OGS: Multiprofessionelle Teams als Chance : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Die 5. OGS-Akademie der „Qualitätsoffensive Ganztag im Primarbereich“ in Nordrhein-Westfalen widmete sich der Handlungsfähigkeit multiprofessioneller Teams unter den Bedingungen der Corona-Pandemie.

Appelhoff Schule
„... es gehen auch wichtige Sozialräume verloren“ © Claudia Pittelkow

Auch die OECD hat sich kürzlich in einem Online-Seminar dem Thema gewidmet: Während der Pandemie habe sich in den OECD-Ländern gezeigt, welche Bedeutung die Qualität des Bildungssystems hat. Bildungssysteme, in denen die Lehrkräfte gewohnt sind, innovative Lernumgebungen zu schaffen, mit „hoher Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene“, kämen am besten durch die Krise, so OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. Denn: „Wenn Schulen geschlossen werden, fällt nicht nur Unterricht aus, es gehen auch wichtige Sozialräume verloren.“

Eine wichtige Lektion aus der Pandemie ist, dass digitaler Distanzunterricht in den ersten Schuljahren kaum funktioniere. Gerade für die Jüngsten sei der Präsenzunterricht von ganz entscheidender Bedeutung. Besonders leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler, die zu Hause weder den nötigen Raum noch Unterstützung vorfinden, haben im Distanzunterricht große Probleme, Bildungsungleichheiten drohen sich zu vertiefen. Es brauche „Ressourcen und innovative Lernangebote“.

Positiv sieht Schleicher die Entwicklung der Kommunikation der Schulen mit den Eltern während des vergangenen Jahres: „Es hat sich unglaublich viel bewegt. Es sind Plattformen geschaffen worden, wo Eltern auf Lernressourcen zugreifen können und mit den Lehrkräften regelmäßig kommunizieren.“ So gebe es auch manches, was „wir aus der Pandemie mitnehmen können“.

Handlungsfähig bleiben in der Krise

Diesem Thema widmete sich auch die 5. OGS-Akademie der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft „Gemeinsam stark! Handlungsfähigkeit bewahren in Zeiten der Corona-Pandemie“ am 24. März 2021 in einen virtuellen Erfahrungsaustausch. Die 30 Akteurinnen und Akteure aus der „Qualitätsoffensive Ganztag im Primarbereich“ in Nordrhein-Westfalen behandelten Fragen, die derzeit alle Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte in Deutschland bewegen dürften: Wie bleiben wir in dieser Situation entscheidungs- und handlungsfähig? Schwerpunkte waren dabei die „multiprofessionelle Arbeitsteilung in dieser Krisensituation“ und das Zusammenwirken der am Ganztag beteiligten Akteure, um die für alle belastenden Umstände mit vereinten Kräften zu bewältigen.

Die „Qualitätsoffensive Ganztag im Primarbereich“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft läuft seit 2019 in Bonn und Köln, nachdem die Stiftung seit 2015 Pilotschulen im Rhein-Erft-Kreis und seit 2018 Offene Ganztagsschulen (OGS) in Köln – etwa in der Rosenmaarschule – begleitet hatte. Vorrangig geht es um die Kooperation von Lehrkräften und (sozial-)pädagogischen Fachkräften. Eine Arbeitsgruppe auf kommunaler Ebene und externe Prozessbegleitungs-Tandems steuern und begleiten die Entwicklungsprozesse. Und natürlich soll der Austausch gefördert werden. Die Pandemie bedeutet nun seit 2020 eine besondere Herausforderung – doch die Qualitätsoffensive hat sich auf diese Situation eingestellt.

Aufruf Musikvideos
Jugendmusikschule Hamburg: neue Wege zum gemeinsamen Musizieren © JMS

Einige Handlungsschritte haben sich aus Sicht der Leitungs- und pädagogischen Teams an den Standorten der Qualitätsoffensive besonders bewährt, um auch in der Krise für die Kinder handlungsfähig zu bleiben, wie der Ausbau von Strukturen zur multiprofessionellen Steuerung und gegenseitigen Beratung oder kollegiale Unterstützungsstrukturen auf allen Ebenen, aber auch die Aktivierung von kommunalen Netzwerken und externen Unterstützungssystemen. Besonders wichtig sind gerade jetzt Reflexionszeiten im Gesamtteam und eine gemeinsame Priorisierung der Maßnahmen. Über allem steht jedoch die bewusste Fokussierung auf die Kinder, deren aktuelle Situation und Entwicklungsbedürfnisse.

