir des?
A: Sag mir doch, wie gefällt dir des?
V: We
A: Wir
V: You
A: Ihr
V: They
A: Sie
V: So leicht wie nie
A: So leicht wie nie.

Aber auch die Bewegung soll nicht zu kurz kommen und auf den Sportunterricht beschränkt bleiben. Zur Sicherung der Lernergebnisse kann man z. B. das "Stuhl weg"-Quiz verwenden. Dabei stehen die Schülergruppen auf Stühlen. Die Lehrkraft stellt Fragen, die Gruppe berät über die Antwort. Die zuletzt oder falsch antwortende Gruppe verliert einen Stuhl. Berührt ein Schüler den Boden, scheidet diese Gruppe aus. Das ist allemal spannender und effektiver als die Schülerinnen und Schüler der Reihe nach abzufragen.

Online-Redaktion: Es bringt aber auch Unruhe, die von Pädagoginnen und Pädagogen häufig als störend empfunden wird.

Zuchs: Wenn Schüler interagieren, kann natürlich keine völlige Stille herrschen. Sie können aber sicher sein, dass sich die Schülerinnen und Schüler an einem abwechslungsreichen  - und vielleicht sogar turbulenten - Unterricht intensiver beteiligen. Die in diesen Phasen vermittelten Inhalte bleiben lange haften, und die Schüler haben anschließend neue Energie für herkömmlichere Unterrichtsphasen.

Erwachsene sitzen in einem Klassenraum, ein Lehrer erklärt etwas.
Martin Zuchs in seinem Workshop auf der Fachtagung in Garching © Julia Thalhofer

Online-Redaktion: Insbesondere in Grundschulen werden die Schüler manchmal noch zwischendurch einmal zur Wiederherstellung der Konzentrationsfähigkeit auf den Schulhof geschickt. Eine Alternative?

Zuchs: Sicher stellt auch dies eine sinnvolle Möglichkeit dar. Aber wenn man damit auf jede Phase der Unkonzentriertheit reagieren möchte, kommt man in Verzug und wird möglicherweise seiner Verantwortung, den vorgegebenen Stoff zu vermitteln, nicht gerecht. Selbst im Ganztagsunterricht bis 16 Uhr bleibt nicht so viel Zeit und Luft.

Online-Redaktion: Ist der Mehraufwand, den das Integrieren von Lernspielen, Liedern und Bewegung in den Fachunterricht mit sich bringt, gerechtfertigt?

Zuchs: Ja. Wir Pädagogen müssen den Unterricht so kreativ gestalten, dass wir Schülerinnen und Schüler auch manchmal überraschen können. Damit halten wir sie bei der Stange. Gerade mit Blick auf den Ganztagsunterricht wird dies immer wichtiger. Die Schule übernimmt mehr Verantwortung, der häusliche Fleiß kommt nicht mehr so stark zum Tragen. Das müssen wir in der Schule durch Differenzierung und individuelle Förderung ausgleichen. Vorraussetzung dafür ist neben der nötigen Disziplin im Klassenzimmer eben ein anregender Unterricht, der fördert und fordert, aber nicht überfordert. Das Lernen mittels spielerischer Übungen bietet hier eine hervorragende Möglichkeit. Die Belohnung für uns Lehrer besteht dann darin, zu beobachten, welche positiven Entwicklungen viele Schüler durchlaufen, und eine neue Qualität im Zusammenleben mit den Schülern zu erfahren.

Ein Lehrer ist im Gespräch mit zwei erwachsenen Zuhörern.
Martin Zuchs in seinem Workshop auf der Fachtagung in Garching © Julia Thalhofer

Online-Redaktion: Mit der Einbindung der Hausaufgaben in einen rhythmisierten Schulalltag tut sich manche Ganztagsschule noch schwer. Was empfehlen Sie?

Zuchs: Hausaufgaben sind keine Beschäftigungstherapie, sondern dienen der Vertiefung und dem Aufholen von Defiziten. In den gebundenen Ganztagsschulen in Bayern gibt es keine regulären schriftlichen Hausaufgaben mehr. Sie werden von den Schulen als Stunden der "Individuellen Lernförderung" oder Übungsstunden im Stundenplan verankert und von Pädagogen begleitet. Oft wird hierbei das Tutorenprinzip genutzt, bei dem die Schüler einander - auch über Jahrgangsgrenzen hinweg - unterstützen. Weit verbreitet ist auch die Arbeit mit Wochenplänen, die dem Schüler selbstverantwortetes Lernen ermöglichen. Sie sind oft differenziert gestaltet und tragen der Tatsache Rechnung, dass Kinder auch innerhalb einer Klasse auf verschiedenen Kompetenzniveaus stehen und unterschiedlich schnell lernen. Nicht jeder muss hierbei alles schaffen, wichtig ist der persönliche Lernfortschritt.

Online-Redaktion: Wann gelingen solche Unterrichtsformen?

Zuchs: Grundlage für solche Unterrichtsformen ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Schülern untereinander sowie zwischen Schülern und Lehrkräften. Dies zeigt sich z. B. darin, dass Nachfragen nicht als Zeichen von Schwäche gesehen werden, sondern als Beweis des Lerninteresses. Es fühlt sich niemand beschämt, weil er etwas noch nicht kann, vielleicht sogar einmal aus der Gruppe genommen und einzeln gefördert wird. Stattdessen ist jeder Schüler stolz, wenn er zum Lernerfolg eines Mitschülers beitragen kann. Gerade in Ganztagsklassen hat sich so oft eine beeindruckende Lernkultur entwickelt, bei der Schüler und Lehrer sich gemeinsam für den Erfolg verantwortlich fühlen, leistungsschwächere und -stärkere Schüler aufeinander Rücksicht nehmen.

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