Neues Ganztagsgymnasium am alten Hallmarkt : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

„Neu“ ist wörtlich zu nehmen: Das Neue Städtische Gymnasium in der Altstadt von Halle (Saale) ist mit seinem jungen Kollegium unter Schulleiter Jan Riedel fulminant gestartet.

Schulhof
Das NSG kooperiert mit dem Martha-Maria-Krankenhaus in Halle-Dölau © Neues Städtisches Gymnasium

Die Gebäude zwischen Hallmarkt und Moritzkirche, erbaut 1889 und 1901, atmen Schulgeschichte. Einst waren hier die Knabenbürgerschule Oleariusstraße und die Mädchenbürgerschule Dreyhauptstraße untergebracht, später die Talamtschule, die Berufsschule „August Bebel“ und die Betriebsberufsschule Handel. Heute sind auch die Volkshochschule und eine Berufsbildende Schule vor Ort. Seit 2015 gibt es eine weitere Mieterin in dem prachtvollen Gebäude mit einem Eingangsbereich, der an eine Kurklinik denken lässt, und einer Aula, die in ein Jagdschloss passen würde: das Neue Städtische Gymnasium, auch kurz NSG.

Das Wort „neu“ ist wörtlich zu nehmen. Die Ganztagsschule war 2015 eine Neugründung, mit der die Stadt auf die steigenden Schülerzahlen reagiert hat, nachdem sie noch einige Jahre zuvor weiter sinkende Zahlen befürchten musste. „Halle gehört zu den Mittelzentren, die vor kurzem in der Presse als 'schlafende Riesen' bezeichnet worden sind“, berichtet Jan Riedel, Schulleiter des Neuen Städtischen Gymnasiums. „Mit der Martin-Luther-Universität, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein und zahlreichen Forschungsstandorten ist Halle zunehmend attraktiv. Der Zuzug aus dem Umland nimmt zu.“

Der reinste Jungbrunnen

Attraktiv ist auch seine Schule – so sehr, dass die lokalen Medien das NSG ein halbes Jahr nach dem Start als „Wunder vom Hallmarkt“ bezeichneten. Innerhalb eines Jahres gehörte die Ganztagsschule schon zu den am meisten nachgefragten weiterführenden Schulen in Halle. Nach 30 Erstwünschen 2015 sind es inzwischen über 200. Waren zum Start gerade einmal so drei 5. Klassen zusammengekommen, konnten zum Schuljahr 2017/2018 112 Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden.

Was ist der Grund für diese Erfolgsgeschichte? Schulleiter Jan Riedel schreibt das dem „neuen Geist“ zu, den sein Team in die altehrwürdigen Mauern bringe, und den modernen pädagogischen Methoden. Ausgangspunkt sind für das Kollegium die Fragen: „Was haben wir zum Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler beigetragen? Haben wir alles versucht? Wie stark haben wir ihre Kompetenzen entwickelt?“

Eine andere Besonderheit: Jan Riedel, von Hause aus Lehrer für Deutsch und Geschichte, war gerade einmal 32 Jahre alt, als er die Schule als Schulleiter übernahm. Der Altersdurchschnitt des Kollegiums liegt bei Ende 30. Spielt das auch eine Rolle? Riedel meint: „Gemessen an anderen Schulen sind wir hier der reinste Jungbrunnen.“

Landesschulamt: „Macht was draus!“

„Wir sind keine freie Schule, sondern bewegen uns im staatlich vorgegebenen Rahmen“, betont der Schulleiter. „Aber den müssen wir ausreizen, so weit es geht“ Das Landesschulamt lässt dabei viele Freiheiten. Die Vorgabe vor rund drei Jahren habe gelautet: „Macht was Tolles draus!“ Für das Team – inzwischen 13 Lehrkräfte mit der stellvertretenden Schulleiterin Anja Lehmann, der Pädagogischen Leiterin Sabine Töpper, Jahrgangsteamleiterin Franziska Stellfeld und den Jahrgangsteamleitern Daniel Frenzel und Sebastian Blume – war damit aber auch klar: „Wir müssen liefern! Hier gibt es keinen Dienst nach Vorschrift, wir klotzen ran.“

Schülerversammlung
Schulvollversammlung und Klassenrat sind gelebte Schuldemokratie © Neues Städtisches Gymnasium

Die Schule nahm besonders die Eltern „sehr stark ins Boot“. Auf Ideen- und Ressourcen-Konferenzen „haben wir gefragt: Was wollt ihr? Was könnt ihr bieten?“, erzählt Jan Riedel. „Wir wollten die Schule auch aus Elternsicht denken. Viele Eltern melden ihr Kind bei uns an, weil sie hier mitgestalten können, zum Beispiel über den Elternrat. Auch in der Steuergruppe und den angegliederten Arbeitsgruppen sind Eltern vertreten, die sich einbringen, zum Beispiel bei Themen wie Schulhofgestaltung oder Handy-Nutzung.“

Während im Gebäude die Handwerker und Techniker noch umfassend modernisieren, um bis 2020 ein zusammenhängendes Schulgebäude mit Fachkabinetten, Hörsaal, großer Mensa, großer und kleiner Aula entstehen zu lassen, entwarfen die Pädagoginnen und Pädagogen ein Ganztagsgymnasium nach ihren Vorstellungen. Und diese Vorstellungen „haben wir von Anfang an den Eltern und Schülern gegenüber klar kommuniziert“, sagt Jan Riedel. Dazu gehören eine demokratische Schule, handlungsorientierter Unterricht, individuelles Lernen und nachhaltige Beziehungen.