Multiprofessionelle Teams: Potenzial zur Abmilderung der Krise

Miriam Remy, bei der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft für die „Inklusive ganztägige Bildung“ zuständig, beschrieb zum Auftakt der 5. OGS-Akademie eine zentrale Herausforderung, der sich die Ganztagsgrundschulen jetzt gegenübersehen: „Manche Kinder drohen den Anschluss zu verlieren – was das Lernen angeht und was den sozialen Kontakt und die Gemeinschaft betrifft.“ Die Schulen müssten gegensteuern, um das abzumildern, und gerade die offene Ganztagsgrundschule besitze mit ihren multiprofessionellen Teams hier ein großes Potenzial: „Lehrkräfte, Pädagogische Fachkräfte und Sozialarbeit können sich in ihrer pädagogischen Arbeit ergänzen und auch entlasten.“

Im Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde deutlich: Zu keinem Zeitpunkt waren die OGS völlig geschlossen, mindestens gab es eine Notbetreuung. Die OGS-Leiterin einer Ganztagsgrundschule im sauerländischen Iserlohn schilderte: „Wir haben die Kinder in kleineren Gruppen betreut. Wir stehen im guten Austausch mit der Schulleitung und sind da immer auf einen Nenner gekommen. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und zum Beispiel schon mal Personal in den Vormittag für die Notbetreuung abgegeben. Und Lehrerinnen halfen wiederum auch am Nachmittag aus.“

Außerschulische Kooperationspartner dürfen jedoch das Schulgebäude derzeit nicht betreten. Daher sind Schülerinnen und Schüler in immer der gleichen Zusammensetzung mit denselben pädagogischen Fachkräften jetzt wesentlich länger zusammen. Diese fehlende Abwechslung sei für alle auch ein wenig „anstrengend“. „Zum Glück wird das Wetter jetzt wieder besser, sodass wir raus können – aber die Vielseitigkeit, die den Ganztag sonst ausgemacht hat, fehlt.“

Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte rücken zusammen

Die Rosenmaarschule auf der 4. OGS-Akademie
Die Rosenmaarschule auf der 4. OGS-Akademie © Montag Stiftung

Jede Schule habe andere Bedingungen, wie die Leiterin eines Trägervereins, der an 24 Kölner Grundschulen den Ganztag organisiert, berichtete: „Die Lösungen vor Ort gehen vor, da haben wir uns als Träger zurückgehalten. Es kommt ja auf die jeweilige Personalbesetzung, auf die räumlichen Bedingungen, auf die Zusammensetzung der Gruppen an.“ Für die Leiterin ist während des letzten Jahres nochmal ganz deutlich geworden: „Man kann der OGS nicht überall die gleiche Struktur überstülpen, sondern muss sich vor Ort verständigen und gemeinsam Lösungen finden – anders geht es nicht.“ In einer Ganztagsgrundschule rotierten die AG-Leiter beispielsweise jetzt mit „kleinen Häppchen“ verschiedener Angebote durch die Gruppen, um für Abwechslung zu sorgen.

Die Krise hat durchaus auch positive Nebeneffekte gezeitigt: So berichteten Lehrkräfte wie auch pädagogische Fachkräfte, dass an ihren Schulen eine Annäherung zwischen Vor- und Nachmittag stattgefunden habe. Kommunikation, Transparenz und der schnelle Informationsfluss sind für viele Teilnehmerinnen nicht nur in der Pandemie zentral, sondern sollten dauerhaft selbstverständlich sein. Eine Ganztagsgrundschule hat beispielsweise einen Mitarbeiter-E-Mail-Verteiler eingerichtet, der das gesamte Team über die zahlreichen Verordnungen und die jeweils aktuelle Situation auf dem Laufenden hält.

An einer anderen OGS wurde der „Morgenkreis“, den es sonst nur für die Schülerinnen und Schüler gibt, nun auf die Erwachsenenebene übertragen: Alle Beteiligten können dort regelmäßig berichten, was gut und was schlecht läuft. Sie können aber „nicht nur über Organisatorisches reden, sondern auch das Gemüt im Auge behalten“. Dieses Zusammenrücken von Lehrkräften und außerschulischen Fachkräften sollte nach Meinung der Seminarteilnehmenden auch über die Krise hinaus bewahrt werden.

Motto der OGS-Akademie: „In der Krise liegt eine Chance“

Die Pandemie ist für die Schulen eine Riesenherausforderung. Und doch: „In der Krise liegt eine Chance“, hieß es schon bei der 4. OGS-Akademie. Es entstehen auch neue pädagogische Ideen und Organisationsformen, die Kinder unterstützen – in denen sich aber auch die Fachkräfte gegenseitig Mut machen. Ein Ergebnis der 5. OGS-Akademie war, dass der Ausbau von Strukturen zur multiprofessionellen Steuerung und gegenseitigen Beratung eine entscheidende Grundlage für die erfolgreiche Zusammenarbeit der am Ganztag beteiligten Akteure ist. 

Goethestatue
„Wir haben uns gegenseitig unterstützt.“ © Lutz Hambach

Eine Teilnehmerin resümierte sogar: „Im Gesamten hat die Verzahnung von Vor- und Nachmittag nicht gelitten, sondern alle Akteure sind ein Stück weit näher zusammengerückt.“ Umso wichtiger ist der regelmäßige kollegiale Austausch über gute Praxisbeispiele, wie ihn die OGS-Akademie erneut angeregt hat.

 

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