MINT im Ganztag: "Man muss zeitig ansetzen" : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

Mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung in Schulen sollte zeitig beginnen, meint Dr. Götz Bieber, Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. Er selbst hat an vielen Initiativen mitgewirkt.

Online-Redaktion: Herr Dr. Bieber, viele Initiativen bemühen sich, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik in den Schulen zu stärken. Wie nehmen Sie diese Bemühungen wahr?

Götz Bieber
Dr. Götz Bieber © LISUM Brandenburg

Götz Bieber: Zunächst einmal ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass diese Entwicklung bereits mit der Veröffentlichung der ersten TIMSS- Ergebnisse (Third International Mathematics and Science Study) 1997 begonnen hat. Im Anschluss daran gab die Bund-Länder-Kommission Ende 1997 ein Gutachten mit dem Titel „Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“ heraus, das von einer Expertengruppe unter Leitung von Prof. Jürgen Baumert erarbeitet wurde. Es enthielt Schlussfolgerungen, die aus den kritischen Ergebnissen zu ziehen seien. Dieses Gutachten basierte auf zwei Säulen: erstens wissenschaftlich begründete Module zur Weiterentwicklung des naturwissenschaftlich-mathematischen Unterrichts und zweitens diese in kooperative Unterrichtsentwicklungsprozesse in Schulen und überschulisch einzubinden.

Online-Redaktion: Wir sprechen hier von einem langen Zeitraum. Sind die damaligen Vorschläge noch maßgebend?

Bieber: Ich denke, dass die Module, die damals beschrieben wurden, nach wie vor Gegenstand für Weiterentwicklung auf diesem Feld sein können. In Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich mir verschiedene Veröffentlichungen angesehen, die deutlich machen, wie aktuell das, was damals beschrieben wurde, noch immer ist. Diese Module wurden in insgesamt fünf SINUS-Projekten zwischen 1998 und 2013 sowohl in Entwicklungsarbeiten von Schulen der Sekundarstufe I sowie in modifizierter Form von Grundschulen eingesetzt.

Eines dieser Module, das über die Jahre am meisten von den Schulen ausgewählt wurde, ist die Entwicklung der Aufgabenkultur. Statt reproduzierte Ergebnisse für Aufgabenstellungen zu realisieren – in der Mathematik könnte man sagen, dass stärker das Rechnen nachgefragt wird –, versucht man verstärkt zu mathematischem und naturwissenschaftlichen Denken zu kommen. Aus meiner Sicht eine wesentliche Veränderung, in der sich in den letzten 15 Jahren in den Schulen unheimlich viel getan hat.

Ein zweites Modul ist „Naturwissenschaftliches Arbeiten“ und zeigt die zentrale Rolle von in das Lernen eingebetteten Experimenten und zwar in Herangehensweisen, die die Wissenschaft auch verwendet. Also nicht nur etwas zu zeigen, sondern Experimente mit einem bestimmten Ziel zu realisieren, bestimmte Aussagen zu widerlegen oder zu bestätigen.

Und ein drittes der insgesamt elf Module ist „Aus Fehlern lernen“. Jede Wissenschaft produziert Thesen, die sie bestätigt oder widerlegt, und aus entstandenen Fehlern werden wiederum Konsequenzen für die weiteren Ableitungen gezogen. Das als Gegenstand in den Unterricht einzubringen, war damals ein ganz wichtiger Impuls, der die Schulen in die Weiterentwicklung gebracht hat. Weiterhin sehr wichtig war das Modul „Fächergrenzen erfahrbar machen: Fachübergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten“.

Online-Redaktion: Wie bringt man diese Erkenntnisse in die Schulen?

Bieber: Wir haben damals gelernt, dass solche Veränderungsprozesse längerfristig und systematisch gestaltet werden müssen und zwar auch in Kooperation mit außerschulischen Partnern. Hier kommt die Ganztagsschule ins Spiel, denn solche Kooperationen sind natürlich wunderbar in dieser Schulform unterzubringen. Vielleicht sind sie sogar eine Grundvoraussetzung für eine gut funktionierende Ganztagsschule.

Britta Hüning
© Britta Hüning

An den SINUS-Projekten sind über 2.000 Primar- und Sekundarschulen beteiligt gewesen. Die Unterstützungssysteme der Länder haben da viel gelernt, und das spürt man heute auch in den Angeboten dieser verschiedenen MINT-Initiativen, die auf diesen Erfahrungen aufsetzen. Sie agieren weniger punktuell, sondern längerfristig. Ein Beispiel dafür ist in Berlin die iMINT-Akademie, die in Folge des SINUS-Projektes entstanden ist. Solche Initiativen sind wichtig – vor allem, wenn sie solche Erfahrungen aufgreifen.

Online-Redaktion: Sie selbst haben früher an den Lehrplänen für Mathematik und Naturwissenschaften mitgearbeitet. Ein Mittel der Nachhaltigkeit wäre ja die Verankerung in den Lehrplänen. Hat sich hier etwas bewegt?

