Lehrer 2020: Leidenschaft für den Beruf : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

2014 musste er „erstmal nachgucken, wo Lennep liegt“. Jetzt erhielt Deutschlehrer Mehmet Cosgunoglu von der Albert-Schweitzer-Realschule den „Deutschen Lehrerpreis“, nominiert von seinen Schülerinnen und Schülern.

Mehmet Cosgunoglu
Von Schülerinnen nominiert: Mehmet Cosgunoglu © Mehmet Cosgunoglu

Die Albert-Schweitzer-Realschule in Remscheid ist eine gebundene Ganztagsschule mit Rhythmisierung des Schultags, AGs und Lernzeiten anstelle von Hausaufgaben. Die Schule wurde in diesem Jahr besonders durch einen ihrer Lehrer bundesweit bekannt: Deutsch- und Sozialwissenschaftslehrer Mehmet Cosgunoglu erhielt im Mai 2021 den „Deutschen Lehrerpreis“ des Philologenverbandes und der Heraeus Bildungsstiftung in der Rubrik „Schüler zeichnen Lehrer aus“. Zwei der sieben Wertungskriterien lauten: „Euer:e Lehrer:in brennt für bestimmte Themen und steckt euch mit dieser Begeisterung an? Ihr behandelt ein Thema auch mal fächerübergreifend? Lasst hören!“ Oder: „Dein:e Lehrer:in kennt deine Stärken und behandelt dich mit Respekt? Du hast in der Schule an Selbstbewusstsein gewonnen? Erzähl uns davon!“

Schülerinnen und Schülern seiner letzten Abgangsklasse hatten Mehmet Cosgunoglu für den Lehrerpreis nominiert. Sie stellten sein Engagement für die Schule, Kritikfähigkeit, den kreativen, lebendigen Unterricht, die Vergabe stets gut begründeter Noten, die intensive Unterrichtsvorbereitung, Herzlichkeit und das vielfältige, umfangreiche Wissen heraus. Der Lehrer sei offen und an den Belangen der Schülerinnen und Schüler interessiert. Wir konnten Mehmet Cosgunoglu befragen.

Online-Redaktion: Herr Cosgunoglu, warum wollten Sie Lehrer werden?

Mehmet Cosgunoglu: (Pause) Ich sollte jetzt natürlich nicht antworten: Ich wusste nichts Besseres. (lacht). Nein, für mich wurde das in der gymnasialen Oberstufe klarer, als ich erleben durfte, mit wie viel Leidenschaft unsere Deutschlehrerin ihren Beruf ausübte. Ich kann mich noch heute daran erinnern, wie toll ihr Unterricht war und wie sie uns unterstützt und vorbereitet hat. Da ist in mir der Wunsch hochgekommen, auch mal einen Beruf auszuüben, bei dem ich Menschen so etwas geben kann. Das Tolle ist, dass ich jetzt selbst meine Schülerin Sahra Bissek, die meine Nominierung zum Lehrerpreis angeschoben hat, inspirieren konnte: Sie möchte nun Lehramt studieren. Da kriege ich richtig Gänsehaut.

Online-Redaktion: Wie haben Sie Ihre eigene Schulzeit insgesamt erlebt?

Cosgunoglu: Ich fand es ganz toll, weil ich da mit anderen Schülern zusammen sein konnte. Natürlich gab es Zeiten mit vielen Klausuren und langen Tagen, was anstrengend war. Aber ich denke, das gehört einfach dazu. Alles in allem bin ich gerne zur Schule gegangen.

Online-Redaktion: Wie ist Ihre Ausbildung verlaufen?

Zukunftsschule
Zukunftsschule NRW © Zukunftsschule NRW

Cosgunoglu: Für das Referendariat wurde ich im Mai 2014 der Albert-Schweitzer-Realschule in Remscheid-Lennep zugewiesen, und ich musste erstmal nachgucken, wo Lennep überhaupt liegt. Erster Eindruck auf der Hinfahrt: links und rechts Weiden mit Kühen und Schafen, sehr schön. Dann lernte ich den Schulleiter Jörg Bergemann kennen, der mich bis zum heutigen Tag unterstützt hat. Meine Mentorin war zugleich meine Ausbildungslehrerin in Deutsch, von der ich sehr viel gelernt habe – Dinge, die ich heute immer noch nutze. Wenn ich von ihr Materialien bekommen habe, wusste ich, dass ich die bedenkenlos einsetzen konnte. Ich habe von ihr Unterstützung erfahren, konnte viele Methoden ausprobieren und gemeinsam mit ihr reflektieren. Manches habe ich in mein Repertoire aufgenommen, manches wieder rausgeschmissen. In diesen 18 Monaten Referendariat habe ich sehr viel durch die Praxis gelernt. Ich habe mich da sehr gut aufgehoben gefühlt.

Online-Redaktion: Sie sind an der Albert-Schweitzer-Realschule geblieben.

