Ganztagsschulkongress 2019: Individuell. Digital. Sozial. : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg, Petra Gruner

Der Austausch zu den Themen Digitale Bildung und Schülerbeteiligung stand im Mittelpunkt des Ganztagsschulkongresses am 27. und 28. September 2017 in Berlin.

Musikalischer Auftakt mit der Mittelstufenband des Goethe-Gymnasiums Berlin
Mittelstufenband des Goethe-Gymnasiums Berlin © DKJS / Jann Wilken

Bereits in der Eröffnungsrunde kam ein Thema auf, das sich durch die eineinhalb Kongresstage ziehen sollte: Schulen öffnen sich für Ideen anderer Schulen. Anne Kathrin Kreis, Schulleiterin der Oberschule „Clara Zetkin“  im sächsischen Freiberg, berichtete: „Wir schmorten lange im eigenen Saft. Dann kam 2010 das erste Ganztagsschulnetzwerk. Wir haben eine Schule in Bayern besucht und ganz viele Ideen mitgenommen. Vor allem konnten wir sehen, wie man den Ganztag offener, gelassener, mit weniger Verbissenheit gestalten kann. Es ist ganz wichtig, andere Schulen zu besuchen.“

Schulteams aus allen 16 Ländern kamen am 27. und 28. September 2017 zum Kongress „Individuell. Digital. Sozial. Bildung gestalten in der Ganztagsschule“ nach Berlin, um ihre Arbeit zu präsentieren. Vorträge, Diskussionen und Workshops sorgten für thematische Vertiefungen. Allein vier Workshops gestaltete das Bildungswerk der Schülervertretungen (SV Bildungswerk) – ein Beleg, wie wichtig die Perspektive der Schülerinnen und Schüler für die Schulentwicklung ist. Eingeladen hatten die Programme „LiGa – Lernen im Ganztag“ und „Ganztägig bilden“, die die Bundesländer seit 2016 gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Stiftung Mercator im Anschluss an das Programm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ (2004-2015) durchführen.

Bei anderen Schulen hat sich auch die Sønderskov-Skolen umgesehen. Im Eröffnungsvortrag „Kompetenzen im 21. Jahrhundert: Was sollen wir lernen, wofür ausbilden?“ berichtete Schulleiter Rasmus Andreassen von Reisen seines Kollegiums nach Ontario, Wellington und San Diego, um Anregungen für die Umwandlung seiner „Folkeskole“, in der bis Klasse 9 alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen, zu erhalten. „Wir haben die besten Kinder der Welt. Sie sollen auch die beste Schule der Welt bekommen“, war die Maßgabe. Die Sønderskov-Skolen in Sønderborg ist keine „Schule mit Ausnahmegenehmigung, sondern ein ganz normale Volksschule mit 700 Schülerinnen und Schülern, die der dänischen Gesetzgebung unterliegt“, betonte der Schulleiter.

Sønderskov-Skolen: Neugierig auf Wissen

Vor vier Jahren wurde für die dänische Folkeskole der verlängerte Schultag eingeführt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Mehr vom Gleichen nicht ausreicht, und im Kollegium diskutiert, wie unsere Schülerinnen und Schüler lernen sollen, welche Kompetenzen sie brauchen, um sie in zehn bis 20 Jahren einzusetzen“, führte Andreassen aus. Eine Antwort ist verstärktes selbstständiges und fachübergreifendes Lernen statt eines „fragmentierten Stundenplans“.

Rasmus Andreassen
Rasmus Andreassen, Schulleiter der Sønderskov-Skolen © DKJS / Jann Wilken

Verstärkt werden Naturwissenschaften unterrichtet. Schon die Kindergartenklasse geht in das Technological Education Center Sønderskov, um an das Programmieren herangeführt zu werden. Schülerinnen und Schüler müssten den Sinn hinter den jeweiligen Aufgaben erkennen. „Wichtig ist, dass die Schüler neugierig auf Wissen sind. Und wenn sie bei uns aus der 9. Klasse entlassen werden, sollen sie noch mehr Lust auf Wissen haben“, so der Schulleiter.

„Tablets wie Stift und Lineal“

In der Stemweder-Berg-Schule gibt es seit zwei Jahren die Tablet-Klasse. 29 Siebtklässlerinnen und Siebtklässler nutzen das Tablet „als pädagogisches Werkzeug, genauso wie Stift oder Lineal“, berichtete Informatiklehrer Stephan Hegemann. „Es geht darum, dass wir im Umgang mit dem Computer vom passiven Konsumenten zum aktiven Produzenten werden.“ Die Schülerinnen und Schüler lösen Aufgaben mit dem Tablet, suchen Quellen, entwerfen eigene Bücher, komponieren Musik, produzieren Filme, entwickeln Spiele.

Plenum
Dr. Petra Strähle von der Stiftung Mercator © DKJS / Jann Wilken

Die Tablets sind vernetzt, und jederzeit können Lösungen und Ergebnisse einzelner Schülerinnen und Schüler per Beamer an die Wand geworfen und diskutiert werden. „Man kann Aufgaben so konzipieren, dass sie für die Schülerinnen und Schüler einen Wettbewerbscharakter bekommen“, erzählte Hegemann. „Selbst Hausaufgabenmuffel machen da aus Versehen Matheaufgaben.“ Ein wichtiges Element dieser Art Unterricht ist, dass Schüler von Schülern lernen.