Bieber: Ab 2000 sind viele Erfahrungen aus den SINUS-Projekten in den Lehrplangruppen aufgegriffen worden, so zum Beispiel für den gemeinsamen Rahmenlehrplan Berlin-Brandenburg im Jahr 2004 für die Grundschulen. Auch ein Beispiel ist das Modul 11 zur Qualitätssicherung innerhalb der Schule und zur Entwicklung schulübergreifenden Standards. Das ist damals eine sehr große Herausforderung für die Schulen gewesen. Für die Entwicklung schulübergreifender Standards hat uns dabei auch die Kultusministerkonferenz geholfen, in deren Auftrag ab 2003 die nationalen Bildungsstandards entwickelt wurden. Auch da sind Erfahrungen aus den Projekten eingegangen.

Online-Redaktion: Sie sprachen von Partnern für die Schulen. Inwieweit sind die Universitäten bereits eingebunden?

Bieber: Ich habe keinen Gesamtüberblick, aber ich weiß von einigen Universitäten und Forschungseinrichtungen, die sehr gute Angebote in Form von außerschulischen Bildungsstandorten machen. Ein Beispiel aus dem Raum Berlin-Brandenburg ist das Forschungsinstitut DESY in Zeuthen, das ein Schülerlabor anbietet, in dem Schulklassen zu speziellen Fragestellungen mit den dortigen Mitarbeitern im Labor zusammenarbeiten. Die Schulen bereiten die Experimente im Unterricht vor und nach, und das DESY begleitet das fachlich und didaktisch. Solche konkreten Verknüpfungen mit Forschungseinrichtungen sind besonders hilfreich. Das gilt nicht nur für ältere Schülerinnen und Schüler, sondern auch für jüngere. Gerade im MINT-Bereich muss man zeitig ansetzen.

Online-Redaktion: Die Schulleitungsbefragung der StEG-Studie zeigt allerdings einen Nachholbedarf bei naturwissenschaftlich-mathematischen Angeboten in den Grundschulen. Hinkt der Primarbereich hinterher?

Bieber: Aus den mir bekannten Projekten ist der Nachholbedarf erkannt, besonders im Mathematikunterricht machen Grundschulen gezielte Angebote. Richtig ist, dass in manchen Köpfen noch drin ist, dass Naturwissenschaften eher etwas ab Jahrgangsstufe 5 sind. Man darf da aber auch den Sachunterricht nicht unterschätzen, der sowohl naturwissenschaftliches als auch gesellschaftswissenschaftliches Denken vorbereitet. Nicht umsonst hat das 2004 an den Grundschulen gestartete SINUS-Projekt dieses Thema explizit aufgenommen und MINT-Projekte für den Sachunterricht aufbereitet. Daran anknüpfend werden weitere Initiativen entstehen.

DESY Forschungslabor
DESY Forschungslabor © Deutsches Elektronen-Synchotron

Online-Redaktion: Kann man schon konstatieren, dass die vielen Bemühungen eine Trendwende in der Wertigkeit der MINT-Fächer und höhere Studierendenzahlen in diesen Bereichen eingeleitet haben?

Bieber: Diese Prozesse sind enorm langwierig. 1997 klingt weit weg, aber Kinder, die wir erreicht haben, kommen jetzt erst gerade im Studium an und sind mitten drin. Ich traue mir da keine Prognose zu, aber ich bin recht sicher, dass wir mit den getroffenen Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind.

Zur Person:

Dr. Götz Bieber, Jahrgang 1957, absolvierte ein Studium zum Diplomlehrer für Chemie und Mathematik und arbeitete als Lehrer in Berlin und Leipzig. 1987 promovierte er an der PH Potsdam im Bereich „Methodik des Chemieunterrichts“; anschließend war er dort wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Methodik des Mathematikunterrichts“. 1991 wechselte er an das neu gegründete Pädagogische Landesinstitut Brandenburg (später Landesinstitut für Schule und Medien) als Referent für Mathematik, informationstechnische Bildung, Naturwissenschaften. 2004 übernahm er die Leitung der Abteilung „Schulentwicklung und Evaluation“. 2007 wurde er Leiter der Abteilung „Medien und Controlling“ im Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) Berlin-Brandenburg und 2009 Leiter des Referats Lehrerbildung, Qualifizierung im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg. 2011 wurde Dr. Bieber zum Direktor des LISUM Berlin-Brandenburg berufen.

Zu seinen länderübergreifenden Tätigkeiten zählen u.a. die Leitung von Modellversuchen wie „Praxis integrierter naturwissenschaftlicher Grundbildung“ sowie der SINUS-Modellversuche („Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“) im Land Brandenburg. 1993-1996 sowie 2003-2008 war er Mitglied im Sachverständigenrat bzw. wissenschaftlichen Beirat des Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) an der Universität Kiel, Mitglied der nationalen Expertengruppe von PISA 2000 sowie stellvertretender Leiter der Fachgruppe Mathematik zur Entwicklung der Standards für den mittleren Schulabschluss im Auftrag der Kultusministerkonferenz.

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