Cosgunoglu: Da wusste ich, woran ich bin – ich wollte keine großen Risiken eingehen (lacht). Im Dezember 2015 habe ich meinen Vertrag unterschrieben. Damals wurden aufgrund der Fluchtbewegung viele Deutschlehrer gesucht, und ich bekam den Auftrag, internationale Klassen zu unterrichten.

Online-Redaktion: Was gefällt Ihnen am Lehrerberuf am besten?

Cosgunoglu: Das Miteinanderarbeiten macht mir Freude und zu sehen, dass die Angebote, die ich mache, angenommen werden. Die Wertschätzung, die ich nicht nur seitens der Schülerinnen und Schüler, sondern auch von Eltern, Kolleginnen und Kollegen und der Schulleitung erfahre. Und dass man sich in neue Bereiche einarbeiten und experimentieren kann. Das ist besonders während der Pandemie entscheidend gewesen: Wir haben uns in so viele neue Bereiche eingearbeitet, geschaut und abgewogen, was wir für die Arbeit nutzen können und was nicht. Gerade während des ersten Lockdowns mussten wir uns quasi über Nacht zu Digitalexperten weiterentwickeln. Zum Glück gab es an unserer Schule schon eine Lernplattform, mit der wir arbeiten konnten.

Online-Redaktion: Was ermöglicht diese Zusammenarbeit im Kollegium?

Cosgunoglu: Neben den gemeinsamen Konferenzen gibt es in unserer Schul-Cloud die Möglichkeit von Team-Chats, über die wir kommunizieren, Inhalte austauschen und uns gegenseitig beraten. An unserer Schule gibt es ein Beratungskonzept auch für Lehrkräfte, nicht nur für Schülerinnen und Schüler.

Online-Redaktion: Welche Arbeitsaspekte wiederum nerven Sie?

Cosgunoglu: Die Einschränkungen und Belastungen während der Pandemie – wie alle.

Online-Redaktion: Was macht einen guten Unterricht aus?

Cosgunoglu: Über diese Frage könnte man eine Hausarbeit schreiben. Es spielen viele Faktoren eine Rolle, aber ich kann eine Sache nennen, die ich persönlich erfahren habe. Für mich ist es wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler ein authentisches Interesse haben zu lernen. Wenn die Lehrkraft überzeugend ist und deutlich signalisiert, dass sie präsent ist und sich für jeden Einzelnen in der Klasse einsetzt, dann ist die Bereitschaft dazu auf Seiten der Schülerinnen und Schüler groß.

Kinder und Jugendliche wollen gesehen werden, und wenn man dem gerecht werden kann, dann wollen sich alle positiv entwickeln, unterstützt werden und Lob erfahren. Wenn die Atmosphäre stimmt, wird gut und gerne gelernt. Wichtig ist auch Konsequenz: Wenn man Regeln aufstellt, muss man deren Einhaltung auch konsequent verfolgen. Schüler merken, ob einem das als Lehrer egal ist oder ob man da hinterher ist. Gerade während der Pandemie haben die Schülerinnen und die Schüler die Schule neu schätzen gelernt.

Online-Redaktion: Können Sie in einer Klasse von 25 plus denn jeder und jedem Einzelnen gerecht werden?

Schülergruppe
"Sich über den Unterricht hinaus einbringen und aktiv sein" © ASRS Remscheid

Cosgunoglu: Keine Frage, es ist nicht einfach, alle immer im Blick zu behalten, aber ich glaube, dass wir das ganz gut hinbekommen. Ich mache mir nach jeder Unterrichtsstunde Notizen, wer besonders aktiv gewesen ist. In der Nachbereitung reflektiere ich, wie die Stunde gelaufen ist, und nehme mir vor, welche Schülerin oder welchen Schüler ich in der nächsten Stunde mal mehr unter die Lupe nehme oder in der Arbeitsphase stärker unterstütze, damit sie sich sicherer fühlen, sich dann auch mal zu melden. Wenn jemand den Anschluss zu verlieren droht, haben wir einen Blick dafür und überlegen uns gezielt Maßnahmen, um gegenzusteuern und zu unterstützen.

Online-Redaktion: Was zeichnet die Albert-Schweitzer-Realschule aus?

Cosgunoglu: Die Möglichkeit, sich über den Unterricht hinaus einbringen und aktiv sein zu können – sowohl als Schüler oder Schülerin als auch als Lehrer. Aus direkter Anschauung kann ich von einigen Beispielen berichten. 2017 hat mein Sowi-Kurs, also der Wahlpflichtkurs Sozialwissenschaften, den ersten Preis beim Remscheider Schulpreis belegt. Die Schülerinnen und Schüler hatten ein Projekt „Aufeinander achten, Sicherheit bieten, Respekt zeigen, Schule machen“ durchgeführt. Die Initialen ergaben das Schulnamenkürzel „ASRS“. Sie haben sich speziell um das Ankommen von Seiteneinsteigern gekümmert, also Schülerinnen und Schüler, die während des Schuljahrs oder von anderen Schulen oder aus dem Ausland an die Schule kommen. Es wurden Flyer gedruckt, die Schülerinnen und Schüler haben ihnen Orte in Lennep und die Schule gezeigt. Mit dem Projekt haben wir auch an der „Woche des Respekts“ in Nordrhein-Westfalen teilgenommen und ebenfalls eine Auszeichnung erhalten.

