Nachhaltigkeit im Ganztag: Besondere Erfahrungen : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Nachhaltigkeit ist ein großes Wort. Doch ein Fachtag in Hildesheim zeigte, wie Nachhaltigkeit erfolgreich praktiziert wird und das Lernen stärkt: in der Fahrradwerkstatt, im Schulgarten, in der Imker GmbE oder der Hühner-AG.

André Kolley, Claudia Maria Korte, Diana Satow und Angela Reimers auf dem Podium
André Kolley, Claudia Maria Korte, Diana Satow und Angela Reimers © Redaktion

Zu einem „Tuesday for future“ lud das Kompetenzzentrum für regionale Lehrerfortbildung am 24. September 2019 in die Universität Hildesheim ein, sich einen Tag lang mit Themen rund um die Nachhaltigkeit beschäftigen. „Wir wollen den Drive mitnehmen“, begrüßte der wissenschaftliche Leiter und Chemiedidaktiker Prof. Jürgen Menthe mit Blick auf die allgemeine gesellschaftliche Debatte die Teilnehmenden. Die Ganztagsschule hält er für „hervorragend geeignet“, Nachhaltigkeitsthemen aufzugreifen.

Die erweiterten Lernmöglichkeiten standen auch für Angela Reimers vom Niedersächsischen Kultusministerium im Vordergrund: „Eine gute Ganztagsschule ermöglicht, dass Kinder und Jugendliche mehr Stärken bei sich entdecken können.“ Partizipation und die rechtliche Vereinfachung von Kooperationen müssten dies unterstützen. Ähnlich betonte André Kolley, schulfachlicher Dezernent bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde, in der Auftaktdiskussion: „Schülerinnen und Schüler erfahren die Ganztagsschule als einen Lebensort, an dem sie neue Erfahrungen sammeln können“, und sollten daher bei der Planung und Durchführung von Arbeitsgemeinschaften stets eingebunden werden.

Beispielhaft zeigten auf dem Fachtag „Ganztag aufwerten – Upcycling School“ vier Ganztagsschulen aus der Region, wie sie nachhaltige Bildung in den Schultag integrieren.

Fahrräder reparieren und Früchte ernten

Kindern etwas zuzutrauen, ist das Credo von Hubertus von Hoeren. Der Lehrer und gelernte Kfz-Mechaniker, der schon als Referendar „Talente-Schmied“ (PDF, 553kB, nicht barrierefrei) genannt wurde, leitet die „Gelbe Garage“ an der Grundschule Moritzberg in Hildesheim. Zusammen mit seinen Schülerinnen und Schülern stellte er die Fahrradwerkstatt-AG vor, die zweimal in der Woche gespendete Räder – darunter auch solche, die im Fundbüro der Stadt keinen Abnehmer gefunden haben – repariert und wieder fahrtüchtig macht. Diese spendet die AG dann wiederum an Bedürftige. Inzwischen sind es weit über 200 Räder seit der Gründung 2014. Kooperationspartner sind Asyl e.V. Hildesheim und der Bauhof Hildesheim, der die AG mit Rohmaterial versorgt.

Einen wahren Garten Eden hatten die Neuntklässler Emma, Marie und Lasse vom Goethegymnasium Hildesheim an ihrem Stand ausgebreitet: Bohnen, Zucchini, Kohlrabi, Möhren, Tomaten, Blumenkohl und Rote Beete ebenso wie – saisongemäß – Äpfel, Birnen und Pflaumen. All das waren die Früchte der Arbeit im Schulgarten, den die offene Ganztagsschule in der Kleingartenanlage „Gartenfreunde Galgenberg“ bewirtschaftet. Ein Birnenkuchen lud auch gleich zum Probieren ein.

„Ein Lehrer hat vor einem Jahr in der Kleingartenanlage zwei Einheiten gepachtet“, erzählte Emma. „Das ist ein großes Gelände, zu dem unsere Schulgarten-AG immer dienstags und donnerstags fährt. Es liegt etwa 15 Minuten von der Schule entfernt.“ Zur Schulgarten-AG gehören jährlich rund zehn Schülerinnen und Schüler. Marie ergänzte: „In der 5. und 6. Klasse muss man bei uns AGs wählen. Danach wird es freiwillig. Viele von uns machen in den AGs mit, weil schon Freunde da sind und es auch sehr schöne Angebote sind.“ Wie eben der Schulgarten, der allen dreien Spaß macht. „Die Ernte und die Hängematte sind toll“, meint Lasse. „Das Unkraut nicht so...“

Bienen brummen in Eschershausen

Im Wilhelm-Raabe-Schulzentrum Eschershausen, einer Oberschule aus Haupt- und Realschule, summt und brummt es schon seit 2005. Lehrer und AG-Leiter Andreas Müller hat die Schülerfirma „Raabe Imker AG“ einst aus der Taufe gehoben und war nun mit Schülerinnen und Schülern zum Fachtag gekommen, um am Stand und im Workshop vorzustellen, wie motivierend es ist, mit „realen Produkten für den realen Markt“ ökologische, soziale und betriebswirtschaftliche Kenntnisse zu erlangen.