Pädagogische „Leitplanken“

Die pädagogischen „Leitplanken“, wie sie der Schulleiter nennt, sind die Ganztagsschule, Jahrgangsteams und Selbstorganisiertes Lernen. Und die sind für ihn nicht verhandelbar. Aus seiner Zeit als Lehrer, aber auch als Schüler weiß er, dass sie nicht selbstverständlich sind. Ein Gymnasium, in dem es „keine Plattform für interdisziplinäre Teamarbeit und keinen Austausch gibt, zu wenig Zeit und Räume für eine nachhaltige Lehr-Lernarbeit sowie Lehrerinnen und Lehrer, die sich nur als Fachlehrer, nicht als Pädagogen und Mannschaftsspielerinnen verstehen“, kann er sich nicht vorstellen.

Marco Tullner
Bildungsminister Marco Tullner (li.) zur Eröffnung des Ganztagsangebots © Neues Städtisches Gymnasium

Moderne Schule müsse anders gestrickt sein: „Die Anforderungen haben sich durch Individualisierung, Digitalisierung und eine auseinanderstrebende Gesellschaft enorm erhöht“, findet Jan Riedel. Gemeinsam erarbeiteten die Kolleginnen und Kollegen das Konzept für das Selbstorganisierte Lernen (SOL), das in den 5. und 6. Klassen täglich außer freitags mit je einer Stunde im Stundenplan steht und in der 7. Klasse freitags einen ganzen Vormittag von 8 bis 12 Uhr einnimmt.

Für die SOL-Stunden geben die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik jeweils eine Stunde ab; dazu kommt die "Lernen lernen"-Stunde. Die Lehrerinnen und Lehrer erarbeiten fachübergreifende Aufgaben und die dazugehörigen Materialien. Das Ziel der SOL-Stunden ist, das „Lernen zu lernen“: selbstständiges Arbeiten, methodische und soziale Kompetenzen, die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Nur so könnten Lerninhalte nachhaltig verarbeitet werden, ist das Kollegium überzeugt.

„Die Entdeckung der Welt“

In den 5. und 6. Klassen arbeiten die Schülerinnen und Schüler in einem zweiwöchigen Wechsel jeweils an Themen aus dem Bereich Deutsch, Englisch und Mathematik mit Wochenplänen.Dazu kommen Projekte – zum Beispiel entsteht eine Online-Zeitung oder ein Hörspiel. Im 7. Jahrgang sind die Fächergrenzen aufgehoben, und die Jugendlichen beschäftigen sich unter dem Oberthema „Die Entdeckung der Welt“ intensiv mit einem Projekt, zum Beispiel „Phänomen Globalisierung“, „Kunst und Architektur“, „Geschichte der Eroberungen“ oder „Mathematische Probleme“. Leitfaden ist eine Aufgabenmappe mit „Basis“- und „Expertenaufgaben“, die in einem Portfolio gesammelt werden. Die Expertenaufgabe ist meistens produkt- und handlungsorientiert, am Ende steht ein Ergebnis, das die Schülerinnen und Schüler auf einem Präsentationstag Mitschülern, Eltern und Lehrern zeigen können.

Am SOL-Freitag der Siebtklässler sitzen drei Lehrkräfte als Ansprechpartner mit im Teamraum. „Die Kolleginnen und Kollegen begleiten in dieser Phase die Schülerinnen und Schüler, die aber ihre Aufgaben selbstständig lösen müssen, zum Beispiel können sie zum Recherchieren in die Stadtbibliothek nebenan gehen“, erzählt Jan Riedel. Die Hauptarbeit der Lehrkräfte sei da schon im Vorfeld passiert und warte dann in der Nachbearbeitung, wie auch ein Blick auf den Berg der Portfoliomappen im Büro des Schulleiters zeigt.

Bereits nach zwei Jahren habe sich, so Jan Riedel, diese Kultur des Lernens ausgewirkt: „Wir merken, dass sich die Sechstklässler eine eigene Aufgabenkultur entwickeln, sie helfen sich gegenseitig, weil sie auch mal was selbst regeln müssen.“ Im ersten Schuljahr, 2015/2016, hätten sie die Schülerinnen und Schüler mit Aufgaben aus allen drei Hauptfächern, die in sechs Wochen zu lösen waren, etwas überfordert. „Wir haben gesehen, dass die Kinder mehr Struktur benötigen. Die jetzige Form hat sich bewährt.“

Am Leistungsgedanken festhalten

„Das Wissen spielt schon eine zentrale Rolle, es muss gefestigt und überprüft werden“, findet Jan Riedel. Daher bleiben Tests und Klassenarbeiten und auch Teile der Unterrichtsorganisation unangetastet. „Die Kolleginnen und Kollegen fordern auch explizit ein, den Leistungsgedanken beizubehalten.“ Sie wollen nicht verändern um des Veränderns willen.

Schülerinnen und Schüler bei einer Exkursion zum Kraftwerk Dieselstraße
Exkursion zum Kraftwerk Dieselstraße © Neues Städtisches Gymnasium Halle (Saale)

Ein Element des Ganztags sind die Modulangebote: drei Wochenstunden, die für die Fünft- und Sechstklässler verpflichtend, für die Siebtklässler freiwillig sind. Wählbar sind hier beispielsweise Lernwerkstätten in den Hauptfächern, die von Studierenden begleitet werden und in denen vertieft geübt wird. Hausaufgaben gibt es am Neuen Städtischen Gymnasium zwar noch, aber nur noch langfristig für die jeweils kommende Woche.

Weitere Modulangebote sind unter anderem Sportgymnastik, Gebärdensprache, Badminton, Japanisch, Astronomie oder Buchbinden. Dass sich im unteren Stockwerk des Gebäudes die Volkshochschule befindet, kommt der Schule sehr zupass – sie konnte die VHS als Kooperationspartnerin gewinnen. Nun gibt es zum Beispiel im Mittagsband sogar Yoga.

Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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