Dann hat sich die Klasse als Kultur-Scouts-Klasse beworben, und inzwischen sind wir Kultur-Scouts-Schule. Das ist ein vom Land unterstütztes Projekt im Bergischen Land, das pro Schulhalbjahr einen gratis Ausflug zu Kultur-Orten ermöglicht. So kann man auch kulturelle Bildung genießen. Im Weiteren konnte ich an unserer Schule das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz wieder einführen, das ursprünglich nur für die Deutschen Auslandsschulen gedacht war. Nun halten die Seiteneinsteiger, die Deutsch lernen, etwas Offizielles, ein von der Schulministerin überreichtes Zertifikat in ihren Händen. Als dann an unserer Schule keine Schülerinnen und Schüler mehr da waren, die dieses Diplom machen konnten, habe ich mit der Programmleitung in Soest Kontakt aufgenommen, damit wir dieses tolle Programm weiterführen konnten.

Nach langen Gesprächen haben wir eine Campus-Lösung für die Ganztagshauptschule Hackenberg, das Röntgen-Gymnasium und unsere Schule hier in Lennep etabliert. Die Schülerinnen und Schüler besuchten an unserer Realschule den Unterricht und die legten die Diplomprüfung ab. Das Projekt war so gelungen, dass wir uns als Campus damit beim Wettbewerb „Zukunftsschule NRW“ beworben haben. Und dann führt eins zum anderen: Durch die „Zukunftsschule NRW“ haben wir nun auch ein Netzwerk mit zwei Schulen aus Solingen, in dem es um mehr Wertschätzung und individuelle Förderung geht. Das sind einige Beispiele, was an unserer Schule möglich ist.

Online-Redaktion: Nicht zuletzt sind Sie einer der Mitgründer der Schülerzeitung?

Abschluss
Spaßtag der Albert-Schweitzer-Realschule im Juni 2021 © ASRS Remscheid

Cosgunoglu: Eine Schülerin kam zu mir und meinte: Wir haben so viele tolle Sachen an der Schule, aber nicht jeder ruft unsere Homepage auf und bekommt davon was mit. Da würde eine Schülerzeitung doch Abhilfe schaffen. Zunächst mal haben wir ein Angebot für Interessierte in der Mittagspause gemacht. Dann kamen immer mehr, die redaktionell arbeiten oder lustige Geschichten aus der Schule erzählen wollten, Rätsel erstellt haben und so weiter. Und wir wurden immer besser. Wir haben über unser Zeitzeugenprojekt berichtet, über die Kultur-Scouts, über unseren Frankreich-Austausch und über die neue Besetzung der Konrektorenstelle. Leider ist es mit der Pandemie eingeschlafen, ich hoffe, dass wir da wieder einen Neustart hinbekommen.

Online-Redaktion: Hat die Auszeichnung als „Lehrer des Jahres“ für Sie persönlich etwas verändert?

Cosgunoglu: Ich habe meiner Klasse gesagt: Blamiert mich nicht, ich habe jetzt einen Ruf zu verlieren! (lacht)

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!


Zur Person:



Mehmet Cosgunoglu, Jg. 1989, ist seit 2015 Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften / Politik an der Albert-Schweitzer-Realschule in Remscheid-Lennep, an der er 2014 auch sein Referendariat leistete. Er betreut an der Schule u.a. die Schulcloud, das Netzwerk „Zukunftsschulen NRW“ und das Integrationsprojekt im Rahmen des Kurses Sozialwissenschaften „(A)ufeinander achten, (S)icherheit bieten, (R)espekt zeigen, (S)chule machen“ (ASRS).



Der „Deutsche Lehrerpreis – Unterricht innovativ“ wird seit 2009 in den Kategorien „Unterricht innovativ“, „Ausgezeichnete Lehrkräfte“ und (seit 2020) „Vorbildliche Schulleitung“ vergeben. Insgesamt wurden 19 Auszeichnungen in neun Bundesländern überreicht. Mehr als 6.400 Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler haben sich 2020 am Wettbewerb der Heraeus-Bildungsstiftung und des Deutschen Philologenverbands beteiligt. Ziel des Wettbewerbs ist, die öffentliche Wertschätzung und das Image des Lehrberufs sowie der Arbeit der Schulleitungen zu unterstützen und Anstöße für den Unterrichts zu geben.

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Kategorien: Service - Kurzmeldungen

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