Eine Schülerin und ein Schüler zeigen, wie Honig produziert wird
Andreas Müller betreut die Schüler-Firma © Redaktion

„So professionell wie heute war unsere Imker AG am Anfang nicht. Gerade die letzten fünf Jahre sind eine wahre Freude gewesen, was die Zusammenarbeit betrifft“, berichtete Andreas Müller. Eine Freude ist die Schülerfirma, die inzwischen viele Preise, Auszeichnungen und Preisgelder gewonnen hat, auch für die Schulleitung. Die hatte einst den Anstoß gegeben: „'Andreas, hast du nicht Lust, eine Schülerfirma zu machen?', wurde ich gefragt. Lust hatte ich, aber noch keine Ahnung, wie man so was aufzieht“, erinnerte sich Andreas Müller. „Woher kommt das Geld? Wer übernimmt die Geschäftsführung?“

Zur Auftaktveranstaltung hatte er alle Schülerinnen und Schüler eingeladen, um vorzustellen, was er plante. Das Interesse war riesig. 50 Schülerinnen und Schüler waren sogar „zu viele“, wie der Lehrer meinte. Mit 15 Jugendlichen ging es los, und diese Gruppengröße hält Andreas Müller seitdem für ideal. Aufgaben wurden verteilt, Spenden und Fördergelder eingeworben. Die Firma startete als Aktiengesellschaft und verkaufte auch dem Bürgermeister Anteilsscheine.

GmbE: Gemeinschaft mit besonderen Erfahrungen

Heute ist die Schülerfirma eine Gemeinschaft mit besonderen Erfahrungen (GmbE), die alle Aktien zurückgekauft hat, um nur noch sich selbst verantwortlich zu sein. Auf einem von der Stadt geschenkten Brachgelände haben die Schülerinnen und Schüler neben den Bienenkästen auch eine Streuobstwiese angelegt. Zusammen mit Jugendlichen der Berufsschule Holzminden konnten sie schließlich ein Haus bauen, in dem ein Lagerraum, ein Versammlungsraum und die Apfelmosterei untergebracht sind.

Die Schülerinnen und Schüler lernen in der Imker-AG auch das Kommunizieren und das Präsentieren vor Publikum. Sie waren schon auf der didacta in Hannover und auf der Grünen Woche in Berlin. „Die Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig“, betonte Andreas Müller. „Und wir hatten nie Angst vor hohen Tieren. So haben wir den Landwirtschaftsminister eingeladen, und der war so begeistert, dass er persönlich spontan gespendet hat.“ Schülerin Sarah ergänzte: „Das ist schon aufregend, aber man wächst da auch rein.“

Gruppenfoto der Garagenschrauber der Gelben Schule Moritzberg
Eine der ersten Ganztagsschulen in Hildesheim © Gelbe Schule Moritzberg

Ihren Honig verkauft die Schülerfirma in der Schule: Neben dem Sekretariat hängt ein „Honigautomat“, aus dem die Schulsekretärin den Honig verkauft. „Es kommen auch Leute aus der Nachbarschaft, die unseren Honig schätzen gelernt haben“, berichtete Müller. Inzwischen übersteigt die Nachfrage schon das Angebot. Das ganze Projekt sei „eine einzige Erfolgsgeschichte“, empfahl der Lehrer die Idee weiter: „Fangen Sie einfach an!“

„... durch nichts zu ersetzen“

Während in Eschershausen die Bienen summen, gackern in der Grundschule Barnten in Nordstemmen die Hühner. 160 Schülerinnen und Schüler lernen an der offenen Ganztagsschule, und sechs Zwerghühner wollen derzeit durch die AG „Schulgarten und Tiere“ versorgt werden. Schon morgens in der ersten großen Pause sehen jeweils drei Schülerinnen und Schüler nach dem Rechten. Sie sammeln auch die – noch wenigen – Eier ein.

„Das ist ein kleiner Schatz für die Kinder“, erzählte Lehrerin Diana Satow. Die Eier dürfen die Schülerinnen und Schüler behalten und mit nach Hause nehmen. Am Nachmittag werden dann Auslauf, Stall und Nester gesäubert und mit frischem Heu und Stroh aufgefrischt. „90 Schülerinnen und Schüler kommen wegen unseres Angebots an fünf Tagen in die Ganztagsangebote“, berichtete Diana Satow in ihrem Workshop, den sie zusammen mit ihrer Kollegin Susanne Pauls gestaltete. „Die Hühnerhaltung hat bei uns eine lange Tradition, die auf einen ehemaligen Schulleiter zurückgeht. Das Futter wird durch den Förderverein finanziert.“

Die Hühner-AG gibt dem Sachunterricht eine ganz praktische Anschauung. Was die Schülerinnen und Schüler im Unterricht lernen, können sie in der AG unmittelbar erleben und erfahren. „Wir hatten schon wahre Hühnerexpertinnen hier, das war oft beeindruckend“, berichtete Susanne Pauls und resümierte: „Diese praktische Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen.“ Denn auch die Übernahme von Verantwortung für die Tiere und die emotionale Bindung gehörten dazu.

 

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