„Jeder Schüler ist bei uns anders beschäftigt“, berichtete Kai Milde, Medienbeauftragter der Schule am Heidenberger Teich in Kiel. In der gebundenen Ganztagsgrundschule sind schon seit 2002 Computer und Internet in den Unterricht integriert. Tablets, digitale Tafeln und PC-Arbeitsplätze in allen Klassen sind Ergebnis einer langen Entwicklung, die Lehren und Lernen verändert hat. „Auch die Rolle des Lehrers verändert sich. Er ist nicht mehr der Dompteur vorne, sondern muss viel mehr in die Vorbereitung des Unterrichts investieren. Vieles erklären die Schülerinnen anderen Schülern und sind stolz wie Bolle auf ihre Arbeit.“

Impressionen von der Veranstaltung
© DKJS / Jann Wilken

Derweil steht die Ganztagsschule Friedrichstadt am Beginn dieser Entwicklung. „Wir haben uns gefragt, wie wir das individuelle Lernen digital unterstützen können“, erzählte Schulleiterin Ines Petermann. Die Schule hat für die Arbeit mit Lernsticks votiert, die für jedes Betriebssystem eingesetzt werden können und für die das Kollegium nun eigene Curricula entwickelt. „Wir sind noch Suchende auf diesem Weg, aber wir haben keine Zeit abzuwarten“, findet die Schulleiterin.

Digitale Medien nicht dämonisieren

Für Helena Riedel und Emely Dilchert vom SV Bildungswerk könnte es etwas schneller gehen: iPad-Klassen, Open Educational Resources und digitale Hausaufgaben seien an vielen Schulen noch Fremdwörter. Sie zeigten in ihrem Workshop „iPad statt Overheadprojektor – Herausforderungen digitaler Bildung aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern“ sowohl die Möglichkeiten als auch den Bedarf der Schülerinnen und Schüler auf, dass digitale Medien auch im Schulalltag ankommen.

Video auf Facebook

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Prof. Stefan Aufenanger von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz bestätigte das indirekt: „Wir stehen noch ganz am Anfang. Und es ist Aufgabe der Medienpädagogik, Orientierung zu geben.“ In seinem Vortrag betonte der Erziehungswissenschaftler, dass nach der Einführung der Schrift und des Buchdrucks die Entwicklung des Computers die dritte tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft sei. Digitale Bildung definierte er als „die Befähigung in einer digital geprägten Welt, souverän und sozial verantwortlich handeln zu können und in Würde zu leben“.

Dass Lehrkräfte noch Smartphones, Handys und Tablets verbieten, hält er für „unsinnig“. Diese sollten besser in den Unterricht einbezogen werden. Über die Nutzung außerhalb des Unterrichts können Regeln ausgehandelt werden. Überhaupt sei die Beteiligung der Schülerinnen und Schülern wichtig. Von Dramatisierung hält Aufenanger nichts, wie er mit Blick auf das Konzept der „digitalen Demenz“ eines Hirnforschers deutlich machte. Nach der Einführung des Buchdrucks habe schließlich noch lange das Lesen als schädlich gegolten. Er zitierte Empfehlungen der amerikanischen Kinderärzte: Bildschirmmedien nicht unter zwei Jahren, ab zwei Jahren maximal eine Stunde pro Tag, hochwertige Inhalte, „bildschirmfreie Zonen“ (vor allem in Schlafräumen).

Feedback-Kultur verbessert Unterrichtsqualität

„Mehr Chancen ermöglichen: Bildungsgerechtigkeit und Ganztagsschule“ lautete der Titel des Vortrags von Prof. Jutta Allmendinger. Die Soziologin und Arbeitsmarktforscherin machte auf ungleiche Bildungschancen, die eigentlich schon als überwunden galten, aufmerksam: ein zunehmendes Stadt-Land-Gefälle, Unterschiede zwischen Ländern und zwischen Stadtteilen. Ganztagsschulen sind für sie „präventive Bildungspolitik“, mit der in anderen Ressorts Mittel eingespart werden. Sie verwies unter anderem auf eine bundesweite Elternbefragung von 2016, nach der Eltern mit der individuellen Förderung, dem Umgang mit Diversität und dem „sozialen Miteinander“ in Ganztagsschulen zufriedener seien als in Halbtagsschulen.

Schüler und Lehrerin beim Lernen
© Britta Hüning

Hatte Allmendinger besonders die Beteiligung der Eltern hervorgehoben, ging es in den Workshops des SV Bildungswerk um die Schülerbeteiligung, zum Beispiel um das Feedback von Schülerinnen und Schülern, um den Klassenrat in der Sekundarstufe I und um Kinderrechte. Johannes Füßler und Ronaldo José de Sosa Cunha, SV-Berater aus Hessen, führten die Gäste ihres vollbesetzten Workshops durch die „Kultur“ des Schüler-Feedbacks. „Diese Kultur existiert bisher in Schulen kaum“, so die beiden SV-Berater.

Feedback kann nur freiwillig erfolgen: „Jemanden etwas aufzuzwingen, bringt gar nichts.“ Es biete aber für alle Vorteile. Schülerinnen und Schüler erfahren Wertschätzung: „Deine Meinung ist mir wichtig.“ Für die Lehrkräfte gibt es wichtige Fingerzeige für die Unterrichtsgestaltung. Eine Lehrerin aus Baden-Württemberg unterstützte das: „Eine Schule kann das fest im Methodencurriculum verankern, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern.“

Julia Stahlhut und Eric Thiel von den Landesschülervertretungen Bremen und Hessen widmeten sich in ihrem Workshop den „Kinderrechten als Grundlage für individuelle Bildungschancen“ im Schulalltag. Klassenrat, Streitschlichter, Schulsozialarbeit, Inklusion und Partizipation könnten die Kinderrechte unterstützen. Am Schluss bedankte sich eine Schulsozialarbeiterin aus Niedersachsen: „Ich habe selten einen so gut vorbereiteten und mit so viel Umsicht organisierten Workshop besucht. Und ich habe einiges gelernt, was ich noch nicht wusste.“

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